Zur Relevanz der Kooperation in der Sozialen Arbeit

S C H W E R P U N K T | Kooperation in der Sozialen Arbeit
Zur Relevanz der Kooperation
in der Sozialen Arbeit
Kooperation als Strukturmerkmal und Handlungsmaxime der Sozialen Arbeit
Text: Ueli Merten, Urs Kaegi Bilder: Callista Images/Cultura/F1online
Die Soziale Arbeit ist nicht nur durch die komplexen Pro-
kann der Zunahme der Querschnitts- und Vernetzungs­
blem- und Lebenslagen der Klientinnen und Klienten heraus-
aufgaben und den strukturellen Anforderungen nachge­
gefordert, sondern auch von der gewachsenen Zersplitterung,
kommen werden.
Spezialisierung und Ausdifferenzierung von Dienstleistungs­
angeboten und Organisationsformen, unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorgaben, Finanzierungsmodellen und politischen Abhängigkeiten. Nur durch Kooperation als bewusst
gewählte, beabsichtigte und fachlich begründete Zusammenarbeit sowie durch den Prozess gegenseitiger Abstimmung
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Professionelles Handeln in komplexen Systemen wie der
Sozialen Arbeit zeichnet sich durch kompetente Bearbeitung eines gemeinsamen Gegenstandes in verschiedenen
Handlungsfeldern aus. Dabei sind die gegenseitige Abstimmung und Unterstützung ebenso zu beachten wie die
Zielvorstellungen und jeweiligen Handlungslogiken der
unterschiedliche Beteiligten, Fachkräfte und Professionen.
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Im Zentrum der Kooperation mit Klientinnen und Klienten (Ko-Produktion) sowie der intra-, interprofessionellen
und interorganisationalen Kooperation stehen deshalb das
Wissen über Interaktions- und Verhandlungsprozesse
ebenso wie Methoden der Gestaltung effektiver Teamarbeit, die Grundlagen konstruktiver Konfliktbearbeitung
sowie über Projektmanagement. Kooperation zielt in ihrer
Wirkungsabsicht immer auf die Verbesserung der Lebenslage der Klientinnen und Klienten und wird im Interesse
gesellschaftlicher Leistungssysteme erbracht. Damit wird
Kooperation zu einem Strukturmerkmal und zugleich zur
Handlungsmaxime für Professionelle der Sozialen Arbeit.
Weshalb kooperieren?
Merkmale von Kooperationen sind mindestens zwei Kooperationspartner, ein intendiertes Handeln, Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse, Zielinterdependenz,
Gewinnorientierung und Wirkungsabsicht sowie die Zusammenlegung von Ressourcen und Kompetenzen, die als
notwendig erachtet werden, um die Ganzheitlichkeit der
Hilfen zu gewährleisten und der Komplexität der Problemlagen Rechnung zu tragen (vgl. Balz/Spiess 2009: 25). Dabei
kann zwischen strategischer und empathischer Kooperation unterschieden werden. Erstere wird als ein Handeln
verstanden, das rational und zielgerichtet seinen Gewinn
und die Wirkung kalkuliert und damit der Zweckrationali-
Kooperation zielt in ihrer Wirkungsabsicht
immer auf die Verbesserung der Lebenslage der Klientinnen und Klienten
tät in Organisationen entspricht. Empathische Kooperation
betont die kommunikativen und psychosozialen emotionalen Aspekte der Verständigung, die Reziprozität, die Fähigkeit des Perspektivenwechsels und die Anerkennung
und Akzeptanz des fachlichen Gegenübers. (ebenda: 35)
Kooperationen stellen hohe Anforderungen an die Beteiligten und scheinen nur dann dauerhaft möglich zu sein,
wenn für alle positive Effekte zu erwarten sind.
Daraus lassen sich folgende Anlässe zur Gestaltung von kooperativen Prozessen unterscheiden:
–– Fachlich begründete Absichten: Kooperation als intendierte Zusammenarbeit, die aus der Einsicht und Nachvollziehbarkeit der handlungs- oder leistungssystembezogenen Zielinterdependenz entsteht.
