Pressegespräch zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2015 08.12.2015 DGB-Haus Mainz Menschenrechte kennen keine Obergrenze und keine Kassenlagen – Flüchtlinge als Herausforderung für Staat und Gesellschaft Statement Pfarrer Albrecht Bähr – Vorsitzender der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz Sehr geehrte Damen und Herren, wie den Medien in den letzten Tagen zu entnehmen war, wird noch vor Weihnachten die Zahl von einer Million Flüchtlingen, die in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind, überschritten. Diese Herausforderung für unsere Gesellschaft „fällt nicht vom Himmel“, wir alle können uns ihr nicht entziehen und sie erfordert eine gemeinschaftliche Kraftanstrengung und einen langen Atem. Die großen Anstrengungen, die die staatlichen Stellen seit geraumer Zeit aufbringen, um die vielen Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen, sehen wir sehr wohl und mit großem Respekt. Gleichwohl sehen wir uns heute, anlässlich des diesjährigen Internationalen Tages der Menschenrechte, veranlasst Kritik zu üben: Stichwort Fluchtursachen bekämpfen. Ob Luftangriffe in Syrien auf den IS das Mittel der Wahl ist, den Menschen vor Ort zu helfen und dem Land den ersehnten Frieden ein Stück näher zu bringen, ist nach den Erfahren im Irak, Afghanistan oder Libyen sehr fraglich. Militärschläge ohne eine zivile Komponente/ Strategie werden nicht verhindern, dass die Menschen sich von diesem gefährlichen Ort in Sicherheit bringen. Zumal der Hauptaggressor, nämlich die Truppen von Machthaber Assad, die für 90% der bisher gezählten Toten in diesem Konflikt verantwortlich sind, nicht wirklich zur Verantwortung gezogen wird. Fluchtursachen bekämpfen heißt auch, den Menschen, die in die Region geflohen sind, zu unterstützen und ihnen eine Perspektive zu bieten. Letzte Woche noch hat der UNHCR beklagt, dass insbesondere die Europäische Union ihre finanziellen Versprechen nicht eingehalten hat und dass die Situation in den Lagern, insbesondere im Hinblick auf den nahenden Winter, katastrophal verschlechtert hat. Wer kann es ihnen verdenken, die über vier Jahre dort ausgehalten haben, sich nun auf den gefährlichen Weg in Richtung Freiheit und Sicherheit zu begeben. Gefährlich insbesondere deswegen, weil Europa ihnen keine sicheren Zugangswege gewährt. Deswegen musste der kleine, syrische Junge Ailan Kurdi, Anfang September diesen Jahres bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland sterben. Es gab ob des Bildes einen weltweiten Aufschrei des Entsetzens … ohne Konsequenzen. Deswegen sind alle europäischen Staaten natürlich in die Pflicht zu nehmen, natürlich müssen die Zahlungen für die Flüchtlingsversorgung in den Nachbarstaaten der Krisenländer auch durch die Europäische Union deutlich erhöht werden! 2 Und natürlich sind in unserem komplexen föderalen Flüchtlingsaufnahmesystem Effektivierungen und Anpassungen erforderlich, natürlich ebenso der Aufbau zusätzlicher Personalressourcen auf allen Staatsebenen. Aber wir beobachten mit großer Sorge, in welcher Form der Bund und die Länder den Zuzug der Flüchtlinge einschränken bzw. viele der Flüchtlinge, die in Deutschland schon Schutz gefunden haben, wieder außer Landes bringen wollen. Es macht den Eindruck, dass es einen innereuropäischen Wettbewerb gibt, welches Land am unattraktivsten für Flüchtlinge ist. Dabei ist die Europäische Union doch, nach eigener Definition, der „Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts“! Verfolgt man die Diskussionen auf EU Ebene, können einem da aktuell Zweifel kommen. Stichwort Familienzusammenführung: Land auf, Land ab wird von der Integrationsanstrengung gesprochen, die von den Flüchtlingen erwartet wird. Gleichzeitig soll aber einer immer größer werdenden Gruppe der Flüchtlinge, die sich hier geprüft und berechtigt aufhalten, der Nachzug ihrer Ehepartner und Kinder verwehrt werden. Artikel 6 unseres Grundgesetzes lautet: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatliche Ordnung.