katalogtext - Altana Kulturstiftung

SOMMERNACHTTRAUM
FRAUEN . LANDSCHAFTEN
5. Juli – 27. September 2015
Museum Sinclair-Haus, Bad Homburg v. d. Höhe
AUS DEM KATALOG
SOMMER NACHT TRAUM
Erich Kissing, Sommertag, 2007-2009, Sammlung Klöcker © Erich Kissing
Mein Auge spielte Maler, hat geschickt
Dein schönes Bildnis mir ins Herz gebannt.
Mein Körper ist der Rahmen, der es schmückt,
Die Perspektive zeigt die Künstlerhand;
Denn durch den Künstler siehst du sein Geschick
Und siehst dein wahres Abbild wahr gemalt:
In meinem Herzen lehnt das Meisterstück,
Von deinem Aug mein Herzensfenster strahlt.
Schau, welchen Dienst hier Aug dem Aug getan:
Meins malte dich, deins tat in meinem Herzen
Ein Fenster auf, wo Sonne scheinen kann,
Die strahlender dich zeigt als tausend Kerzen.
Doch eine Gabe fehlt dem Augenblick:
Es malt nur, was es sieht; Herz hat es nicht.
1
William Shakespeare, Sonett XXIV
VORWORT
Von Dr. Andrea Firmenich und Dr. Johannes Janssen,
In der Ausstellung Sommer Nacht Traum betritt die weibliche Figur als Hauptdarstellerin den
Bühnenraum des Museums Sinclair-Haus. Gezeigt werden Werke aus der Sammlung von
Maria Lucia und Ingo Klöcker, die seit vielen Jahren das Motiv „Frau“ in der Kunst des 20.
und 21. Jahrhunderts in ihren Fokus genommen haben. Damit konzentrieren sie sich auf ein
klassisches Motiv in der Kunstgeschichte. Aktdarstellungen von Eva im Paradies, Allegorien
des Barock und Frauenfiguren des Expressionismus gehören zu diesem Bildrepertoire,
ebenso wie religiöse Szenen der Maria in ihrer mütterlichen Rolle als Schwangere und
Trauernde, oder auch die Frau im großbürgerlichen Gewand des Biedermeier. Das „Subjekt
der Begierde“ wurde über die Jahrhunderte dabei zumeist aus männlicher Sicht betrachtet,
geformt, sich angeeignet, und so wurden dem weiblichen Pendant bestimmte Rollen und
Funktionen zugewiesen. In Ovids Metamorphosen etwa ist die Geschichte des Pygmalion
niedergelegt, der aus Elfenbein eine Figur erschafft, die zur lebendigen Frau erwacht. Auch
Oskar Kokoschka zitierte diese mythologische Urgeschichte, als er während des Ersten
Weltkrieges die Puppenbauerin Hermine Moos beauftragte, nach seinen zeichnerischen und
schriftlichen Vorgaben ein möglichst lebensechtes Abbild von der einst geliebten und
verlorenen Alma Mahler zu schaffen.
Als wir erstmals von der „frauenbewegten“ Sammlung Klöcker erfuhren, hat uns vor allem
auch interessiert, wie sich in ihr diese umfassende Bildtradition, die Rezeptionen dieses
Motivs und seine Geschichten widerspiegeln und in gewisser Weise fortsetzen – oder aber
wo auch zeitgenössische Erweiterungen und Brüche dieses Sujets zu entdecken sind. Die
ausgesprochen individuelle, allein von persönlichen Vorlieben geprägte Zusammenstellung
der Werke vereint dabei sehr unterschiedliche und teils überraschende Positionen. Von Kiki
Smith bis Erich Kissing, von Alex Katz bis Barbara Klemm, von Thomas Schütte bis Michael
Triegel, von Cornelia Schleime bis Katharina Fritsch, von Katsura Funakoshi bis Stefan
Balkenhol reicht das heterogene Panorama dieser einmaligen Sammlung. Eine
ausgesprochen prägnante und überraschende Wegmarke in dieser weiten Landschaft bildet
die Werkgruppe der immer noch umstrittenen „Ost-Kunst“ mit Arbeiten unter anderem von
Werner und Angelika Tübke, von Johannes Grützke oder Wolfgang Mattheuer. Auch hier
zeigt sich der unabhängige Blick des Sammlerehepaares, das sich von kontroversen
Diskursen nicht ablenken lässt und diesen wichtigen Aspekt der deutschen Kunst des 20.
Jahrhunderts als einen wesentlichen Bestandteil der Sammlung herausgebildet hat.
Einen besonderen Gewinn in der Auseinandersetzung mit diesem individuellen
Sammlungsprofil sehen wir in den vielen neuen Begegnungen mit Künstlern, die wir im
scheinbar unendlichen Künstler-Kosmos bislang nicht wahrgenommen haben, die aber in
den freien und unvoreingenommenen Blick des Sammlerpaares geraten sind. Die Arbeiten
etwa von Nina Sten-Knudsen, Paloma Varga Weisz, Ulrike Lienbacher, Jub Mönster und
einigen mehr haben unseren Horizont qualitativ erweitert.
