Zweite Positionierung zum Bundesteilhabegesetz

Caritas Behindertenhilfe
und Psychiatrie e.V.
Fachverband im
Deutschen Caritasverband
Beirat der Angehörigen im CBP e.V. • Postfach 420 • 79004 Freiburg i.Br.
Beirat der Angehörigen im CBP
Ihr Ansprechpartner: Gerold Abrahamczik
[email protected]
www.cbp.caritas.de
25.06.2015
Positionen zur Ausgestaltung eines Bundesteilhabegesetzes
In den vergangenen Monaten fand unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales ein erfreulich transparentes Beratungsverfahren zur Reform der Eingliederungshilfe im
Rahmen eines neuen Bundesteilhabegesetzes statt. In neun öffentlichen Sitzungen der
„Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz“ - allesamt ausführlich dokumentiert unter www.gemeinsameinfach-machen.de - wurden Positionen und Stellungnahmen von Betroffenen, Verbänden, Bund,
Länder und Kommunen zu einzelnen Themen zusammengetragen.
In unserem Positionspapier vom 10.01.2015 haben wir erste Forderungen an die Ausgestaltung eines
Bundesteilhabegesetz vorgetragen. Diese Forderungen sind für uns weiterhin wichtig. Im Lichte der
während des Anhörungsverfahrens vorgetragenen Argumente ergänzen wir unsere Forderungen an
die Reform der Eingliederungshilfe wie folgt:
1. Ein neues Bundesteilhabegesetz muss in besonderer Weise die Belange von Menschen mit
schweren und schwerstmehrfachen Behinderungen in den Blick nehmen. Entsprechend ist auch
jegliche Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe daraufhin zu überprüfen, welche Auswirkung
dies für schwer und schwerstmehrfach behinderte Menschen hat. Das gilt insbesondere für die Bereiche „Teilhabe am Arbeitsleben“ und „Ambulantisierung“ des Wohnens.
Im bisherigen Beratungsprozess waren die Menschen mit schweren und schwerstmehrfachen Behinderungen und ihre besonderen Interessenlagen kaum vertreten. Zugleich aber haben Änderungen im System der Eingliederungshilfe unmittelbare und vielfach auch stärkere Auswirkungen auf
diese Menschen als auf andere. Wenn es beispielsweise zu der wünschenswerten stärkeren Öffnung des 1. Arbeitsmarktes für Menschen mit Behinderungen oder aber zur fortschreitenden Ambulantisierung des Wohnens kommt, wird der Schweregrad der Behinderungen in den bisherigen
Einrichtungen zunehmen. Dem ist durch eine Aufstockung der finanziellen Mittel in den Einrichtungen Rechnung zu tragen!
Wir erwarten deshalb von einer Reform der Eingliederungshilfe, dass Menschen mit schweren und
schwerstmehrfachen Behinderungen in den Einrichtungen der Behindertenhilfe zukünftig ausreichend personelle und sachliche Ressourcen zur Verfügung stehen. Dies gilt für alle Einrichtungen
der Behindertenhilfe und bedeutet z. B. für das Wohnen, dass in und außerhalb der Wohngruppen
eine angemessene Alltagsbegleitung ermöglicht wird und auch an den Wochenenden Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben durch eine an den Bedürfnissen der Bewohner ausgerichtete Freizeitbeschäftigung gegeben ist. Nur so ist umfassende Teilhabe zu erreichen und wird die Reform der
Eingliederungshilfe den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht.
Schwer und schwerstmehrfach behinderte Menschen dürfen nicht zu den Verlierern der Reform
der Eingliederungshilfe werden!
2. Die Gegenfinanzierung von Leistungsausweitungen in der Eingliederungshilfe kann nicht durch die
Menschen mit Behinderungen selbst oder ihre Angehörigen erfolgen. Wir regen stattdessen an,
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den Menschen mit Behinderungen, die in stationären Wohnformen leben, die volle Leistung der
Pflegeversicherung (unter der Regie der Eingliederungshilfe) zu gewähren.
Die damit verbundenen Mehrkosten in der Pflegeversicherung sind innerhalb der Pflegeversicherung zu finanzieren, ggf. auch durch eine Steigerung des Beitragssatzes. Das Bundesministerium
für Gesundheit hat in diesem Zusammenhang in der Unterarbeitsgruppe Statistik und Quantifizierung einen Steigerungssatz von lediglich 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten benannt. So könnten rd. 1,5
Mrd. € „frisches Geld“ zusätzlich in das System der Eingliederungshilfe kommen, ohne dass die
Pflegeversicherung über Gebühr belastet würde.
