Informationen - Musikerlebnis

La liberazione di Ruggiero
dall’isola d’Alcina
balletto con prologo e tre scene
Francesca Caccini 1587-1641?
Libretto : Ferdinando Saracinelli 1583-1640
Premiere am 3. Februar 1625 in Florenz in der
Villa di Poggio Imperiale anlässlich des Besuchs des
Kronprinzen Wladislaw Wasa von Polen.
1628 Aufführung in Warschau.
München: 01.02.2016: Huelgas Ensemble
Leitung Paul Van Nevel
Francesca Caccini
1. D er Ko nt ex t
Florenz, Anfang Februar 1625. Anlässlich eines Staatsbesuchs des Kronprinzen
Wladislaw von Polen bereitet sich der Hof der Medicis auf größte Festivitäten vor.
Höhepunkt des Besuchs ist die Aufführung der Ballettoper “La Liberazione di
Ruggiero dall’isola d’Alcina” von Francesca Caccini. Diese Oper wurde im Auftrag
der Großherzogin der Toskana, Maria Magdalena von Österreich, welche 1608
Cosimo de’ Medici (1590-1621) geheiratet hatte, speziell für diese Gelegenheit
geschrieben. Das Libretto dieses "Balletto" (so die Bezeichnung auf der Titelseite des
Druckes) stammt aus der Feder von Ferdinando Saracinelli, dem Intendanten am Hof
der Medici. Die Musik wurde von der Hofkomponistin Francesca Caccini verfasst, die
somit wohl die erste weibliche Opernkomponistin in der Geschichte ist. Die Premiere
fand am 3. Februar in der Villa di Poggio Imperiale statt. Das Werk machte einen
überwältigenden Eindruck auf den polnischen Kronprinzen: die Oper erlebte 1628 in
Warschau ihre polnische Premiere.
Interessant ist, dass die Auftraggeberin weibliche Autorschaft wohlbedacht ins
Zentrum einer öffentlichen Aufführung stellte. Die Interessen der Herrscherin werden
musikalisch von der Komponistin faszinierend mit Musik verknüpft.
Geschlechterrollen werden in der Oper durch Geschlechtertausch hinterfragt sowie
gesellschaftliche, religiöse und politische Themen interessant miteinander verwoben.
Diese Oper ist ein frühes Beispiel zum Thema Gender-Identitäten.
2. D as Li b ret t o
Saracinelli stützte sich bei dem Verfassen des Librettos hauptsächlich auf den
epischen Ritterroman “Orlando Furioso” von Lodovico Ariosto (1474-1533), aber
integrierte daneben auch Details aus “Orlando innamorato” von Matteo Maria Boiardo
(1441-1494) und aus “Gerusalemme liberata” von Torquato Tasso (1544-1595).
Das Libretto besteht aus einem Prolog und vier Akten (scena). Im Prolog ruft
Neptunus die Wassergötter des polnischen Flusses Vistula auf, ein Lied zu Ehren
von Wladislaw und den toskanischen Fürsten anzustimmen. Im ersten Akt reitet die
gute Zauberin Melissa auf dem Rücken eines Delfins zu einer Insel, auf der der
sarazenische Krieger Ruggiero von der bösartigen Alcina verhext und verführt wurde.
Bradamante, die Geliebte Ruggieros, hatte Melissa geschickt. Melissa maskiert sich
als Atlas, Beschützer Ruggieros. Im zweiten Akt befreit Melissa die ehemaligen
Geliebten Alcinas (und deren frühere Liebhaberinnen) aus einer Verzauberung, die
sie in die Gestalt von Bäumen und Pflanzen verwandelt hatte. Melissa nutzt Alcinas
Abwesenheit, um Ruggiero zu überreden mit ihr zu flüchten. Alcina entdeckt den
Verrat und verlässt nach vergeblichen Verführungsversuchen und Anflehungen
wütend die Insel. Im dritten Akt bricht das Meer durch Alcinas Zorn in Feuer und
Flammen aus. Sie begreift, dass Melissas Zauberkraft größer als die ihrige ist. In
Gesellschaft eines Chores von rachsüchtigen Monstern verlässt sie auf dem Rücken
eines geflügelten Seeungeheuers die Küste. Im vierten Akt warnt Melissa eindringlich
vor ungezügelten Leidenschaften. Danach kann ein Fest mit Gesang und Tanz zu
Ehren der Großherzogin beginnen. Der letzte Tanz ist ein “balletto a cavallo” –
Pferdeballett, ein Tanz der durch die befreiten Ritter auf dem Vorplatz des Schlosses
zu Pferd ausgeführt wurde.
