Nein zu 2x so viel Lastwagen. Nein zur 2. Gotthardröhre.

AKTUELL
Gotthard
Nein zu 2x so viel Lastwagen.
Nein zur 2. Gotthardröhre.
VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2015
www.zweite-roehre-nein.ch
© zvg
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AKTUELL
Gotthard
Eine Stauerei
Von Tschoff Löw
S
tau findet für eine breite Öffentlichkeit nur dann statt,
wenn er am Radio vermeldet
wird. Die nationale Verkehrsinformationszentrale Viasuisse, die hinter den Meldungen am
Radio steht, hat dazu einen Leistungsauftrag vom Bundesamt
für Strassen (Astra). Für die Verkehrsmanagementzentrale des
Astra in Emmenbrücke bereitet
Viasuisse die Verkehrsinformationen auf. Der Auftrag läuft seit
2008 und sicher noch bis 2017.
Die Geschäftsverbindung ist vergleichbar mit dem Leistungsvertrag, wie ihn die Billag bei der
Gebührenerhebung für die SRG
beziehungsweise das Bundesamt
für Kommunikation erfüllt.
Hauptaktionäre der Viasuisse
AG sind die SRG, der Touring
Club Schweiz TCS, die SBB und
Skymedia. Wenn der Leistungsauftrag vom Bundesamt für
Strassen kommt und einer der
Hauptaktionäre der grösste Automobilclub der Schweiz ist, wird
eines klar: Neutral kann die Viasuisse nicht sein. VCS-Zentralpräsidentin Evi Allemann spricht
Klartext: «Die Staumeldungen
haben manipulativen Charakter.» Die Sendung Rundschau
von SRF berichtete darüber.
Der Abstimmungskampf ist eröffnet:
Das Plakat des Vereins «Nein zur
2. Gotthardröhre». Der VCS ist eine
der federführenden Organisationen
des Vereins.
VCS MAGAZIN / SEPTEMBER 2015
Das Verkehrsaufkommen am Gotthard ist seit 2010 konstant. Weshalb
haben dann gemäss Bundesamt für Strassen (Astra) die beim Gotthardtunnel
gemeldeten Staus in den letzten zwei Jahren um 456 Stunden zugenommen?
Die Behörde geht unzulässig mit den Staudaten um.
Staumeldungen nehmen zu
Das Astra und seine Partner sind
in einem Zirkelschluss gefangen:
Das Astra erteilt Viasuisse einen
Leistungsauftrag für die Verkehrsinformationen und nimmt
die Daten von Viasuisse als «neutrale» Grundlage für die Jahresberichte zur Stauentwicklung.
Wie Astra-Direktor Jürg Röthlisberger in der Rubrik «1 Thema,
2 Meinungen» des letzten VCSMagazins schrieb, ist «das Vertrauen in die Verkehrsmeldung
aus dem Radiolautsprecher ungebrochen. Die Informationen
werden noch von Menschen aufbereitet und vorgelesen, je nach
Radiosender sogar noch speziell
moderiert, gerade während den
Spitzenzeiten.» Doch die Radiohörerinnen und -hörer sollten ihr
Vertrauen überprüfen. Während
2012 ganze vier Meldungen zu
Kürzeststaus von einem Kilometer Länge am Gotthard veröffentlicht wurden, waren es zwei Jahre
später – als klar wurde, dass eine
zweite Gotthardröhre zur Abstimmung kommt – plötzlich 195
Meldungen. Dafür nahm die Anzahl Meldungen zu langen Staus
tendenziell ab. Es geschah eine
Verschiebung in Richtung Meldungen zu kurzen Staus, wie Nationalrätin und VCS-Präsidentin Allemann erklärt: «Das Astra
mauschelt bei der Berechnung der
Stauzahlen und lässt über Viasuisse immer mehr Kürzeststaus
am Gotthard vermelden. Mit solchen Manövern macht das Astra
politisch Stimmung für eine
zweite Röhre am Gotthard.»
Dabei betreffen die Verkehrsmeldungen nur die wenigsten
Radiohörerinnen und -hörer.
Nur einzelne befinden sich aktuell genau da, wo der Stau vermeldet wird. Unter dem Deckmantel
des Service public wird hier politisch motivierte Nichtinformation nach dem Giesskannenprinzip verbreitet. Das Bedürfnis
nach Verkehrsinformationen besteht für Reisende vor allem vor
dem Fahrantritt, wenn die Route
festgelegt wird. Deshalb könnte
auf Staumeldungen am Radio
ohne Verlust verzichtet werden.
Bei SRF sieht man das anders,
wie Georg Auf der Maur, Leiter
Verkehrsinformation/Alarmorganisation auf Anfrage mitteilt:
widerspricht: «Das ist politische
Stimmungsmache. Wie ist es
möglich, dass am Gotthard trotz
seit Jahren stabilen Verkehrszahlen die Staustunden angeblich jährlich zunehmen?»