Zugleich würde das heute noch in verschiedenen Regionen der Bundesrepublik zu verzeichnende
Problem gelöst werden, dass behinderte Menschen in Pflegestufe 3 keinen wohnortnahen stationären Wohnheimplatz finden, da sie im stationären Wohnen Leistungen der Pflegeversicherung
von zur Zeit nur 266 € pro Monat erhalten und die Träger der Eingliederungshilfe die notwendigen
Mehrkosten zur Versorgung dieser Menschen im Pflegesatz der Wohneinrichtung nicht anerkennen. Hier besteht eine echte Gerechtigkeitslücke, da Menschen mit Behinderung volle Beiträge zur
Pflegeversicherung bezahlen, aber im stationären Wohnen nur einen Bruchteil der Leistungen der
Pflegeversicherung bekommen.
3. Die im Anhörungsprozess in der „Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz“ erörterten Vorschläge zur
Streichung des Kindergeldes für erwachsene, grundsicherungsberechtigte Menschen mit Behinderung und zur Streichung der Behindertenpauschbeträge im Einkommensteuerrecht lehnen wir ab.
Menschen mit schweren und schwerstmehrfachen Behinderungen haben einen lebenslang notwendigen Mehrbedarf, den sie mit eigenen finanziellen Mitteln aus ihrem Barbetrag decken müssen. Auch verzichten Familien mit einem schwer- und schwerstmehrfach behinderten Kind nicht
selten auf ein Haushaltseinkommen, um die Pflege und Betreuung durch ein Elternteil sicherstellen
zu können. Würden die in die „Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz“ eingebrachten Vorschläge
umgesetzt, wären also die Menschen in besonderer Weise betroffen, die auf die finanzielle Unterstützung am dringendsten angewiesen sind und die keine Möglichkeit zur finanziellen Kompensation haben.
4. Leistungen der Eingliederungshilfe sind unabhängig von Einkommen und Vermögen zu gewähren.
Nur so kann Teilhabe im Sinne der UN-BRK gelingen.
Bei den Beratungen zur Reform der Eingliederungshilfe wird die Aufteilung der bisherigen Komplexleistungen in die sogenannten Fachleistungen und in die Hilfe zum Lebensunterhalt konkret
diskutiert. Es wird weiter überlegt, die Fachleistung als Leistung der Eingliederungshilfe zukünftig
unabhängig von Einkommen und Vermögen zu gewähren. Dies begrüßen wir sehr.
Allerdings werden sich Abgrenzungsprobleme auftun. Wir unterstützen deshalb die Forderung des
Deutschen Caritasverbandes, ein Gutachten zur Zuordnung der Leistungen auf die Leistungen zur
Teilhabe (Fachleistung) und zu den existenzsichernden Leistungen (Hilfe zum Lebensunterhalt) in
Auftrag zu geben und dabei alle unterschiedlichen Gruppen der Menschen mit Behinderung und
insbesondere auch die Menschen mit schweren und schwerstmehrfachen Behinderungen einzubeziehen. Ganz wichtig werden in diesem Zusammenhang die Kriterien für die Bestimmung des
behinderungsbedingten Mehrbedarfes sein. Eine Schlechterstellung gegenüber dem Status quo ist
hier auszuschließen und lehnen wir ab.
In diesem Zusammenhang bekräftigen wir unsere Forderung, dass es zu keiner Heranziehung der
Eltern bei der Hilfe zum Lebensunterhalt über den Tatbestand der Bedarfsgemeinschaft kommen
darf. So würde eine solche Heranziehung zu einer Schlechterstellung der Eltern von behinderten
Kindern führen, da diese bisher gem. § 92 Abs. 2 SGB XII ausdrücklich von einer finanziellen Beteiligung ausgeschlossen sind (mit Ausnahme der Kostenbeteiligung des volljährigen WfbM-Besuchers). Zudem würde die finanzielle Heranziehung der Eltern aber auch der Partner von Menschen
mit Behinderung über die Bedarfsgemeinschaft bedeuten, dass Ihnen das Geld, dass ihnen durch
die Freistellung der Fachleistung von Einkommen und Vermögen gelassen wird, über die Hilfe zum
Lebensunterhalt - zumindest teilweise - wieder genommen wird. Und schließlich gibt es einen erheblichen inhaltlichen Unterschied zwischen der Hilfe zum Lebensunterhalt bei (lebenslanger) Behinderung zu der staatlichen Transferleistung in sonstigen (ggf. zeitlich befristeten, schwierigen)
Lebenslagen, der hier zu berücksichtigen ist.