–– Gesellschaftliche und sozialpolitische Sachzwänge: Politische, institutionelle und organisationale Vorgaben und
die Verknappung der finanziellen Ressourcen fordern
und fördern definierte Fachpartnerschaften.
–– Aufgabenkomplexität: Klientelbezogener Handlungsbedarf; die komplexen Problemstellungen verlangen nach
mehreren Spezialistinnen und Spezialisten sowie fachspezifischen Kompetenzen.
–– Zuständigkeitsprobleme und Abgrenzungsprobleme: Der
oft mehrschichtige Handlungsbedarf und die statusund auftragsbezogenen Positionen/Funktionen/Rollen
der beteiligten Fachkräfte erfordern Aushandlungs- und
Abstimmungsprozesse zur Koordination der Fallsteuerung und Aufgabenteilung.
–– Effektivitätsforderungen: Sozial- und finanzpolitische
Vorgaben erfordern Partnerschaften, die durch Zusammenlegung der Ressourcen und durch klares Kostenbe-
Zum Thema
Christoph Mattes
arbeitet am Institut für Sozialplanung und
Stadtentwicklung der FHNW in Basel und ist
Mitglied der Redaktionsgruppe.
Benjamin Shuler,
dipl. Sozialarbeiter FH und MA in Sozialer
Arbeit, arbeitet bei einer kantonalen Verwaltung als wissenschaftlicher Mitarbeiter
im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und
ist Mitglied der Redaktionsgruppe von
­S ozialAktuell.
Liebe Leserinnen und Leser
Es war eigentlich naheliegend, für uns aber trotzdem überraschend und erfreulich zugleich, dass wir im Vorfeld dieser Ausgabe zahlreiche Angebote aus Ihren Reihen erhielten, zum Thema
«Kooperation in der Sozialen Arbeit» einen Beitrag zu schreiben.
Denn auf verschiedensten Ebenen und mit unterschiedlichsten Akteurinnen und Akteuren in der Sozialen Arbeit zu kooperieren,
scheint nicht nur eine akademische Frage zu sein, sondern ist Bestandteil unseres beruflichen Handelns. Mit dieser Ausgabe möchten wir aufzeigen, welche Möglichkeiten und Chancen Kooperation in der Sozialen Arbeit bietet. Und so freut es uns sehr, Ihnen
auf den folgenden Seiten einen Einblick in den derzeitigen Fachdiskurs zu diesem Thema geben zu können.
Als Einstieg beschreiben Ueli Merten und Urs Kaegi die Relevanz
von Kooperation für die Soziale Arbeit. Martin Schröder und Marc
Schmid werfen in der Folge einen aufmerksamen Blick auf die Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Am Beispiel
Jugendarbeit zeigt dann Marco Mettler Chancen der Kooperation
mit Jugendlichen auf, gefolgt vom Beitrag von Claudia Michel,
­T homas Friedli und Matthias Riedel, in dem die interinstitutionelle
Kooperation in der Palliative Care beleuchtet wird. Mit dem Fokus
auf intraprofessionelle Kooperation berichten Emanuela Chiapparini, Esther Bussmann, Stefan Eberitzsch und Renate Stohler über
Kooperation im Kontext von Ganztagesbildung. Die Ergebnisse
­eines Nationalfondsprojektes zur erschwerten Kooperation im
Kontext der Sozialhilfe werden von Fabienne Rotzetter, Miryam
Eser Davolio und Jutta Guhl präsentiert, bevor Michelle Beyeler auf
Kooperationen im Bereich der sozialen Grundversorgung eingeht.
Ausserdem berichten Rahel El-Maawi und Sabine Schenk vom
­Verlauf eines gemeinsamen Projekts der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit und eines Zürcher Quartierzentrums, und Karin Werner und Esther Bussmann stellen ein E-Didaktik-Experiment vor,
welches von der ZHAW Soziale Arbeit und einer Partnerhochschule
in Indien durchgeführt wurde. Kooperation kennt keine Grenzen!