Sowohl für das Sammlerpaar als auch für uns lag ein großer Reiz darin, diese
„Frauengruppe“ mit unserer Sammlung „Natur in der zeitgenössischen Kunst“ zu
kombinieren. Einige Künstler, wie etwa Alex Katz, Kiki Smith oder Franz Gertsch sind in
beiden Sammlungen vertreten und ihre Werke können in dieser Ausstellung spannungsvoll
zusammengeführt werden. Der Bogen von „Landschaft“ bis „Kreatur“ und „Mensch“, wie er in
der ALTANA Kunstsammlung angelegt ist, findet seine figurative Entsprechung auch in der
Sammlung Klöcker, etwa in Michael Triegels allegorischem Gemälde „Christine als Flora“
von 1998. Durch die spielerische Ergänzung mit Werken aus unserer Natur-Sammlung
werden die Frauenbilder zu Landschaften und Naturmotiven in Beziehung gesetzt und
vereinen sich frei nach William Shakespeare zu einem vielstimmigen „Sommernachtstraum“.
Wir danken Maria Lucia und Ingo Klöcker, die nach einem ersten Auftritt der Sammlung 2013
im Lehmbruck-Museum in Duisburg ihre Werke nun „vor Ort“ im Museum Sinclair-Haus
zeigen und von Beginn an großes Interesse an einem Dialog mit uns und unserer Sammlung
geäußert haben. Mit großer Freude heben wir nun also mit der Ausstellung „Sommer Nacht
Traum“ den Vorhang für eine sommerliche Inszenierung – Drama und Lustspiel zugleich –
mit einem großen Ensemble Bildender Künstler in den Hauptrollen.
EINFÜHRUNG
von Ina Fuchs
„Dann soll der Mond, gleich einem Silberbogen
Am Himmel neu gespannt, die Nacht beschaun
Von unserm Fest
William Shakespeares „Traumspiel“, das überwiegend während einer lauen Sommernacht in
einem verzauberten Elfenwald nahe Athen spielt, handelt vor allem von der Launenhaftigkeit
und den Schwierigkeiten der Liebe, welchen Frauen und Männer gleichermaßen ausgeliefert
sein können. Für die Liebesirrungen und -wirrungen sorgt vor allem die metamorphische
Wirkung der Blume „Lieb’ im Müßiggang“. Wird ihr Saft auf die Augenlider eines Schlafenden
geträufelt, so verliebt dieser sich in das erste Wesen, das er nach dem Erwachen erblickt.
Die magische Kraft dieser Blüte bleibt nicht die einzige Reminiszenz an Ovids
Metamorphosen, die Shakespeare in seinem Sommernachtstraum zahlreich – direkt und
indirekt – zitiert. Am Ende des vierten Aktes wird das Verwirrspiel schließlich aufgelöst und
drei glückliche Paare, die den Höhen und Tiefen des Verliebtseins ausgesetzt waren, finden
zueinander: Titania und Oberon, Helena und Demetrius sowie Hermia und Lysander. Und
der Mond wird „gleich einem Silberbogen“ Zeuge dieser verzauberten Sommernacht. An
diese Atmosphäre mit sommerlich-nächtlichem Landschaftskolorit klingt die Ausstellung
Sommer Nacht Traum an: Frauendarstellungen aus der Sammlung Klöcker und einige
Landschaftsbilder der ALTANA Kunstsammlung werden in einen spielerischen Dialog
gesetzt. Eingebettet in eine „Bühne“ von Naturmotiven spannen die Frauenporträts einen
Bogen, der von sommerlicher Leichtigkeit über Trauminszenierungen bis hin zur dunkleren
Seite der Nacht reicht und in kurzen Alptraumzuständen mündet. Aus der großen Zahl von
Künstlern, die die Sammlung Klöcker vereint, werden im vorliegenden Text einige Positionen
vorgestellt.
Lauft, wenn Ihr wollt! Die Fabel kehrt sich um:
Apollo flieht, und Daphne setzt ihm nach.
