OLG Nürnberg: VersAusglG, SGB XII, Sozialleistung

OLG Nürnberg, Beschluss v. 01.02.2016 – 11 UF 1466/15
Titel:
OLG Nürnberg: VersAusglG, SGB XII, Sozialleistung, SGB X, Kirchmeier, FamFG,
Verfahrenswert, Familiensache, Endurteil, Nominalwert, Zusatzversorgungskasse,
Ehezeit, Dynamisierung, Zusatzversorgung, Einzahlung, Neuberechnung,
Sozialleistungsträger, Versorgungsausgleich, Wesentlichkeitsgrenze,
Erstattungsanspruch
Normenketten:
SGB XII § 95
FamFG § 226 I
VersAusglG § 52 I
§ 95 SGB XII
§ 51 Abs. 3 VersAusglG
§ 104 SGB X
§ 51 VersAusglG
Leitsatz:
1. Die Möglichkeit des erstattungsberechtigten Trägers der Sozialhilfe, gemäß § 95 SGB XII die
"Feststellung einer Sozialleistung" zu betreiben, umfasst nicht das Recht, die Abänderung des
Versorgungsausgleichs zu beantragen. (amtlicher Leitsatz)
Schlagworte:
Abänderung, Versorgungsausgleich, Träger, Sozialhilfe, Feststellung einer Sozialleistung,
Antragsberechtigung
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Erlangen
vom 06.10.2015 wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
I. Das Amtsgericht Erlangen hat durch Endurteil vom 14.02.1990 die Ehe der früheren Ehegatten
geschieden und den Versorgungsaugleich ausgehend von einer versorgungsrechtlichen Ehezeit vom
01.02.1965 bis zum 31.10.1988 durchgeführt. Dabei wurde vom Konto des Ehemannes in der gesetzlichen
Rentenversicherung eine Anwartschaft von monatlich 75,20 DM auf das Konto der Ehefrau übertragen.
Zusätzlich wurde zulasten der für den Ehemann bei der Zusatzversorgungskasse der bayerischen
Gemeinden bestehenden Zusatzversorgung auf dem Konto der gesetzlichen Rentenversicherung der Frau
eine Anwartschaft von monatlich 30,75 DM begründet. Der Ehemann hatte eine Anwartschaft mit einem
ehezeitlichen Nominalwert von 184,69 DM monatlich erworben, die nach durchgeführter Dynamisierung und
(fiktiver) Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung in einen dynamisierten Wert von 61,50 DM
umgerechnet wurde. Beide frühere Ehegatten beziehen Rente.
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Mit beim Amtsgericht am 29.06.2015 eingegangenen Schreiben hat der Antragsteller die Neuberechnung
des Versorgungsausgleichs beantragt. Er erbringe als überörtlicher Sozialleistungsträger Sozialleistungen
gem. SGB XII für die frühere Ehefrau. Mit Schreiben vom 10.06.2015 seien gegenüber der Deutschen
Rentenversicherung gemäß § 104 SGB X Erstattungsansprüche geltend gemacht worden, die Rente der
früheren Ehefrau werde vereinnahmt. Gemäß § 95 SGB XII könne der erstattungsberechtigte Träger der
Sozialhilfe die Feststellung einer Sozialleistung beantragen. Unter diesen Begriff fielen auch Leistungen der
gesetzlichen Rentenversicherung. Der Begriff der Feststellung sei weit auszulegen. Er umfasse alle
rechtserheblichen Handlungen und Gestaltungsrechte. Die Wesentlichkeitsgrenze des § 51 Abs. 3
VersAusglG sei überschritten, weil hinsichtlich der Zusatzversorgung des Ehemannes „eine statische Rente
von 11.303,03 DM [gemeint ist der in dem Endurteil errechnete Barwert] in eine monatliche Rente von 61,50
DM umgerechnet“ worden sei.
