MA_Kita-Sterben in Friedrichshain-Kreuzberg

Drucksachen der Bezirksverordnetenversammlung
Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin
IV. Wahlperiode
Drucksache: DS/1808/IV
Ursprung: Mündliche Anfrage
Initiator: B'90/Die Grünen, Schemmel, Jonas
Beitritt:
Beratungsfolge
15.07.2015
Gremium
BVV
069/IV-BVV
Erledigungsart
beantwortet
Mündliche Anfrage
Betr.: Kita-Sterben in Friedrichshain-Kreuzberg - Wie ernst ist die Lage?
Ich frage das Bezirksamt:
1. Wie viele Kitas und Kinderläden mussten im Bezirk in den letzten Jahren schließen (bitte
für Friedrichshain und Kreuzberg getrennt angeben)?
2. Was waren Gründe für die Schließungen?
3. Ist dabei insgesamt ein Trend bzw. eine bestimmte Entwicklung zu beobachten?
Nachfrage:
1. Welche Instrumente stehen zur Verfügung, um dem Wegfall bzw. der Verdrängung von sozialer Infrastruktur in der Innenstadt entgegen zu wirken?
Beantwortung: Frau Herrmann
zu Frage 1: In Friedrichshain konnten bislang alle Kitas ihren Betrieb aufrechterhalten. In Kreuzberg sind in den letzten drei Jahren, in den letzten Jahren drei Kitas geschlossen worden, Orte für
Kinder in der Alexandrinenstraße. Das Gebäude gehörte der evangelischen Kirche, die es verkauft
hat und den Mietvertrag mit dem Kitaträger im Juni 2014 beendete. GAPKO e.V., Gemeindeaufbauprojekt Kreuzberg Ost in der Falckensteinstraße. Der Vermieter kündigte dem Verein 2013, da
er mit anderen Nutzern einen weitaus höheren Mietpreis erzielen konnte. Der Träger Neues aus
Kreuzberg musste seine in der Schönleinstraße angemieteten und zur Kita umgebauten Räume
vor Erteilung der Betriebserlaubnis verlassen, weil sich herausstellte, dass sich das Gebäude im
Seveso-Gebiet befindet. Für alle drei Kitas hat das Jugendamt gemeinsam mit dem jeweiligen
Träger nach Alternativen gesucht. Durch Neubau auf landeseigenem Grund oder Anmietung von
Gewerberäumen in anderen Regionen konnten die Kitas ihren Betrieb wieder aufnehmen.
zu Frage 2: Aktuell sind weitere Kindertagesstätten in angemieteten Räumen von Schließung in
2015 und 2016 bedroht. Gründe sind: Auslaufen des Mietvertrages, Nichtverlängerung und Beabsichtigung des Vermieters, hochpreisige Mieten durch Aufnahme anderer Gewerbe zu erzielen
oder Festsetzung eines Mietzinses, den die Kitaträger aus ihren Platzgeldern nicht aufbringen
können. Für alle nachfolgend genannten Standorte gibt es bisher keine Alternativ-Mietobjekte.
Evangelischer Kirchenkreis, also in Kreuzberg Evangelischer Kirchenkreis Stadtmitte, Kita in der
Wrangelstraße, Wegfall: 30 Plätze. Für Kinder e.V., Kita in der Oppelner Straße Wegfall von 20
Plätzen. Eigenbetrieb Kindergärten City, Kita-Filiale in der Oppelner Straße ca. 20 Plätze. Der
Kleine Horrorladen in der Graefestraße Wegfall von 15 Plätzen. Ja okay, die haben seltsame Namen. Alles Banane e.V. in der Graefestraße Wegfall von 14 Plätzen. Girotondo e.V. in der Freiligrathstraße Wegfall von 24 Plätzen. In Friedrichshain Mini-Kitas First gGmbH, Kita in der Hausburgstraße Wegfall von 25 Plätzen.
zu Frage 3: Mitteilung zu überhöhten Mietzinsen sind uns seit 2011 ab und zu von Trägern mitgeteilt worden mit Anschreiben meinerseits, entweder als Stadträtin, jetzt als Bürgermeisterin oder
damals Bezirksbürgermeister Schulz und Appellen an die Vermieter konnten vereinzelt durch die
Träger Kompromisse bei nachfolgenden Mietpreisgesprächen ausgehandelt werden.
Die aktuelle Anzahl der von Schließung bedrohten Einrichtungen ist jedoch besorgniserregend.