Die Verwandlungen in Shakespeares Komödie Ein Sommernachtstraum können sich wie
schon beschrieben durch die Blume „Lieb’ im Müßiggang“ auf die Gefühle der Figuren
beziehen oder auch auf deren Gestalt: So verwandelt sich der Handwerker Zettel in dem
Bühnenstück zu Teilen in einen Esel. Auch Zitate wie das oben genannte von Apollo und
Daphne zeigen den erheblichen Einfluss Ovids auf Shakespeares Werk. Ähnliche
Metamorphosen finden sich auch im Werk der amerikanischen Künstlerin Kiki Smith, die in
Nürnberg geboren wurde. Nach dem Tod ihres Vaters 1980 setzte sie sich mit dem
menschlichen, insbesondere mit dem weiblichen Körper auseinander. Eine
medizinischtechnische Ausbildung vermittelte ihr fundierte Kenntnisse über den
menschlichen Organismus, welche sie in ihrem Werk nutzt, um dessen Verwundbarkeiten
seelischer und körperlicher Art zu verbildlichen. Für ihre Themen wie Krankheit,
Schwangerschaft, Geburt und Tod verwendet sie verschiedenste Techniken wie Zeichnung
oder Bronze sowie vergängliche Materialien wie Wachs oder Pappmaché. Während ihre
Arbeiten in den ersten Jahren eher alptraumartig wirken, werden sie mit der Zeit immer
traumartiger. Mehr und mehr finden die Natur und die Tierwelt Eingang in ihr OEuvre. Sie
bezieht sich auf das, was sie umgibt, sowie auf alte Märchen und Mythen: Wirklichkeit und
Vorstellung verschmelzen oftmals in ihren Darstellungen.3 Mensch, Natur und Tier verbinden
sich auf eine metamorphische Art und Weise, als wären sie von inneren, geistigen
Verbindungen erfüllt. So auch in ihrer Bronzearbeit Flower Head 2 aus dem Jahr 2012. Die
reliefartige Arbeit zeigt einen weiblichen Kopf mit entspannt geschlossenen Augen.
Gleichsam aus dem Kopf heraus sprießen vier große, längliche Blätter nach oben, zur linken
Seite und nach unten, sodass das Gesicht in dieser Metamorphose wie der Fruchtknoten
einer Blume wirkt. Da die Blätter nicht geschlossen um das Gesicht herumwachsen, sondern
nur sporadisch angesetzt sind, stellt sich die Frage, ob die übrigen Blütenblätter vielleicht
schon abgefallen sind oder gar ausgezupft wurden – unweigerlich denkt man an das Orakel-
Spiel „Sie liebt mich, sie liebt mich nicht“, bei welchem nacheinander die Blütenblätter
abgezupft werden und man beim letzten Blatt auf eine positive Antwort hofft. So vermag
diese Metamorphose auch auf einen Geisteszustand hinzuweisen, der hinter den anmutig
geschlossenen Augen versteckt liegt. Den Frauen, die Kiki Smith darstellt, schreibt die
Künstlerin bewusst keine stereotypen Rollen zu und eine männliche, erotisierende
Perspektive liegt ihr fern. Demgegenüber spiegeln ihre weiblichen Figuren körperliche und
geistige Erfahrungen wider, die sie selbst geschlechtsspezifisch als Frau erlebt hat.
Ich weiß nicht, welche Macht mir Kühnheit gibt […]
Barbara Klemm hat in ihrer Zeit als Fotografin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und
auch darüber hinaus immer wieder Anlässe gefunden, um Porträts von Künstlerinnen und
bedeutenden Frauen anzufertigen, seien es kulturelle oder politische Ereignisse, oder auch
private, bewusst für diesen Zweck verabredete Begegnungen. Frei nach Paul Klees
schöpferischer Konfession – „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“
– schafft sie es mit wachem Auge für Komposition und einem Gespür für den richtigen
Moment, das Unsichtbare sichtbar zu machen, das Essenzielle in ihrem Gegenüber zu
finden und festzuhalten. Dabei ist Barbara Klemms Kunst eine leise Kunst, die Zwischentöne
hört und einfängt. Auch dass ihre Fotografien schwarz-weiß gehalten sind, passt dazu. Sie
verlangt keine laute Gestik oder Mimik, sondern folgt mit der Kamera den natürlichen
Gebärden und Bewegungen ihres Gegenübers, nimmt Wesentliches in Haltung und Miene
wahr. So auch bei ihrem Porträt der Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir, das
sie 1980 in Paris aufnahm. Die Autorin des Essays „Das andere Geschlecht“ ist stehend in
einem Zimmer gezeigt und zieht mit nach vorne gelehntem Oberkörper eine Tür hinter sich
zu. Sie schaut dabei leicht lächelnd und gleichzeitig gedankenvoll zu Boden. Die
unbefangene Bewegung sowie ihre Mimik weisen darauf hin, dass sich Simone de Beauvoir
in einer ihr vertrauten Umgebung befindet, in ihrer Atelierwohnung in der Rue Schoelcher.