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre, verbunden mit den
besten Wünschen für das Jahr 2016 – das Ihnen viele und hoffentlich auch für Sie erfreuliche Kooperationen bescheren möge.
wusstsein grössere Effizienz und Effektivität der Handlungen ermöglichen.
–– Qualitätsansprüche: Qualitätsarbeit kann nur durch ein
vereinbartes Zusammenwirken (Zusammenlegen von
strukturellen, kompetenzorientierten und personellen
Ressourcen und Strukturen sowie durch institutionalisierte Austauschbeziehungen) erzielt werden.
Dabei werden folgende Wirkungsziele unterscheiden:
–– Vermehrung und Optimierung der klientelbezogenen
Handlungsoptionen und Verbesserung der Problemlösungskompetenz der beteiligten Fachkräfte.
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–– Koordination der fachlichen, strukturellen und personalen Ressourcen und Vermeiden von Doppelspurigkeiten
im Behandlungsprozess.
–– Verbesserung des gegenseitigen Informationsflusses
und Wissenstransfers sowie Steigerung des Wissens
über die anderen Kooperationspartner.
–– Verbesserung der Zielerreichung und Ergebnisqualität
und Verminderung von Folgekosten.
–– Verbesserung der organisationalen und fachlichen Kompetenzen als lernende Organisation.
–– Steigerung der gemeinsamen Wettbewerbsfähigkeit
und Förderung des solidarischen Handelns.
–– Verbesserung der wirtschaftlichen Situation (KostenNutzen-Bewusstsein) und Sicherung der eigenen Zukunft durch gezielte Zusammenarbeit.
Kooperation als intendierte Zusammenarbeit
Bezugnehmend auf und in Erweiterung von Eppel/Hamer
(1997), Van Kardorf (1998), Schweitzer (1998), Van Santen/
Seckinger (2003), Balz/Spiess (2009) und Féraud/Bolliger
(2013) soll unter Kooperation und ihren Leitprinzipien verstanden werden:
–– Eine problembezogene, zeitlich und sachlich abgegrenzte Form der gleichberechtigten, arbeitsteilig or­
ganisierten und intendierten Zusammenarbeit am
­gleichen Gegenstand beziehungsweise an der gleichen
sozialen Problemstellung, die bewusst gewählt sowie
fachlich und professionsethisch begründet ist, deren
Zielkriterien, Ziele und Strukturen der Arbeitsteilung in
Prozessen gegenseitiger Abstimmung, Aushandlung
und Einigung bestimmt werden, und bei der die Haltungen und Handlungen der Kooperationspartner nach den
Prinzipien der Gleichwertigkeit, der Reziprozität, der Partizipation und der Multiperspektivität ausgerichtet sind
und in den Zielerarbeitungsprozessen aktiv thematisiert werden.
–– Kooperationen zielen in ihrer Wirkungsabsicht immer
auf die Verbesserung der Lebenslage und das Wohlergehen der Klientinnen und Klienten, auf die Optimierung
von Handlungsabläufen und auf eine Erhöhung von
Handlungsfähigkeit beziehungsweise Problemlösungskompetenz der Professionellen ab und werden im Interesse gesellschaftlicher Leistungssysteme (Profession
und Organisation) erbracht. Sie werden oft durch vertragliche Verpflichtungen, gemeinsame Rahmenbedin-
Ueli Merten,
lic. phil. I, Sozialpädagoge, Prof. an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Studienzentrum
Fachstelle für Zulassung und Studierendenberatung. Arbeitsschwerpunkte: Professionelle Kooperation in der Sozialen Arbeit, Teamarbeit und
Teamentwicklung, Praxisausbildung.
Urs Kaegi,
Dr. phil., Psychologe und Soziologe, Prof. an der
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Institut
­S ozialplanung und Stadtentwicklung. Arbeitsschwerpunkte: organisationaler Wandel, professionelle Kooperation, Führung im NPO-Bereich.
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gungen, formale Kontrollstrukturen, Hierarchien und
Regeln strukturiert und geregelt.
