Schauspiel frei nach dem Film E la nave va von Federico Fellini in einer Fassung von Uli Jäckle 2 Premiere am 24. März 2016, 19.30 Uhr Staatstheater Darmstadt, Kleines Haus Schiff der Träume Schauspiel frei nach dem Film E la nave va von Federico Fellini in einer Fassung von Uli Jäckle Weiterentwicklung der Inszenierung im Theater Freiburg 2014 Ildebranda Cuffari, Sopranistin Karin Klein Monika Cuffari, ihre Tochter Mia Zerwer | Elena Kaschub Aureliano Fuciletto, Tenor Florian Federl Sir Reginald Dongby, Generalmusikdirektorintendant Uwe Zerwer Lady Violet, seine Frau Katharina Hintzen Der Prinz Maria Radomski Prinzessin Lerinia, seine Schwester Gabriele Drechsel Ricotin, Stummfilmkomiker Arnd Heuwinkel Kapitän Christian Klischat Serbisches Kind Rosa Klischat | Selina Thalmann Stimme der Zeitzeugin Sigrid Schütrumpf Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nicht angeschaut haben. Alexander von Humboldt 3 Katharina Hintzen und Uwe Zerwer Inszenierung und Musik Uli Jäckle Bühne Thomas Rump Kostüme Elena Neuthinger Dramaturgie Jutta Wangemann, Julia Naunin Licht Thomas Gabler Ton Sebastian Franke Bühnenmeister Sven Scheffler Regieassistenz Isa Schulz Produktionsassistenz Lisa Bader Kostümassistenz Silke Ehrhard Inspizienz Jan Brell Soufflage Sigrid Schütrumpf Regiehospitanz Eva Kneer Aufführungsdauer 100 Minuten, keine Pause Aufführungsrechte Erben von Federico Fellini und Tonino Guerra, vertreten durch die Società Italiana degli Autori ed Editori (S.I.A.E.), Rom, Italien Die Bühnenfassung basiert auf dem Drehbuch E la nave va von Federico Fellini in Zusammenarbeit mit Tonino Guerra. Ins Deutsche übersetzt von Renate Heimbucher-Bengs. Zürich 1984. Besonderer Dank an das Theater Freiburg. 4 Politische und private Dringlichkeiten in der Inszenierung Schiff der Träume Gespräch zwischen Uli Jäckle und Julia Naunin im Staatstheater Darmstadt, März 2016. Julia Naunin (JN): Gab es in der Entscheidungsfindung, Fellinis Film E la nave va als Grundlage für die Inszenierung 2014 im Theater Freiburg zu wählen, einen bestimmten Anlass, Ereignisse, Bilder, Aussagen, Stimmungen, die Du rückblickend festhalten und beschreiben kannst? Und wie lässt sich eine Dringlichkeit des Filmstoffs sowohl 2014 als auch jetzt zusammenfassen? Uli Jäckle (UJ): Im Jahr 2014, als ich das ‚Schiff ‘ in Freiburg inszenierte, jährte sich der Erste Weltkrieg 100 Jahre. Der Film von Fellini spielt ja in dieser Zeit. In Fellinis Film wird eine dekadente Opernwelt auf einer Schiffsreise mit Flüchtlingen aus Serbien konfrontiert, die im Verlaufe der Handlung von ihrem Schiff aufgenommen werden. Dies ist gewiss der Grund, warum Schiff der Träume heute plötzlich so aktuell erscheint, wobei sich die öffentliche Diskussion in den letzten zwei Jahren verschoben hat: 2014 waren die Medien voll von Berichten über die ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer und heute diskutieren wir über die Flüchtlinge, die bei uns sind. Dies beeinflusst natürlich sowohl die Lesart meines Stücks als auch die Darmstädter Neuinszenierung. Nun ist der Film freilich etwas ganz anderes als ein politisches Statement, sondern vielmehr ein hochästhetisches und poetisches Werk, das auf vielen formalen und narrativen Ebenen mit konkreten und abstrakten Wirklichkeiten spielt. Fellini verweigert sich bewußt konkreten politischen Aussagen. Für ihn ist der Film das, was ist und weniger eine bestimmte Interpretation einer jeweiligen Situation. Zum Beispiel wurde Fellini immer nach dem Nashorn gefragt und welche