Die Tür ist verspiegelt und lässt ihre Bewegung so auch in umgekehrter Perspektive sichtbar
werden. Ihre Hand, die noch auf der Klinke liegt, schafft eine körperliche Verbindung mit
diesem Spiegelbild. Zudem gibt der Spiegel den Blick frei auf den großen, durch ein hohes
Fenster beleuchteten Raum, der mit Büchern und Zeitungen bestückt ist. Neben der Tür
finden sich zudem zahlreiche, postkartengroße Porträtbilder an der Wand. Diese Umgebung
ist von großer Bedeutung, denn Barbara Klemm weiß, dass zu einem Porträt noch viel mehr
gehören kann als nur das Gesicht eines Menschen – alles was diesen Menschen umgibt,
vermag zu sprechen. In solchen Bildern ist „dem Zufall alles Beliebige genommen, die
Details gewinnen oftmals geradezu metaphysische Kraft. Die Dinge scheinen sich den
Menschen angepasst zu haben und sie wie eine Seele zu umgeben. Die Feministin und
Lebensgefährtin von Jean-Paul Sartre schrieb im Rückblick über sich selbst: „Ich hielt mich
nicht für eine ,Frau‘. Ich war ich.“ Dieses authentische Ich-Selbst-Sein Simone de Beauvoirs,
die Verweigerung jeglicher Rollenzuschreibungen oder sich in ein gedankliches Korsett
zwängen zu lassen, hat Barbara Klemm in dieser Fotografie meisterlich eingefangen. Die
Musikerin Madonna nahm Klemm bei einer Haute-Couture-Schau 1993 in Paris auf. Die
Pop-Ikone hält die Finger unruhig gespannt, sie hat die Augen in absoluter Konzentration auf
das gerichtet, was sie sieht, und erscheint nicht ablenkbar fasziniert von dem, was auf dem
Laufsteg geschieht – in diesem Moment beinahe kindlich-ungeduldiger Faszination hat die
Fotografin Barbara Klemm sie festgehalten. Der Bildausschnitt ist virtuos gewählt: So sieht
man Madonna sitzend vor dem Laufsteg, auf welchem das Bein eines schreitenden Models
unter einer langen Robe zum Vorschein kommt. Die Sängerin mit den blonden Locken trägt
ein gleißend-weißes Oberteil und ist umringt von Menschen in durchweg dunkler Kleidung –
Barbara Klemm weiß die natürliche Lichtsituation so zu nutzen, dass Madonna alles Licht auf
sich zieht. Beinahe scheint es, als würde das Licht von ihr ausgehen. Der Fotografin gelingt
es zudem, diesen einen Moment einzufangen, in dem Madonnas Augen verraten, dass sie
nicht nur das sieht, was dort vor ihr ist, sondern auch das, was daraus entstehen kann. Auch
ein Porträt von Meret Oppenheim befindet sich in der Sammlung Klöcker, die zahlreiche
Klemm-Fotografien beherbergt. Das Bild wurde 1982 in Kassel aufgenommen, höchstwahrscheinlich anlässlich der Documenta 7, an welcher die Künstlerin teilnahm. Sie trägt ein
weißes Hemd und hat eine Jacke über den Arm geschlagen. Hinter der großen, schwarzen
Hornbrille findet Barbara Klemm die lachenden Augen, Meret Oppenheim scheint gespannt
und gelassen zugleich zu sein. Mit der rechten Hand umfasst sie ihre linke, die sie vor den
Bauch gepresst hält. Ihre Freude und Erregung über diese bedeutende
Ausstellungsmöglichkeit werden in der Fotografie sichtbar. Barbara Klemm begegnet den
Menschen, die sie fotografiert, mit großem Respekt und Zurückhaltung. Durch diese
Rücksichtnahme kann eine vertrauensvolle Atmosphäre entstehen, in welcher ein gutes
Porträt erst möglich wird. Ein Gespräch kann sich entwickeln, in dem der Porträtierte kaum
noch bemerkt, dass er fotografiert wird. Und im Gesichtsausdruck und in der Haltung der
Dargestellten fängt die Fotografin zudem noch etwas anderes ein, was für ein gelungenes
Porträt unverzichtbar ist – ihre eigene Präsenz: „Jedes gelungene Porträt ist das Dokument
einer gelungenen Begegnung. Barbara Klemm ist damit als Gegenüber in ihren Werken
gleichsam spürbar. Ihre Fotografien von der Schriftstellerin Simone de Beauvoir, der
Sängerin Madonna und der Künstlerin Meret Oppenheim zeigen Frauen, die das kulturelle
Leben in den letzten Jahrzehnten maßgeblich mitbestimmt haben und wiederum mit ihren
eigenen Werken, wie Shakespeare mit dem Sommernachtstraum, Traum und Kunstwelten
geschaffen haben.
Sie war ’ne böse Sieben in der Schule
Und ist entsetzlich wild
Gefürchtet, bewundert und zumeist schließlich ausgestoßen: Die „böse Frau“ war und ist
Faszinosum und Schreckgestalt zugleich. Sie ist der Gegensatz zur Traumfrau, die
Alptraumfrau, die Dinge tut, die „Frauen nicht tun“, die nicht tugendhaft, nicht treu ist, die
nicht lächelt und bei der es manchmal sogar reicht, dass sie einmal nur an sich denkt, um
schon als böse zu gelten. Eine solche böse Frau ist auch die tragische Figur Medea aus der
griechischen Mythologie. All ihre Vergehen begeht sie aufgrund ihrer großen Liebe zu Jason.
