Vorlesung 04

Epidemiologische Grundlagen und Beiträge
Die Suche nach den Ursachen psychischer Störungen I:
Kap. (3, 14, 15)
Vorlesung 3
Klinische Psychologie und Psychotherapie I – Einführung in die allgemeinen Grundlagen
Die Kernfragen nach den Ursachen psychischer Störungen
Organische
Ursachen?
Gibt es überhaupt „Ursachen“ (Kausalität?)
Gibt es einfache Grundmodelle?
Lässt sich das so reduzieren?
Psychische
Ursachen?
Beides?
Soziale
Ursachen?
Oder ist das alles komplizierter?
Welche Zugangswege habe ich?
Was muss ich bei deren Identifikation und
Prüfung beachten?
Welche Grenzen und Optionen haben die
verschiedenen Paradigmen?
2
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Es gibt aktuell viele verschiedene Modelle,
Herangehensweisen und Perspektiven
Welche sollte ich kennen und was sollte ich wissen?
3
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Beispiele für einfache (richtiger: vereinfachte!) wissenschaftliche
Modelle
Modelle
Störungserklärungs-Ansatz
Psychoanalytische
Frühe Es-, Über-Ich-, Ich-Störungen
Psychodynamische
Ich-Struktur Defekte
Epidemiolog./soziologische
Schicht- und Desintegrationsannahmen (Epidemiologie)
Neurobiologische
Transmitter/genetische Steuerung (z.B. HPA/Vererbung)
Neuroanatomische
Neuronale Schädigung
(Infektionsmodelle)
Epidemiologie (Suizid, Schizophrenie, Depression - Bora)
Konditionierungs-
Psychische Störungen werden gelernt (Trauma)
Kognitive Modelle
Dysfunktionale Einstellungsmuster
Psychophysiologische
Gestörte Regelkreise
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Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Grundüberlegungen zur Kausalität
Zeitachse
Familiengenetischer
Faktor:
z. B. Mutter
Depression
Outcome
TemperamentsFaktor:
z. B. Kind ist schüchtern,
ängstlich (BI)
Prozess
??
Beginn einer Major
Depression im Alter
von 18 (nach der
Trennung vom Freund?)
Faktor
Geschlecht:
Blackbox
weiblich
Diathese = Vulnerabilitäten
z.B. Stress = proximale Auslöser
Distale (entfernte Faktoren)
und Prozesse
5
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Wie findet man die entscheidenden Ursachen heraus?
Dies ist eine Ursachenfrage = Ätiologiefrage/Bedingungswissen
= grundlegende Wissenschaftsfrage = Voraussetzung für Intervention
Was ist ein Risikofaktor?
Was ist eine Vulnerabilität?
Was will ich vorhersagen? Beginn, Verlauf
Wie kann man Wechselwirkungen unterscheiden?
Multikausale/multimodale Modelle
Komplizierende Faktoren I bei der Beurteilung von Risiko und Vulnerabilität:
Entwicklung, Reifung, Komorbidität
Komplizierende Faktoren II: Störungsdynamik (kurz, lang, fortschreitend etc.)
6
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
In dieser Population, für diesen Faktor kann gezeigt werden, dass...
7
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Konzeptueller Rahmen psychische Störungen: z.B.
Depression
Wie findet man die entscheidenden Ursachen heraus - Designmöglichkeiten
Design
Merkmale
Fallstudien (beobachtend)
ein Patient (Querschnitt oder
Verlauf)
schlecht generalisierbar,
hypothesengenerierend
Fallstudien (experimentell)
2+ Patienten (Variation einer
oder mehrerer Variablen
schlecht generalisierbar,
hypothesengenerierend
Querschnittsstudien
(beobachtend)
Patienten (Querschnitt,
retrospektiv Verlauf)
nur für Gruppe generalisierbar,
retrospektiv (Fehler?),
fehlschlussanfällig,
hypothesengenerierend
Kontrollierte
Querschnittsstudien (quasiexperimentell, Kohortenstudie)
mehrere Gruppen nach
Merkmalen (z.B. nach familiärer
Belastung)
nur für Gruppe generalisierbar,
retrospektiv (Fehler?),
fehlschlussanfällig, aber spezifische
Hypothesentestung
Obige Designs an
repräsentativer Stichprobe
Variationen w.o.
Besser generalisierbar, aber
Patienten- oder Bevölkerungen
retrospektiv (Fehler?),
fehlschlussanfällig, aber spezifische
Hypothesentestung
Prospektive Verlaufsstudien
2+ Verlaufsuntersuchungen
experimentell oder beobachtend
wenn an repräsentativen Gruppen
(Patienten, Bevölkerung, Kohorte)
9
generalisierbare kausale Faktoren
identifizierbar
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Bedeutung und
Merkmale Klinischer
Studien
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Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Störungsübergreifender Teil:
Epidemiologie
Was kann die Epidemiologie zum Verständnis psychischer
Störungen beitragen?
