gewerkschaftsspiegel - Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Gewerkschaftsspiegel
Nr. 4/2015
GEWERKSCHAFTSSPIEGEL
Gewerkschaften
Die Jüngeren im Visier
Die Auswertung der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage
sind die 41- bis 50-Jährigen sowie die Über-50-Jährigen. Sie
der Sozialwissenschaften (ALLBUS) zeigt, dass die Ge-
kommen auf 18,3 bis 22,2 Prozent. Damit sind die älteren Ar-
werkschaften jüngst wieder an Verankerung in der Arbeit-
beitnehmer fast doppelt so gut organisiert wie die Jüngeren.
nehmerschaft verloren haben. Im Jahr 2014 gaben 17,5
Prozent aller Arbeitnehmer an, Gewerkschaftsmitglied zu
sein. Defizite bestehen vor allem bei Jüngeren.
Diese Diskrepanz schlägt sich auch in der Altersstruktur
der Mitglieder nieder. Die beiden älteren Altersgruppen stellen
zusammen 70 Prozent aller erwerbstätigen Gewerkschaftsmitglieder aber nur gut 60 Prozent aller Arbeitnehmer. Umgekehrt
„Jünger und attraktiver“, so betitelte der DGB Anfang
stellen die beiden jüngeren Altersgruppen 30 Prozent aller
2014 seinen Bericht über die Mitgliederentwicklung der acht
Gewerkschaftsmitglieder, aber 40 Prozent aller Arbeitnehmer.
DGB-Einzelgewerkschaften. Insgesamt wurde die Zahl der
Wie ausgeprägt die Alterung der Gewerkschaften ist, zeigt ein
jüngeren Mitglieder (bis zu 27 Jahren) im Jahr 2013 um 2,6
längerfristiger Vergleich. Im Durchschnitt der Jahre 1994 bis
Prozent gesteigert, während die Mitgliedszahl über alle Alters-
2000 stellten die beiden mittleren Altersgruppen noch jeweils
gruppen hinweg um 0,1 Prozent abnahm. Ob sich dieser Er-
30 Prozent aller Mitglieder, zusammen also 60 Prozent. Zwi-
folg fortgesetzt hat, ist unklar. Der DGB veröffentlichte für 2014
schen 2002 und 2006 wuchs zunächst die Gruppe der 41-
keine weiteren Einzelheiten, einzelne Gewerkschaften wie die
bis 50-Jährigen auf über 37 Prozent und zwischen 2008 und
IG Metall oder ver.di berichten aber über weitere Hinzugewin-
2012 dann die Gruppe der Über-50-Jährigen auf 36 Prozent.
ne. Damit scheinen sich die verschiedenen Kampagnen zur
Durch diesen Effekt nahmen der Anteil der beiden mittleren
Mitgliedergewinnung auszuzahlen. Die IG Metall startete 2012
Gruppen um fast 10 Prozentpunkte ab und der Anteil der bei-
ihr „Studierendenprojekt“ zur besseren Ansprache der Stu-
den oberen Gruppen entsprechend zu. Die Überalterung der
dierenden und 2013 ihre Kampagne „Revolution Bildung“ zur
Gewerkschaftsmitglieder wird sich negativ auf die Entwicklung
Verbesserung der Bildungschancen. Die IG Bergbau, Chemie,
des Organisationsgrads auswirken. Scheiden die älteren Jahr-
Energie eröffnete 2011 die Kampagne „Unser Einsatz für deine
gänge nach und nach aus dem Arbeitsleben aus, ohne durch
Übernahme“ um sicherzustellen, dass möglichst viele Auszu-
Zugänge bei den Jüngeren kompensiert zu werden, wird der
bildende nach ihrem Abschluss in ein reguläres Arbeitsverhält-
Organisationsgrad langfristig weiter sinken. Hagen Lesch
ein Jahr später mit einem ähnlichen Rezept.