3
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 06.10.2015 den Antrag mit der Begründung abgewiesen, der
Antragsteller zähle nicht zu den unter § 226 FamFG genannten Antragsberechtigten. Die Regelung sei
abschließend. Es sei nicht ersichtlich, dass im Falle der Erbringung von Sozialleistungen eine
Auslegungslücke bestehe. Nur dem genannten Personenkreis komme die Entscheidung zu, ob sie die
Abänderung beantragen wollten oder nicht. Aus § 95 SGB XII könne keine Befugnis, ein Gestaltungsrecht
auszuüben, abgeleitet werden.
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Gegen diesen dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 14.10.2015 zugestellten Beschluss wendet sich
dieser mit seiner am 13.11.2015 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Er moniert, § 95 SGB XII
umfasse ausdrücklich auch die Ausübung von Gestaltungsrechten. Bei der Durchführung der
Neuberechnung des Versorgungsausgleichs handele es sich um kein höchstpersönliches Recht. Die
Abänderung des Versorgungsausgleichs habe unmittelbaren Einfluss auf die Rentenhöhe.
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II. Die gemäß §§ 58 ff., 63 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
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Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung abgesehen, da die Beteiligten rechtliches Gehör hatten und
der Sachverhalt hinreichend geklärt ist (§ 69 Abs. 3, § 221 Abs. 1 FamFG).
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Wird ein Antrag vom erstinstanzlichen Gericht allein aus verfahrensrechtlichen Gründen zurückgewiesen, so
eröffnet die darin begründete formelle Beschwer das Rechtsmittel, und zwar unabhängig davon, ob der
Antragsteller sachlich zur Antragstellung berechtigt ist. Dies gilt insbesondere bei Verneinung seiner
Antragsberechtigung, denn nur auf diese Weise kann das Fehlen des Antragsrechts mit einem Rechtsmittel
nachgeprüft werden (BGH FamRZ 2015, 1787 Rn. 14 m. w. N.).
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Das Amtsgericht hat die Antragsberechtigung gemäß § 52 Abs. 1 VersAusglG, § 226 Abs. 1 FamFG
zutreffend verneint. Der Antragsteller gehört nicht zu dem dort genannten Personenkreis. Er kann den
Antrag auch nicht in gesetzlicher Verfahrensstandschaft gemäß § 95 SGB XII für die selbst
antragsberechtigte frühere Ehefrau stellen.
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Nach § 95 SGB XII kann ein erstattungsberechtigter Träger der Sozialhilfe die Feststellung einer
Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen. Die Vorschrift hat zwei Zielrichtungen, sie ermöglicht
dem leistenden Träger der Sozialhilfe einerseits seinen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X nicht nur zu
sichern, sondern auch aktiv die Voraussetzungen für seine Realisierung herbeizuführen, andererseits
zukünftige Ansprüche des Berechtigten selbst zu realisieren und dadurch im Ergebnis die eigene
Leistungspflicht zu beenden (Armbruster in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 95 SGB XII Rn. 26
f.). Zu den Sozialleistungen im Sinne der Vorschrift zählen nur solche Leistungen, die - zumindest über die
Anordnung des § 68 SGB I oder kraft ihrer Wurzel (Armbruster a. a. O. Rn. 71) - in das SGB (vgl. die
Legaldefinition in § 11 Satz 1 SGB I) einbezogen sind, also im vorliegenden Verfahren insbesondere die
Ansprüche der Ehefrau gegen die gesetzliche Rentenversicherung, nicht aber das Rechtsverhältnis
zwischen dem Ehemann und der öffentlich-rechtlichen Zusatzversorgung, weil letzteres privater Natur ist
und auf Tarifverträgen beruht.