11
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Epidemiologie - Etymologie
Epi
auf, über
Demos
das Volk
Lógos
die Lehre
 Die „Lehre über das Volk“
Griechischer Wortstamm
Was ist Epidemiologie: Entwicklung
Ursprünglich (siehe Wortbedeutung!) gleichbedeutend mit der
Epidemien übertragbarer Erkrankungen
Bsp. Chadwick & Snow (1870) oder Pettenkofer in D: Untersuchungen des
Zusammenhangs von Choleramortalität und Trinkwasserversorgung (verunreinigung) durch systematische Registrierung der „Fälle“ nach
Trinkwasserbezug. Dadurch konnte – bereits vor Entdeckung der Ursache
(Choleravibrionen; Robert Koch) – die Cholera erfolgreich bekämpft werden.
Rudolf Virchow: Studien zum Zusammenhang von Armut, Hunger und
epidemischen Auftretens von Typhus (Oberschlesien)
Robert Koch: Entdeckung der bakteriellen und viralen Entwicklungswege
Nach Rückgang der Infektionskrankheiten seit den letzten 60
Jahren– erweiterte sich die Epidemiologie auf das gesamte
Spektrum körperlicher und psychischer Störungen
Seit 1997 ist das Robert Koch Institut für Deutschland die
verantwortliche nationale Koordinationsstelle
13
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
14
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Die epidemiologische Trias
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Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Was ist Epidemiologie: Definition
Feststellung der Krankheitsverteilung über Raum und Zeit in Abhängigkeit
von Umwelt, Organismus und Persönlichkeit (deskriptive E.)
Untersuchung von Entstehung, Verlauf und Ausgang von Erkrankungen
(analytische E. / Vervollständigung der klinischen Forschung)
Ermittlung von individuellen Krankheitsrisiken
Prüfung von Hypothesen über kausale Beziehungen zwischen
Umweltfaktorten, Krankheit und Person (analytische E.; quasi-experimentelle
Designs)
Entwicklung, Ableitung, Evaluation von präventiven Interventionen
Verwandte Begriffe administrative E., Versorgungsepidemiologie, genetische
Epidemiologie, Public Health
16
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Epidemiologische Grundlagen und Konzepte
17
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Epidemiologische Grundlagen und Konzepte
18
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Was ist Epidemiologie: E.-Maße
19
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Was ist Epidemiologie: E.-Maße
20
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Epidemiologische Perspektive
General population
(or fractions thereof (i.e age groups)
Epidemiological approaches allow a representative description
and thus complete clinical descriptions without biases such as
severity, helpseeking and treatment effects
Persons with (i.e. anxiety or depressive) symptoms
Persons with (i.e MDE) syndromes
Untreated cases with DSM-IV disorders (MDD)
Treated patients
Primary care
MH-specialists
Clinical
research
samples
21
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Epidemiologische Grundlagen und Konzepte
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Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Untersuchungsdesigns in der analytischen Epidemiologie
23
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Untersuchungsdesigns in der analytischen Epidemiologie
24
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Epidemiologische Ansätze
Was kann man damit machen?
Was kann man damit erreichen, wenn es um die
Aufklärung von Ätiologie geht?
Beispiele aus der deskriptiven und
aus der analytischen Epidemiologie
25
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
1. Beispiel
Die psychische Gesundheit der Deutschen
Ergebnisse des German National Health Interview and
Examination Survey – Mental Health Supplement
(GHS-MHS)
H.-U. Wittchen, Susanne Winter, Hildegard Pfister
Max-Planck Institut für Psychiatrie
München
Institut für Klinische Psychologie und
Psychotherapie
26
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Der Bundes-Gesundheitssurvey (GHS-MHS)
Ziele und Methoden (Das Gesundheitswesen 1998,S.59-S.114)
Erster bundesweiter Morbiditäts- und Gesundheitssurvey
Ziel: Diagnosenspezifische umfassende Gesundheitsberichterstattung (Prävalenz,
Risiken, Korrelate)
Modularer Aufbau
Ärztlich-medizinische & klinisch-psychologische Untersuchungsteams
Repräsentative bundesweite Einwohnermeldestichprobe, N=7200 Personen in 120
sample points (Ausschöpfung 87,6%)
Zwei-stufiges Vorgehen (two stage design)
Alle Kernsurvey-Teilnehmer: Stammfragebogen-Screening
Alle Screen-Positiven und 50% der Screen-Negativen wurden untersucht (N= 4181)
Standardisiertes Interview (CIDI) zur Erfassung von 42 ICD-10 und DSM-IV
Diagnosen
Auswertung: gewichtet (Screening, Ausfälle, Bundesrepräsentativität)
27
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Die Module des Bundesgesundheitssurveys
(1998/99)
28
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Der Bundes-Gesundheitssurvey (GHS-MHS)
12-Monatsprävalenz psychischer Störungen (DSM-IV)
nach Alter und Geschlecht
Jeder Dritte im Alter von 18-65 ist betroffen!