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5. Die Neuausrichtung der Eingliederungshilfe mit der Abgrenzung der Fachleistungen zu existenzsichernden Leistungen darf nicht zu Lasten der schwer und schwerstmehrfach behinderten Menschen, die auf die stationäre Wohnform in Einrichtungen angewiesen sind, erfolgen.
Mit der Neuausrichtung der Eingliederungshilfe von einer überwiegend einrichtungszentrierten zu
einer personenzentrierten Leistung soll die notwendige Unterstützung des Menschen mit Behinderung nicht mehr an einer bestimmten Wohnform, sondern nur am notwendigen individuellen Bedarf
ausgerichtet werden. Es wird der Bedarf des Menschen mit Behinderung an existenzsichernden
Leistungen zum Lebensunterhalt und sein Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe wegen der
Behinderung getrennt und entsprechend zugeordnet werden. Dies darf nicht zu einer Streichung
des „Sondersystems Lebensunterhalt in Einrichtungen“ nach § 27b SGB XII führen. Hier sind es
insbesondere das Bekleidungsgeld und der Barbetrag nach § 27b Abs. 2 Satz 1 SGB XII, die nicht
zum Opfer der Neuausrichtung werden dürfen.
Entfällt der bisherige Barbetrag oder wird er auch nur gekürzt, wird Teilhabe am Leben massiv eingeschränkt, da die Betroffenen dann über kein eigenes und freiverfügbares Geld mehr verfügen.
Hiergegen sprechen wir uns entschieden aus und wünschen eine Wiederaufnahme des Sachverhaltes in der weiteren Sachdiskussion.
6. Personenzentrierung kann nur gelingen, wenn Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen
Zugang zu einer unabhängigen und kostenfreien Beratung haben.
Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen haben große Probleme sich in den unterschiedlichen Leistungssystemen zurecht zu finden. Sie wissen oftmals nicht, auf welche Leistungen sie
Anspruch haben und was wo zu beantragen ist. Soll umfassende Teilhabe nach den Vorgaben der
UN-Behindertenrechtskonvention gelingen und sollen Menschen mit Behinderungen eine passgenaue Förderung und Unterstützung nach ihren Wünschen und nach Maßgabe einer modernen
Eingliederungshilfe erhalten, bedarf es einer leistungsträger- und leistungserbringerunabhängigen
Beratung.
Im März diesen Jahres wurde die Entlastung der Kommunen von der Reform der Eingliederungshilfe
entkoppelt. Dies hat zu der Befürchtung bei Betroffenen, ihren Interessenvertretungen und bei den
Verbänden geführt, dass damit auch der Prozess der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe
gestoppt sein könnte. Dieser Einschätzung sind die Politiker der Regierungskoalition und auch das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales vielfach entgegen getreten. In dem Zusammenhang bleibt
zu wünschen, dass man sich in der politischen Diskussion um ein Bundesteilhabegesetz nun
verstärkt um inhaltliche Themen und damit um eine echte Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe
kümmert. Zumindest wird in dem weiteren Diskussionsprozess deutlich werden, dass Leistungsausweitungen in der Eingliederungshilfe zusätzliches Geld kosten wird und dass eine verbesserte
Teilhabe von Menschen mit Behinderung nicht zum Nulltarif zu haben ist. Dies aber steht im
Gegensatz zu den Vorgaben der Bundesregierung, dass die Reform der Eingliederungshilfe zu keiner
neuen Ausgabendynamik führen darf.
Genau an diesem Widerspruch wird das neue Bundesteilhabegesetz zukünftig gemessen werden
und wird sich bei der Reform der Eingliederungshilfe entscheiden, ob diese zu einer Verbesserung
der Situation von Menschen mit (schweren und schwerstmehrfachen) Behinderungen geführt hat und
ob damit ein echter Fortschritt hin zu umfassender Teilhabe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention erreicht wurde.
Ansprechpartner: Gerold Abrahamczik
(Sprecher des Beirats der Angehörigen im Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V.)
Email: [email protected]
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Der Beirat der Angehörigen im Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. (CBP) ist ein von
den Angehörigen in den rd. 1.000 Mitgliedseinrichtungen des CBP gewähltes Gremium. Wir vertreten die Interessen unserer Kinder, Ehe- und Lebenspartner, die sich wegen der Schwere ihrer Behinderung nicht oder nur
sehr eingeschränkt äußern können sowie unsere Interessen als Angehörige von Menschen mit Behinderung.
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