Entscheidung für das Kind- Scheidung für das Kind Was sind die Erfahrungen von RichterInnen im Umgang mit hoch strittigen Obsorge - und Besuchsrechtsfällen? Welcher Maßstab muss für den Richter, für die Richterin zur Anwendung kommen? Welches Augenmerk darf nie verlorengehen....? Das Maß aller Entscheidung ist durch das Kindeswohl normiert, egal ob in Obsorge-, Besuchsrecht- oder Erziehungsfragen. Was aber ist das Wohl des Kindes? Es gibt dazu jede Menge Entscheidungen. Auf den Einzelfall ist immer abzustellen.. Zu Recht, zumal doch jede Familienstruktur unvergleichliche Besonderheiten aufweist. Trotzdem fragen sich alle Verfahrensbeteiligten immer wieder, was das Wohl des Kindes ist und ob diese oder jene Entscheidung zum Wohl des Kindes war. In vielen Konstellationen ist ersichtlich, dass das Wohl des Kindes oft nicht mit dem der Mutter oder des Vaters einhergeht. Der Spielraum des Gesetzes ist für den Richter ein großer. Und auch dieser bringt seine Berufs- und Lebenserfahrungen mit ein, auch jede sonst beteiligte Stelle (JWF usw) drückt den eigenen Stempel zum Begriff des Wohl des Kindes auf und deshalb fragen wir uns oft, war die Entscheidung tatsächlich zum Wohl des Kindes? Um Ihnen zu veranschaulichen, was ich damit meine, erlauben Sie mir einige Fälle zu schildern: Die minderjährige Anna lebt mit ihrer Mutter und dem außerehelichen Vater in Deutschland. Die Minderjährige ist 4 Jahre alt als die Beziehung der Eltern in die Brüche geht. Der Vater baut sich eine neue Existenz in Österreich auf. Die Halbschwester der Minderjährigen, ein Kind aus einer vorangegangenen Beziehung der Mutter, lebt bei ihrem Vater. Der Vater von Anna holt diese alle paar Monate nach Österreich, wo sie mit ihm immer ca 1 bis 2 Wochen mit seiner neuen Lebensgefährtin verbringt. Die Minderjährige hat eine innige Beziehung zum Vater aber auch zu ihrer Mutter. Der Vater holt im Mai dieses Jahres die Minderjährige zu einem Besuchskontakt nach Österreich und bringt sie nicht mehr zurück, mit der Behauptung, die Mutter wolle die Minderjährige nicht mehr bei sich haben, was diese bestritt. Im Zuge eines umfassenden Verfahrens nach dem Haagerkindesentführungsübereinkommen erklärt sich der Vater bereit die Minderjährige zur Mutter zurückzubringen. Rechtlich gesehen für die richterliche Entscheidung nicht sonderlich schwierig, zumal das Kind nach dem HKÜ in das Herkunftsland zurückzuführen ist, sofern nicht massive Gründe dagegensprechen,die nicht vorlagen. Ich erzähle den Fall deshalb, weil durch die Einvernahmen klar ersichtlich war, dass beide Elternteile massiv an dem Kind hängen und auch die Minderjährige an der Trennung der Eltern massiv litt. Die Eltern zeigten sich sehr vernünftig, das Verarbeiten der Trennung der Eltern konnte das Gericht dem Kind nicht abnehmen. Die Eltern stritten weiter in Deutschland um die Obsorge und ich beneide die Kollegin in Deutschland nicht diesen Fall entscheiden zu müssen, zumal beide Elternteile eine hohe Qualität an Erziehungsfähigkeit aufweisen. Für den Richter, für die Richterin ist es oft nicht schwierig eine rechtlich richtige bzw akzeptable Entscheidung zu treffen, zumal sich argumentativ rechtlich vieles vertreten lässt. Tatsächlich dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir nur den Akt vor uns haben, der sehr häufig nicht das Leben darstellt. Die Darstellung vor Gericht hängt auch sehr von der taktischen Vorgehensweise der handelnden Personen ab, und dabei spürt man sehr häufig, dass die Wünsche der Eltern oder eines Elternteils ( Verlustängste usw ) vor das Kindeswohl geschoben werden. Zum Wohl des Kindes kann es in diesem Fall doch nur sein, das Kind bei beiden Elternteilen zu belassen, unmöglich jedoch aus rechtlichen Gründen und auch sozialer Dynamik zwischen den Eltern. Ich will damit aufzeigen, dass die Überlegung der Entscheidung der RichterIn mehr als nur eine rechtliche Komponente haben muss, wozu wir ein gutes Netzwerk an Psyochologen, Psychiatern, Sozialakademikern udgl brauchen, welches unsere Arbeit jedenfalls zu einer Verbesserung führt. Gerade der weitere Fall zeigt, wie wichtig für uns die Zusammenarbeit mit weiteren Institutionen ist: Der minderjährige Toni lebt bei seinem Vater in der Schweiz, der Vater ist Nigerianer,als Jurist international tätig. Die Mutter lebt nach der Trennung vom Vater in Österreich. Der Minderjährige verbleibt aus kulturellen Grunden beim Vater. Nach der Auffassung des Vaters darf nur dieser den Sohn erziehen, nicht aber die Mutter. Die Erziehungsgewalt des Vaters geht so weit, dass dieser den Minderjährigen bei Verfehlungen geringsten Grades massive Verletzungen durch Stockhiebe zufügt. Die Mutter weiß von diesen Tätlichkeiten, der Vater geniesst in der Schweiz beruflich hohes Ansehen, deshalb wagte es die Mutter lange Zeit nicht, den Minderjährigen zu sich zu nehmen. Irgendwann wird es ihr doch zu viel und sie entführt den damals 7 jährigen. Der Vater