12-Monatsprävalenz
50
Männer
40
38
36
33
30
25
Gesamt
37
37
36
31
29
Frauen
35
31
31
31
26
25
25
24
18
20
10
0
18-29
30-39
40-49
50-59
60-65
Total
Altersgruppe
Wittchen, H.-U., Pfister, H., et al. (2000). Zusatzsurvey "Psychische Störungen"
(Bundesgesundheitssurvey 98): Häufigkeit, psychosoziale Beeinträchtigungen und
Zusammenhänge mit körperlichen Erkrankungen (Schlussbericht). München: MPI
29
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Was ist Epidemiologie: E.-Maße
30
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Der Bundes-Gesundheitssurvey (GHS-MHS)
12-Monatsprävalenz von Angststörungen
(18-65 j.)
(gewichtete % und Angaben in Millionen Bundesbürgern)
davon
Agoraphobie
0,97 Mio.
Panikstörungen
1,12 Mio.
2,0
7,6
2,0
0,97 Mio.
Soziale Phobie
Generalisierte Angststörung
0,73 Mio. 1,5
Angststörung NNB
1,65 Mio.
irgendeine Angststörung
Angststörung1
6,91 Mio.
0
Männer
%w
3,1
1,0
3,0
1,7
13,5
5,9
3,5
2,2
2,1
1,0
4,9
1,9
19,5
9,0
2,3
3,7 Mio.
Spezifische Phobien
Frauen
%w
3,4
2
4
6
8
10
14
1
ohne Zwangsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung
² Prävalenz alte Bundesländer: 14,21%; Prävalenz neue Bundesländer: 14,25%
31
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Unterschiedliche Prävalenzraten für Depression in Abhängigkeit der
verwendeten Zeit- und Schweregrad-Kriterien
32
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Was ist Epidemiologie: E.-Maße
33
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Was ist Epidemiologie: E.-Maße
Zentrale Voraussetzung:
genaue Definition der Bezugspopulation,
repräsentative Stichprobe oder Totalerhebung,
reliable Falldefinition, Wahl des adäquaten Designs
34
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Kumulierte Inzidenz für ausgewählte Angststörungen
Specific Phobia - Natural Environment
0.06
0.1
0.09
0.08
0.07
0.06
0.05
0.04
0.03
0.02
0.01
0
male
female
Cumulative Hazard Rates
Cumulative Hazard Rates
Specific Phobia - Animal
0.05
0.04
male
female
0.03
0.02
0.01
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
22
2
24
4
6
8
12
14
16
18
20
22
24
Age of Onset
Age of Onset
Specific Phobia - Situational
Specific Phobia - Blood, Injection, Injury
0.08
0.06
0.07
0.06
0.05
male
0.04
female
0.03
0.02
0.01
Cumulative Hazard Rates
Cumulative Hazard Rates
10
0.05
0.04
male
female
0.03
0.02
0.01
0
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Age of Onset
18
20
22
24
2
4
6
8
10
12
14
16
Age of Onset
18
20
22
24
35
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Was ist Epidemiologie: E.-Maße
36
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
12-Monats-Komorbidität psychischer Störungen
(Wittchen et al. submitted)
Zusammenfassung: Epidemiologie und Spontanverlauf
psychischer Störungen
Lebenszeitrisiko psychischer Störungen insgesamt: 43%
12-Monatsprävalenz: 31%; Männer : Frauen = 1 : 2
Ausgeprägte Lebenszeit- und Querschnittskomorbidität
Ersterkrankungsrisiko: diagnostisch unterschiedlich, z. B.
frühe Störungen (Alter <20): Phobien, Drogen-, Ess- und somatoforme Störungen
(Ausnahme Schmerzsyndrome)
spätere Störungen: Panikstörung, Generalisierte Angst, Alkohol, Depression
Verlauf: variabel
eher episodisch: affektive Störungen (Major Depression, Bipolare)
eher persistierend/chronisch: Alkoholabhängigkeit, Angststörungen, somatoforme
Störungen, Dysthymie
hohe Spontanremission: frühe Phobien, Drogenmissbrauch
38
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
2. Beispiel
Sind psychische Störungen in den neuen
Bundesländern häufiger?
