kompakt Arbeitszeitentwicklung Deutschland gehört zu den Ländern mit den niedrigsten tariflichen Arbeitszeiten. Globalisierte Märkte, der demografische Wandel und die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft sind Herausforderungen für die Betriebe, denen es mit einer modernen Arbeitszeitpolitik zu begegnen gilt. Der tarifpolitische Reform prozess hin zu mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung muss daher auch in Zukunft weiter fortgesetzt werden. Tarifliche Wochenarbeitszeit seit zehn Jahren unverändert Mehr betriebliche Gestaltungsspielräume bei der Arbeitszeit In Tarifverträgen haben die Tarifpartner erfolgreich vielfälti ge Modelle zur Arbeitszeitgestaltung entwickelt. Neben der Lage und Verteilung der Arbeitszeit, z. B. durch die Einfüh rung von Arbeitszeitkonten, stand in der jüngeren Vergan genheit für viele Branchen vor allem die Vereinbarung ta riflicher Öffnungsklauseln zur Änderung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit im Vordergrund. Solche Instrumente sind für viele Betriebe wesentliche Elemente zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und damit zur Sicherung von Ar beitsplätzen. Bei dieser Entwicklung lag der Fokus immer auf der Arbeitszeitflexibilität und nicht auf einer generellen Ver längerung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit. Dies wird besonders anhand der Entwicklung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit deutlich: Sie liegt heute wie bereits vor zehn Jahren bei ca. 38 Wochenstunden (IAB, 2015). Seit Beginn der 2000er Jahre ist es vor dem Hintergrund ei nes damals äußerst schwachen wirtschaftlichen Umfelds und hoher Arbeitslosigkeit vermehrt gelungen, in vielen Branchen notwendige tarifliche Öffnungsklauseln vor allem im Bereich der Arbeitszeitgestaltung zu vereinbaren. Dabei erhalten die Betriebe die Möglichkeit, meist unter der Vo raussetzung vorliegender wirtschaftlicher Schwierigkeiten, innerhalb eines tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeitkor ridors ihre festgeschriebene regelmäßige Wochenarbeitszeit zu reduzieren oder heraufzusetzen. Die Spannbreite die ser Arbeitszeitkorridore ist dabei von Branche zu Branche überaus unterschiedlich. So umfasst der Arbeitszeitkorridor z. B. im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau 36 bis 42 Wochenstunden, in der Metall- und Elektroindustrie (NRW) 30 bis 40 Wochenstunden und in der Papier-, Pappe- und Kunststoffverarbeitenden Industrie 30 bis 38 Wochenstun den. Leider gibt es aber auch heute noch Branchen, in de nen die notwendige Flexibilisierung des Arbeitszeitrahmens durch eine Blockadehaltung der Gewerkschaften bisher nicht möglich war. Tarifliche Arbeitszeit in Deutschland unter europäischem Durchschnitt Überstunden gehen seit Jahren zurück Im europäischen Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern mit der kürzesten tariflichen Jahresarbeitszeit (1.651 Stunden) und der kürzesten tariflichen Wochenarbeitszeit (37,7 Stun den). Bei der Länge des Jahresurlaubs gehört Deutsch land mit 30 Tagen zu Europas Spitzenreitern. Zwar fällt die durchschnittliche tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit in Deutschland mit 40,3 Stunden höher aus und führt zu einer Differenz zur tariflich vereinbarten Wochenarbeitszeit. Den noch ist diese Diskrepanz nicht ausnahmslos auf die Anzahl der Überstunden zurückzuführen. Denn die tatsächliche Wochen arbeitszeit stellt die Arbeitszeit aller Betriebe dar, also auch der nicht tarifgebundenen. Tatsächlich hat ein Arbeitnehmer in Deutschland 2015 im Durchschnitt nur 0,9 Überstunden pro Woche gemacht (Quelle: IAB, 2015). Die Zahl der Überstunden geht seit vielen Jahren vor allem aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Arbeitszeitkonten tendenziell zurück. Durchschnittliche Überstunden pro Woche je Arbeitnehmer in Stunden 1,5 1,21 1,12 0,97 1,0 1,03 0,89 0,90* 2014 2015 0,94 0,5 0,0 1991 2000 Quelle: IAB, 2015 2004 2008 * Prognose 2012 kompakt Arbeitszeitentwicklung Arbeitszeitkonten wichtiges Instrument für Arbeitnehmer und Betriebe Ein weiterer Aspekt der Flexibilisierung der Arbeitszeit ist deren Verteilung auf Tage, Wochen oder Monate in Form von Arbeitszeitkonten unter Beibehaltung der vereinbarten fes ten