Besser rudern-aber wie? Dr. Peter Plica Besser rudern-aber wie? Inhaltsverzeichnis 1 Zur Einführung .................................................................................................................................2 2 Die Grundmuster der Ruderbewegung .............................................................................................2 3 Über das Bremsen des Bootes in der Auslage ..................................................................................3 4 Vorwärtsrudern und Rollausleger als Alternativen ...........................................................................4 5 Ein Blick über den Zaun ...................................................................................................................6 6 Das Ergebnis: Begrenzte Verbesserungen sind durchaus möglich ...................................................8 Stand: 04.12.2015 Seite 1 von 8 Besser rudern-aber wie? Dr. Peter Plica 1 Zur Einführung Gerudert wurde schon vor mehreren tausend Jahren auf dem Nil, später in griechischen und römischen Galeeren bis hin ins Mittelalter. Der Sprung von der harten Ruderbank zum Rollsitz und damit zur Nutzung des Beinstoßes gelang aber erst etwa 150 Jahren mit dem Aufkommen des sportlichen Ruderns in England. Und der Einsatz des Rollauslegers, mit dem die störende Bewegung der Ruderermasse im Boot vermieden wird, ist noch keine fünfzig Jahre alt. Eine ziemlich langsame Entwicklung! Oder anders gefragt: Ist überhaupt noch ein wesentlicher technischer Fortschritt beim Rudern möglich in Hinsicht auf Geschwindigkeit, Kraftnutzung oder auch Sicherheit? Will man dieser Frage nachgehen, so ist zunächst ein Blick auf die physikalischen Grundlagen des Ruderns ratsam, denn das Rudern ist ein dynamischer Sport, in dem Boot, Ruder und Ruderer in einer harmonischen Bewegung zusammenwirken. 2 Die Grundmuster der Ruderbewegung Jeder Ruderer kennt diese Regel: „Hände weg“ nach dem Durchzug. Aber warum? Eine Antwort finden wir anhand der beiden Grundmuster der Ruderbewegung, die anschaulich in Bild 1 dargestellt sind. Die erste und wesentliche Ruderbewegung läßt sich als „Anschieber“ auffassen.Mit Beginn des Ruderschlages in der Auslage erzeugt ein im Boot fest sitzender Ruderer eine Vortriebskraft P in den Ruderblättern, mit der er denWiderstand R des Wassers am Bootsrumpf überwindet. Da das Boot in dieser Phase immer schneller wird, entstehen gleichzeitig bremsende Trägheitskräfte aus den Ruderer- und Bootgewichten PR und PB, die der Ruderer mit seiner Kraft P zusätzlich ausgleichen muß. Bild 1: Anschieber und Rollpendel als Bewegungsmuster des Ruderschlages Am Ende des Durchzuges erreicht das Boot seine maximale Geschwindigkeit. Mit dem Ausheben der Ruderblätter endet auch der Vortrieb P. Stand: 04.12.2015 Seite 2 von 8 Besser rudern-aber wie? Dr. Peter Plica Mit der jetzt abnehmenden Bootsgeschwindigkeit drehen sich aber die bisherigen Trägheitskräfte PR und PB um, schieben mit ihrem „Schwung“ das Boots vorwärts und schaffen so wieder Gleichgewicht mit dem Bootswiderstand. Spätestens dann, wenn die Bootsgeschwindigkeit auf den Ausgangswert abgefallen ist, muß der Ruderer den nächsten Schlag beginnen, um seinen Rhythmus und sein Tempo zu erhalten. Die zweite und eigentlich nur störende Bewegung erzeugt der Ruderer mit dem Rollen auf dem Rollsitz. Mit den Füßen an das Stemmbrett und damit an den Bootsrumpf gefesselt, schiebt er seine Körpermasse während eines Ruderschlages, wie in Bild 1, rechts, angedeutet, hin und her. In den Umkehrpunkten dieser Pendelbewegung, deshalb die Bezeichnung „Rollpendel“, entsteht jeweils eine Trägheitskraft PRR, die in der Auslage (vorderer Umkehrpunkt) als Bremskraft in Richtung Heck wirkt und beim Ausheben der Skulls (hinterer Umkehrpunkt) das Boot nach