Der Bundes-Gesundheitssurvey (GHS-MHS)
Psychische Störungen in Ost und West
Hypothese:
Die Wiedervereinigung (BRD kauft DDR) hat in der Ost-Bevölkerung eine generalisierte
Hilflosigkeit ausgelöst.
Der sozioökonomische Status der Ost-Bevölkerung ist niedrig!
Beides sollte in erhöhter psychischer Morbidität resultieren!
39
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Was ist Epidemiologie: E.-Maße
40
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Sind die neuen Bundesländer (Ost) häufiger von psychischen
Störungen betroffen als die alten (West) (Jacobi et al in press)
12-Monats-Prävalenz (%)
35
31,9
30
28,1
OR: 1,2*
25
20
Nein – im Gegenteil - es
finden sich Hinweise auf
höhere Morbidität im
Westen:
15
12
11,5
10
10
8,3
4,8
5
Angststörungen
Depressionen
Somatoforme Stör.
Substanzabhängigk.
Gesamt
3,3
- Substanzstör. (Drogen)
- Somatoforme Stör.
- Depressionen
0
Ost
West
* OR kontrolliert nach Geschlecht, Alter, Schicht und körperlicher Morbidität
41
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Wie kann ich den Risikostatus eines Faktors quantifizieren?
Das Odds ratio
42
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Wie kann ich den Risikostatus eines Faktors quantifizieren?
Das Odds ratio
43
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Wie kann ich den Risikostatus eines Faktors quantifizieren?
Das Odds ratio
44
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
4-Wochenprävalenz (%, 95% CI, gewichtet) affektiver Störungen*
nach neuen und alten Bundesländern
Altersgruppe
Alte BL
% 95%CI
Neue BL
% 95%CI
OR Geschlecht
18 - 29
5,4 (3,7 – 7,8)
2,3 (1,1 – 5,0)
2,44*
30 – 39
5,8 (4,3 – 7,8)
3,8 (2,3 – 6,1)
NS
40 – 49
6,1 (4,5 – 8,3)
5,1 (3,2 – 8,1)
NS
50 – 59
8,5 (6,5 – 11,0)
8,0 (5,6 – 11,4)
NS
60 – 65
8,6 (5,6 – 13,0)
5,8 (2,8 – 11,5)
NS
Gesamt
6,7 (5,8 – 7,7)
4,8 (3,8 – 6,1)
1,41*
* Major Depression, Dysthymie, Bipolare Störungen
45
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Der Bundes-Gesundheitssurvey (GHS-MHS)
Zusammenfassung: Ost-West Unterschiede
Insgesamt ergeben sich keine signifikanten Unterschiede in psychischen
Morbidität
Wenn überhaupt, sind - mit einer Ausnahme - die Prävalenzen eher höher in
den alten Bundesländern
Dies gilt auch bei Berücksichtigung von spezifischen Diagnosen, Alter und
Geschlecht sowie Schweregrad
Raten für Angststörungen sind fast identisch
Raten für Affektive Störungen tendenziell, und für somatoforme Störungen
deutlich höher in den alten Bundesländern
Bemerkenswert angesichts der ätiologisch relevanten und in den neuen
Bundesländern höheren Risikokonstellationen (Arbeitslosigkeit, Unsicherheiten,
Perspektiven, „Hilflosigkeit“)
46
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Mögliche Ursachen?
Im Osten höhere selektive Ausfälle? Nein – im Screening keine
Unterschiede Teilnehmer vs. Nicht-Teilnehmer
Im Osten systematischer response bias? Unwahrscheinlich – warum
dann nicht bei Angst, warum kein Unterschied in Symptomfragebögen?
Es gibt wirksame Kompensationsmechanismen (Gefühl größeren
Zusammenhalts im Osten angesichts des „gemeinsamen
Feindes“ (der Wessi – ich bin nicht schuld!) ?
Keine gravierenden Schichtunterschiede (es geht allen schlecht!)
da Unterschied bei somatoformen Störungen am größten –
Zusammenhang mit Angebotslage? Möglich, da im Osten bedeutsam
weniger versorgt werden! (Iatrogene Einflüsse oder Instrumentenbias?)
47
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Wie kann ich den Risikostatus eines Faktors quantifizieren?
Das Odds ratio
Diagnose bei Eltern
Soziale Phobie
Diagnose bei
Kindern
nein
ja
nein
253
126
ja
7
45
Lieb, et al. (2000) Parental psychopathology, parenting styles, and the risk for social phobia in offspring: Arch Gen Psych
Odds ratio: 4.7** (95% CI: 1.7-13.0)
** p<0.05: controlled for age and sex
48
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Beispiel 1: Cumulative risk of onset of offsprings social
phobia development by age and parantal diagnostic
status:EDSP prospective-longitudinal data
1-cumulative lifetime incidence
1
0,98
0,96
no parental psychopathology
0,94
parental social phobia
0,92
0,9
0,88
0,86
0,84
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
age
49
Lieb, et al. (2000) Parental psychopathology, parenting styles, and the
risk for social phobia in offspring: Arch Gen Psych
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Bsp: Wenn Kinder (-14) eine (primäre) Angststörung haben, wie hoch
ist ihr Risiko über 5 Jahre eine sekundäre Depression zu entwickeln?