Wie wichtig solche Kampagnen sind, wird beim Blick auf die
Anteil der aktiven Gewerkschaftsmitglieder an den Arbeitnehmern
verschiedener Alterklassen in Prozent; Stand: 2014
Altersstruktur der Gewerkschaften deutlicher. Während der ge-
22,2
werkschaftliche Organisationsgrad aller Arbeitnehmer im Jahr
2014 bei 17,5 Prozent lag, erreichte er bei den Arbeitnehmern
im Alter von 18 bis 30 Jahren nur 12,1 Prozent (Grafik). Mit
18,3
12,1
18 bis 30 Jahre
17,5
14,4
31 bis 40 Jahre
41 bis 50 Jahre 51 Jahre und älter
14,4 Prozent fällt der Organisationsgrad in der Gruppe der 31bis 40-Jährigen kaum höher aus. Deutlich besser organisiert
1
Gewerkschaftlicher Organisationsgrad
nach Altersklassen
Quelle: ALLBUS; eigene Berechnungen
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Alle
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nis übernommen werden, die IG Bauen-Agrar-Umwelt folgte
GEWERKSCHAFTSSPIEGEL
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ver.di Bundeskongress 2015
Neue Mitglieder gesucht
Unter dem Motto „Stärke. Vielfalt. Zukunft“ hat vom 20.
wurde nötig, da sich die Anzahl der Arbeitskämpfe von 499
bis zum 26. September der 4. Bundeskongress der Ver-
zwischen 2007 und 2010 auf 642 zwischen 2011 und 2014
einten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di stattgefunden.
erhöht hat. Dies entspricht einer Steigerung um 29 Prozent.
Im Mittelpunkt des diesjährigen Kongresses standen die
Themen Aufwertung sozialer Berufe, Altersarmut sowie
die Mitgliederentwicklung.
Ein weiteres zentrales Thema des Kongresses war die aktuelle Lohnpolitik. Ver.di möchte eine tarifliche Aufwertung von
sozialen und frauentypischen Berufen durchsetzen, da die
Anforderungen an diese Berufsgruppen in den letzten Jahren
Eine Gewerkschaft ist durchsetzungsfähig, wenn sie mög-
stark gestiegen seien. Zusätzlich sollen die Personalschlüssel
lichst viele Mitglieder hat. Zur Steigerung ihrer Mitgliederzahlen
verbessert werden, um eine gute Arbeitsqualität zu gewährleis-
hat die Gewerkschaft ver.di mit der 2012 gestarteten „Pers-
ten. Der diesjährige Großkonflikt der Erzieherinnen hat gezeigt,
pektive 2015 – ver.di wächst“ verstärkt auf eine intensivere Mit-
dass ver.di diese Forderungen notfalls mit Streik durchsetzen
gliederbetreuung, auf die Gewinnung neuer Mitglieder und auf
will. Missstände herrschen nach Ansicht der Gewerkschaft
die Rückgewinnung ausgetretener Mitglieder gesetzt. Die Stra-
aber nicht nur bei Erziehungsberufen, sondern auch in den
tegie ging auf. Nach Jahren drastischer Einbußen blieb die Mit-
Sozialberufen des Gesundheits- und Bildungsbereichs sowie
gliederzahl in den letzten fünf Jahren mit gut 2 Millionen nahezu
der Altenpflege. Vom Gesetzgeber verlangt ver.di eine rasche
konstant. Derzeit wird ver.di so umstrukturiert, dass individuelle
Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 10 Euro je Stun-
und kollektive Gewerkschaftsarbeit besser verknüpft sind und
de, sowie eine intensivere Nutzung des Instruments der Allge-
der Verwaltungsbereich effizienter arbeitet. Die Form der Um-
meinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Dies soll einem weiteren
strukturierung wurde gemeinsam auf allen Gewerkschaftsebe-
Rückgang der Tarifbindung entgegenwirken. Flankierend will
nen erarbeitet, so dass ein Gefühl der Verbindlichkeit, Transpa-
ver.di die eigene Durchsetzungsfähigkeit stärken, um wieder
renz und Verantwortung entstehen konnte. Außerdem sollten
mehr Betriebe in die Tarifbindung zu bringen.
die Wünsche und Erwartungen der Mitglieder stärker im Mittelpunkt stehen. Jedes Jahr treten 60.000 bis 68.000 Mitglieder
Intensiv diskutiert wurden auch die Folgen der Digitalisie-
aus. Sie sollen in Zukunft vermehrt von externen Dienstleistern
rung, die Verteilungspolitik, der Umgang mit der erwarteten
„proaktiv“ zurückgewonnen werden – durch Direktansprache
Altersarmut und das Thema „gute Arbeit“. ver.di versteht unter
am Telefon oder per E-Mail. Auf diese Weise konnte zuletzt
„guter Arbeit“, dass Arbeit gut bezahlt, sozial abgesichert und
jedes siebte ehemalige Mitglied zum Neueintritt bewogen wer-
menschengerecht gestaltet ist, dass es gute Qualifikations-
den. Diese Rate soll gesteigert und die aktive Rückholarbeit
und Bildungschancen gibt, dass die Arbeitnehmer Partizipa-
flächendeckend eingeführt werden.
tionsmöglichkeiten haben und dass die Arbeitsbedingungen
tariflich geschützt und gestaltet sind. Paula Hellmich
Für 2015 peilt die Organisation einen Mitgliederzuwachs
an. Bis September 2015 traten 107.000 neue Mitglieder ein.