vorn beschleunigt. Bei gleichförmiger Rollbewegung gleichen sich beide Kräfte im Verlaufe eines Schlages aus. Sie sind dann für den Vortrieb nutzlos. Beschleunigt jedoch der Ruderer seine Handbewegung beim Ausheben, so erzeugt er damit einen zusätzlichen, günstigen Vortrieb. Umgekehrt sollte er in der Auslage die Handbewegung langsam und mit Gefühl abbremsen, um die Bremskraft möglichst gering zu halten. Betrachtet man die Wirkung des Rollpendels von außerhalb des Bootes, so ergibt sich eine Auf- und Abbewegung der Hände, wie sie in Bild 1, unten rechts, dargestellt ist. Im rot eingetragenen Bereich der Handbewegung entstehen Bremskräfte, im grünen Bereich wird das Boot beschleunigt. Das schnelle „Hände weg“ hat also durchaus seinen physikalischen Hintergrund und die bekannte Regel mit dem „Langsam rollen“ ebenso. Was passiert nun aber, wenn beide Grundmuster, nämlich „Anschieber“ und „Rollpendel“ gleichzeitig wirken? 3 Über das Bremsen des Bootes in der Auslage In einer rechnerischen Simulation mit dem Computer läßt sich das Zusammenwirken beider Bewegungsmuster erfassen. Das Ergebnis in Form eines Diagramms für die Bootsgeschwindigkeit vB während eines Ruderschlages zeigt schon auf den ersten Blick den Einfluß des Rollens auf den Lauf des Bootes. In Bild 2 ist zunächst links oben der charakteristische Verlauf der Bootsgeschwindigkeit dargestellt. Die gestrichelte Kurve zeigt den „Anschieber“ allein mit dem erwarteten regelmäßigen, pyramidenförmigen Bild. Kommt das „Rollpendel“ dazu, so zeigt sich die Wirkung der Bremskraft in der Auslage durch einem deutlichen Abfall der Bootsgeschwindigkeit. Umgekehrt wird beim Vorrollen die Bootsgeschwindigkeit durch den zusätzlichen Vortrieb erhöht und länger beibehalten. Rechts in Bild 2 sind die entsprechenden Meßwerte eines Skiffs bei Renntempo wiedergegeben. Der Vergleich von Berechnung und Messung, also von Theorie und Praxis, in Bild 2, unten, zeigt in der Tendenz gleichartige Abläufe. Die vorhandenen Unterschiede, vor allem in der Auslage, sind auf das hier benutzte, vereinfachte Berechnungsmodell zurückzuführen. Stand: 04.12.2015 Seite 3 von 8 Besser rudern-aber wie? Dr. Peter Plica Bild 2: Bootsgeschwindigkeit nach Berechnung und Messung Das Rollen des Ruderers stört also den glatten Lauf des Bootes erheblich und kostet zusätzlich Energie für die Pendelbewegung der Ruderermasse. Die Frage stellt sich sofort: Läßt sich das Rollen günstiger gestalten oder gar ganz vermeiden? Stand: 04.12.2015 Seite 4 von 8 Besser rudern-aber wie? Dr. Peter Plica 4 Vorwärtsrudern und Rollausleger als Alternativen Ein Blick in die Geschichte der Rudertechnik führt schnell zu der Erkenntnis, daß wahrscheinlich alle oder zumindest die meisten Alternativen zum Rollsitz bereits mehrfach überlegt und auch praktisch erprobt wurden. Zwei der in den letzten Jahren häufig diskutierten Vorschläge sollen hier näher besprochen werden. Vorwärtsrudern Bekannt ist z.B. in mehreren Varianten das in Bild 3 gezeigte Vorwärtsrudern, bei dem der Ruderer auf dem Rollsitz in Fahrtrichtung blickt. Die übliche Ruderbewegung bleibt für ihn unverändert erhalten.Die Skulls sind jedoch mit einer speziellen Mechanik im Bereich der Dolle ausgerüstet, die die Drehrichtung der Außenhebel umkehrt und damit das Rudern in Blickrichtung ermöglicht. Auch die durch die Rollbewegung erzeugten Trägheitskräfte drehen sich um. In der Auslage wird das Boot beschleunigt, in der Rücklage abgebremst. Die Rudertechnik muß darauf abgetimmt werden. Bild 3: Vorwärtsruderer mit Umkehr der Für das Vorwärtsrudern spricht vor allem die bessere Skulldrehrichtung, Test beim Orientierung durch den Blick nach vorn verbunden Münchener RC v. 1880, 2013 mit leichterem Manövrieren und damit erhöhter Sicherheit beim Rudern. Die bisher bekannten Vorschläge