Saracinellis Libretto steckt voller Hinweise sowohl auf lokale als auch internationale
politische Konstellationen. So steht die böse Alcina natürlich für die Türken, die durch
das christliche polnische Heer geschlagen werden. Die gute Fee ist die Großherzogin
selber, die ihre Machtposition stärken musste.
1621 verwitwet, übernahm Maria Magdalena gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter
Christina von Lothringen kommissarisch die Regentschaft für den noch
minderjährigen Ferdinando II. de’ Medici. Der aufwändige Umbau ihrer Villa Poggio
Imperiale in Florenz ist Ausdruck ihrer Machtdemonstration. Die kostbare
Ausstattung mit Kunstwerken sowie Wappen der Medici und der Habsburger, ihrer
kaiserlichen Familie – ihr Bruder Ferdinand II. war seit 1619 Kaiser – sollten ihre
weibliche Herrschaft stärken und ihre Widersacher einschüchtern. „Poggio Imperiale“
– „Kaiserlicher Sitz“, nannte sie daher nach dem Umbau 1624 die ehemalige Villa
Baroncelli.
Mit der Vermählung ihre Tochter mit dem polnischen Kronprinzen suchte sie
katholische Unterstützung gegen ihre Widersacher und reformatorischen Kräfte in
Italien. Francesca Caccinis Oper vereint Machtdemonstration und Ehrerbietung für
den Kronprinzen und sollte ihn an den Hof der Maria Magdalena de’ Medici binden.
Der Ort der Premiere
3. D i e Ko m p o ni s t i n
Francesca Caccini gehörte als Komponistin wie auch als Sängerin zu den zentralen
Musikerpersönlichkeiten am Hof der Medici. Ihr Vater, Giulio Caccini, kam in den
1560er nach Florenz und stieg dort zu einem der führenden Sänger und
Gesangslehrer am Hofe auf. Er baute das damals beste Gesangsensemble „Donne
di Caccini“ mit seiner Frau und den Töchtern auf. In diesem Umfeld am Hof der
Medici mit einem Netzwerk zu den besten Musikern ihrer Zeit, darunter Claudio
Monteverdi, wuchs Francesca Caccini auf. Ihre höfische und vielseitige musikalische
Ausbildung legten den Grundstein für ihre Karriere. 13-jährig trat sie erstmals in einer
frühen Theaterproduktion auf. Als man sie 1604 nach Paris abwerben wollte,
scheiterte das am Widerstand des Fürsten Ferdinando von Florenz, der sie 1607 mit
einem großzügigen Gehalt offiziell als Hofmusikerin einstellte. Unter seinem
Nachfolger Cosimo war sie die bestbezahlte Musikerin am Hof.
Gegenüber anderen Sängerinnen ihrer Zeit zeichnete sie sich durch ihre
Vielseitigkeit aus. Sie komponierte öffentlich anerkannte Bühnenmusik, begleitete
sich selbst auf der Laute und war eine gefragte Gesangslehrerin. Musikalität,
Vierzierungskunst und textsensible Gestaltung zeichneten sie aus. Sie komponierte
in dem neuen von der Florentiner Camerata entwickelten „Stilus recitativus“, einer Art
Sprechgesang mit Begleitung des Generalbasses, der sich an der antiken Tragödie
orientiert und den vollkommenen Ausdruck des Affekts und die Verständigkeit des
Textes zum Ziel hat.