–– Die Anliegen und Informationen in der Kooperation
müssen von der Herkunftsorganisation durch eine Person kompetent transferiert, repräsentiert und vertreten
werden. Die Ergebnisse müssen von der gleichen Person
in die Herkunftsorganisation zurückgetragen werden
und in die dortigen Sichtweise und Sprache übersetzt
werden. (vgl. Merten 2015: 61)
Daraus ergibt sich für die Soziale Arbeit folgendes Rahmenmodell für kooperatives Handeln:
Abb 1: Kooperation als intendierte Zusammenarbeiten und ihre Leitprinzipien (Merten/Kaegi 2015: 42)
Auftrag
Problemstellung
Professionsorientierung
Organisationsorientierung
Werteorientierung
«Professionelle
Währung»
«Institutionelle
Grammatik»
«Sozialethische
Normierung»
Kooperation als intendierte Zusammenarbeit
Kompetenzorientierung
Multiperspektivität
«Verhandlung
Konfliktlösung»
«Ganzheitliche
Sichtweise»
Partizipationsorientierung
«Koproduktion»
Kooperationspartner und -partnerinnen haben in ihrer
professionellen Haltung, im gewählten Verhalten und bei
ihrem methodischen Handeln folgende Leitprinzipien und
Aspekte zu beachten:
–– Professionsorientierung: Kooperation wird immer aus
der Sichtweise, Zielperspektive und ethischen Richtlinien der eigenen Profession erbracht.
–– Organisationsorientierung: Kooperation ist auf den Kontext der eigenen Organisation bezogen. Vertreterinnen
und Vertreter einer sozialen Organisation sind zur Einhaltung der organisationalen und institutionellen
Grammatik verpflichtet.
–– Wirkungsorientierung: Kooperation muss lohnenswert
sein, sie muss die klientelbezogenen Behandlungsprozesse optimieren, die Problemlösungsfähigkeit der Beteiligten sowie die Entwicklung wirksamer Versorgungsleistungen verbessern.
–– Werteorientierung: Kooperation basiert auf professionsspezifischen, organisationsbezogenen und persönlichen
Werten und Normen der Kooperationspartner.
–– Partizipation: Kooperation bezieht die Sichtweise aller
Problembeteiligten gleichwertig mit in die Analyse der
Ausgangssituationen ein und garantiert umfängliche
Teilhabe in Abstimmungs-, Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen.
–– Koproduktion: Die personenbezogenen Interventionsleistungen können nur in geklärten Arbeitsbeziehungen
durch einen dialogischen Verständigungs-, Abstimmungs- und Aushandlungsprozess von Fachkräften der
Sozialen Arbeit und ihren Klientinnen und Klienten realisiert werden.
–– Multiperspektivität: Die Sichtweisen und Handlungslogiken der vielfältigen Funktionssysteme und Dienstleistungsangebote müssen bei der Analyse sozialer Probleme, den Lösungsansätzen, der Umsetzung der Lösungen und bei der Evaluation integriert werden.
–– Kompetenzorientierung: Kooperation erfordert die Bereitschaft und Fähigkeit zur Kooperation. Dazu gehören
Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Verhandlungskompetenz, strategisches Denken, Offenheit, em-
Wirkungsorientierung
Bewusste Zielinterdependenz
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pathisches Vermögen und die dienstrechtliche Kompetenz der Organisation.
–– Freiwilligkeit: Kooperation ist ethisch begründet, zeitlich
begrenzt sowie aus dem professionellen Handeln freiwillig entschiedene Koproduktion.
–– Reziprozität: Kooperation baut auf das Prinzip der Wechselseitigkeit, der Annahme eines gegenseitigen Ausrichtens der Handlungen mit dem Anreiz einer erwarteten,
aber nicht verpflichtenden Gegenleistung.
–– Autonomie: Wichtig in der Kooperationsbeziehung ist,
dass weitgehende Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Kooperationspartner auch während der Kooperation erhalten bleibt.
–– Akzeptanz: Kooperation benötigt die gegenseitige Anerkennung der berufsfeldspezifischen Kompetenzen und
Sichtweisen sowie der Gleichwertigkeit der Koopera­
tionspartner.