sind jedoch bisher nicht ausgereift und deshalb nur wenig verbreitet. Ändert die Umkehr der Rollbewegung auch den Lauf des Bootes? Leider nicht, wie das Ergebnis einer entsprechenden Simulation in Bild 5 zeigt. Das Abbremsen des Bootes wird lediglich von der Auslage zur Rücklage verschoben. Also ändert sich auch nicht die Wirkungsweise des Ruderschlages im Vergleich zum Rudern rückwärts. Rollausleger Diese Alternative zum Rudern mit Rollsitz wurde bereits 1883 in England beschrieben. Aufsehen erregte aber erst der Ruderer Michael Kolbe mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1981 in einem Skiff mit Rollausleger, das der konventionellen Rollsitztechnik deutlich überlegen war. Um eine kostenintensive Umstellung des Bootsbestandes zu vermeiden, wurden Rollausleger dann später vom Rennsport ausgeschlossen. Der Unterschied zum Boot mit Rollsitz besteht darin, daß der Ruderer einen festen Sitz im Boot erhält und damit die nachteilige Bewegung der Ruderermasse gegenüber dem Bootsrumpf entfällt. Um den Beinstoß zu erhalten, rollt jetzt das Stemmbrett mit einem daran befestigten Ausleger (siehe Bild 4) hin und her. Wegen der weitaus geringeren bewegten Masse beider Beine, des Bild 4: Einer mit Rollausleger, Rollstemmbretts und des Auslegers verliert hier Quelle: Volans der Störeffekt seine Bedeutung. Stand: 04.12.2015 Seite 5 von 8 Besser rudern-aber wie? Dr. Peter Plica Wie stark sich die Rollauslegertechnik auf die Bootsgeschwindigkeit auswirkt, läßt sich am besten im Vergleich der drei Ruderarten erkennen. Vergleich der Ruderarten Die in Bild 5 im linken Diagramm eingetragenen Bootsgeschwindigkeiten sind das Ergebnis einer Simulation mit gleicher, mittlerer Rudererleistung (450 W), gleichen Hebelverhälnissen am Skull, aber mit unterschiedlichern Schlagzahlen. Die mittleren Geschwindigkeiten sind am rechten Rand des Diagramm angegeben. Sie entsprechen einem mittleren Renntempo. Erwartungsgemäß ist der Rollausleger mit 4,2 m/s am schnellsten. Rückwärts und Vorwärts liegen gleichauf mit 3,9 m/s dahinter. Über die Renndistanz von 2000 m würde das einem Vorsprung bis zu 150 m für den Rollausleger entsprechen. Zumindest theoretisch; in der Praxis dürften einige, hier nicht erwähnte Einflüsse den Vorsprung mehr oder weniger verändern. Bild 5: Bootsgeschwindigkeiten und Wirkungsgrade im Vergleich: Rückwärts, Vorwärts und Rollausleger Neben der Bootsgeschwindigkeit interessiert natürlich auch die Leistung des Ruderers, die nach Abzug aller Verluste aus Blattwiderständen (nach Affeld K, Rudersport H.9/1994) in Form von Wirbeln und aus der Rollsitzbewegung für den Bootsvortrieb zur Verfügung steht. Der zusätzlich auftretende Schlupf der Blätter im Wasser bleibt unberücksichtigt. Die Tabelle rechts in Bild 5 gibt dazu einen Überblick. Die Wirbelverluste sind bei allen Ruderarten in etwa gleich. Die Wirksamkeit des Ruderschlages leidet bei Rückwärts und Vorwärts durch die Verluste aus der Rollbewegung. Das sind immerhin um die 20% der Gesamtleistung. Definiert man das Verhältnis aus Vortriebsleistung zur Gesamtleistung als Wirkungsgrad des Systems und damit als Kennzahl für die Effizienz einer Ruderart, so liegt der Rollausleger mit Abstand vorn. Abgesehen von den Wirbelverlusten wird hier die gesamte Rudererleistung für den Vortrieb genutzt. Der Laie würde deshalb sagen: Viel mehr Geschwindigkeit ist nicht drin im Bereich der traditionellen Rudertechnik. Stand: 04.12.2015 Seite 6 von 8 Besser rudern-aber wie? Dr. Peter Plica 5 Ein Blick über den Zaun Neben der bisher besprochenen Effzienz des Ruderantriebes haben bekannterweise weitere Faktoren Einfluß auf das Rudern. So hat z.B. die Einführung der Kunststoffe im Bootsbau das Gewicht der Boote verringert und damit zu höheren Geschwindigkeiten geführt. Und welche Rolle