Bedeutung es hat. Und er hat immer geantwortet, warum nicht das Nashorn? Der Film vermittelt eine völlig eigenständige ästhetische Dimension und verweigert sich einfachen 5 Erklärungen. Das ist ja der Kern von Kunst. Wenn Du Kunst erklären kannst, ist die Kunst vorbei. JN: Welche entscheidenden Aspekte und Besonderheiten des Films, beispielsweise der Musik von Gianfranco Plenizio, waren zentral in Deiner Erarbeitung des Stücks? UJ: Zunächst mal kann es nicht darum gehen, ein Meisterwerk zu imitieren, wozu? Wichtig war für mich deswegen, ein eigenständiges Konzept zu entwerfen. Das beginnt beim Bühnenbild von Thomas Rump. Uns war klar, dass wir den genialen Tableaus von Fellini nicht nacheifern konnten und wollten, sondern dass wir vielmehr eine eigene ästhetische, dem Theater gemässe Grundbehauptung suchen mussten. Daraus entstand dann die Idee eines abstrakten und trotzdem konkreten Raums mit 2000 Gläsern am Boden, die gleichzeitig fast die einzigen Spielrequisiten sind. Nun geht es im Film ja nicht nur thematisch um Oper und Musik sondern auch atmosphärisch und formal spielt die akustische Dimension eine wichtige Rolle. Und diese Ebene können wir natürlich wunderbar mit ins Theater nehmen und damit etwas Eigenes schaffen. JN: Also das Flüchtige betonen? UJ: Ja, das Sich Verflüchtigende. Das ist eine große Chance und deswegen spielen wir auch in der Inszenierung Pantomime sowie mit nicht vorhandenen Gegenständen. Wir behaupten Atmosphäre und Räume durch akustische Einspielungen. Und wir gehen auch soweit, dass eben auch die Arien akustisch eingespielt sind und die Darsteller synchronisieren sie. Das ergibt insgesamt auch eine extrem künstliche, aber doch auch sehr sinnliche Form, die die Themen ummantelt. Im Übrigen waren die Schauspieler des Filmes meist keine Italiener und wurden für die Originalfassung des Filmes italienisch synchronisiert. JN: Noch eine Nachfrage: Welchen Stellenwert hat Musik thematisch und strukturell in Deiner Stückfassung und Inszenierung im Vergleich mit dem Film? Anders gefragt, wie bist Du mit der grundsätzlich musikalischen Strukturierung des Films, die ich auch als Reigen oder ‚Tanz auf dem Vulkan‘ zusammenfassen möchte, in der Inszenierung umgegangen? 6 7 XXXXXXXXXXXXXXXXXX Maria Radomski UJ: Inszenierung ist immer Musik, es hat immer was mit Rhythmus, mit Leichtigkeit, Verdichtung und Wiederholung zu tun. Alles, was in der Musik vorkommt, gilt auch für das Inszenieren, umso mehr, wenn sich diese formalen Besonderheiten und Bedingungen im Thema widerspiegeln. Das Stück spielt halt in der Opernwelt. Ein wenig problematisch finde ich, dass diese Opernwelt in Italien noch einen ganz anderen Stellenwert hat als bei uns. Oper ist in Italien eben noch viel mehr Volksgut als hier in Deutschland. JN: Ich würde noch gerne zum inhaltlichen und strukturellen Umgang mit Musik nachfragen: Wenn in Fellinis Film noch des Diktum Heiner Müllers und anderer gelten mag, dass man das, was man noch nicht sagen kann, vielleicht schon singen kann, inwiefern verhandelst Du in deiner Inszenierung verschiedene Ausdrucksformen und Medien des Theaters reflexiv, also musikalisch-körperliche, stimmliche, medientechnische und geradezu choreografische Ausdrucksformen? Damit meine ich u.a. das Verhältnis von Sprechen und Pantomime, Lippensynchronisation und Singen, Musik, Geräusche, Signale versus Stille. UJ: Für mich ist die Akustik eine der wichtigsten theatralen Mittel: Ich kann damit Bühnenbilder und Stimmungen bauen, Atmosphäre behaupten und Psychogramme