Einige Voraussetzungen gelingender Kooperation
Erfolgreiche interprofessionelle und interorganisationale
Kooperationsbeziehungen bedürfen der Klärung der unterschiedlichen Erwartungshaltungen und des geplanten
Ressourceneinsatzes.
Die Kooperationspartner selbst
–– erstellen eine zeitlich realistische Arbeitsplanung und
orientieren sich gegenseitig über Modelle der eigenen
Problemlösungssystematik;
–– regeln miteinander die adressatengerechte Ergebnissicherung und sichern den vollständigen Informationsfluss;
–– garantieren das Wissen übereinander (Aufträge, Zielperspektiven, Arbeitsweisen, Zuständigkeitsbereiche, ethische Prinzipien u.a.m.) und organisieren den entsprechenden Austausch;
–– bereiten aus der Haltung eines notwendigen Vorschusses an Vertrauen Massnahmen zur Vertrauensbildung
und Beziehungsklärung vor;
Kooperative Prozesse entstehen oft erst
aufgrund von Konflikten, wenn Adres­
satInnen bei der Nutzung von Ressourcen
eingeschränkt werden
–– einigen sich über eine angestrebte Laufzeit der Kooperation und helfen über die Sicherung personeller Kontinuität, Kooperationsbeziehungen stabil zu halten;
–– garantieren systematische Rückkoppelungsprozesse, in
denen die Ergebnisse der Zusammenarbeit in die Organisationen hineingetragen werden;
–– klären die unterschiedlichen Zielperspektiven, fassen
die Zielinterdependenz und stellen daraus die doppelte
Zielkongruenz her;
–– greifen die durch möglicherweise auftretende Loyalitätskonflikt entstehenden Spannungen aktiv auf und
reflektieren mögliche Konsequenzen;
–– entwickeln ein von aussen erkennbares Kooperationsprofil und erhöhen dadurch Identifikation und Legitimation;
–– übernehmen Verantwortung, um mögliche negative
Konsequenzen der Kooperationsbeziehungen für Dritte
zu erkennen und die entsprechenden Zuständigkeiten
zu regeln (vgl. Seckinger 2008: 9ff.).
Die Konflikthaftigkeit von Kooperationen
Beim kooperativen Handeln können sich auch Konflikte
entwickeln. Kooperative Prozesse entstehen oft erst aufgrund von Konflikten, wenn Adressatinnen und Adres­
saten bei der Nutzung von Ressourcen eingeschränkt
­werden. Sie entstehen aber auch durch unterschiedliche
professionelle Hintergründe der an der Kooperation Beteiligten. Konflikte sind meist Ausdruck gegensätzlicher Interessen, Bedürfnisse, unterschiedlicher Werte, Ziele, Bedeutungen und Interpretationen. Sie sind ein konstitutives
Element individueller und gesellschaftlicher Entwicklung
und bilden die Antriebskraft für Entwicklung und Veränderung. Zugleich sind jedoch Konflikte auch Faktoren, die
sich störend auf ein gutes Zusammenleben und soziales
und individuelles Wachstum auswirken. Konflikte sind
alltäglich. Sie können anstrengend sein, fördern aber auch
tragfähige Lösungen in Kooperationsprojekten.
Mit einer sorgfältigen Analyse des Konfliktes, wohlwollenden und klaren Interventionen lassen sich die vorhandenen Widersprüche erkennen, ausbalancieren und konstruktiv bearbeiten. Eine konstruktive Konfliktbearbeitung
hilft in Kooperationen Unterschiede zu verdeutlichen,
Vielfalt transparent zu machen und Veränderungen und
Entwicklungen einzuleiten. Dabei unterstützt ein rechtzeitiges Erkennen und Aufgreifen von Konfliktsymptomen
einen konstruktiven (d. h. offenen, fairen) Umgang mit
Konflikten. Es gilt dabei, eigene Beiträge zu Konflikten zu
verstehen, Empathie für die anderen Konfliktparteien auszudrücken und die Bereitschaft, ihre Sicht der Situation zu
verstehen. Ebenso müssen Beteiligte sich angemessen
selbstbehaupten und bemüht sein, die eigenen Interessen
gewaltfrei durchsetzen.
