Führen wir mit Kennzahlen oder (ver) führen uns die Kennzahlen!!????? Führen mit Kennzahlen… klingt gut – auf den ersten Blick! Auf den zweiten wird das Dilemma deutlich. Führungskräfte werden zum Sklaven von Zahlen, von festgeschriebenen Prozessen… werden durch diese fern gesteuert, weil sie zu Marionetten von Statistiken, Scorecards, Kennzahlen mutieren. Führung hat etwas mit Menschen zu tun. Wenn wir mit Zahlen führen, dann vergessen wir, dass es Menschen sind, mit denen wir gemeinsam unsere Aufgaben erledigen. Es sind Menschen, die Unternehmen zum Erfolg oder auch Misserfolg führen. Wenn wir mit Zahlen führen, dann verlieren wir den Blick für die Menschen, also für unsere Mitarbeiter, unsere Kunden, unsere Lieferanten…. Dass das tagtäglich passiert, beweisen Fehlentscheidungen in Unternehmen mit gravierenden Auswirkungen. Die Gallup-Studie 2010 zeigt, dass Mitarbeiter grundsätzlich eine offene Kommunikation und ein ehrliches Interesse an ihren persönlichen Problemen vermissen. Die meiste Zeit verbringen Führungskräfte mit dem Erstellen und Analysieren von Kennzahlen, jedoch nicht mit dem Kerngeschäft ihrer Führungstätigkeit, der Kommunikation mit Menschen. Es wird definitiv zu wenig miteinander geredet, und das sowohl in der horizontalen Kommunikation unter den Kollegen als auch vor allem in der vertikalen Kommunikation zwischen den Führungskräften und ihren Mitarbeitern. Es werden Zahlen vorgegeben, von denen jeder weiß, dass sie unerreichbar sind, die einzig Funktionsträger und Aktionäre befriedigen sollen, ohne dass jemals geprüft wurde, ob diese Zahlen erreichbar sind, ob diese Zahlen motivieren, ob diese Zahlen einen Mehrwert darstellen, für diejenigen, die sich für ihre Erreichung tagtäglich abrackern. Damit kein Missverständnis aufkommt: Mitarbeiter brauchen Ziele, Visionen…Sie brauchen einen Sinn, eine Marschrichtung, Ansporn…. Sie brauchen Führungskräfte, die ihnen das vermitteln. Zahlen sind abstrakte, mathematische Objekte – erst durch die Sinnvermittlung werden sie lebendig. Wenn jedoch nur die Zahlen im Vordergrund stehen, also Führungskräfte mit Zahlen führen anstelle mit Menschen gemeinsam Zahlen erreichen wollen, dann kommt es zu grotesken Situationen: Es werden aufwändige Kundenzufriedenheitsbefragungen durchgeführt und ausgewertet, an deren Ergebnissen werden die Prämienbezahlungen von Verkäufern gemessen, blind, zahlenhörigkeitsdenkend. Nur sind die befragten Kunden Menschen und keine 1:1 zu berechnenden Computer. Sie beantworten die Fragen je nach Persönlichkeit ( „12 Punkte gebe ich nicht, weil sonst werden die ja im Autohaus XYZ übermütig“/ „12 Punkte gebe ich grundsätzlich nicht“/ „Ich gebe 12 Punkte, weil ich keinen Rückanruf haben will“, „Der Verkäufer war so sympathisch, dem gebe ich überall 12 Punkte“ usw usw…). Doch will man bei den Automobilkonzernen gar nicht wirklich die Kundenmeinungen hören, man will die „12 Punkte“, man will ausgezeichnet sein, man will exzellent sein, sehr gut reicht nicht mehr, gut ist schon schlecht, also wird der Verkäufer abgestraft, wenn die Zahlen, die die Auswertung ausspuckt, nicht dem 12 Punkte-System entsprechen. Er muss sich nicht nur erklären, er bekommt weniger Geld… er wird also in Zukunft seine Kunden manipulieren, er wird sie im Vorfeld so bearbeiten, dass die Kunden dem Verkäufer zuliebe per se und ohne Nachzudenken durchweg 12 Punkte geben oder bei schwierigen überaus kritischen Kunden wird der Kunde zur Person nongrata erklärt und wird erst gar nicht befragt. Weil rein mit Zahlen geführt wird, wird das System betrogen. Unerwünschtes Verhalten ist in Summe angenehmer als das erwünschte Verhalten. © SRB Training & Coaching_Steffi Reinschild-Barzen Oder ein anderes Beispiel: Es werden nahezu alle 4 Wochen verkaufsoffene Sonntage im Handel durchgeführt. Man hat anhand der geschriebenen Aufträge statistisch auswerten können, dass solche Sonntage sehr erfolgreich