Als er sie schließlich verlässt, um die Tochter des Königs von Korinth zu heiraten, ermordet
Medea den König und anschließend ihre eigenen Kinder. Michael Triegel, ein Maler der
Leipziger Schule, der sein Studium vor allem bei Arno Rink und Ulrich Hachulla absolvierte,
zeigt in altmeisterlicher Tradition christliche Motive oder alte griechische Mythen. Die Medea
strahlt dabei – wie seine Werke überhaupt – eine eigenartige atmosphärische Ambivalenz
aus. Auf dem Ölgemälde, das 2002 entstand, ist Medea sitzend gezeigt, ihr kleiner Sohn mit
blondem Haar sitzt auf ihrem Schoß und lässt sich ruhig zur Seite in ihren rechten Arm
hineinfallen. Sein Gesichtsausdruck wirkt entspannt und nichtsahnend. Aufgrund der Position
von Mutter und Kind kommen Gedanken an christliche Darstellungen von Maria mit dem
Jesuskind auf. Auch der blaue Stoff, auf welchem sie sitzen, sowie das rote Tuch, das
Medea auf dem Kopf trägt, erinnern in der Farbgebung an Maria und an die traditionelle
religiöse Mutter-Kind-Gruppe. Doch ganz anders als Maria schaut Medea ihren Sohn nicht
mit den Augen einer liebenden Mutter an, sondern blickt deutlich unbestimmter und beinahe
melancholisch auf ihn herab – als würde sich in ihrer Mimik der innere Kampf zwischen
zugewiesener mythologischer Tat als „böse Frau“ einerseits und den mütterlichen Gefühlen
andererseits spiegeln. So hält sie auch das Messer in ihrer linken Hand in einer undeutlichen
Geste, mit nur halb erhobenem Arm und mit eher lockerem Zugriff. Michael Triegel benutzt
also Mythen, um mit ihnen den Kern des menschlichen Daseins zu sezieren. Er liest aus den
alten Sagen die Elemente heraus, die für den Menschen von heute noch immer von Belang
sind, die ihn noch immer betreffen. So schafft er mit Medea ein Bild, das eindrücklich den
Rollen-Konflikt einer Frau und Mutter darstellt. Joan Smith beschreibt diese Spannung so:
„Indem die Vergehen […] gegen das allgemein gültige Bild der Frau als Beschützerin und
Ernährerin verstoßen, bestätigen sie in perverser Weise genau die Normen, von denen sie
abweichen.“ Aufgrund dieses Frauenbildes als Mutter, als Spenderin von Leben, das seit
Jahrhunderten im kulturellen Gedächtnis eingebrannt ist, sieht sich die Frau am Ende auch
folgender Konsequenz und Beurteilung schmerzhaft ausgesetzt: „Wenn eine Frau schlecht
ist, dann ist sie bei weitem schlimmer, als ein Mann es jemals sein könnte.“ Das komplexe
und widerstreitende Zusammenspiel dieser gesellschaftlichen Zuordnung kulminiert in
Triegels Medea spannungsvoll mit ihrem mythologischen Schicksal und dem Versuch einer
souveränen Selbstbehauptung als Frau.
Auch auf dem Monumentalgemälde Girl with a Knife der dänischen Künstlerin Nina StenKnudsen sieht man eine Frau mit einem Messer. In dunkler Hose und hellem Hemd sitzt sie
im Vordergrund des Bildes und schaut nachdenklich auf das Messer hinab, das in ihrer Hand
liegt. Sie scheint kaum zu wissen, was sie damit tun soll. Hinter ihr eröffnet sich in starker
Aufsicht eine gigantische Landschaft, die in ihrer Düsterheit und ihrem unüberblickbaren
Chaos an Darstellungen des Jüngsten Gerichts erinnert. Solche Anspielungen auf die
Kunstgeschichte sind in den Werken der Künstlerin häufig zu finden. Die apokalyptische
Landschaft eröffnet auf verwirrende Weise vielschichtige Raumkonstellationen. Wie nach
einem Erdbeben scheinen sich verschiedene Erdteile aneinander zu reiben, nicht ganz
zusammenzupassen und sich sogar ineinander zu schieben. Die Gemälde der Künstlerin
werden aufgrund dieser verschiedenen Fluchtpunkte im Bildraum, die der Zentralperspektive
widersprechen, als „polyfokal“ bezeichnet. Auch Lichtquelle und Lichtfluchten sind unklar und
nicht eindeutig auszumachen. An vielen Stellen sind dunkle Felsformationen, rote Erde und
aufsteigender Rauch zu sehen – und dahinter ein überraschend klarer Himmel. Auf die
Frage nach dem Bildgeschehen will die Künstlerin jedoch keine Antworten geben: „[…] aber
ich will ja gerade nichts erklären, sondern dem Betrachter die Freiheit der Deutung
einräumen, die ich, während ich arbeite, für mich in Anspruch nehme.“ Diese Uneindeutigkeit
ist ein entscheidender Faktor für die Spannung des Werkes, dessen Rätsel sich nicht lösen
lassen. Denn immer drängender wird die Frage nach der jungen Frau, die mit dem Messer
so unerklärlich ruhig im Vordergrund sitzt, während hinter ihr Chaos und Niedergang zu
herrschen scheinen. Auch ihre vermeintliche Einsamkeit in dieser Weltlandschaft erscheint
mysteriös. Worauf wartet sie, wofür ist das Messer gedacht? Gerade der kuriosdramatische
Hintergrund eröffnet dabei viele Lesarten. Dass Nina Sten-Knudsen vom Motiv der Frau mit
dem Messer fasziniert ist, von der unklar bleibt, ob sie tatsächlich eine „böse Frau“ ist, zeigt
ein Aquarell, das sie zwei Jahre nach dem Monumentalgemälde anfertigte. In schwarz-weiß
gehalten, sitzt die junge Frau in leicht verändertem Winkel im Vordergrund und schaut auf
das Messer, der Hintergrund ist mit waagerechten, lasierenden Aquarellfarben geschaffen,
die erst über der mutmaßlichen Horizontlinie beginnen bzw. diese festlegen. Die
vorherrschenden Farbtöne Blau, Lila und rötliches Ocker entsprechen dabei den Farben, die
auch im Gemälde dominieren. Auch hier ist das Rätsel, warum die Frau das Messer in der
Hand hält, nicht gelöst; Ansporn oder Motiv bleiben unklar. Gerade diese dubiose
Unsicherheit und Fragwürdigkeit verbunden mit der potenziellen Niedertracht der „bösen
Frau“ verleihen sowohl dem Gemälde als auch dem Aquarell ihre faszinierende
Anziehungskraft.