erstellen. Ich kann Realität in Musik und Klänge übersetzen und es kommt direkt emotional beim Zuschauer an. Ich denke zum Beispiel an meine Arbeit im Landschaftstheater in Heersum. Da ist die Frage zentral, wie kriege ich die Landschaft in Griff, wie kann ich die Landschaft definieren, das Draußen als eine Bühne. Das funktioniert am einfachsten, indem ich eine große Anlage aufstelle und dann entsprechend Musik in eine bestimmte Landschaft lege, sofort ist alles ein riesengroßes Theater. JN: Zu einem anderen Theatermittel: Bleibt den Figuren in Deiner Inszenierung manchmal die Sprache weg? Ersetzen sie in Situationen, die sie weder benennen noch besingen können, Sprache und Gesang durch Körperbewegungen? 8 9 Rosa Klischat und Mia Zerwer UJ: Auf jeden Fall. Ich finde, Theater ist erstmal Situation. Was kann ich ohne Text behaupten, wieviel Text brauche ich überhaupt? Die Situation geht direkt über mein Auge, Sprache nimmt den Umweg über die Verarbeitung im Hirn. Ich habe ein großes Faible für stumme Stücke und Stücke, die gar keine Sprache brauchen. Da kommt das Theater zurück zu sich selbst. JN: Durch welche konkreten Weiterentwicklungen, Eingriffe und Umwertungen zeichnet sich die von Dir erarbeitete Stückfassung „frei“ nach dem Film von Federico Fellini aus? UJ: Zunächst einmal habe ich das Personal auf 10 Personen reduziert, um so den Figuren mehr Zeit zu geben, sich auch emotional zu entwickeln. Es gibt im Prinzip nur einen Sänger und nur eine Sängerin, den Generalmusikdirektorintendanten, der den Theaterapparat repräsentiert, dessen Frau Violet, den Käptn, der das Schiff am Laufen hält und auf der anderen Seite die Politik, vertreten durch den österreichischen Prinzen und seine blinde Schwester. Ausserdem spielen zwei Kinder mit, die Tochter der Operndiva und das Flüchtlingskind. Zudem gibt es den Pantomimen, der eine Art übergeordnete Instanz darstellt und letztlich das Spiel in der Hand hat. Das Stück spielt auf zwei Ebenen, es geht um eine politische Dimension einerseits und andererseits um die private Dimension. Diese beiden Ebenen wollen letztendlich zeigen, dass die Konflikte im privaten Bereich die gleichen sind, die man auch auf der politischen Ebene verhandelt. JN: Verstehe ich Dich dann richtig, dass die Konflikte, die die Figuren miteinander austragen, eine Mikroperspektive im Hinblick auf das große europäische Requiem ist? UJ: Im Prinzip ja, denn auch im Privaten ist die Gemeinschaft zentral. Auch im Privaten bilden sich immer neue Gemeinschaften, die irgendwann an ihre Grenzen stossen oder in der sich die Mitglieder einer Gemeinschaft auseinander bewegen und andere Allianzen eingehen sowie Konflikte entstehen. Genau diese sehr menschlichen Mechanismen sind eben auch in der Politik zu finden und das finde ich das Interessante daran. Politik fängt einfach im Privaten an. Es gibt nichts, was nicht politisch ist. XXXXXXXXXXXXXXXXXX 10 JN: Nun interessiert mich noch mal der Blick auf das Stück, das Du geschrieben hast. Kannst Du den Stellenwert von Wortwitz und Humor erläutern und Momente, die geradezu einen Slapstickhaften Umgang mit der politischen Konfliktsituation aufweisen? UJ: Die Komödie ist ja schon aus ihrer theaterhistorischen Tradition heraus das beste Mittel, auf dem Theater mit einem tragischen Ereignis und mit einer tragischen Situation umzugehen. Jede Katastrophe birgt auch eine Katharsis, die kathartische Wirkung der Weltkriege wirkt ja zumindest in Europa bis heute noch nach, allerdings bröckelt sie heute erheblich. Jetzt