CLAUDIA WENZL-WINTERSTEIGER W. L. Gore & Associates – ein völlig anders geführtes Unternehmen: Kann so vielleicht die Zukunft der Unternehmensführung aussehen? “We don’t manage people here. There is a fundamental difference in philosophy between a commitment and a command.” Bill and Vieve Gore Jetzt bin ich also hier in den Räumlichkeiten von W. L. Gore & Associates, der vielleicht innovativsten Firma der Welt. Innovativ nicht nur in Sachen Produktentwicklung, sondern auch was Führungsund Managementpraktiken angeht. Bekannt ist Gore vor allem für sein Goretex Material. Kaum einer weiß, dass Gore aber auch im Medizintechnikbereich sehr stark und Weltmarktführer für Gitarrensaiten ist. In vier Business Units – Medical Products, Fabrics, Industrial Products und Electronical Products – beschäftigt W.L.Gore weltweit 10.000 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von drei Milliarden USD. Was die Business Units eint? Sie alle arbeiten mit dem Kunststoff PTFE. Zudem rankt Gore seit Jahren in allen Ländern unter den besten Arbeitgebern. Wissenswert wohl auch: Gore ist im Privatbesitz. Immer wieder versuche ich im Rahmen meiner Beratungsarbeit, neue Formen der Unternehmensführung zu entdecken und für meine Kunden zu entwickeln. Heute treffe ich Matthias Zaggl. Bis dato ist er Global Head of Bikewear and Textiles und künftig verantwortlich für den globalen Schuhbereich von Gore. 22 Jahre ist er schon beim Unternehmen und hat Interessantes zu berichten. Von Anfang an auffällig, er spricht bemerkenswert viel über Werte und Prinzipien und wie diese Prinzipien das Verhalten der Gore Associates steuern. Er erklärt mir, dass es bei Gore wenig Regeln und wenig Hierarchie gibt. Handlungsleitend sind stattdessen die von Bill Gore und seiner Frau Vivienne Gore ausgegebenen Unternehmensprinzipien Was sind die vier Prinzipien, die Gore steuern? Waterline – Die Methapher bedeutet, dass bei Gore alle in einem Boot sitzen. Jeder soll seinen Teil zum Unternehmenserfolg beitragen und im Sinne des Unternehmens situativ entscheiden, wo das für ihn möglich ist. Es gibt aber Entscheidungen, die könnten das Unternehmen gefährden. Ein Leck könnte unterhalb der „Waterline“ geschlagen werden. Damit würde das Schiff unaufhaltsam sinken. In solchen Fällen soll jeder Mitarbeiter selbständig entscheiden, wen es braucht, um eine gute Entscheidung im Sinne des Unternehmens zu treffen. Sein Job ist es dann, diese an einen Tisch zu bringen und eine Entscheidung herbeizuführen. Commitment – Jeder Associate entscheidet wozu er sich „committed“. Es gibt kein „command“ von oben! Wenn allerdings der Mitarbeiter etwas zusagt, dann wird das auch eingefordert. Am Jahresende bewertet jeder Mitarbeiter den Beitrag der jeweils anderen im Team. Aus dieser Einschätzung des Beitrags zum Unternehmenserfolg ergibt sich dann die Gehaltserhöhung und die Zuteilung von Shares – die übrigens jeder Mitarbeiter bekommt. Fairness – „Uns ist wichtig, gegenüber allen Stakeholdern fair zu sein.“, erzählt Matthias Zaggl. „Wir überlegen uns auch bei 1 Vertragsgestaltungen immer, was die einzelnen Punkte für unsere Vertragspartner bedeuten. Nur durch faires Verhalten ist aus unserer Sicht eine langfristige Zusammenarbeit sichergestellt.“ Freedom – Jeder Mitarbeiter soll sich so entwickeln können, wie es seinen Fähigkeiten entspricht. Dazu braucht er Know-how, Chancen, Ermutigung und Erfahrung und die Möglichkeit, Fehler machen zu dürfen. Jeder ist auch für seine eigene Entwicklung verantwortlich. Impliziert ist hierbei auch Freiheit, sich zu einem Ziel mal nicht zu „committen“ und sich lieber einem anderen Team anzuschließen. Matthias Zaggl erzählt auch, dass sie die Prinzipien ständig weiterentwickeln. Auch jetzt steht gerade wieder eine große Veränderung an und daher werden die Werte in ihrer Ausprägung neu überdacht. Früher