Hast du denn keine Scheu noch Mädchensitte,
Nicht eine Spur von Scham?
Mit nur wenigen Tuschelinien schafft Ulrike Lienbacher die fragmentarische Rückenansicht
einer kopflosen, anonymen Frauengestalt. Die beinahe kniende Figur scheint im papiernen
Raum zu schweben. Einziger Farbfleck: Die Fußsohlen, die die Frau dem Betrachter
entgegenstreckt, sind dreckig- braun. Im Kontrast zu den leichten Linien geben die
verdreckten, erdigen Füße der Zeichnung „Bodenhaftung“. Die Leichtigkeit der Bewegung
lässt zudem vermuten, dass sich der saubere Po im nächsten Moment auf die schmutzigen
Fußsohlen setzen könnte. Die 1963 geborene Künstlerin spielt überlegt mit solchen
Körperzuständen. Sie untersucht und prüft die Hinterlassenschaften und Bürden der
Gesellschaft, die den menschlichen Körper prägen und an ihm gleichsam ablesbar werden.
Um mit den Worten Michel Foucaults zu sprechen, verarbeitet die Künstlerin die „Politik der
Zwänge, die am Körper arbeiten, seine Elemente, Gesten, seine Verhaltensweisen
kalkulieren und manipulieren“. So treten bei dieser Zeichnung die schmutzigen Füße
besonders hervor. Diese sind jedoch völlig isoliert und von der reinen, weißen Umgebung
separiert. Ulrike Lienbacher zeigt, wie hygienische Disziplin und Ordnung auch zu einer Art
Unter-Ordnung unter diese Normen führen können. Die hygienischen Vorstellungen unserer
Zeit, in der alles „clean“ und makellos sein muss, machen Dreck und Schmutz zu Zeichen für
Chaos und bürgerlichen Niedergang. Die Künstlerin sagt: „Reinheit ist Ordnung, Schmutz
wird mit Unordnung und Bedrohung assoziiert. Es sind gesellschaftliche Normen, die für den
einzelnen vorgeben, was als wertvoll und was als minderwertig angesehen wird. […] Die
Zeichnungen evozieren aber auch die ganz reale Möglichkeit, dass dieser Kontrollverlust und
das Sich-Verlieren eventuell etwas Lustvolles verheißen könnte. Daraus beziehen manche
der Zeichnungen ihre erotische Komponente.“ Diese sinnenfreudige Verheißung wird auch in
der vorliegenden Zeichnung durch die Körperhaltung provoziert: Einhergehend mit der
Drehung des Rumpfes zum Betrachter hin legt die Figur ihre rechte Hand ans Knie und die
linke Hand an den Po und lenkt so den Blick zum Geschlecht hin, welches jedoch nicht
sichtbar ist. Die Pose und die wie zufällig arrangierte Geste erinnern stark an die
Konstruktionsschemata alter, unschuldig inszenierter Pin-Up-Fotografien, auf die die
Künstlerin bewusst anspielt. So wird der Körper bei Ulrike Lienbacher zu einem Spiegel der
Gesellschaft und zu einer Verkörperung kollektiver Normen, Vorstellungen, Wünsche,
Ängste und Anpassungen. Sie benutzt zwar zumeist den weiblichen Körper, sieht in ihm
jedoch mehr einen Stellvertreter für die generelle „conditio humana“ unserer Zeit.
Und wie die schwangre Phantasie Gebilde
Von unbekannten Dingen ausgebiert,
Gestaltet sie des Dichters Kiel, benennt
Das luft’ge Nichts und gibt ihm festen Wohnsitz.