sind. Warum sind sie das eigentlich, obwohl bei solchen Veranstaltungen so viel Trubel herrscht, so dass kein sinnhaftes Beratungsgespräch durchgeführt werden kann, was bei dem erklärungswürdigen Produkt jedoch erforderlich wäre. Es gibt laute Musik, die Kunden wie Verkäufer nervt. Es gibt zahlreiche Kunden, die unzufrieden wieder von dannen ziehen, sich beim Verkäufer beschweren, weil der Verkäufer vor lauter Trubel gar keine Zeit findet für alle Anfragen. Es gibt auch niemanden, der sich um die herum irrenden kaufwilligen Kunden kümmert, ihre Rufnummer zum Beispiel aufnimmt oder Beratungstermine vereinbart bzw. koordiniert. Das alles wurde schon von den Verkäufern vorgeschlagen, das interessiert jedoch niemanden auf der Führungsebene. Da wird kein Handlungsbedarf gesehen. Die Zahlen sprechen für sich. Die Aktion ist erfolgreich. Warum? Weil die Verkäufer für jeden Abschluss, den sie an solch einem Aktionssonntag tätigen eine Sonderprämie erhalten und deshalb alle Aufträge, die sie in der Woche vor dem Sonntag geschrieben haben, auf Halde nehmen für den Sonntag, dann erst am Sonntag die Aufträge final abschließen. Somit stimmt die Statistik und folglich ist die Führungskraft zufrieden, denn sie führt ja mit Kennzahlen und die Kennzahlen für den Sonntag stimmen. Das gefällt auch der obersten Führungsebene, denn die interessiert sich vor allem für die Kennzahlen. Alle sind glücklich, nur die Kunden und die Mitarbeiter nicht. Doch wer mit Kennzahlen führt, wird sich nicht von der Befindlichkeit von Menschen in seinem Handeln beeinflussen lassen. Es wird sich auch nichts ändern, denn: ja auch hier ist das unerwünschte Verhalten in Summe angenehmer als das erwünschte Verhalten, also wird es weiter gepflegt, keiner hinterfragt es, weil die Zahlen ja stimmen. Das sind keine Einzelfälle… es lassen sich Seiten mit solchen Beispielen füllen. Viele Führungskräfte beklagen, dass sie zu wenig Zeit haben….weil sie in unsäglichen Meetings sitzen wo es nur darum geht, Zahlen zu rechtfertigen oder neue Zahlen zu kreieren. Natürlich sind Zahlen wichtig, auswertbare Zahlen!! Jede Führungskraft sollte sich fragen, ob diese Zahlen mit denen sie führt, in einem sinnhaften Zusammenhang zur Tätigkeit stehen, wer mit diesen Zahlen befriedigt wird, ob diese Zahlen überhaupt ausgewertet werden und wenn, welchen Mehrwert das für wen hat, d.h. wem sie nutzen und für was sie sinnvoll – wirklich sinnvoll - genutzt werden sollen. Um es mit Jim Harter, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter von Gallup für den Bereich Arbeitsplatzmanagement und Wohlbefinden, zu sagen: „Measurement is one thing, what you measure is another. You can measure a lot of things that have nothing to do with performance and that don't help a company implement a system that allows managers to create change.“ Führungskräfte sind nicht nur verantwortlich für das was sie tun, sondern auch für das was sie unterlassen. Sie sollten sich fragen, ob sie aus Bequemlichkeit, aus vorauseilendem Gehorsam, aus sozialer Erwünschtheit, Harmoniesucht, aus Lethargie mit vorgegebenen Zahlen führen, anstelle deren Sinnhaftigkeit zu hinterfragen und ob sie bereit sind, dafür auch in die kritische Auseinandersetzung mit ihrer übergeordneten Führung zu gehen. Sonst sind sie nur Vor-gesetzte, aber keine Führungskräfte. Führungskräfte sollten nicht nur hinter ihren Mitarbeitern stehen -die meisten Angriffe kommen nämlich von vorne- sondern vor ihren Mitarbeitern und sich dafür einsetzen, dass weder sie noch ihre Mitarbeiter zu Marionetten von Zahlen werden. Als Führungskraft sollten sie klar die Personalverantwortung im Fokus haben. Die Zahlen sind Beiwerk, Mittel zum Zweck - nicht Selbstzweck! Die Zahlen haben deshalb der Führungskraft zu dienen und nicht umgekehrt. Steffi Reinschild-Barzen © SRB Training & Coaching_Steffi Reinschild-Barzen
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