OR (95% CI)
Primäre Angstst.
Soziale Phobie
2.68 (1.6-4.5)
22,5
Spezifische
Phobie
1.76 (1.2-2.5)
15,5
Agoraphobie
27,1
GAD
3.01 (1.5-6.2)
4.2 (2.1-8.5)
32,5
Panikstörung
24,1
irgendeine
2.6 (0.9-7.8)
2.1 (1.5-2.9)
16,3
keine
Angststörung
7,9
0
5
1.0
10
15
20
25
30
% aller Fälle mit sekundärer Depression
35
Kontr. nach:
Alter, Geschlecht,
anderen Störungen
50
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Störungsübergreifender Teil:
Soziologische Ansätze
51
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Soziologische Modelle
Die Schicht-Hypothese (Hollingshead & Redlich 1956):
Die Bevölkerung kann hinsichtlich ihrer Lebensbedingungen in regelhafte
„Schichten/Klassen“ (Bildung/Einkommen/Prestige) unterteilt werden. Diese Klassen
bedingen systematisch Unterschiede im Gesundheits-/ Krankheitsstatus.
Das Anomie- Konzept (Durckheim 1970):
Bestimmte Bevölkerungsschichten sind durch ein hohes Ausmaß an Desintegration
gekennzeichnet, dabei spielt die mangelnde Einbindung in soziale Beziehungen
(Anomie) eine entscheidende Rolle.
Das soziale Hilflosigkeitskonstrukt (Seligmann 1991):
Säkulare und andere Zeittrends bedingen bevölkerungsbezogen ein generalisiertes
Gefühl der „Hilflosigkeit“, diese führt zu erhöhter Morbidität
52
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Soziologische Ansätze
Soziologische Theorien haben in den 50er Jahren unter Einfluss der Chicago
School psychische Störungen als Folge diverser soziologischer Konstrukte
interpretiert. Diese Arbeiten haben bis heute großen Einfluss zum Beispiel im
Zusammenhang mit Theorien zur sozialen Integration:
Beispiele: Durckheim (Anomie und Suizid)
Hollingshead (Soziale Desintegration / soziale Schicht)
53
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
12-Monatsprävalenz psychischer Störungen nach
Altersgruppe und sozialem Schichtstatus
12-Mo.-prävalenz
40
35
30
Es ergeben sich signifikant
höhere Prävalenzen
psychischer Störungen bei
Unterschichtprobanden –
bei älteren stärker
ausgeprägt als bei
Jüngeren
34,3
30,1
28,1
28,6
26,3
25,2
25
20
15
10
5
0
18-35
Unterschicht
36-65
Mittelschicht
Altersgruppe
Oberschicht
54
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
12-Monatsprävalenz suizidalem Verhaltens nach
Altersgruppe und sozialem Schichtstatus
12-Mo.-prävalenz
5
4,5
4
3,5
3
2,5
2
1,5
1
0,5
0
4,3
4,1
Es ergeben sich höhere
Prävalenzen suizidaler
Handlungen bei
Unterschichtprobanden
3,9
2,6
18-35
Unterschicht
2,5
36-65
Mittelschicht
(Differenz Ober- vs.
Unterschicht)
2,2
Altersgruppe
Oberschicht
55
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Ist die Anomie Erklärung stichhaltig?
Nein – weder Schicht noch Anomie sind an sich machtvolle Risikofaktoren,
bestenfalls sind sie Moderatoren oder Folgen
die aktuelle Befundlage, dass z. B. folgende Aspekte wichtig sind:
Personen mit sehr niedrigem SES sind stärkerem sozialen Stress ausgesetzt
(Arbeitslosigkeit, Arbeitsunsicherheit)
Sie haben geringere soziale (Netzwerk, Freizeit) und kognitive Ressourcen
(Information, Wissen über Risiken)
Sie haben schlechteres Gesundheitsverhalten
(Rauchen, Alkohol, Bewegung)
Sie haben geringere persönliche Ressourcen (effiziente Coping Strategien finden sich
eher in höheren Schichten)
Henne oder Ei? Die meiste Varianz wird dadurch erklärt, dass Personen mit
psychischen Störungen eine schlechtere Sozialisation (schulisch, sozial,
beruflich) haben und deshalb sind sie häufiger in unteren SES zu finden! („social
drift“ Hypothese)
56
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
4. Beispiel
Versorgungsepidemiologie
Wie viele werden „behandelt“?