Ein Buchtitel besagt: Frauen, die lesen, sind gefährlich. Gefährlich hinsichtlich des Wissens,
das man ihnen lange Zeit lieber verweigern wollte. Aus diesem Grund war das Sujet für
Künstler wohl umso faszinierender und so gibt es in der Kunstgeschichte eine
bemerkenswerte Tradition von Bildern lesender Frauen. Ob die Bibel, Briefe oder ab dem 18.
Jahrhundert der Roman: Lesende Frauen gaben Künstlern die Möglichkeit, das Gelesene,
das dem Betrachter eigentlich verborgen bleibt, in Mimik und Ausdruck sichtbar zu machen.
An diese Tradition knüpft der Künstler Raffi Kalenderian mit seiner Zeichnung Marley
Reading an. Die junge Frau mit den rot-leuchtenden Haaren hat die Augen niedergeschlagen
und ist in das Buch vertieft, das auf ihrem Schoß liegt. Mit einem untergeschlagenen Bein
sitzt sie in ihrem geblümten Kleid ruhig und konzentriert lesend auf einem grünen Stuhl.
Kalenderian skizziert die Linien dieser intimen Zeichnung seiner Freundin Marley so fein,
dass man meint, sehen zu können, wie ihr Atem durch das aufmerksam-versunkene Lesen
so sanft wird, als würde sie schlafen. Er hat dabei den Hintergrund weggelassen, lediglich
leicht skizzierte Schatten deuten einen Fußboden an. Auch um Perspektivgenauigkeit ist er
bewusst nicht bemüht – der Fokus liegt ganz auf der Figur. Die Zeichnung ist gleichzeitig ein
intimes Freundschaftsporträt. Der Künstler zeigt in seinen Werken zumeist seine Freunde
und Menschen, die ihn umgeben. Die Ruhe, mit der die junge Frau in das Buch versunken
ist, ist ein Ausdruck für die vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Künstler und der von
ihm porträtierten Lesenden.
Ich hatte ’nen Traum – ’s geht über Menschenwitz, zu sagen,
was es für ein Traum war
Acht nackte Frauen umringen in einer sommerlichen Strandidylle einen einzigen Mann.
Barbusig sitzen sie auf Felsen und schauen selbstbewusst und fröhlich den Betrachter an,
oder sie knien im Sand und kehren diesem den Rücken zu. Der Mann bekrönt eine der
Frauen mit einem Kranz aus Weinblättern. Er trägt trotz der sommerlichen Atmosphäre
ironischerweise eine Fellmütze und hat ein Tuch über das Geschlecht gelegt, ansonsten ist
auch er nackt – es handelt sich dabei um ein Selbstporträt des Künstlers Erich Kissing. Der
Feinmaler wurde bei Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer ausgebildet und wird damit zur
zweiten Generation der Leipziger Schule gezählt. Sein beeindruckendes, monumentales
Gemälde Sommertag (Titelbild dieses Kataloges), das er von 2007 bis 2009 anfertigte, ist
eines seiner Hauptwerke aus den letzten Jahren. Nicht nur die Komposition und die
Konstellation der Figuren ist an Diego Velázquez’ Werk Der Triumph des Bacchus von
1628/29 angelehnt, auf dem der Gott des Weines Bacchus Trunkenbolde mit einem
Weinkranz kürt, sondern auch die Maße von Kissings Gemälde stimmen genau mit diesem
Vorbild überein. Für seine Arbeiten fertigt der Künstler unzählige Skizzen, Entwürfe und
Kompositionsstudien an, die er sorgfältig und exakt für jedes noch so kleine Detail ausführt.
Die Umsetzung in Malerei erfolgt mit der gleichen ausdauernden Präzision. Mit traditioneller
Technik erschafft er sein Werk durch Weißhöhungen mit, Eitempera auf dunkler
Untermalung und Farbauftrag in hauchfeinen Öl-Lasuren. Mit dieser feinen und exquisiten
Manier erschafft Kissing sehnsuchtsvolle Traumwelten. Für ihn selbst werden diesem
Träume gleichsam Wirklichkeit, denn in vielen seiner Bilder nimmt sein Selbstbildnis am
Bildgeschehen teil, wie auch im Gemälde Sommertag. Dass er jedoch nach eigener Aussage
am liebsten nackte Frauen malt, einfach weil sie so schön sind, spürt man an der
realistischen und dabei gleichzeitig idealisierenden Art, wie er sie darstellt. Wie eine
Hommage an die Schönheit der Frau wirken seine sensiblen Akte. Ein solcher Frauenakt
findet sich auch in seinem fantastischen, kleinformatigen Gemälde Verwilderte Plantage, an
dem er von 1993 bis 1994 arbeitete . Das Bild mit dem männlichen Kentauren und der
nackten Frau bildet den Ursprung zu einer Serie monumentaler Gemälde von diesen
fabelhaften Mischwesen zwischen Mensch und Pferd, die von 1997 bis 2007 entstanden. Die
beiden Figuren befinden sich auf einer saftig-grünen Plantage, der trotz ihrer realistischen
Darstellung eine arkadische Anmutung innewohnt. Der Kentaur hebt die nackte Frau hoch
und sie reckt sich mit dem linken Arm einem Baum entgegen, um eine Frucht zu pflücken.
