Kein Folientitel - Heinrich Detering

Der Islam
in der deutschen Literatur
Heinrich Detering, WS 2015/16
Sure 1, „al-fātiha“, „Die Eröffnende“
Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen.
Lobpreis sei Gott, dem Herrn der Weltbewohner,
dem Erbarmer, dem Barmherzigen,
dem Herrscher des Gerichtstags!
Dir dienen wir, dich rufen wir um Hilfe an.
Leite uns den rechten Weg,
den Weg derer, denen du gnädig bist,
nicht derer, über die gezürnt wird,
noch derer, welche irregehn!
Koran
Entstehung in der Spätantike
im Dreieck von
• paganem polytheistischem Heidentum
• arabischen Ausprägungen des frühen
Christentums
• Judentum
EDRIS-Forschungszentrum
Göttingen; jetzt SFB 1136;
Forschungen von Angelika Neuwirth (Berlin), Hartmut Bobzin
(Erlangen) u. a.
Versuch, der Koran zu lesen:
Fremdheit (Unterschiede zur Bibel: die
Suren, ihre Ordnung, Benennung
Komposition, Beschaffenheit)
Vertrautheit (biblische Prätexte, AT und NT)
Textsorten: apokalyptische Mahnungen und
Prophetie, Psalmen, Weisheitslehren bis hin
zu Rechtslehren, auch erzählende Passagen
(aber eingebettet in Lobpreis und Lehre)
Transformationen biblischer Texte –
und früher christlicher Theologie: Lehre
vom „mehrfachen Schriftsinn“
(Maria als „Schwester Mirjams“)
Der Koran als Offenbarungsträger
zunächst dominierende apokalyptische
Perspektive
radikaler Monotheismus, in positiver und
negativer Bestimmung
positive Bestimmung:
• lobpreisende Verehrung Gottes,
• Wertschätzung der Propheten bis hin zu
Jesus
• aus dem Gotteswillen abgeleitete
Anweisungen für das tägliche Leben – im
Ritual wie im sozialen und Rechts-Wesen
• Universalitätsanspruch
Der Koran als Offenbarungsträger
zunächst dominierende apokalyptische
Perspektive
radikaler Monotheismus, in positiver und
negativer Bestimmung
negative Bestimmung:
• Zurückweisung der Erbsündenlehre und
der existenziellen Erlösungsbedürftigkeit
• Zurückweisung der Christologie
• Zurückweisung des Kreuzes
• Vor allem Zurückweisung aller
„Beigeseller“ (gegen den heidnischen
Polytheismus, gegen die Trinitätslehre)
• Universalitätsanspruch
• große, aber zurückgehende Aufgeschlossenheit gegenüber „Schriftbesitzern“
Der Koran in der
Ganzheitlichkeit seiner Geltungsansprüche
• „Islam“: Unterwerfung, Ergebung (in den
Willen Gottes)
• „Muslim“: der sich in Gottes Willen
ergebende Mensch
• radikale Theokratie
• keine Trennung von ‚zwei Reichen‘
Die „fünf Säulen“:
• Glaubensbekenntnis („Ich bezeuge, dass
kein Gott ist außer Allah, und ich bezeuge,
dass Muhammad Gottes Diener und
Gesandter ist.“)
• rituelle Tagesgebete (fünf im Tageslauf)
• soziale Wohltätigkeit („Almosenpflicht“)
• Fasten (der Ramadan)
• Wallfahrt nach Mekka (die „Hadsch“ 622)
Der Koran in der
Ganzheitlichkeit seiner Geltungsansprüche
Von hier aus zwei grundlegende
Rezeptionslinien
innerhalb des Islam:
• Rechtsgelehrsamkeit („Scharia“)
• Mystik (Sufismus)
Der Koran und seine Medialität
• „Koran“: ‚der zu rezitierende Text‘
(Bindung an die arabische Sprache)
• Rezitation
• Kalligraphie
• Mündlichkeit vs. Al-kitab
• ‚Inkarnation‘ des Göttlichen im
Offenbarungsträger
• dagegen der Prophet nur als
Vermittlungsträger
(Dazu grundlegend Navid Kermani:
Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des
Koran, 1999.)
(mit Kalligraphien
von Shahid Alam)
„Dialogizität“?
Der Koran zwischen Monophonie
und Polyphonie
• Fundamentalismus der Textauslegung
• Fundamentalismus der Gegnerschaft
historisch reflektierende Lektüre
• innerhalb des Koran selbst
• in der historischen Kontextualisierung
Beispiele:
• F. D. Logan (Boston): Geschichte der
Kirche im Mittelalter (WBG 2005)
• der Streit um die 9. Sure
• Vergleichsfall Bibel
• explizite Dialogizität der Bibel –
implizite Dialogizität des Koran
• Navid Kermani, Paulskirchenrede 2015
Populäre Rezeption I:
Das Kipferl an sich
– und das
VanilleKipferl
Populäre Rezeption 2:
Karlskirche, Wien
Schwetzingen: Moschee im Jardin Turc
Koran-Zitate
an der Schwetzinger Moschee
(1769-93)
Populäre Rezeption 3:
Mozart, Rondo alla Turca
und
Die Entführung aus dem Serail
Der Islam in der
deutschen Literatur
„Gottes ist der Orient!
Gottes ist der Okzident!
Nord- und südliches Gelände
Ruht im Frieden seiner Hände.“
Rezeptionsals Transformationsgeschichte
Berliner SFB 644: „Transformationen der Antike”
Grundformen kultureller Transformation:
• Übersetzung / Rekombination
• Fokussierung / Ausblendung
• Hybridisierung / Montage
• Rekonstruktion / Ergänzung
• Umdeutung
• Substitution
• Negation
• Ignoranz
Plan der weiteren Vorlesung
Die Aufklärung und der Weg dahin
(von Olearius bis zu Lessing, Nathan der Weise)
Rationalismus und Genieästhetik
(der junge Goethe vs. Voltaire)
Tausendundeine Nacht
(von Bagdad über Weimar bis zu Wilhelm Hauff)
Goethes Divan
Daumer, Rückert, Platen
Orientalismus und Realismus: Freiligrath, Raabe, Karl May
Der Islam in Moderne und Gegenwart