“ Dieser Artikel gilt doch nicht nur bei schönem Wetter. Er gibt berechtigt dem Kern unserer Gesellschaft den notwendigen Schutz. Und wenn wir diesen Schutz vielen der bei uns geprüft und berechtigt lebenden Flüchtlinge verwehren, müssen wir uns nicht wundern, wenn diese wiederum mit Kopf und Herz bei ihren Lieben sind und anstatt den Sprachkurs zu besuchen Geld zur Unterstützung ihrer Familien im Herkunftsland verdienen. Auch werden besonders schutzbedürftige Gruppen so auf illegale und gefährliche Fluchtwege verwiesen. Wir treiben damit die Menschen in die Boote, in die Hände der Schlepper, mit den schon bekannten, tödlichen Folgen. Ebenfalls verfassungsrechtlich bedenkliche Schritte werden mit weiteren schon durchgeführten bzw. geplanten Rechtsverschärfungen eingeschlagen: Einschränkungen des grundrechtlich garantierten Rechtsschutzes durch die geplante Verkürzung der Asylverfahrensfristen und damit faktisch eine Ausdehnung des „Flughafenverfahrens“ auf große Gruppen von Flüchtlingen; die Verfahren müssen natürlich schneller werden. Ob man dies aber mit den angestrebten Schnellverfahren und den geplanten Standardabsenkungen schafft? Hier sehe ich eher den Kern des individuellen Asylrechts und seine rechtstaatliche Ausgestaltung in Gefahr. Grundrechtswidrige massive Eingriffe in das allen Flüchtlingen zustehende Existenzminimum, um vermeintliche Fluchtanreize abzubauen; wir erinnern uns an die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetzt aus dem Jahre 2012: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar!“ Der momentane Gipfel dieser Rechts-und Verfahrensverschärfungen zur Eingrenzung der Flüchtlingszugänge ist das Bemühen Afghanistan (bzw. einzelne dortige Regionen) als sicheres Herkunftsland zu deklarieren. Das Bundesverteidigungsministerium erhöht gerade die Zahl der dort stationierten Soldaten, da die Sicherheitslage immer prekärer wird. Und die Innenministerkonferenz ist sich einig, so letzte Woche in Koblenz verabredet, dass in diese zunehmend eskalierende Lage Flüchtlinge abgeschoben werden können. Solche Vorhaben machen sprachlos. In der jetzigen angespannten Lage, in der viele Politiker in Sorge sind, als nicht handlungsfähig zu erscheinen, plädieren wir mit Nachdruck für eine sorgfältige Diskussion mit allen erfahrenen relevanten Gruppen der Gesellschaft und die Erarbeitung einer langfristigen Strategie. Wer vermeintlich einfach durchführbare Lösungen präsentiert, wie die Festlegung von Obergrenzen für Flüchtlinge, muss auch die Konsequenzen solcher Festlegungen benennen: noch mehr Abschottung, noch mehr Abschreckung, noch mehr Zäune und noch mehr tote Flüchtlinge vor unseren Grenzen. 3 Zugegeben: Es gab schon ruhigere Zeitläufe. Aber die Belastbarkeit und Souveränität unseres Gemeinwesens, seine Bindung an Grundwerte wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erweist sich jetzt. Außenminister Steinmeier erklärte zum Tag der Menschenrechte 2014, die Achtung und Förderung der universellen und unteilbaren Menschenrechte sei wesentlicher Bestandteil der deutschen Innen- und Außenpolitik. Daran möchten wir heute nachdrücklich erinnern und daran müssen wir uns als Gesellschaft messen lassen. Mainz, 8. Dezember 2015 LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz Geschäftsführung: Sylvia Fink Löwenhofstr. 5 55116 Mainz Tel.: 06131 / 22 46 08 E-Mail: [email protected]
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