bestreitet die Tätlichkeiten nicht und ist durchgehend der Meinung, ein nigerianischer Vater hat die alleinige Erziehungskompetenz und er dürfe sein Kind auch züchtigen, er müsse sich einer anderen Rechtsordnung nicht unterwerfen. Der Minderjährige bleibt nach gerichtlicher Entscheidung bei der Mutter. Die zugestandenen Tätlichkeiten rechtfertigen eine relativ rasche und unkomplizierte Entscheidung durch das Gericht. Der Minderjährige sucht jedoch nach einiger Zeit wieder den Kontakt zum Vater. Er ist so beeindruckt von der Persönlichkeit des Vaters, dass er die Schläge auch bei vereinzelten Kontakten zum Vater zulässt und dies auch gegenüber der Mutter lange verschweigt. Was war da mit dem Wohl des Kindes? Hätte man das Kind vom Vater gar nicht wegbringen dürfen, frage ich provokant, hätte man in der Folge das Kind der Mutter wegnehmen müssen, weil sie ihr Kind vom Vater nicht schützen konnte? Wie weit müssen wir Erziehungsstile anderer Kulturen akzeptieren (natürlich nicht bei so groben Verstössen). Welche Riten dürfen wir zulassen? Wie weit sind diese für die Minderjährigen notwendig? Mit vielen Therapiestunden, eingeleitet von derJugendwohlfahrt konnte der Minderjährige seine Vater-Sohn Beziehung aufarbeiten. Dieser Fall zeigt deutlich wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen JWF und sonstige Sozialstellen für das Gericht ist, denn nur dadurch konnte im Sinne des Minderjährigen gehandelt und hinterfragt werden, warum der Minderjährige den Kontakt zu seinem züchtigenden Vater so vehement sucht. Die Leidensfähigkeit des Minderjährigen zu verstehen, war notwendig, um eine sinnvolle Entscheidung für das Kind zu treffen. Besonders belastend empfand ich den Fall des minderjährigen Hans,8 Jahre alt: Seine Mutter war vom Vater zeitweise getrennt. Letzterer lebte phasenweise in der ehemaligen Ehewohnung. Eifersuchtsszenen der Mutter gegenüber dem Vater waren an der Tagesordnung, ob berechtigt oder nicht, blieb unbekannt. Die Mutter fühlte sich hilflos, sprach massiv dem Alkohol zu und hatte auch starke körperliche Beschwerden mit einhergehenden Schmerzen, die sie mit massiver Medikamenteneinnahme betäubte. Sie begann den Minderjährigen,ein sehr intelligentes Kind, gegen den Vater zu instrumentalisieren, sodass Erziehungsanweisungen des Vaters vom Minderjährigen überhaupt nicht mehr befolgt wurden. Er sah den väterlichen Anweisungen zuwider den ganzen Tag fern usw. Die Mutter schottete ihn vor anderen Familienmitglieder ab und verbot ihm den Kontakt zur väterlichen Familie,gegen die nichts einzuwenden war. Es war klar, dass die Beziehung der Mutter und des Minderjährigen so symbiotisch wurde, dass dies auf Dauer massiven Schaden beim Minderjährigen hinterlassen wird. Somit wurde eine Fremdunterbringung mit Einverständnis des Vaters und gegen den Willen der Mutter in die Wege geleitet. Der Minderjährige war damit einverstanden. Kurz davor, nämlich am 24.12. fuhr der Minderjährige mit seinen Eltern nach Frankreich zu seiner Halbschwester. Bei der Fahrt verunfallten Mutter und Vater tödlich, der Minderjährige sah Mutter und Vater sterben, er blieb unverletzt. Sämtliche Einrichtungen arbeiteten schnell daran, den Minderjährigen bei der väterlichen Tante unterzubringen, was mit therapeutischer Unterstützung gut gelang. Der Minderjährige fühlte sich wohl bei der väterlichen Familie. Kurz darauf stellte die 27 jährige Halbschwester aus Frankreich Ansprüche, den Minderjährigen in ihre Erziehung zu übernehmen, was zu einem massiven Obsorgestreit zwischen Tante und Halbschwester führte. Und der Minderjährige sass wieder zwischen den Stühlen. Mittlerweile konnte eine Lösung für den Minderjährigen gefunden werden. Trotzdem frag ich mich immer wieder, wie können wir alle diese Schäden ,die den Minderjährigen durch diese massiven Streitigkeiten angetan werden, von diesen fern halten? Verstehen wir wirklich was das Wohl des Kindes ist? Klar ist jedenfalls, dass wir den Eltern aufzeigen müssen, dass sie die Verantwortung nicht abgeben dürfen, dass unsere Entscheidungen nicht die der Eltern ersetzen und dass deren Einvernehmen in der Erziehung oberstes Gebot sein muss,um im Sinne des Kindes zu handeln. Und für uns ist es besonders wichtig, eng vernetzt miteinander zu arbeiten,um jeden Schaden in der Entwicklung des Kindes und während der Dynamik des Prozesses abzuhalten. Ich sehe daher der Zukunft positiv entgegen, zumal mit Kinderbeistand, Kinderschutz, verpflichtender Mediation der Eltern gesetzliche Grundlagen geschaffen wurden und werden, die mehr Schutz für diese Kinder und Jugendliche bieten. Daher bitte ich Sie, suchen Sie, den Kontakt zu uns, lassen sie uns intensiv miteinander arbeiten, auch wenn uns an allen Seiten das nötige Personal fehlt. Mit gegenseitiger Hilfe und Unterstützung können wir für das Kind Richter, Anwalt, Psychologe und Sozialarbeiter in einer Person sein.
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