Bereits 1607 übernahm Caccini für ihren Vater die Komposition von musiktheatralen
Bühnenwerken. Mehr als 13 solcher Werke sind namentlich bekannt, gelten heute
jedoch als verschollen. Die Musik zu ihrer Oper „La Liberazione di Ruggiero“
überlebte, weil sie noch im Uraufführungsjahr mit Ausnahme der Tanzmusik in Druck
erschein, was für die Zeit eine große Ausnahme darstellt. Ihr „Primo libro“, eine
Sammlung mit 36 Monodien, die sie 1618 publizierte, zählt heute zu den wichtigsten
Quellen für die frühe Monodie.
3. D i e M us i k
Die Partitur zu „La Liberazione di Ruggiero“ von Francesca Caccini ist ein wirbelnder
Wechsel zwischen eindringlichen Rezitativen – alle mit unterschiedlichen
Begleitungen –, äußerst melodiösen Arien, lebendigen Chor-Einlagen (Canzonetten
und Madrigalen), die fortwährend in den Besetzungen wechseln (Hofdamen,
Dämonen, verzauberte Bäume, befreite Ritter, das Schlussmadrigal) und farbigen
instrumentalen Sinfonien, Ritornellen und Intermedien. Was die Tonalität betrifft, ist
das Werk sorgfältig strukturiert: jede Solo-Rolle behält ihr Tongeschlecht bei,
allerdings nicht immer in der gleichen Tonart. In den Didaskalien, den Kommentaren
zur Aufführung, stehen schließlich eine Anzahl von Anmerkungen über Instrumente,
die keinen Zweifel an einer optionalen farbenreichen Anreicherung des Basso
continuo lassen.
Francesca Caccinis Oper ist ein Meilenstein in der italienischen Musik der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts! (Paul Van Nevel)
Auch wenn das Werk selten auf den großen Opernbühnen aufgeführt wurde, so sind
im 19. und 20. Jahrhundert doch relativ viele szenische und konzertante
Aufführungen kleinerer Häuser bekannt. Zuletzt wurde das Werk 2012 durch die
Opernklasse der Schola Cantorum Basiliensis aufgeführt. Dazu gibt es ein
Begleitbuch „La Liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina. Zwischentöne“ Hrsg.
Christine Fischer (Cronos Verlag 2015).
4. Das Ensemble
Huelgas Ensemble | Paul Van Nevel, Leitung
(15 Sänger, 14 Instrumentalisten)
1. Die Hauptrollen
Ruggiero
Alcina
Melissa
Achim Schulz (Tenor)
Michaela Riener (Sopran)
Sabine Lutzenberger (Sopran)
2. Die Nebenrollen
Sirena / una damigella
Nunzia / altra damigella
Nettuno / Astolfo
Vistola Fiume / Pastore
Katelijne Van Laethem
Axelle Bernage
Matthew Vine
Bernd Oliver Fröhlich
3. Coro di numi dell’ acque, coro di damigelli, coro delle piante incantate, coro di
mostri, coro di cavalieri liberati
cantus
Axelle Bernage, Katelijne Van Laethem, Christel Boiron,
Witte Maria Weber, Helen Cassano, Rosemary Galton
tenor
Bernd Oliver Fröhlich, Tom Phillips, Adriaan De Koster,
Matthew Vine
Bassus
Guillaume Olry, Tim Scott Whiteley
4. Die Instrumente
Blockflöten
Blockflöten,
Percussion,
Bass-Krummhorn
Barock-Posaune
Violine
Viola da gamba
Lirone
Violone
Virginal
Bart Coen, Peter De Clercq, Koen Dieltiens
Silke Jacobsen
Wim Becu, Adam Bregmann, Fabien Moulaert
Annelies Decock, An Van Laethem
Matthieu Lusson, Sonia Arbouche
Lies Wyers
Sanne Deprettere
Dimos Debeun