wird es wieder salonfähig, rechtsradikales Gedankengut zu äußern, ohne dass man sofort eins auf den Deckel kriegt. Man merkt daran, dass die Halbwertzeit der vergangenen Katharsis abgelaufen ist. Deswegen habe ich mich im zweiten Teil meiner Fassung von Fellini entfernt. Im Film kommen Flüchtlinge auf das Schiff, die ziemlich schnell das Akkordeon in die Hand nehmen und folkloristische Musik spielen. Schwer vorstellbar, dass die Flüchtlinge heute so agieren würden. Daher sind in meinem Stück die Flüchtlinge ertrunken und nur noch durch ihre aufgefischte Kleidung präsent. Nur ein kleines Kind überlebt, an dem sich die Gemüter mit ihren Vorurteilen abarbeiten. JN: Welche theatralen Elemente gibt es denn Deiner Meinung nach in einem Abgesang eines Europas, das Du auch im Stück beschreibst? UJ: Jeder Aufmarsch, jede Kundgebung, jede verbale oder komische Zuspitzung von Parolen im öffentlichen Raum, jede Veranstaltung, die Zuschauer generiert, ist im Grunde ja schon Theater. Egal welche politische Ausrichtung dahintersteckt. Das ist für mich nicht wirklich relevant. Als Künstler will ich gesellschaftsrelevante Themen ästhetisch verhandeln. Wir können nur Zustände aufzeigen, Fragen stellen, Situationen herstellen, die uns nochmal die Fragestellung deutlich machen. Das theatrale Ereignis findet nicht auf der Bühne statt, es findet eben zwischen Zuschauer und Bühne statt, also im unsichtbaren dritten Raum. Dort wird das Geschehen verhandelt und dort entsteht das Theaterstück. 11 JN: Noch mal zurück zur politischen Relevanz des Films im Theater heute mit einer abschließenden komplexeren Frage. Federico Fellini spricht in Interviews zu dem Film E la nave va auch davon, im Film eine Beziehung zur Wirklichkeit zu thematisieren, genauer: eine von ihm 1982/83 konstatierte „kalte, gläserne, starre, passive, dumpfe Gleichgültigkeit“ zu verhandeln. Diese Gleichgültigkeit verbinde sich seiner Meinung nach mit einem „absurden Wunsch nach einer Katastrophe, einem Unglück […], das uns aus unserer Trägheit aufrüttelt, uns in eine ganz neue Beziehung zur Realität treten lässt und uns die Möglichkeit gibt, neue Wege auszuprobieren“. Ursachen dieser Gleichgültigkeit sieht Fellini in einer Informationsflut aus Ungeheuerlichkeiten und Banalitäten, die „dein Heim, deine Sensibilität und Reaktionsvermögen [überschwemmt]“ 1. Siehst Du heute die Gefahr einer Abstumpfung im Umgang mit Bildern von flüchtenden Menschen? Ich denke auch an die Aussagen Alexander Gaulands im ZEIT Magazin (Februar 2016) mit dem Titel „Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen“. In dem Interview plädiert Gauland für eine strikte Grenzschließung, die grausamen Bilder müsse man halt aushalten. Das ZEIT Magazin erläutert, dass Gaulands Tochter, eine evangelische Pfarrerin, die Aussagen ihres Vaters nur schwer aushält: „Ich finde es schrecklich, was er sagt“ 2, wird sie zitiert. UJ: Es ist erstaunlich, dass Fellini das in den 1980er Jahren so gesagt hat, denn es ist ja eine ganz heutige Sicht auf die Virtualität unserer Welt. Aber was ist denn überhaupt Realität, auch hinsichtlich der Berichterstattung über die ganze Flüchtlingsproblematik. Die erscheint mir wie ein komplett virtuelles Ding. Das heißt, erst in dem Moment, in dem wir hier Flüchtlingen begegnen, wird es zu einer anderen Realität. Vorher ist es eine reine vorurteilsbeladene, manchmal auch nur fremd beurteilte Welt, der wir da begegnen. Wir können kein Urteil fällen, wenn wir das nur mit den ‚gefilterten‘ Informationen, die wir