Äpfel mit Birnen verglichen
Das VCS-Magazin hat zudem
recherchiert, dass das Astra
Staustunden und Stautage wie
Äpfel und Birnen vergleicht: Es
dividiert die jährlichen Staustunden durch die Anzahl Stautage, was eine durchschnittliche
Staudauer ergeben soll. Doch ein
Stautag am Gotthard-Südportal zum Ostermontag oder ein
Stautag an einem gewöhnlichen
Mittwoch mit gerade mal zehn
Minuten stockendem Verkehr können nun mal nicht
«Das Astra mauschelt bei der
verglichen
werden. Nimmt man
Berechnung der Stauzahlen und
aber den Schnitt,
lässt immer mehr Kürzeststaus
wie das Astra es
tut, ergibt sich daam Gotthard vermelden.»
raus plötzlich für
den Gotthard eine
ähnliche durch«Diesem Auftrag können und schnittliche Staudauer wie am
wollen wir uns nicht entziehen, Baregg oder am Gubrist. Dabei
da wir unsere Hörerinnen und ausgeblendet bleiben die LänHörer in den betroffenen Gebie- ge des Staus oder die darin inten vor teilweise bedrohlichen volvierten Fahrzeuge. Den GottSituationen warnen und ihnen hard querten 2014 täglich 17 356
helfen können. In den letzten Fahrzeuge, am Baregg waren es
Jahren haben Staus und Behin- 126 789 und am Gubrist 108 618
derungen auf dem Autobahn- Fahrzeuge pro Tag. Bei diesen
und Strassennetz in der Schweiz Grössenordnungen wird schnell
massiv zugenommen, was sich klar, dass die Staudauerrechnung
auch in der Zahl der Meldungen des Astra nur eine Bewertung
niederschlägt.» Evi Allemann verdient: unseriös.
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AKTUELL
Gotthard
Nicolas Latuske leitet die
Abteilung Verkehrsmonitoring
beim Astra und ist für den jährlichen Bericht zur Stauentwicklung zuständig. Wie er dem VCS
am Telefon mitteilte, sei eine
Vermengung von Staustunden
und Stautagen zur Berechnung
einer durchschnittlichen Staudauer pro Tag falsch, da die beiden Grössen in keiner direkten
Relation zueinander stünden.
Warum tut seine Behörde dann
genau dies? Evi Allemann: «Der
Stau am Gotthard wird vom
Astra via Staumeldungen bewusst dramatisiert und auf die
gleiche Ebene mit den täglichen
Staus in den Agglomerationen
gestellt. Wem käme in den Sinn,
bei zehn Minuten Wartezeit am
Gubrist oder beim Gellert-Dreieck eine Staumeldung am Radio
zu verlesen?»
Ja, es wird Politik gemacht.
Voraussichtlich am 28. Februar
2016 stimmen wir über die zweite
Gotthardröhre ab. Dieses unsinnige Strassenprojekt ist teuer, verstösst gegen den Alpenschutz und
löst kein einziges Verkehrsproblem. Dass nun die Bevölkerung
auch noch mit luschen Staumel-
dungen in die Irre geführt wird,
ist inakzeptabel. Die Meldungen
suggerieren, der Leidensdruck
sei derart gross, dass nach dem
alten Rezept «Engpässe besei-
tigen» gehandelt werden müsse. Das aber bringt mittelfristig
noch mehr Verkehr. Die VCSPräsidentin fordert das Astra auf,
«seine Richtlinien zur Erstellung
der Staumeldungen offenzulegen
und die Stauberechnungen transparent zu machen. Die politische
Stimmungsmache mit Staumeldungen muss sofort aufhören.»
Der Verkehr in Schweizer Tunneln: Dichtung und Wahrheit
involvierte Fahrzeuge
Stunden im Stau
35 000
30 000
7,6 h
8h
7h
6,4 h
25 000
6h
20 000
5,5 h
5,5 h
5h
4h
15 000
3h
10 000
2h
So kommuniziert das Astra: Am
Baregg wie am Gotthard Nordportal
berechnet es eine durchschnittliche
Staudauer von 5½ Stunden. Wie absurd die Zahlenschieberei des Astra
ist, sieht man daran, dass am Gotthard während diesen 5½ Stunden
nicht einmal 2000 Fahrzeuge im Stau
stehen – am Bareggtunnel sind hingegen fast 30 000 Fahrzeuge involviert.
Die Grafik zeigt die tatsächlichen
Relationen zwischen Gotthard- und
Bareggtunnel respektive Gubristtunnel.
8
5000
1h
Gotthard
Nordportal
Gotthard
Südportal
Baregg
beide Portale
Gubrist
beide Portale
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