Ansteigende Mietforderungen im Gewerbesegment nehmen zu bei gleichzeitiger Wohnraumverdichtung und steigenden Kitaplatzbedarf gibt es immer weniger freistehende Gewerberäume, die
zum Umbau als Kita geeignet sind und deren Mietzins für Kitaträger erschwinglich ist. Dazu kommen zeitlich befristete Mietverträge, die dem Träger keine Sicherheit für ggf. notwendige Investitionen bieten.
zu Nachfrage 1: Da es sich um Gewerbemietverträge handelt, haben wir keinerlei oder so gut wie
gar keine Möglichkeiten da gegenzusteuern. Im Gewerbesegment gibt es keine Mietpreisbindung,
Kündigungen können innerhalb von drei-Monatsfrist ausgesprochen werden und zeitlich kurz befristete Verträge werden zunehmend die Regel bei Vermietungen. Einzig was hilft ist die Sicherung
landeseigener Flächen. Dort müssen wir dann soziale Einrichtungen um- bzw. ansiedeln, aber Sie
wissen, wie es um unsere Flächen ausschaut, das kennen wir aus der Diskussion, was den Ausbau der Schulplätze betrifft, das ist komplett analog zum Ausbau von Kitaplätzen. Das haben wir
hier auch immer wieder schon diskutiert und ich weiß auch, dass selbst der Stadtplanungsausschuss sich mit dem Thema bereits befasst hat.
Hierbei besteht allerdings …, bei den landeseigenen Flächen besteht allerdings das Problem, dass
die bestehenden Förderprogramme für den Neubau von Kindertagesstätten nicht ausreichend
sind. Im letzten Jahr gab es 10 Mio. EUR. 10 Mio. EUR hört sich jetzt sehr viel an, 10 Mio. EUR für
das ganze Land, Sie müssen sich vorstellen, dass ein neugebauter Kitaplatz, also ein Platz um die
21.000,00 EUR / 22.000,00 EUR kostet. Da können Sie sich ungefähr vorstellen, wie weit man mit
10 Mio. EUR im ganzen Land Berlin kommt. Das ist also nicht mal mehr ein Tropfen auf den heißen Stein. Kitaträger müssen Eigenmittel aufnehmen, also heißt Kredite aufnehmen. Wir haben
inzwischen Kitaträger, große Kitaträger, die sich das überhaupt nur leisten können, die bereits drei,
vier Kredite aufgenommen haben und Sie können sich vorstellen, dass irgendwann auch da ein
Ende erreicht ist und das ist bei vielen Trägern, die wirklich ganz tapfer mit uns zusammen in den
letzten Jahren die Plätze ausgebaut haben, ich habe an dieser Stelle des Öfteren mich schon da
auch für die Kooperation bedankt, ist es einfach nicht mehr möglich, Bankkredite aufzunehmen.
Erstens, weil sie entweder keine mehr kriegen oder keine Eigenmittel mehr haben oder schlichtweg auch nicht mehr zurückzahlen können, weil sie ja schon so viele Kredite zahlen müssen.
Bei den kleineren Kinderläden oder iKitas wissen Sie, ist das so gut wie überhaupt nicht möglich,
dass man überhaupt in Größenordnungen Kredite aufnimmt. Kitas sind kostenblattfinanziert von
Seiten des Senats. Auch da diskutieren wir jetzt schon seit vielen Jahren, was das Aufbauprogramm betrifft. Klar, man kann jetzt sagen na ja, dann muss halt das Kostenblatt erhöht werden,
also die Miete muss erhöht werden. Da haben wir allerdings dann tatsächlich das Problem, und
das ist ganz logisch, wenn die Vermieter wissen, dass der Senat zahlt, wenn wir nicht die Preissteigerungsspirale anhalten, sondern wir werden sie damit anheizen, weil ganz logisch ist, zahlt
der Staat, egal, welche Miete ich nehme, nehme ich das, was ich kriegen kann, weil das ist, was
wir gerade in Kreuzberg und in Friedrichshain zur Kenntnis nehmen müssen, es ist die Büchse der
Pandora geöffnet. Das heißt was man nehmen kann, kriegt man. Man kriegt zumindest in den
Mietsegmenten eine ganze Menge, man kriegt es auch in dem Gewerbesegment, aber man kriegt
es natürlich nicht bei der sozialen Infrastrukturausstattung.
Wir haben sowohl im Sozialbereich als auch im Gesundheitsbereich, als auch im Jugendbereich
definitiv die Situation, dass uns die Strukturen, die wir eigentlich ausbauen müssten, die vorhandenen Strukturen wegbrechen, und zwar in Größenordnungen, ob das WGs sind oder eben auch
Kitas sind. Wir können als Bezirk nicht gegensteuern. Es ist auch nicht einfach, dass der Senat
gegensteuern kann, indem er einfach mehr Geld rein gibt, zumindest was den freien Markt betrifft,
das wäre kontraproduktiv. Wir brauchen mit Sicherheit eine Gesetzesänderung, da weiß ich aber,
dass das klar ist das Bundesgesetz, dass wir eben gerade für soziale Infrastruktur noch mal andere Mietverhältnisse schaffen, mehr Rechtssicherheit schaffen, mehr Verbleib schaffen, als es auf
dem ganz normalen Gewerbemietmarkt im Moment üblich ist. Und das Einzige, ich habe es gerade schon gesagt, ist tatsächlich, dass wir eigene Grundstücke, die wir noch haben im Land Berlin
und damit meine ich nicht nur von Friedrichshain-Kreuzberg, sondern das gilt für ganz Berlin, dass
wir diese sichern zum Ausbau der sozialen Infrastruktur. Die ersten Erfahrungen aus dem Portfolioausschuss stimmen uns da nicht ganz so optimistisch, dass es dann auch immer in die Richtung
des Bedarfs des Bezirkes läuft.
