Schiedsspruch beschneidet Recht auf Wahlfreiheit des Geburtsortes

Pressemitteilung
Köln, 26.09.2015
Schiedsspruch beschneidet Recht auf Wahlfreiheit des Geburtsortes sowie das
Berufsrecht der Hebammen.
Verbindliche Ausschlusskriterien für Hausgeburten sollen zukünftig die gesetzlich zugesicherte
Wahlfreiheit des Geburtsortes beschneiden. Diesen Beschluss verkündete vor wenigen Tagen die
Schiedsstelle, die der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und die Hebammenverbände während der Verhandlungen angerufen hatten. Die Hebammen bewerten die Entscheidung als schweren Einschnitt in ihr Berufsrecht. Hebammen für Deutschland e.V. (HfD) befürchtet
das Aus für Hausgeburten.
Bei den Verhandlungen zwischen Hebammenverbänden und dem GKV-Spitzenverband wurde im Juni
die Schiedsstelle angerufen. Die Schiedsstelle setzt sich aus drei Vertreterinnen der Hebammen, drei
Vetreter_innen des GKV und dem Vorsitzenden und zwei Beisitzer_innen zusammen.
Den Vorsitz der Schiedsstelle führt Herr Prof. Dr. Heinz Dietrich Steinmeyer. Er ist als Beisitzer schon aus
den vergangenen Jahren bekannt und wurde, damals wie heute, vom GKV-Spitzenverband benannt.
Eine Einigung zwischen den Hebammenverbänden und dem GKV-SV auf seine Person gab es nicht,
so dass er mittels Losentscheidung berufen wurde. Der zweite Beisitzer, Herr Prof. Dr. Robert Francke,
auch bereits von vorherigen Schiedsstellen bekannt, wurde auch von Seiten des GKV-Spitzenverbandes benannt.
Von Seiten der Hebammenverbände als dritte unparteiische Person vorgeschlagen, war Frau Birgitt
Bender anwesend. Sie ist in diesem Verfahren der Argumentation der Hebammen gegenüber offen. Dennoch wird deutlich, dass zwei der drei unparteiischen Schiedsstellenmitglieder eine krankenkassenfreundliche Haltung haben, sodass immer eine Mehrheit für die Krankenkassen zu erwarten war.
Deren Entscheidung ist nun auch entsprechend ausgefallen:
Demnach soll es künftig für Hausgeburten verbindliche Ausschlusskriterien geben. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) kritisiert dies scharf, denn der Nutzen solcher Kriterien ist nicht wissenschaftlich
belegt.
Zum Kriterienkatalog zählt beispielsweise die Überschreitung des berechneten Geburtstermins um
drei Tage. In diesem Fall soll zukünftig immer ein Arzt oder eine Ärztin bestimmen, ob eine Hausgeburt
unbedenklich ist. Frauen und Eltern können somit den Geburtsort ihres Kindes nicht mehr frei wählen
– obwohl diese Wahlfreiheit gesetzlich zugesichert ist.
Empirisch belegbare Beweise, dass eine Hausgeburt weniger sicher ist als eine Geburt in der Klinik
oder dass dabei mehr Komplikationen auftreten, brachten weder die GKV noch die Schiedsstelle bei.
Der Schiedsstellenspruch bedeutet, dass in den besagten Fällen, in denen eine Hebamme ohne ärztliche Zustimmung eine Hausgeburt begleitet, gegen den Vertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen
verstößt. In der Folge kann sie vom Vertrag ausgeschlossen werden und mit einem Bußgeld über
10.000 € belegt werden. Auch haftungsrechtlich sind die Konsequenzen weitreichend:
Eine Hausgeburt durchzuführen würde dann in vielen Fällen als grob fahrlässiges Verhalten der Hebamme gewertet werden können.
„Die Etablierung von Ausschlusskriterien hat nichts mit einer Qualitätsverbesserung in der außerklinischen
Geburtshilfe zu tun, sondern bewirkt deren Abschaffung“, urteilt Katharina Jeschke, Verhandlungsführerin
des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) und Präsidiumsmitglied. „Wir gehen davon aus, dass die
meisten Ärztinnen und Ärzte allein aus der Furcht vor haftungsrechtlichen Folgen zukünftig keine Zustimmung zur Hausgeburt geben werden. Vielerorts können Frauen diese Erlaubnis schon deshalb nicht bekommen, da Arztpraxen üblicherweise an Wochenenden und Feiertagen gar nicht besetzt sind.“
„Das leitet den Untergang der Hausgeburt ein“, meint Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes. „Mit Besorgnis nehmen wir wahr, dass die physiologische Geburt immer weniger im Fokus
der Geburtshilfe steht.“
„Wir sind fassungslos, dass durch diese Entscheidung Frauen in ihrer Selbstbestimmung so gravierend
beschnitten werden“, so Lisa von Reiche, Vorstandsmitglied von Hebammen für Deutschland e.V. (HfD).
„Unzählige Kinder werden in Zukunft anders geboren – statt zu Hause in der Klinik, vermutlich viele auch
ohne Hebamme. Jetzt muss es einen Aufschrei von allen Frauen und Frauenrechtlerinnen geben, unabhängig davon, wo sie ihre Kinder bekommen wollen.“
Der Schiedsstellen-Entscheid bedeutet auch einen schweren Einschnitt in das Berufsrecht der Hebammen: Ein jahrtausendealter Beruf, der in Deutschland Geburtshilfe in hoher Qualität erbringt, wird
damit ohne wissenschaftlich fundierte Begründung in seinen Grundzügen verändert. Für Ende 2016
wird das Ergebnis einer Studie erwartet, die von der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen
Geburtshilfe e.V.(QUAG ) und der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi)
erstellt wird und Grundlage neuer Verhandlungen sein wird. Bis dahin aber wird den Hebammen die
Fähigkeit abgesprochen zu entscheiden, wann eine Schwangerschaft nicht mehr regelgerecht verläuft
und ärztliche Kompetenz hinzuzuziehen ist.
All dies ist unserer Meinung nach nicht mit geltendem Recht vereinbar - lesen Sie auch:
aberwehe.wordpress.com/warum-die-vorstellungen-des-gkv-gegen-geltendes-recht-verstosen
Der DHV erwägt Klage gegen den Schiedsspruch.
Kontakt:
Lisa von Reiche
HfD-Vorstandsmitglied
Telefon: 0177-7572572
E-Mail: [email protected]
www.hebammenfuerdeutschland.de
Hebammen für Deutschland e.V. (HfD) ist eine Initiative zum Erhalt individueller Geburtshilfe mit Sitz in
Köln. Mitglieder des gemeinnützigen Vereins sind Hebammen, Eltern, Interessierte und Betroffene. Gegründet wurde HfD im Jahr 2010 als Reaktion auf die exponentiell steigenden Berufshaftpflichtprämien. Diese
haben inzwischen 25 Prozent der freiberuflichen Hebammen gezwungen, die Geburtshilfe aufzugeben. Ziel
von HfD ist es, die individuelle Geburtshilfe in Deutschland zu erhalten und das „Hebammensterben“ zu
beenden. Dazu steht der Verein in engem Austausch mit Hebammenverbänden, Elterninitiativen, Medien
und Politik.
Hebammen für Deutschland e.V.
Hermann-Josef-Schmitt-Str. 26 50827 Köln
www.hebammenfuerdeutschland.de