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Der Träger der Sozialhilfe kann die „Feststellung der Sozialleistung“ betreiben. Der Begriff ist weit
auszulegen und umfasst nicht nur das Begehren nach einer rein feststellenden Verwaltungs- oder
Gerichtsentscheidung hinsichtlich der Sozialleistung, sondern auch die Verwirklichung und Durchsetzung
der Leistung, nicht aber die Ausübung von Gestaltungsrechten (Armbruster a. a. O. Rn. 80; Kirchhoff in
Hauck/Noftz, SGB, Stand 03/15, § 95 SGB XII Rn. 22). Die Vorschrift ist darauf angelegt, dass der
Sozialhilfeträger (in Verfahrensstandschaft für den Leistungsbezieher) Beteiligter an einem
Verwaltungsverfahren wird.
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Demgegenüber führt der Antrag nach § 51 VersAusglG nicht zu einem Verwaltungsverfahren, sondern zu
einem echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in dem sich die früheren Ehegatten mit
widerstreitenden Interessen gegenüberstehen. Ein zulässiger Antrag nach § 51 VersAusglG führt zur
Totalrevision des Versorgungsausgleichs aller in die frühere Entscheidung einbezogenen Anrechte, also
auch derjenigen, die keine Sozialleistung betreffen. Die Umgestaltung dieser Anrechte geht über die
Rechtsmacht hinaus, die § 95 SGB XII dem Sozialhilfeträger einräumt, auch wenn die Abänderung eine
Änderung der Höhe von Sozialleistungen nach sich ziehen kann.
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Im vorliegenden Verfahren beziehen sich die behaupteten Abänderungsvoraussetzungen sogar
ausschließlich auf das private Rechtsverhältnis zwischen dem Ehemann und der öffentlich-rechtlichen
Zusatzversorgung.
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Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 VersAusglG nicht
vorliegen.
14
Der Nominalwert der Versorgung von 184,69 DM oder 94,43 Euro weicht von dem dynamisierten und
gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 VersAusglG auf das Datum der Antragstellung (29.06.2015) aktualisierten Wert
des Ehezeitanteils von 61,50 DM * 28,61 (aktueller Rentenwert bei Antragstellung)/19,05457 (aktueller
Rentenwert bei Ende der Ehezeit in Euro) = 92,34 DM oder 47,21 Euro um 47,22 Euro und damit weniger
als den Grenzwert nach § 51 Abs. 3 Satz 3 VersAusglG in Verbindung mit § 225 Abs. 2 FamFG bei Eingang
des Abänderungsantrags von 56,70 Euro ab. Die Wertabweichung rechtfertigt deshalb nicht die
Abänderung der Vorentscheidung nach § 51 Abs. 3 VersAusglG. Da nach dem Willen des Gesetzgebers die
Prüfung nach § 51 Abs. 3 VersAusglG ohne vorangegangene (Neu-)Auskunft durchgeführt werden soll (BTDrs. 16/10144 S. 89), können insoweit nur die Rentenwerte verglichen werden, obwohl die Bezugsgröße
der öffentlich-rechtlichen Zusatzversorgungen kein Rentenwert ist, so dass bei der Prüfung des § 51 Abs. 2
VersAusglG eine Änderung der Kapitalwerte zu überprüfen wäre.
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Ob die Wesentlichkeitsschwelle des § 51 Abs. 2 VersAusglG überschritten wurde, hat das
Beschwerdegericht nicht geprüft.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
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IV. Die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 1 und 3
FamGKG. Der Senat hat die Einkünfte der früheren Ehegatten nicht im Einzelnen ermittelt, weil bei einer
Überschreitung des Mindestwerts nach § 50 Abs. 1 Satz 2 FamGKG eine Reduzierung nach § 50 Abs. 3
FamGKG angezeigt wäre. Die vorliegende Entscheidung befasst sich nämlich ausschließlich mit der
Antragsbefugnis des Antragstellers.
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V. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, weil die Antragsbefugnis des Sozialhilfeträgers höchstrichterlich
nicht geklärt ist, aber eine unbestimmte Vielzahl von Fällen betrifft und deshalb von grundsätzlicher
Bedeutung ist.