waren beispielsweise die Gruppen lokal und nie größer als 150 Leute. Heute sind sie global. Daher müssen auch die Führungsprinzipien anders angewandt werden. Bill Gore, der Unternehmensgründer, hat seine Organisation auf der Idee des positiven Menschenbildes von Douglas McGregor aufgebaut. Dessen Theoriekonstrukt befindet sich sogar in einer Schautafel an der Wand hier in den Räumlichkeiten von W.L. Gore. Bill Gore ist also davon überzeugt, dass Mitarbeiter von Natur aus motiviert sind und ihr Bestes geben wollen. „Command and Control“ ist daher aus seiner Sicht nicht der richtige Führungsstil. „Freedom und Commitment“ (wie oben erwähnt) sind die Prinzipien, die ihm stattdessen wichtig sind. Aus diesem Grund schaut seine Organisation auch völlig anders aus. Er nennt das Konstrukt eine „lattice organization“. Eine Organisation, die mehr wie ein Netzwerk als eine Hierarchie funktioniert. Jeder kommuniziert mit jedem. Diese Organisationsform beinhaltet auch, dass es vielfältige Karrierewege gibt und dass vorwiegend in Teams gearbeitet wird. Die Hierarchie beschränkt sich auf den CEO, vier große Divisionen und produktbezogene Business Units, innerhalb derer in cross-functional Teams gearbeitet wird. Matthias Zaggl lebt und arbeitet offensichtlich auch mit dieser positiven Sicht auf Menschen und Mitarbeiter. Er erzählt nicht nur von sich selbst steuernden Teams, sondern auch, dass es darum geht, für jeden Mitarbeiter den richtigen „sweet spot“ zu finden. Wenn ein Mitarbeiter nicht jene Leistung bringt, zu der er sich selbst „committed“ hat, dann, fragt sich ein Gremium an Führungskräften, ob dieser Associate vielleicht den Business Need noch nicht voll verstanden hat. Ob er an dieser Stelle seine Stärken nicht ausspielen kann oder er vielleicht einen anderen Sponsor – dazu später noch mehr – braucht. Der übliche „Beißreflex“ – der Mitarbeiter brauche einen Development Plan, mit dem man seine Schwächen ausmerzt – bleibt aus. Commitment und Freedom wirken auch hier als Prinzipien. Bei Gore gibt es laut W.L.Gore keine Mitarbeiter, es gibt nur Associates. Das klingt banal, macht aber einen großen Unterschied. Im jährlichen Strategieprozess, der sowohl top-down als auch bottom-up abläuft, „committen“ sich die Teams zu ihrem Beitrag zum Gesamterfolg. Und zwar in einem echten Abstimmungsprozess. Innerhalb der Teams muss dann jeder Associate für sich definieren, welchen Beitrag er leisten kann. Wenn er sich zu der strategischen Ausrichtung in diesem Jahr für sein Team nicht „committen“ kann, hat er als Associate die Möglichkeit, sich um einen Bereich umzuschauen, wo er aus seiner Sicht mehr beitragen kann. Er ist ja Associate von Gore und nicht Mitarbeiter einer Führungskraft! 2 Bei Gore gibt es Sponsoren, und zwar solche mit großer Bedeutung für den Unternehmenserfolg. Jeder Associate bekommt einen Sponsor, der ihm in seiner Entwicklung hilft. Der Sponsor wird für das erste Jahr bei Gore zugeteilt und danach kann sich jeder Mitarbeiter seinen Sponsor weltweit frei auswählen. Und das Spannendste: Das jährliche Mitarbeitergespräch zum „Runterbrechen“ der strategischen Ziele auf den einzelnen Mitarbeiter braucht es nicht. Denn das wird ja über die Teamstruktur geregelt. Dafür führt der Sponsor mit dem Mitarbeiter sein jährliches DevelopmentGespräch. Ziel des Gespräches ist es, den besten „sweet spot“ zu finden und den Mitarbeiter in seiner Entwicklung zu fördern. Nach diesem Tag bin ich überzeugt, dass Gore nicht deshalb eine der innovativsten Firmen und einer der besten Arbeitgeber der Welt ist, weil es die ideenreichsten Mitarbeiter hat, sondern weil es unkonventionelle Managementpraktiken verwendet. Diese ermöglichen es, dass Mitarbeiter ihr Potential voll ausschöpfen können und so ständig neue Ideen entstehen. 3
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