Kontakt mit professionellen Diensten klinischer wie ambulanter Art (einschließlich
Hausarzt) ungeachtet Häufigkeit, Art und Adäquatheit der Intervention
57
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Problem 1: Behandlungsraten psychischer Störungen sind niedrig:
Behandlungsraten nach Alter und Geschlecht bei DEGS Lifetime und 12-Monats Fällen
In %
100
Lifetime:
90
18-34
35-49
50-64
65+
Frauen > Männer
8-34-Jährige
niedrigste Rate
80
70
60
49,4
50
36,3
40
30
39,1 40,1
Anstieg mit Alter
(Dauer Störung?
Komorbidität?)
51,8
43,4
46,2
25,5
23,3
20
15,8
12-Monatsraten
27,5
21,9
14,1
13,3
9,2
10
4,5
0
Männer
Frauen
A. Lifetime Diagnose und
lifetime Behandlung
Männer
niedrig für junge
Männer und Altere
(65+)
Gesamt: M:11,6%,
F:23,5)
Frauen
B. 12-Monats Diagnose und 12Monats Behandlung
Mack et al in IJMPR 2013
Problem 2: Versorgungslage bessert sich
Veränderungen im Vergleich zu 1998 verbessert? (siehe
Psychotherapeutengesetz und Reformbemühungen)
NGS 1998
DEGS
2011
Differenz
Psychotische Störungen
56,5
73,3
+16,8%
Affektive Störungen
49,7
56,5
+ 9,8%
Angststörungen
47,8
48,7
+ 0,9
Somatoforme
40,4
50,6
+10,2%
Esstörungen
36,4
44,3
+7,9%
Suchterkrankungen
34,1
35,9
+1,8%
Diagnosegruppe
Wittchen et al 2001, 2012, Bundesgesundheitsblatt; Mack et al in IJMPR 2013
Bilanz Versorgung: Die Versorgungssituation psychischer
Störungen ist defizitär
In Europa und Deutschland werden trotz effektiver medikamentöser und
psychotherapeutischer Verfahren …
 Nur 30-52% (je nach Land ) überhaupt vom Versorgungssystem erfasst
 Nur 8-16% vom spezialierten Sektor für psychische Störungen
 Nur 2-9% erhalten eine minimal adäquate Therapie
 Medikamente >1 month plus > 4+ Besuche oder >8 Sitzungen Psychotherapie
 Wenn Behandlung, dann Medikamente, Psychotherapie nur für 0-3% aller Betroffenen
 Die Behandlung erfolgt viel zu spät (Median 15.6 Jahre nach Krankheitsbeginn)
 Das Ausmaß der Unter-, Fehl und verzögerten Versorgung psychischer Störungen
ist unter allen Krankheiten einzigartig
 Die Situation wird sich verschlimmern allein aufgrund der demographischen
Entwicklung
Ursache: Die Anzahl von Behandlern/Einrichtungen entspricht kapazitär bei weitem
nicht dem Ausmaß des Problems, Integration der Sektoren und Maßnahmen sowie
Kontinuität mangelhaft
Wittchen et al 2012, EJN, Wittchen Lancet 2013
Die gesellschaftliche und
gesundheitsökonomische Belastung
durch psychische Störungen
Wie beeinträchtigend sind psychische
Störungen?
Anteil psychischer Störungen mit Einschränkungen in
den vergangenen 4 Wochen (Harvard Index) und mittlere
Anzahl von Arbeitsunfähigkeits- und
Einschränkungstagen im vergangenen Monat
62
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Mental disorders = disorders of the brain = always always
associated with functional impairments and disabilities
Examples (Kessler et al 1996, Stein et al 1999, Wittchen et al 2002)








leaving school early, drop-out, lower educational attainment

Cognitive impairments and disabilities
Missing social-developmental milestones
Sick leave days and reduced work productivity
being unemployed and lower income
being single or divorced,disruption of family life
Dissatisfaction/disruption friends and leisure activities
smaller density of network, dependency on others
decreased quality of life, social skills, competence




Intellectual disability (like in dementias)
Attention, concentration, memory,
executive functions
Decision making, volition
Personen mit akuten psychischen Störungen haben extrem hohe
Krankheitstage - nach Abklingen der Symptomatik Normalisierung
Mittlere Anzahl Krankheitsausfalltage/Monat
Bei Vorliegen akter
psychischer Störungen
vervielfacht sich die Zahl
der Ausfalltage von
0,3/Monat auf 2,1.