Dabei wird das Online-Marketing immer wichtiger. 30 Prozent
in Mio. Euro
ver.di
IG Metall
der Neuanmeldungen finden bereits online statt. Die Gewerkschaft finanziert sich überwiegend durch die Beiträge ihrer
Mitglieder. Trotz leicht rückläufiger Mitgliederzahlen stiegen die
2
Beitragseinnahmen ver.di und IG Metall
430 412
403
443
532
516
500
481
459
454
441
444
442
434
424
416
415
415
Beitragseinnahmen seit 2011 um über 9 Prozent (Grafik). Die
Überweisungen an den Streikfonds wuchsen von 17 Millionen
Seit 2013 fließen jährlich 8 statt 4 Prozent der Beitragseinnah-
2007
2008
2009
2010
men in den Fonds. Dadurch flossen allein in den letzten fünf
Jahren 140 Millionen Euro in die Streikkasse. Diese Maßnahme
Quelle: Gewerkschaftsangaben; 2015: Schätzungen
2011
2012
2013
2014
2015
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Euro im Jahr 2011 auf über 36 Millionen Euro in diesem Jahr.
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IG Metall Gewerkschaftstag 2015
Basisdemokratisch in die Zukunft
Unter dem Motto „Gute Arbeit. Gutes Leben“ versam-
werden in den nächsten neun Jahren insgesamt 190 Millio-
melten sich vom 18. bis zum 24. Oktober 2015 insgesamt
nen Euro zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus soll über die
485 Delegierte der IG Metall in Frankfurt am Main zum 23.
Kampagne "Junge IG Metall", die seit 2012 zu einem Beitritt
ordentlichen Gewerkschaftstag. Die Delegierten beschäf-
von 18.000 Studierenden führte, ein noch stärkerer Fokus auf
tigten sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Ar-
Hochschulen, dual Studierende und junge Beschäftigte gelegt
beitszeit, Werkverträge und Mitgliederbeteiligung. Zudem
werden. Zudem wird es zu einer „neuen Beteiligung“ der Mit-
machten sie deutlich, dass die IG Metall die Herausforde-
glieder kommen. Dazu sind Mitgliederbefragungen in der Pha-
rungen durch Industrie 4.0 aktiv mitgestalten will.
se der Forderungserstellung geplant sowie Feedback-Runden
nach Tarifabschlüssen. Zudem sollen neue Streikformen getestet werden. Ziel sind zeitlich befristete, betriebsbezogene
Die größte deutsche Gewerkschaft blickt auf erfolgreiche
Jahre zurück. Zwischen 2011 und 2014 stieg die Mitgliederzahl
Streiks, die durch betriebliche Abstimmung legitimiert werden
und bei denen eine Streikunterstützung gezahlt wird.
um 42.850 Personen auf 2,27 Millionen Mitglieder an. Zurückzuführen ist dieser positive Trend einmal auf eine gestiegene
Bei der Vorstellung seines Zukunftskonzeptes stellte der
Anzahl von Eintritten erwerbstätiger Arbeitnehmer. Überpro-
neue erste Vorsitzende Jörg Hofmann fest, dass die Digita-
portionale Mitgliederzuwächse gab es bei Jugendlichen und
lisierung von Produkten und Prozessen weitgehende Folgen
Frauen sowie bei Leiharbeitern und Hochschulabsolventen.
für die Arbeitswelt habe, die die IG Metall aktiv mitgestalten
Die positive Mitgliederentwicklung hängt nach Angaben der
will. Dies betrifft vor allem die Themen berufliche Fortbildung
IG Metall aber auch damit zusammen, dass deutlich weniger
und Arbeitszeit. Im Bereich der Arbeitszeitpolitik setzt die IG
Personen aus der Organisation ausgetreten sind. Die positive
Metall auf Selbstbestimmtheit und Zeitsouveränität der Arbeiter
Mitgliederentwicklung schlägt sich in den Beitragseinnahmen
und Angestellten. Flexibilität dürfe nicht einseitig zu Lasten der
der Organisation nieder. Sie sind von 459 Millionen Euro im
Beschäftigten gehen, sondern verlange eine Gegenleistung.
