Jihadistinnen und ihre Rolle bei der Anwerbung von Frauen für den

Fazit
Prävention und Deradikalisierung
Mädchen und junge Frauen stellen unter den nach Syrien
und in den Irak Ausreisenden immer noch eine Minderheit dar, auch wenn seit geraumer Zeit ein diesbezüglicher
Wandel erkennbar erscheint. Möglicherweise liegt die Attraktivität des IS für diese Personengruppe nicht nur in
dessen Selbstdarstellung als legitimes und funktionierendes „Staatswesen“, sondern auch an den leicht erhältlichen
und durchweg idealisierten Informationen über den IS
sowie eine etwaige Ausreise, die von Unterstützerinnen
der Terrormiliz gezielt weitergegeben werden.
Radikalisierungsprozesse sind vielschichtig begründet und
motiviert. Vor allem Jugendliche werden von islamistischer
Propaganda angesprochen und verändern sich sichtbar. Solche Veränderungsprozesse verlaufen in der Regel nicht unbemerkt und erfordern ein entsprechendes zivilgesellschaftliches Engagement. Weitere Informationen zu Prävention
und Deradikalisierung erhalten Sie über folgende Kontaktstellen:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Beratungsstelle „Radikalisierung“
Für Personen, die Rat und Unterstützung suchen, weil sie bemerken, dass sich eine Person in ihrem Umfeld islamistisch
radikalisiert.
E-Mail: [email protected]
Telefon: 0911/ 94 34 343
Hinweistelefon – Anruf gegen Terror und Gewalt (HiT)
Für Personen, die Hinweise auf die mögliche Planung von islamistisch motivierten Gewalttaten bzw. Terroranschlägen
haben.
E-Mail: [email protected]
Telefon: 0221 / 792 - 33 66
Frauen berichten in ihrer Rolle als Propagandistinnen
mehrheitlich über den Alltag im „Islamischen Staat“. Dabei
verbreiten sie vor allem das Bild eines funktionierenden
„Sozialstaates“, in dem ein gut organisiertes und scheinbar
unbeschwertes Leben für sich und ihre Geschlechtsgenossinen möglich erscheint.
Die Persönlichkeiten der jeweiligen Aktivistinnen scheinen im öffentlich einsehbaren Kommunikationsbereich
einschlägiger Internetauftritte nur selten durch. Daher
entsteht trotz der detaillierten Schilderungen kein Eindruck einer individuellen Lebensführung. Kritische Anmerkungen sind überdies selten und werden in der Regel
sofort gelöscht.
Die Ehe mit einem Jihadisten wird grundsätzlich als das
romantische Lebensziel einer jeden gläubigen Muslima
verklärt. Der Kämpfer erscheint nicht allein als idealer
Ehemann, sondern er erfährt zugleich eine Stilisierung als
mutiger Held im Dienste des Islam. Dass Frauen und junge
Mädchen, die derartigen Versprechungen Glauben schenken, mit Eintritt in den Einflussbereich des IS die Verantwortung für ihr Leben zunächst an die Organisation,
danach aber vollständig an ihre künftigen Ehemänner abgeben, bleibt dabei unbeachtet.
Weitere Informationen zum Verfassungsschutz finden Sie hier:
www.verfassungsschutz.de
Bildnachweis
© picture alliance / dpa
Stand
September 2015
Bundesamt für
Verfassungsschutz
Jihadistinnen und ihre
Rolle bei der Anwerbung
von Frauen für den
„Islamischen Staat” (IS)
Propaganda von Frauen für Frauen
Motive für die Ausreise
Erfahrungen im Alltag
Bei Islamisten, die aus Deutschland nach Syrien und in
den Irak ausgereist sind, dominiert bislang das Bild des
jungen, männlichen Jihadisten. Dem entspricht auch die
offizielle Propaganda des „Islamischen Staates“ (IS), die
von Männern dominiert wird und die sich vornehmlich
an Männer richtet.
Bei der Beeinflussung der Frauen hin zu einer Ausreise in
den Einflussbereich des IS spielt die Kommunikation in
sozialen Netzwerken eine erhebliche Rolle.
Vielfach wird von Ausgereisten betont, dass zahlreiche
Verpflichtungen, denen man sich in Deutschland ausgesetzt sehe, in „Großsyrien“ so nicht existierten. Zudem
könne man generell frei von Diskriminierung und vermeintlicher „behördlicher Schikane“ gemäß den religiösen Pflichten leben. Die gesundheitliche, finanzielle und
soziale Absicherung wird durchweg gelobt, Mangel, so
wird erklärt, sei kaum vorhanden.
