Jan Philipp Albrecht, MdEP www.janalbrecht.eu Verordnungsvorschlag Schaffung einer „Europäischen Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Kriminalität zu Lasten der finanziellen Interessen der Union“ (COM [2013] 534 final) Aktueller Stand und Hintergrund (01.12.2015) Die Verhandlungen der Innen- und Justizminister im Rat zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (European Public Prosecutor’s Office / EPPO) gehen nur langsam voran. Mit ihrem Verordnungsvorschlag aus dem Juli 2013 schlug die Europäische Kommission, gestützt auf Art. 86 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, die Europäische Staatsanwaltschaft als eine unabhängige EUBehörde zur Verfolgung von Straftaten, die die finanziellen Interessen der Union schädigen, vor. Sie soll eng mit nationalen Strafverfolgungsbehörden und Eurojust zusammenarbeiten. Schätzungen zu den finanziellen Schäden durch die betreffenden Delikte liegen zwischen 500 Millionen Euro und mehreren Milliarden Euro jährlich. Anfang Oktober einigten sich die Minister vorläufig über grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen, Beweiserhebungen, Verfahrensrechte von Beschuldigten und Einstellungsfragen. Im Dezember strebt die luxemburgische Präsidentschaft eine generelle Einigung über die Artikel 17 bis 37 der EPPO-Verordnung an. Struktur und Kompetenzen der Behörde sollen damit bis Ende 2015 im Rat verhandelt sein. Unter niederländischer Präsidentschaft stehen dann jedoch noch die Themen Datenschutz, Infrastruktur und Beziehungen mit Strafverfolgungsbehörden in Drittstaaten an. Immerhin scheint die Debatte um den besonders kontroversen Artikel 25 zu den Ermittlungsmaßnahmen des EPPO im Rat gelöst. Der Rat kürzte den Katalog auf nur noch wenige Maßnahmen herunter. Was bleibt, sind vorrangig die Telekommunikationsüberwachung, Durchsuchungen von Räumen und IT-Systemen sowie der Zugriff auf Daten. Der EPPO kann diese Ermittlungsmaßnahmen nur bei schweren Straftaten – bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von vier Jahren – ergreifen. Weiterhin ist Bedingung, dass diese Ermittlungsmaßnahmen auch den nationalen Strafverfolgern im jeweiligen nationalen Recht offenstehen. Verlangt das nationale Recht in dem Mitgliedstaat, in dem die Ermittlungen erfolgen, eine richterliche Anordnung, so ist diese dort einzuholen – nicht in dem Land, von dem aus die Ermittlungen durch einen so genannten Delegierten Europäischen Staatsanwalt geführt werden. Dieser Punkt war lange Zeit hochumstritten. Nach wie vor offen bleiben allerdings die materiellen Kompetenzen des EPPO – also die Frage, bei welchen Delikten die EU-Strafverfolger tätig werden dürfen. Diese werden in der Richtlinie über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtetem Betrug (PIFRichtlinie) geregelt, die ebenfalls weiter im Rat verhandelt wird. Derzeit ist Mehrwertsteuer-Betrug nicht vom Richtlinienentwurf umfasst, obwohl der Europäische Gerichtshof in seinem Tarrico-Urteil am 8. September 2015 entschied, dass das europäische Primärrecht in Art. 325 AEUV die Mitgliedstaaten verpflichtet, gegen Betrug zulasten der Union ebenso effektiv vorzugehen wie gegen Betrug zulasten der eigenen Haushalte. Die luxemburgische Präsidentschaft drängt im Rat – gegen den Widerstand vieler Staaten – darauf, wenigstens in abgeschwächter Form Mehrwertsteuerbetrug in die PIFRichtlinie und damit in die EPPO-Kompetenzen aufzunehmen. Strafverfolger fordern dies seit langem, um „Mehrwertsteuer-Karusselle“ effektiv bekämpfen zu können, durch die den öffentlichen Kassen jährlich Schäden in Milliardenhöhe entstehen. Mit großer Mehrheit hatten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments am 29. April 2015 die Stellungnahme zu den laufenden Verhandlungen im Rat von Berichterstatterin Monica Macovei (Europäische Volkspartei, Rumänien) angenommen. Die Abgeordneten fordern, dass das EP in die Benennung des Europäischen Staatsanwalts eingebunden wird. Jede Entscheidung des EPPO wie die Wahl der Gerichtsbarkeit, die Anklageerhebung und die Einstellung eines Verfahrens soll richterlich überprüft werden können. Hinsichtlich der Zulässigkeit von Beweisen sowie der Beschuldigtenund Verfahrensrechte und der datenschutzrechtlichen Regelungen ist die Stellungnahme aus Sicht der Grünen-Fraktion akzeptabel. Insbesondere der Verweis auf die gemeinsamen Standards der Europäischen Ermittlungsanordnung (EIO) und damit auf bereits verhandelte Grundsätze zu Verfahrensrechten und der Zulässigkeit von Beweisen blieb auf Drängen der Grünen und Sozialdemokraten in der finalen Stellungahme erhalten. Dennoch ist ein Verweis auf die EIO im derzeitigen Text des Rates nicht enthalten. Die Grünen befürworten die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft grundsätzlich. Dennoch sind im besonderen Gesetzgebungsverfahren, in dem das Europäische Parlament lediglich das Resultat der Ministerratsverhandlungen ablehnen oder bestätigen darf, noch viele Fragen zu klären. 1 Zentrale Grüne Forderungen: • • • • • Ermittlungen dürfen nicht gegen das Recht des Mitgliedstaats verstoßen, in dem sie durchgeführt werden. Beschuldigtenrechte und hohe Verfahrensrechte müssen eingehalten werden. Wir brauchen Kriterien, um dem „forum shopping“ vorzubeugen – also der Gefahr der interessengeleiteten und für die Verteidigung nicht nachvollziehbaren Auswahl der Rechtsordnung. Das Verfahren zur Abweisung von Klagen sowie die Prüfung des Vorgehens des EPPO durch den Europäischen Gerichtshof müssen möglich sein. Die PIF-Richtlinie, die festlegt, bei welchen Delikten die Europäische Staatsanwaltschaft ermitteln darf, muss auch Mehrwertsteuerbetrug umfassen. Berichterstatterin und Schattenberichterstatter: • • • • • • • Monica Macovei (Europäische Volkspartei), Berichterstatterin Jan Philipp Albrecht (Die Grünen/Freie Europäische Allianz) Sylvia-Yvonne Kaufmann (Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten) Timothy Kirkhope (Europäische Konservative und Reformisten) Louis Michel (Allianz der Liberalen und Demokraten) Dennis de Jong (Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke) Laura Ferrara (Europa der Freiheit und der direkten Demokratie) Zeitplan: • Einigung im Rat und Abstimmung im Parlament: noch nicht abzusehen Weiterführende Informationen: • • • • • Verordnungsvorschlag Europäische Staatsanwaltschaft, 17. Juli 2013: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-12558-2013-INIT/en/pdf Stellungnahme des Europäischen Parlaments, 29. April 2015: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-20150173+0+DOC+XML+V0//DE Informationen der Ratspräsidentschaft nach dem Oktober 2015-Rat der Justizminister: http://www.eu2015lu.eu/en/actualites/articles-actualite/2015/10/09-conseil-jaijustice/index.html Informationen zum Tarrico-Urteil des EuGH vom 8. September 2015: http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2015-09/cp150095en.pdf Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug (PIF-Richtlinie) COM(2012) 363: http://ec.europa.eu/anti_fraud/documents/pifreport/pif_proposal_en.pdf 2
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