regelmäßigen Wochenarbeitszeit. Heute verfügen fast alle Branchen über tarifvertragliche Regelungen zu Arbeits zeitkonten mit Ausgleichszeiträumen von bis zu einem Jahr. In vielen Bereichen sind auch längere Ausgleichszeiträume möglich. Zunehmend mehr Tarifverträge, wie z. B. der Stahl industrie, der privaten Banken, der Chemischen Industrie und in einigen Tarifgebieten der Metall- und Elektroindustrie, enthalten Optionen zur Bildung von Langzeit- bzw. Lebensar beitszeitkonten. In diese Konten können neben Zeitguthaben teilweise auch Entgeltbestandteile wie etwa Jahressonderzah lungen eingestellt werden. Die Bedeutung der Arbeitszeitkon ten durch die Abfederung von Absatzeinbrüchen auch für die Beschäftigungssicherung wurde vor allem in der Krise 2009 besonders sichtbar. Nach Angaben des Instituts für Arbeits markt und Berufsforschung (IAB) wurden durch die vorhande ne Arbeitszeitflexibilität rd. 1,2 Mio. Arbeitsplätze gesichert. Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch flexible Arbeitszeiten Im Fokus des bereits heute vielfältigen und weit verbreiteten Angebots der Unternehmen an familienfreundlichen Maßnah men steht eine familienfreundliche Arbeitszeitgestaltung. Ein zentrales Instrument ist dabei die flexible Ta Familienfreundlich: Der ges- und Wochenarbeitszeit. Dazu Anteil flexibler Arbeitszeit gehören z. B. die Staffelung der Ar modelle ist in den letzten beitszeit, flexible Pausen, temporäre Jahren deutlich gestiegen. Arbeitszeitverkürzungen, individuelle Arbeitszeitregelungen sowie Vertrau ensarbeitszeit, die jeweils eine bes sere Vereinbarkeit von Berufsalltag und Familienleben ermög lichen. Der Anteil dieser Arbeitszeitmodelle ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dies verdeutlicht, dass kein Bedarf für weitere gesetzliche Regelungen in diesem Bereich besteht. Sie würden der komplexen betrieblichen Praxis nicht gerecht und vielmehr die Bereitschaft schwächen, zu individuellen, passgenauen und damit besseren Lösungen zu gelangen. Zukünftige Herausforderungen an die Arbeitszeitgestaltung Der demografische Wandel mit einer immer älter werdenden Belegschaft und gleichzeitigem Fachkräftemangel stellt für die Betriebe auch hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung eine neue Herausforderung dar. Ältere Beschäftigte müssen weiter in das Arbeitsleben integriert und Fachkräfte durch attraktive Arbeitszeitmodelle geworben werden. Einige Branchen, wie z. B. die Chemische Industrie, die Stahlindustrie oder auch die Kautschukindustrie, begegnen diesen Anforderungen u. a. mit tarifvertraglichen Regelungen zu einer lebensphasenorien tierten Arbeitszeitgestaltung. So wird z. B. versucht, in Kom bination von Langzeitarbeitszeitkonten und Demografiefonds den Anforderungen aller Generationen besser gerecht werden zu können. Wichtig ist dabei, dass diese tarifvertraglichen Re gelungen immer Optionsmodelle für die Betriebe darstellen. Eine weitere tarifpolitische Herausforderung ist die zuneh mende Digitalisierung der Gesellschaft und ihre Auswirkun gen auf die Arbeitswelt. Auch hier gilt es, Tarifverträge an sich wandelnde Arbeitsabläufe anzupassen und den Betrieben bei der Ausgestaltung von Arbeitszeitmodellen ausreichend Fle xibilität zu belassen. So ist bereits in Tarifverträgen üblicher weise eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit vereinbart. Damit diese aber auch in den Betrieben praxisgerecht ausge staltet werden kann, sollte die Höchstarbeitszeit im Arbeits zeitgesetz gemäß der europäischen Arbeitszeitrichtlinie von einer täglichen auf eine wöchentliche umgestellt werden. Initiative der BDA Unterzeichnerin der Charta für familienbewusste Arbeits zeiten Publikationen und Ansprechpartner Tarifpolitik für familienbewusste Arbeitszeiten Broschüre mit Best-Practice der Tarif- und Betriebspartner, März 2013 kompakt: Arbeitskosten Arbeitszeitkonten Tarifautonomie Tarifpolitik BDA | DIE ARBEITGEBER Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Lohn- und Tarifpolitik T +49 30 2033-1300 [email protected] Die jeweils neueste Ausgabe und weitere Hinweise zu diesem Thema finden Sie unter www.arbeitgeber.de argumente: Vorteile des Tarifvertrags erkennen und nutzen März 2016
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