Dennoch haben in letzter Zeit auch Ausreisen von jungen
Frauen deutlich zugenommen. Denn parallel zur, vom IS
autorisierten, Propaganda sind im Internet und in sozialen
Netzwerken vielfach Aktivitäten einzelner Aktivistinnen
sowie ganzer Nutzergruppen zu beobachten, die ihrerseits
versuchen, Mädchen und Frauen für ein Leben unter den
Bedingungen des Jihad zu gewinnen. Einmal in den
Kampfgebieten angekommen, nutzen viele der Frauen soziale Netzwerke, um ihr Dasein unter der Ägide des IS
möglichst positiv zu beschreiben und so für weitere Ausreisen zu werben.
Mittlerweile existieren bereits deutschsprachige Internetauftritte von weiblichen Personen, die laut eigenen Angaben auf dem Gebiet des „Islamischen Staates“ leben.
Darin beschreiben diese ihren Alltag in den Jihadgebieten
und bieten Interessierten an, sowohl bei der Auswanderung
als auch bei der Suche nach einem potenziellen Ehemann
behilflich zu sein. Ergänzt werden solche Schilderungen
mitunter durch eigene Erfahrungen sowie praktische Tipps
für ausreisewillige „Schwestern“.
Meist stehen dabei die direkte Ansprache und der Erfahrungsaustausch in virtuellen Gruppen im Vordergrund.
Diese Art des Gedankenaustausches erlaubt zugleich einen
tiefen Einblick in die Erfahrungen und Vorstellungswelten
von ausgereisten bzw. potenziell ausreisewilligen Frauen.
Grundsätzlich stellt sich in diesem Zusammenhang natürlich die Frage, ob die Schilderungen derjenigen Frauen, die
als Werberinnen für den Jihad in „Großsyrien“ agieren, tatsächlich authentisch sind. Hier ist eine differenzierte Betrachtung angebracht, denn aus einzelnen Beiträgen geht
hervor, dass Jihadistinnen unter der Kontrolle des IS tatsächlich nur eingeschränkt kommunizieren können. Denkbar
scheint zudem, dass der IS deren Geräte überprüft, um damit
unautorisierte Propaganda oder gar Spionage zu verhindern.
Dabei tritt zutage, dass die Motive für eine solche Ausreise
nach Syrien oder in den Irak sowohl religiöser als auch
weltlicher Natur sein können. Neben einer „Rebellion“
gegen das als persönlich problematisch empfundene (säkularisierte) Leben in Deutschland wird das Zerrbild einer
idealisierten islamischen Gesellschaft in einem gerade entstehenden islamischen „Musterstaat“ als hochattraktiv
empfunden. Das Leben in einem Land, in dem augenscheinlich nur die Scharia – wie der IS sie versteht – Gültigkeit besitzt (verbunden mit der Möglichkeit zum Ausleben
der eigenen religiösen Überzeugungen) wird oftmals als religiöse Pflicht dargestellt und auch so verstanden.
Als wesentlicher Anreiz gilt darüber hinaus jedoch die erwartete Heirat mit einem Kämpfer. Die Rolle der Frau wird
vom IS daher auch ganz bewusst primär als die der Ehefrau und Mutter stilisiert, die ihren Mann unterstützt.
Der Kontakt zu Familienangehörigen
in Deutschland
Die Trennung von ihren Familien beschäftigt auch weiterhin viele der bislang ausgereisten Islamistinnen. Diese
Frauen widmen ihren Familien, vor allem ihren Müttern,
einzelne Beiträge in den sozialen Medien, danken ihnen
für erwiesene Wohltaten und wünschen sich ein Wiedersehen. Einige der Ausgereisten betonen jedoch immer
wieder, dass ihr Trennungsschmerz durch den Umstand,
endlich im „Kalifat“ auf dem „Boden der Ehre“ leben und
so letztlich ins Paradies gelangen zu dürfen, reichlich aufgewogen werde.
Nicht selten bezeichnen ausgereiste Frauen ihre Verwandten aber auch als religiös irregeleitet, selbst wenn sie einer
muslimischen Familie entstammen. Mitunter brechen Islamistinnen deshalb den Kontakt zu ihrer Ursprungsfamilie konsequent ab.
Neben ihren häuslichen und auf das Eheleben gerichteten
Pflichten besteht nach den Darstellungen im Internet für
Frauen auch die Möglichkeit, Beschäftigungen außerhalb
des Hauses nachzugehen. Musliminen im Einflussgebiet
des IS könnten unter anderem auch als Ärztin, Lehrerin,
Krankenschwester oder in einer Fabrik tätig werden.
Im Gegensatz zu den eher banalen Beschreibungen des Alltäglichen stehen Schilderungen, in denen es um Erfahrungen mit Krieg sowie den Umgang mit Waffen geht.
Auffällig dabei ist, dass die beinahe alltägliche Bedrohungssituation vor Ort vergleichsweise selten als existenziell dargestellt wird. Vielmehr dominiert die Beschreibung einer
zwar als latent empfundenen Gefahr, die allerdings ohne
nennenswerte Auswirkungen auf das tägliche Leben zu
sein scheint.