Bei Besserung und
Remission kommt es zu
einer Normalisierung (0,4
Tage)
Bei Vorliegen
somatischer UND
psychischer
Erkrankungen weitere
Steigerung
DEGS: Wittchen et al in prep
Status psychische Störung
Wie beeinträchtigend sind psychische Störungen?
% mit Beeinträchtigung und mittlere Anzahl der Tage/Monat
% beeinträchtigt mind.
1 Tag
Mittlere Anzahl Tage
soziale
63,6
9,6
spezifische
33,1
4,3
GAE
61,1
11,5
Affektive Störungen
49,7
7,6
Panikstörung
49,0
8,5
Drogenabhängigkeit
39,2
1,9
Psychotische Störungen
37,3
5,1
Alkoholabhängigkeit
25,6
2,1
Keine Diagnose
4,8
0,2
1 Diagnose
15,3
1,4
2 Diagnosen
35,9
3,7
3 Diagnosen (und mehr)
70,3
11,8
Phobien
65
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
In Europa und Deutschland sind psychische Störungen für den
größten Anteil der Krankheitsbelastung verantwortlich
YLD (=Verlust gesunder Lebensjahre)
DALY: (Disability adjusted Life years)
28%
42%
58%
Psychische Störungen
72%
Andere Krankheitsgruppen
 Psychische Störungen sind einschränkender (years lived in disability: 42%), nicht

66

aber tödliicher (disability adjusted life years,DALY: 28%) als andere Krankheitsgruppen
Die hohe Behinderungslast ergibt sich aus der hohen Prävalenz, dem
häufigen frühen Beginn, dem persistierenden Verlauf und defizienter
Versorgung.
Höchste DALY-Werte für: Depressionen, Sucht, MS und Angsterkrankungen
The new EU data 2011: Depression has become the largest single
contributor to DALY of all diseases in Europe:
DALY proportions (%) of
all causes
In previous estimations
(WHO) for depression
15
9,2
10
9,8
7,8
5,2
5
0
1990
2000Heidelberg:
2005 Springer.
2030
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie.
Als Ergebnis der Häufigkeit psychischer Störungen und ihrem
Behinderungsausmaß sind die Gesamtkosten in Europa immense
Kosten in Millionen € (standardisiert) 2010
Anteil nach Kostenart
Direkte Gesundheitskosten:
Andere Kosten:
Indirekte Kosten:
211.007
152.956
310.625
Gesamt “psychische Störungen
674.588
Gesamt ‘psychische und
Neurologische Erkrankungen: 797.725
In 2010, ergeben sich für psychische Störungen in
Europa Gesamtkosten von € 674.000 Millionen
(Deutschland: 122.111 Mill. €)
Die Gesamtkosten unter Einbezug neurologischer
Erkrankungen sind für Europa €797.725 Millionen
68
Diese Schätzungen werden durch die “tatsächlichen direkten
Ausgabezahlen” gestützt:
69
Aber die direkten Therapiekosten einzigartig niedrig!: Ein
Vergleich
Anxiety
directhealth
care
direct
other
Ungleich anderer
Erkrankungen ist die
Kostenstrukur
hauptsächlich durch
indirekte Kosten bestimmt
CVD
indirect
direct
other
directhealth
care
indirect
Selbst bei Depressionen
sind die direkten
Behandlungskosten
extrem niedrig!
Depression
directhealth
care
indirect
direct
other
Würde eine Erhöhung der
direkten Kosten nicht eine
überproportional große
Reduktion der indirekten
kosten bedingen?
Diabetes
indirect
direct
other
directhealth
care
Arbeit und Arbeitswelt:
Veränderbarer Risikofaktor oder
protektive Ressource?
Depression und andere psychische Störungen sind am
häufigsten bei Personen ohne Arbeit
12-month prevalence (%)
60
55,7***
in Arbeit
keine Arbeit
50
arbeitslos
40
37,8
33,5
35
37,8
36,4
33,5
***
30
20,9
In beiden Geschlechtern sind die
Morbiditätsraten am Niedrigsten bei
denen die in einem Arbeitsverhältnis
stehen
Bei Arbeitslosen ist die
Morbiditätsrate 2-3- fach erhöht
20,9
20
10
0
Männer
Frauen
Total
Jacobi et al (in press) IJMPR
Ein erhöhtes Ausmaß der empfundenen arbeitsbezogenen Imbalanz
(ERI) erhöht das Risiko einer psychischen Störung
Morbiditätsrate
12-Monatsprävalenz (%)
50
Degree of imbalance
niedrig
mittel
hoch
40
35,3
Das Effort-Reward Imbalance Model (ERI,
Aufwand-Belohnungs Imbalanz) von
Siegrist ist ein etabliertes standardisiertes
Maß, das sich aus drei Komponenten
zusammensetzt:
30
25,6
20,2
Aufwand/Anstrengung
Belohnung
Überidentifikation
20
Hohe Imbalanz ist mit schlechterer
Gesundheit und einem Abfall der
Arbeitsproduktivität assozziert
(Siegrist et al. 2004).