Jahr 2011 auf 532 Millionen Euro in diesem Jahr angestiegen
Dazu gehören unter anderem die vollständige Erfassung und
(siehe Grafik Seite 2). Das entspricht einem Zuwachs von 16
Vergütung der geleisteten Arbeitszeit und die Sicherstellung
Prozent. Treiber sind einmal der steigende Anteil an Erwerbstä-
der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben durch lebensphasen-
tigen, die den vollen Beitrag zahlen. Sie führen 1 Prozent ihres
orientierte Arbeitszeiten. Mobiles Arbeiten oder flexible Zeitent-
Bruttoverdienstes an die Gewerkschaft ab, während Rentner,
nahmen aus den Arbeitszeitkonten würden von den Beschäf-
Studierende und Arbeitslose deutlich weniger zahlen. Zweiter
tigten, auch von Arbeitern, beispielsweise im Schichtdienst,
Treiber sind die kräftigen Lohnerhöhungen der letzten Jahre.
zunehmend nachgefragt. Dazu ist eine dreijährige Kampagne
Da die Gewerkschaft 15 Prozent der Beitragseinnahmen an
geplant.
den Streikfonds abführt, wird dieser allein 2015 mit knapp 80
Millionen Euro aufgestockt. Seit 2011 flossen dem Fonds 373
Ein Reizthema der Gewerkschaft ist das Thema Werkver-
Millionen Euro zu. Dem standen Streikunterstützungszahlun-
träge. Nach einem Beschluss des Gewerkschaftstags sollen
gen von lediglich 1,9 Millionen Euro gegenüber, die an insge-
Outsourcing und die Vergabe von Werkverträgen in Zukunft
samt 774 beteiligte Mitglieder mit 20.986 Streiktagen flossen.
weitestgehend vermieden werden. Für den Fall, dass dies nicht
möglich ist, will die IG Metall die Arbeits- und Entgeltbedingun-
Damit diese positive Entwicklung anhält, wurden Maßnah-
gen für die Beschäftigten mit Werkverträgen verbessern. Für
men zur Attraktivitätssteigerung beschlossen. So soll neuen,
die industrienahen Dienstleistungsunternehmen will sie Tarif-
aus der Digitalisierung und der Flexibilisierung entstehenden
verträge abschließen, die über dem branchenüblichen Niveau
Arbeitsvertragsformen dadurch Rechnung getragen werden,
liegen. Ziel ist es, die Tarifhoheit über die gesamte Wertschöp-
dass sich die IG Metall für Solo-Selbstständige und sogenann-
fungskette zu gewinnen. Darüber hinaus sollen Betriebsräte bei
te Crowdworker öffnet. Zur Erschließung neuer Mitglieder in
Fremdvergaben mit Informations- und Mitbestimmungsrech-
Werkvertragsunternehmen, Shared Services und Start-ups
ten ausgestattet werden. Dennis Byrski und Hagen Lesch
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Sozialpartner und Rentensysteme in Europa (II)
Regiert werden oder aktiv mitgestalten
Finanzielle Schieflagen infolge der Weltwirtschaftskrise
Österreich über Altersteilzeit, Frühverrentung und Invaliden-
2008 haben den Druck auf die Regierungen erhöht, Ren-
rente diskutiert, in Finnland wurde das Modell eines flexiblen
tenreformen anzustoßen. Während die Gewerkschaften
Übergangs in die Rente zwischen 63 und 68 Jahren debattiert.
die Reformen vielerorts kaum beeinflussen konnten, verschafften sich die Sozialpartner in Österreich und Finnland
In puncto Konsultationen mit den Sozialpartnern gingen die
auch in den Krisenjahren Gehör – ausgehend von einem
Regierungen beider Länder verschiedene Wege. Die österrei-
ganz unterschiedlichen institutionellen Hintergrund.
chischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände wurden
von der Regierung vorab gebeten, Vorschläge für Neuerungen
zu erarbeiten. Im Detail ging es darum, wie das tatsächliche
Die nationalen Rentensysteme werden europaweit refor-
Renteneintrittsalter in Österreich erhöht werden kann. 2011 lag
miert. Dabei wurden Gewerkschaften und Arbeitgeberver-
es noch bei durchschnittlich 59,2 Jahren für Männer und 57,3
bände in einigen europäischen Ländern seit 2008 entweder
Jahren für Frauen. Teile dieser 2011 gemeinsam erarbeiteten
gar nicht oder nur partiell involviert (Gewerkschaftsspiegel Nr.