kriegen, versuchen. Ein darauf basierendes Urteil ist deswegen immer falsch. Denn egal wie bemüht die Medien sind, kriegen wir nur ausgewählte Bilder, es gibt keine Verhältnismäßigkeit, sondern reine Willkür von Bewertungen, von Vorgängen 12 13 Karin Klein und all das enthebt uns eigentlich dem Recht, Urteile zu fällen oder über Menschen zu richten, die flüchten. Eine selbstständige Medienmaschinerie baut uns eine Realität zusammen, auf deren Basis wir unseren politischen Willen formulieren. Das ist einerseits erschreckend, aber nicht zu ändern. Das ist eben der Lauf der Dinge. Ich bin auch keineswegs gegen die Medien. Man muss sich jedoch immer klar darüber sein, das es eben keine Objektivität geben kann. 1. „Sehnsucht nach einer Katastrophe“. Federico Fellini im Gespräch mit Journalisten (1982/1983), u.a. mit Lietta Tournabuoni und Giovanni Grazzini. In: E la nave va. Drehbuch von Federico Fellini in Zusammenarbeit mit Tonino Guerra. Übersetzt von Regina Heimbucher-Bengs. Zürich 1984, S. 187–190. 2.URL http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-02/alexander-gauland-afd fluechtlingskrise-fluechtlingspolitik-grenzen (15.03.2016). 14 Drechsel, Maria Radomski, Elena Kaschub, Karin Klein, Gabriele Christian Klischat, Uwe Zerwer, Katharina Hintzen, Florian Federl 15 16 Nicole Hegener Reserveanker In der Flut von Bildern, die täglich über uns strömt, fällt der Anker als ikonisches Zeichen auf. Der Anker ist, welche materiellen, formalen und funktionalen Varianten auch immer er während der Entwicklung der Seefahrt im Zeitraum von fast fünf Jahrtausenden erfuhr, ein kollektives Symbol, das jeder versteht: Im konkreten maritimen Sinn steht er für die Lebenssicherung oder Rettung, im übertragenen religiösen oder metaphysischen Sinn für Glaube und Hoffnung, Anker fixieren das schwimmende Schiff an einem bestimmten Punkt. Wenn nicht im Hafen, dann geht das Schiff in der Übergangszone von Land zum Meer vor Anker, jenem mythischen Ort, der die Schwelle zwischen Leben und Tod bedeutet. Hier ist der Mensch den Mächten der Natur und den Göttern ausgeliefert. Die Zeit zwischen Aufbrechen und Anlanden bestimmt das ewige Prinzip Hoffnung. Halten die Hauptanker und die Nebenanker nicht oder gehen sie verloren, dann setzt man jenen letzten und schwersten Anker, den man in der Antike den heiligen Anker (ancora sacra) nannte. Diesen Reserveanker warf man nur, wenn es um Leben und Tod ging. Liegen heilige Anker am Meeresgrund, deuten sie auf Seenot oder Schiffbruch. Wurde der heilige Anker bei einer Seeschlacht von oben auf das gegenerische Schiff geworfen, war dies ein Zeichen eines militärischen Triumphs. Er galt als letzte Instanz und höchste Autorität. Doch wer als blinder Passagier über die Ankerkette heimlich in die dunklen Ankerkammern klettert, dem droht beim Lichten und Setzen des Ankers große Gefahr, wenn nicht der Tod. Das gefährdete Menschenleben auf der einen und ein Leben nach dem Tod auf der anderen Seite symbolisieren ungezählte Anker, die in Gefallenenmonumenten der Marine integriert sind. Von jeher zieren sie die Kappen und Knöpfe von Kapitänen und Matrosen. Das Schiff auf dem Meer zählt zu den mächtigen Metaphern des Lebens, der Anker als das des Schiffes Pars pro toto ist das Symbol für die Sicherheit der Seelen. Die symbolische Kraft des Ankers beruht auf der Kombination der 17 Zweiheit von Wasser und Erde. Er steht daher auch für die Verbindung von Unvereinbarem wie Himmel und Meeresgrund, Endlichkeit und Unendlichkeit, Körper und Geist. Anker sind schwer