10
0
Morbiditätsrate nach Ausmaß der Imbalanz
Jacobi et al (in press) IJMPR
Aber es gibt viele weitere Einflussfaktoren - Beispiel:
Geschlecht und Alter
12-Monat Morbiditätsrate (%)
60,0
60,0
niedrig
49,9
50,0
mittel
hoch
niedrig
mittel
hoch
50,0
43,3
41,2
**
40,0
35,7
40,0
36,4
34,3
37,7
***
30,0
30,0
27,1
25,0
25,0
23,5
20,0
20,0
16,7
14,8
12,8
14,7 13,8
16,7
14,8
10,0
10,0
0,0
0,0
F 18-34
F 35-49
Frauen
F 50-65
M 18-34
M 35-49
Männer
M 50-64
Der Zusammenhang zwischen Arbeit und psychischer
Krankheit ist komplex: Ressource oder Risikofaktor?
• Es gibt vielfältige Alters- und Geschlechts Effekte bezüglich des Imbalanzmodells und seiner Komponenten - einfache Schlussfolgerung schwierig
• z.B. Jüngere klagen über fehlende Transparenz, und Unsicherheit,
• Ältere über Monotonie, fehlende Rückmeldung und multitasking)
•Wir haben die Komplexität erkannt, aber kausale Modelle fehlen
•
•
•
•
Partizipation in sozialen Rollen ist protektiv
Machbare Herausforderungen stärken das Gehirn und die Stress Ache
Arbeitsplatzbezogene Maßnahmen können positive und negative Effekte haben
Wir wissen noch nicht, wann, wie und bei welchen Risikogruppen gezielte Maßnahmen und
Prävention greifen
• Gutgemeinte Prävention kann negative Folgen haben
Die (unrealistische?) Vision eines guten Lebens ?
Herausforderungen
• Arbeit ist nur eine
Komponente
• Ziele
• „Hollywood?“
• Problemreduktion?
• Machbarkeit
• Wissen
• Machbarkeit
• Kontinuität
• Nachhaltigkeit
• Transparenz
Zusammenfassung:
Der Beitrag der Epidemiologie und
sozialwissenschaftlicher Perspektiven
Epidemiologische Methoden bieten einzigartige Möglichkeiten für ein besseres
Verständnis psychischer Störungen
Vervollständigung klinischen Wissens
Fehlerfreie Abschätzungen zur relativen Bedeutung von Faktoren
Grundlagen für Versorgungsplanung und Prävention
Verständnis des Spontanverlaufs
Etc.
Sie sind auch unverzichtbar bei der sachgerechten Aufklärung der
Bevölkerung und Betroffener
In Kombination mit psychologischen und genetischen Ansätzen sind sie
der machtvollste Ansatz um Vulnerabilitäts-Risiko-Modelle zu prüfen
77
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Prüfungsschwerpunkte I
1.
Erläutern Sie die “Epidemiologische Trias”!
2.
Geben Sie Beispiele für unterschiedliche Falldefinitionen, die in einer
epidemiologischen Studie herangezogen werden können!
3.
Definieren Sie folgende Begriffe: Prävalenz, Inzidenz, Risikofaktor,
Komorbidität, Odds Ratio.
4.
Welche Heuristiken kann man im epidemiologischen Kontext heranziehen,
um gefunde (korrelative) Zusammenhänge hinsichtlich der Kausalität
praktisch zu beurteilen?
5.
Welche Qualitätskriterien zeichnen gute bzw. valide epidemiologische
Studien aus?
6.
Wie häufig sind psychische Störungen? Hierbei kommt es nicht auf exakte
Prozentangaben an, sondern um einige zentrale Aussagen, aus denen
hervorgeht, dass Sie wissen, dass es die Prävalenz psychischer Störungen
so nicht gibt, d. h., dass Sie die Randbedingenen kennen, hinsihctlich derer
die letztendlichen Prozentwerte zu interpretieren sind!
78
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.
Prüfungsschwerpunkte II
1.
Überlegen Sie sich mögliche inhaltliche und methodische Gründe für den
Befund aus dem Kasten zu psychsichen Störungen in Ost- und
Westdeutschland.
2.
Beziehen Sie Stellung zur Lage der Versorgung psychsicher Störungen!
3.
Nennen Sie Ansätze, um mit epidemiologischen Studien ätiologische
Fragestellungen zu untersuchen (analytische Epidemiologie)!
4.
Inwiefern sind psychsiche Störungen teure (d. h. mit hohen
gesellschaftlichen Kosten verbundene) Störungen?
79
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.