Erfolgsfaktoren von Kooperation
Kooperationen stellen an die Involvierten hohe Anforderungen (methodische und soziale Kompetenzen; Wissen
über Strukturen und Kulturen der an der Kooperation beteiligten Organisationen; diplomatisches unpolitisches
Verhandlungsgeschick) und sind nur dann dauerhaft möglich, wenn damit für alle Beteiligten positive Effekte verbunden sind – berechtigte Gewinnerwartungen, die auch
eingelöst werden. Zur Anbahnung erfolgreicher Koopera­
tionsbeziehungen bedarf es folgender Grundschritte: (1)
Bestimmen der eigenen Problemdefinition, der Zielsetzung
und der erwünschten Kooperationspartner; (2) Abklärung
der professionellen Eigenwährung, der eigenen kontextbezogenen Handlungsspielräume und des möglichen handlungsbezogenen Gewinns (lohnenswerte Kooperation); (3)
Sich-Hineinversetzen in die gewünschten Kooperationspartner, ihre möglichen Arbeitsweisen (Konzepte, Verfahren, Methoden) und Zielperspektiven, Interessen und Widerstände; und (4) Entwicklung einer Handlungsstrategie,
die ressourcen- und lösungsorientiert auch an den Zielen
und Interessen der Kooperationspartner ansetzt und die
Attraktivität einer Kooperation für alle Beteiligten in den
Vordergrund stellt (vgl. Rabeneck 2001: 3).
In Anlehnung an den Schlussbericht zur Untersuchung
von Kooperationsmodellen in den Bereichen Prävention,
Intervention, Repression im Rahmen des nationalen Programms zu Jugend und Gewalt (vgl. Féraud & Bolliger
2013: vii) lassen sich folgende Faktoren ableiten, die für das
Bestehen und den Erfolg von Kooperationen eine Rolle
spielen:
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1. Klärung von Zweck und Inhalt der Kooperation: Die vorgängige Klärung des Kooperationszwecks und die Festlegung der inhaltlichen Ausrichtung sind entscheidend
bei der Beantwortung der Frage, welche Akteure in den
Prozess miteinbezogen werden und welche Regelungen
in Bezug auf Informationsaustausch und Datenschutz
getroffen werden müssen.
2. Festlegung von Zuständigkeiten, Verantwortungsbereichen, Prozess- und Ablaufmodellen: Vor allem hinsichtlich der Wirksamkeit ist die gemeinsame Vereinbarung
von Zuständigkeiten und Abläufen eine entscheidende
Voraussetzung.
3. Beteiligte Akteure: Kooperationen können dann als wirksam angesehen werden, wenn möglichst diejenigen Akteure zusammenarbeiten, die für die vorliegende Problemstellung einen substanziellen Lösungsbeitrag leisten
können.
4. Gegenseitiges Kennen, Vertrauen: Für eine wirksame Kooperation besteht ein entscheidender und insgesamt
wohl der wichtigste Erfolgsfaktor darin, dass sich die an
der Kooperation beteiligten Akteure kennen, und zwar
sowohl auf der persönlichen Ebene als auch bezüglich
der unterschiedlichen Aufträge, Rollen, Zielperspektiven, Arbeitsweisen und Grenzen.
5. Feste Strukturen und Kontinuität: Kooperationen brauchen feste, vom Einzelfall unabhängige Strukturen. Institutionalisierte Meetings bieten die Möglichkeit zu einem Dialog über innere und äussere Perspektiven und
sind eine Voraussetzung für die Vertrauensbildung.
6. Nutzen der Kooperation: Die Teilnahme wird im Wesentlichen durch den erwarteten Nutzen bestimmt, den die
Kooperation einer Organisation und deren Mitarbeitenden für ihren Kernauftrag stiftet.
7. Ressourcen: Ausreichende und längerfristig gesicherte
zeitliche Ressourcen der an der Kooperation beteiligten
Personen sind ein zentraler Erfolgsfaktor.