und symbolisieren doch jene unsichtbar fliegenden Wünsche und Träume, welche die Menschen über die Meere und Zeiten hinweg verbinden. Anker sinken zur Sicherung des Menschen, während diese an Bord bleiben. Der Mensch „klammert“ sich an die unsichtbaren Anker der Gedanken. Die Entstehung des Mottos „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ dürfte auf einem in Not geratenen Schiff zu verorten sein. Anker verbildlichen jene zwischen Anfang und Ende des menschlichen Lebens wachsende Spannung, die nur durch Hoffnung auszuhalten ist. 19 18 Dekadenz, Apokalypse, Heroismus Kurt Lenk versteht den Dreiklang von Dekadenz, Apokalypse und Heroismus als einen „Evergreen aus der langen Tradition des revolutionären Konservatismus“. Und: „Im Kern der faschismusaffinen Krisensemantik […] findet sich das Syndrom Dekadenz-Apokalypse-Heroismus, dem die Idee einer Art ‚Wiedergeburt‘ zugrunde liegt. Zwar sind bei den einzelnen Autoren Ursachen Symptome und Folgen der Dekadenz variantenreich beschrieben, doch gleichen sie sich in ihrer Dramaturgie. Stets geht es letzlich um eine Entscheidung zwischen Untergang und Rettung durch irgendwelche heroische Taten. Die […] Autoren versetzen ihre Adressaten häufig in eine Art paranoide Situation, bei der es letztlich – wie in einem permanenten Ausnahmezustand – um Leben oder Tod zu gehen scheint“. Florian Federl XXXXXXXXXXXXXXXXXX 21 20 Anfertigung der Dekorationen und Kostüme in den Werkstätten des Staatstheaters Darmstadt. Technische Gesamtleitung Bernd Klein Bühneninspektor Uwe Czettl Leiter der Werkstätten Gunnar Pröhl Assistent Technischer Direktor / Technischer Leiter der Kammerspiele Jonathan Pickers Technische Assistenz Konstruktion Christin Schütze Leiterin Kostümabteilung Gabriele Vargas-Vallejo Leiter des Beleuchtungswesens Dieter Göckel Leiter der Tontechnik Alfred Benz Chefmaskenbildnerin Tilla Weiss Leiterin der Requisitenabteilung Ruth Spemann Leiter des Malsaals Armin Reich Kaschierwerkstatt Lin Hillmer Leiter der Schreinerei Matthias Holz Leiter der Schlosserei Jürgen Neumann Leiter der Polster- und Tapezierwerkstatt Roland Haselwanger Gewandmeisterei Lucia Stadelmann, Roma Zöller (Damen), Brigitte Helmes (Herren) Schuhmacherei Anna Meirer Maske Manuela Kutscher, Christoph Pietrek Requisite Manuela Oberndorfer, Julia Gräser Ton Sven Altwein, Peter Hirsche, Wendelin Hejny Textnachweise: S. 16/17: „Reserveanker“ ist ein Auszug aus dem Artikel „Glaube, Hoffnung, Anker“ von Nicole Hegener in mare No. 79, 4/2010. | S. 19: „Dekadenz, Apokalypse, Heroismus“ bezieht sich in Auszügen auf den Beitrag von Kurt Lenk: Das Problem der Dekadenz seit Georges Sorel. In: Heiko Kauffmann/Helmut Kellershohn/Jobst Paul (Hg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt. Analysen rechter Ideologie. Münster: Unrast 2005, S. 49–63, hier S. 61. || Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden gebeten, sich zwecks nachträglicher Rechteabgeltung zu melden. Für die freundliche Unterstützung danken wir dem Blumenladen fleur in. fleur in Schulstraße 10 IMPRESSUM Spielzeit 2015 | 16, Programmheft Nr. 28 | Herausgeber: Staatstheater Darmstadt Georg-Büchner-Platz 1, 64283 Darmstadt | Telefon 06151. 2811 — 1 | www.staatstheater-darmstadt.de | Intendant: Karsten Wiegand | Geschäftsführender Direktor: Jürgen Pelz | Redaktion: Julia Naunin, Isa Schulz | Fotos: Jonas Götz | Gestalterisches Konzept: sweetwater | holst, Darmstadt | Ausführung: Hélène Beck | Hersteller: DRACH Print Media GmbH, Darmstadt 22
© Copyright 2025 ExpyDoc