Vorschläge flossen in den späteren Gesetzesentwurf zur Rente
4/2014). Wie eine Studie der Europäischen Stiftung zur Ver-
ein. Unter anderem wurde die Invalidenrente reformiert, die für
besserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound)
das niedrige Renteneintrittsalter mitverantwortlich war. Das Ar-
zeigt, hängt dies damit zusammen, dass die Senkung öffent-
beitsministerium stellte in seinem 2014 in Kraft getretenen Ge-
licher Ausgaben Teil internationaler Rahmenkreditprogramme
setz – ebenso wie die Sozialpartner in ihrem Vorschlag – den
war. In Zypern, Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, Un-
Gedanken in den Vordergrund, dass Integration und Rehabi-
garn und Rumänien haben die Europäische Union, der Inter-
litation vor der frühzeitigen Verrentung stehen. Auch andere
nationale Währungsfonds oder die Weltbank starken Reform-
Formen der Frühverrentung wurden beschnitten.
druck ausgeübt, so dass in allen sieben Ländern zwischen
2008 und 2012 Anpassungen im Rentensystem vorgenom-
Die finnische Regierung hingegen kündigte 2009 Rentenre-
men wurden. Beispielsweise hob Zypern das gesetzliche Ren-
formen an, ohne zuvor die Sozialpartner einzubeziehen. Nach-
teneintrittsalter an, veränderte die Berechnungsgrundlagen für
dem die Gewerkschaften mit Generalstreik drohten, nahm die
die auszuzahlenden Renten, erhöhte die Rentenbeiträge und
Regierung tripartistische Gespräche auf. Kritikpunkt war das
hob die Frühverrentung auf. Unter dem von außen vorgege-
niedrige durchschnittliche Renteneintrittsalter von 59,4 Jahren.
benen Druck blieb die Einbindung der Sozialpartner schon
Bereits nach zweiwöchigen Verhandlungen gingen die finni-
aufgrund der zeitlichen Restriktionen häufig auf der Strecke.
schen Sozialpartner eine Selbstverpflichtung ein: Das tatsäch-
Die Rentenreformen in den skandinavischen Staaten sowie in
liche Renteneintrittsalter soll bis 2025 um drei Jahre erhöht
Österreich, Deutschland oder Luxemburg wurden hingegen
werden. Im weiteren Jahresverlauf wurden zwei tripartistische
nicht durch die Krise angestoßen, sondern durch den demo-
Arbeitsgruppen ins Leben gerufen, die sich mit der Verbes-
grafischen Wandel und die daraus resultierenden Belastungen
serung des Arbeitslebens und der Anhebung des Rentenein-
der Rentenkassen. Hier war der nationale autonome Gestal-
trittsalters befassten. Im März 2012 legten die Sozialpartner
tungsspielraum ungleich größer als in den anderen Ländern.
eine Vereinbarung zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit vor.
Konkret vereinbarten sie, eine Untersuchung über das gehalts-
Nach der Eurofound-Studie gelten vor allem Österreich
basierte Rentensystem bis 2013 durchzuführen, sich stärker
und Finnland als Länder, in denen die Einbindung der Sozial-
für „On-the-Job-Trainings“, Maßnahmen für Auszubildende
partner in anstehende Rentenreformen beispielhaft funktioniert
und lebenslanges Lernen einzusetzen sowie gegen die Ursa-
hat. Anders als im Süden Europas war der finanzielle Konsoli-
chen von Berufsunfähigkeit anzugehen. Die gemeinsam erar-
dierungsdruck in diesen Staaten allerdings weniger hoch. Au-
beiteten Reformen sollen 2017 in Kraft treten. Sandra Vogel
ßerdem nehmen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in
beiden Ländern traditionell starken Einfluss auf die Gestaltung
von Arbeitsmarkt und Sozialversicherung. Seit 2008 wurde in
Link zur Eurofound-Studie: http://www.old.eurofound.europa.eu/eiro/studies/TN1304032S/index.htm