Also von daher, ich begrüße, dass wir eine veränderte Liegenschaftspolitik haben, das haben wir
von Seiten des Jugendamtes bezüglich von Kita viele Jahre eingefordert. Ich weiß aber nicht, ob
die Praxis schon so ist, dass wir tatsächlich unsere Infrastruktur halten. Wenn es noch zu lange
dauert, brechen uns in der Tat die Strukturen weg und sie sind in Konkurrenz, ich habe es gerade
gesagt, mit Wohnungsbau, mit Bau von Einrichtungen für Geflüchtete etc., etc. Die Wohnungslosigkeit nimmt ebenfalls zu, die Obdachloseneinrichtungen sind überfüllt. Inzwischen leben selbst
Familien oder alleinerziehende Mütter mit Kindern in Obdachloseneinrichtungen. Also ich kann nur
sagen, die Situation ist nicht nur brenzlig, sondern es brennt im Land Berlin. Dankeschön.
Herr Schemmel: Mich würde interessieren in der Diskussion mit der zuständigen Senatsverwaltung, ob die das denn eigentlich ähnlich sehen. Wir haben ja, was den Bereich Schule angeht,
mittlerweile eine …, sagen wir mal so eine weiterentwickelte Diskussion. Es gibt eindeutig ein
Problembewusstsein. Ist das denn bei diesem Bereich auch so? Denn hier haben wir es ja so, es
kommen immer mehr Kinder, aber die Plätze nehmen ab. Bei den Schulplätzen ist das immerhin
…, haben wir zwar immer mehr Kinder, aber momentan wird zumindest keine Schule mehr geschlossen.
zu Nachfrage 2: Sie wissen, dass wir seit 2008 Alarm schreiben und es hat lange gedauert, bis in
der Tat die Senatsverwaltung aufgewacht ist. Aufgewacht ist sie allerdings, muss ich auch sagen,
mit dem Wechsel von Herrn Zöllner zu Frau Scheeres. Herr Zöllner hat es uns nicht geglaubt und
hat uns ausgelacht. Es ist angekommen, dass wir Kitaplätze brauchen und das meinte ich vorhin
mit dem eigentlich sind wir noch im Aufbau. Das heißt also, wir brauchen in den nächsten Jahren,
bis 2025 ungefähr sind die Prognosen, wenn ich mich nicht irre, im Land Berlin 18.000 zusätzliche
Kitaplätze. Was die Senatsverwaltung noch nicht im Blick hat ist, dass uns gleichzeitig in Größenordnungen, und das waren nicht wenige, in Größenordnungen bereits geschaffene Kitaplätze
wegbrechen.
Ich habe im Unterausschuss Bezirke und, als wir eingeladen waren zur Haushaltsdebatte des Senats als Bezirkssprecher, Bürgermeisterinnen habe ich das Thema angesprochen. Die Senatsverwaltung sagt ja, ja, sie haben es im Blick, aber ich habe noch nicht gehört, wie hoch das Ausbauprogramm ist. Mit 10 Mio. kommen wir nicht weit. Wenn sie nicht im Vorfeld originär Grundstücke
sichern, wo wir noch bauen können und Mittel zur Verfügung stellen, wird es nicht mehr gehen.
Das kann ich schlichtweg so sagen, da sind wir schlicht an der Kapazitätsgrenze, weil wir sind der
kleinste Bezirk, aber es geht zunehmend eben den innenstädtischen Bezirken ja analog, da sind
wir ja nicht alleine.
Wir werden jetzt noch mal, wir haben ja jetzt die Kitaplanung für den Bezirk im Jugendhilfeausschuss vorgestellt, wir werden jetzt noch mal die Senatorin anschreiben, ich werde diesmal auch
den Finanzsenator noch mal anschreiben, dass wie gesagt, das mit ein paar Peanuts nicht ausreichen wird, sondern dass sie sehr viel mehr Geld in die Hand nehmen müssen.
Der Vorteil bei Schule ist, die haben eine andere Lobby. Das heißt also in Berlin ist viel mehr Aufregung, wenn es um Schulplätze geht, ob das die Presse ist, ob das die Eltern sind, die sind auch
besser organisiert und im Kitabereich sind es vor allen Dingen die Ämter und die Kitas selber, die
letztendlich versuchen, dort Problembewusstsein in der Öffentlichkeit herzustellen und vor allen
Dingen beim Senat. Die Lobby für Schule ist größer, ist ja auch in Ordnung, die brauchen ja genauso viel, aber für Kita glaube ich ist die Brisanz noch nicht wirklich überall angekommen.