8. Personenbezogene Faktoren: Förderlich ist eine hohe Kooperationsfähigkeit und Kontinuität seitens der involvierten Personen.
Grundvoraussetzung für eine gelingende Kooperation sind
die fachliche und personenbezogene Anerkennung, Akzeptanz und Vertrauensbasis des Kooperationspartners.
Ohne die Bereitschaft, voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu unterstützen und in einen respektvollen, reflektierten Austausch zu treten, können Vorurteile und statusbedingte Grabenkämpfe nicht abgebaut werden: So kann
Zu den Bildern
Kleine Kooperationskünstler
Kooperation ist ein Grundgesetz menschlichen Lebens und wird
auch von Mikroorganismen gepflegt. Eine soziale Ader findet sich
sogar bei winzigsten Lebewesen. Bakterien etwa – ob für uns nützlich oder schädlich – kooperieren miteinander, um ihre Überlebenschancen zu vergrössern. Sei es im menschlichen Körper, wo sie zusammen darauf hinarbeiten, Antibiotika zu widerstehen, oder in
Gewässern, wo sie ständig gemeinsam Strategien entwickeln, um
ihre Chancen im Kampf um Nahrung zu erhöhen.
Die Fotos in unserem Themenschwerpunkt «Kooperation» zeigen
deshalb Mikroskopaufnahmen von Bakterien. Bei den abgebildeten Mikroorganismen handelt es sich nicht zwingend um die
­s ozialsten unter ihnen. Die Auswahl erfolgte vielmehr nach rein
ästhetischen Kriterien. ubi
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Kooperation nicht funktionieren. Massnahmen, die das
gegenseitige Vertrauen und Verständnis fördern und reflektieren, optimieren jegliche Form der Kooperation.
Literatur
Balz, Hans-Jürgen; Spiess, Erika (2009): Kooperation in sozialen Organisationen.
­G rundlagen und Instrumente der Teamarbeit. Stuttgart: Kohlhammer.
Eppel, Heidi; Hamer, Beate (1997): Runter vom Ross – Raus aus dem Laufrad. Partnerschaftliche Kooperation in der Handlungsforschung. In: Neue Praxis, 27. Jahrgang, Heft 2,
S. 182–189.
Féraud, Marius; Bolliger, Christian (2013): Kooperationsmodelle in den Bereichen Prävention, Intervention, Repression. Forschungsbericht 13/13, Schlussbericht. Bundesamt für
Sozialversicherungen: Bern (Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Nationales Programm Jugend
und Gewalt).
Kardorff, Ernst von (1998): Kooperation, Koordination und Vernetzung. Anmerkungen zur
Schnittstellenproblematik in der psychosozialen Versorgung. In: Bernd Röhrle, Gert Sommer & Frank Nestmann (Hrsg.), Netzwerkinterventionen (S. 203–222). Tübingen: DGTV.
Lüssi, Peter (1995): Systemische Sozialarbeit. Praktisches Lehrbuch der Sozialberatung
(3., ergänzte Auflage). Bern: Haupt.
Merten, Ueli; Kaegi, Urs (Hrsg.) (2015): Kooperation kompakt. Kooperation als Strukturmerkmal und Handlungsprinzip der Sozialen Arbeit. Opladen: Barbara Budrich.
Rabeneck, Jörn (2001): Kooperation in der Jugendhilfe unter dem Fokus der Neuen
­Steuerungsmodelle. Stuttgart: Ibidem.
Santen, Eric van; Seckinger, Mike (2003): Kooperation: Mythos und Realität einer Praxis.
Leverkusen: DJI.
Schweitzer, Jochen (1998): Gelingende Kooperation. Systemische Weiterbildung in
­G esundheits- und Sozialberufen. Weinheim: Juventa.
Seckinger, Mike (2008): Strukturelle Voraussetzungen für Kooperation – Kinderschutz als
kooperative Aufgabe. www.suchtfragen.de/fileadmin/content/suchtfragen/docs/Landesstellenbrief/2008/pdf/Seckinger_Vortrag_koop.pdf.