spielen die Form des Rumpfes und die Reibung am Rumpf? Sind hier noch Fortschritte möglich?.Bei den Seglern haben, wie z.B. die Entwicklung beim America`s Cup zeigt, der Katamaran als Bootsrumpf und das Hydrofoil (Tragflügel im Wasser) zur Verringerung der Reibung einen festen Platz in der technischen Spitzenklasse erobert. Auch bei den Ruderern zeigen sich Ansätze in dieser Richtung. Bild 6 zeigt Versuchsfahrten mit Rollausleger und einem Hydrofoil an der Yale University (USA) Welche Auswirkungen Bild 6 :Hydrofoil Skiff an der Yale University könnten diese Entwickungen für den Rudersport (USA) 2009 haben? Um diesem Problem näher zu kommen, hilft ein Blick auf Bild 7, das eine Übersicht über Vortriebswiderstände und zugehörige Geschwindigkeiten verschiedener Bootsarten enthält. Aufschlußreich ist das Anwachsen des Widerstandes für die verschiedenen Rumpfformen. Der bei Ruderbooten übliche Monorumpf unterscheidet sich in seinem Widerstand kaum von dem eines Katamarans. Doppelrumpfboote wären daher durchaus eine Alternative für kippstabiles Rudern sowohl bei niedrigen als auch hohen Geschwindigkeiten. Gleiter wie das Surfbrett hingegen sind wegen ihres hohen Widerstandes im mittleren Geschwindigkeitsbereich von 2-4 m/s ungeeignet für schnelles und kraftsparendes Rudern. Bild 7: Vortriebsleistung und GeschwindigWer jedoch dem Geschwindigkeitsrausch keit bei verschiedenen Bootsarten verfallen und gleichzeitig gut traniert ist, könnte (Zweier), Quelle: HISWA 2004, am Hydrofoil Gefallen finden. Bei Renntempo zwischen 4-5 m/s hebt sich das Boot aus dem Wasser und wird dabei um fast 1 m/s schneller. Es wären also nur 5-6 Schläge notwendig, um dem klassischen Ruderer auf dem Rollsitz eine Länge abzunehmen. Allerdings ist die dafür notwendige Rudererleistung nur für kurze Zeit erreichbar und deshalb bestenfalls für Sprintrennen von Bedeutung. Auch hier ist deshalb der optimale Einsatzbereich begrenzt. Für einen Vergleich ist in Bild 7 auch die derzeitige Rekordgeschwindigkeit für den klassischen Renndoppelzweier (Poznan, 2006) eingefügt. Bei maximaler Rudererleistung im Sprint könnte sich die Geschwindigkeit bei Einsatz eines Hydrofoils um etwa 1 m/s erhöhen. Auf längere Distanz wäre das konventionelle Boot aber zumindest gleichwertig oder sogar überlegen. Stand: 04.12.2015 Seite 7 von 8 Besser rudern-aber wie? Dr. Peter Plica 6 Das Ergebnis: Begrenzte Verbesserungen sind durchaus möglich Verzichtet man auf die Hydrofoiltechnik wegen ihres begrenzten Einsatzbereichs und läßt auch den Rennsport wegen seiner speziellen Randbedingungen außer Betracht, so lassen sich für das Wanderrudern und den ambitionierten Breitensport durchaus Perspektiven für die Zukunft des Ruderns entwickeln. Geht man vom heutigen Bootsbestand in den Rudervereinen aus, so dominiert fast ausnahmslos das Gigboot mit Rollsitz. Was sollten Ruderboote also in Zukunft mehr bieten? Die Antwort ist nach den bisherigen Erörterungen schnell formuliert: • • • Eine Rudertechnik, die das kraftraubende Rollen des Ruderers im Boot vermeidet und damit schnelleres Rudern ohne höheren Energieaufwand ermöglicht. Schnelle Rümpfe mit besserer Kippstabilität z.B. in Form eines Katamaran. Antriebsvorrichtungen zum Vorwärtsrudern für uneingeschränkte Orientierung nach vorn, leichteres Manövrieren und damit für erhöhte Sicherheit beim Rudern. Die hier genannten Verbesserungen dürften die Attraktivität des Rudersports sicher nicht verschlechtern, sondern in der Breite eher vergrößern. Aber noch gibt es solche Boote nicht. Und wie sie gestaltet sein werden, läßt sich nur erahnen. So gilt auch für die Rudertechnik der abschließende, schöne Satz: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Stand: 04.12.2015 Seite 8 von 8
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