Auf ganz natürliche und spielerische Weise verbindet Kissing das Motiv des Sündenfalls mit
Figuren und Fabelwesen, die der griechischen Mythologie zu entspringen scheinen – und
eine Vertreibung aus diesem fantastischen, auch skurrilen Paradies ist nicht in Sicht. Wie
Shakespeare mit dem Sommernachtstraum lehnt sich Erich Kissing an mythologische
Themen an und eröffnet seinen Protagonisten eine traumartige Bühne.
Auch die Fotografie von Roland Fischer von 1990, die zu den sogenannten Los Angeles
Portraits gehört, wirkt traumartig. Fischer war einer der ersten Fotografen Deutschlands, der
ab den 1980er Jahren die künstlerischen Möglichkeiten des monumentalen weiblichen
Porträts erprobte. Die Werkserie wurde in Swimming-Pools in Los Angeles aufgenommen.
Die porträtierten Frauen stehen dabei jeweils bis zu den Schultern im Wasser. Ihre Gesichter
und ihre Schultern sind ganz von dem klaren, beinahe blendenden Türkis-Blau-Ton
umgeben, der dem Bild eine faszinierende „Farbsensation“ verleiht. Damit diese ruhige,
gleichmäßige Farbgebung in einer Zeit gelingen konnte, in welcher noch keine digitale
Bildbearbeitung möglich war, mussten die Porträtierten ganz still bleiben und durften sich
kaum bewegen. Sie schauen ohne Regung beinahe tranceartig den Betrachter an. Die Frau
auf der vorliegenden Fotografie trägt Lidschatten sowie pinken Lippenstift, der sie als
moderne Zeitgenossin kennzeichnet. Auf inhaltlicher Ebene erinnern die Frauen, die
gleichsam aus dem Wasser aufzutauchen scheinen, an die schaumgeborene Venus. Das
Neugeboren-Werden im Wasser und das Sich Reinigen vom alten Leben spielt in vielen
religiösen oder kulturellen Initiationsriten eine große Rolle. Die Frauen tragen keinen
Schmuck, keine Dinge an sich, die sie an einen Ort oder eine Zeit binden würden. Lediglich
die teils stark geschminkten Gesichter scheinen einen kleinen Anhaltspunkt zu geben. Die
reduzierte Mimik wirkt maskenartig, dahinterliegendes bleibt versteckt. Durch die fehlende
exakte Verortung in Raum und Zeit bannt Roland Fischer jegliche Form des
Dokumentarischen aus seinen Werken. Diese Eigenschaft von Fotografie ist aus seinen
Bildern bewusst ferngehalten. Der Künstler schafft mehr eine Ikone als ein klassisches
Porträt. Dies verdeutlicht besonders der Vergleich mit der Fotografie Elizabeth Taylor, Los
Angeles, 1985 von Helmut Newton. Das Nachtbild zeigt Liz Taylor, die den Betrachter direkt
anblickt, in einem Pool. Sie trägt eleganten, üppigen Smaragdschmuck von Bulgari und auf
ihrem Finger sitzt ein grüner Papagei. Ihre nackten Schultern und ihr Gesicht spiegeln sich
im Wasser, das sehr leichte Wellen schlägt. Gleich hinter ihr ist der Rand des Pools zu
sehen und auf den Steinfliesen, die das Wasserbecken umgeben, steht ein Regiestuhl,
versehen mit ihrem Namen. Sie ist somit in einen klar gesetzten Kontext eingebettet und als
Schauspielerin identifiziert. Da Fischer seine „Pool Portraits“ in den 1990er Jahren aufnahm,
ist davon auszugehen, dass er Helmut Newtons Werk kannte. Trotz dieser offensichtlichen
Vorbildfunktion nutzt Fischer seine Aufnahmen für eine andere Aussage. Er zeigt die Frauen
ohne individualisierende Attribute und ohne Umgebungskontext und verweigert damit den
ursprünglichen Wiedererkennungsgedanken eines klassischen Porträts. Fischer befragt mit
seinen Werken vielmehr das Menschsein nach Individualität und Isolierung, nach Freiheit
und Eingrenzung.
[…] auch ist mein Auge
Betört von deiner lieblichen Gestalt
Die figurativ-szenischen Elemente sind in der Malerei des Künstlers Eric Fischl von großer
Bedeutung. Er befasst sich mit der menschlichen Befindlichkeit, mit Stimmungen und
Beziehungskonstellationen, oft sind seine Gemälde hoch emotional und sexuell aufgeladen.
Diese erzählerische Komponente verschwindet in seinen Skulpturen vollkommen. Zurück
bleibt die reine, pure Gestalt, die sich, frei von Kontext und Einordnung, im Raum behauptet.
Dennoch kam er über die Malerei zur Skulptur und Frank-Thorsten Moll berichtet, dass er für
seine Gemälde häufig Fotografien als Vorlagen benutzte. Die Figuren aus den Fotografien
tauchten immer wieder in verschiedensten Konstellationen in seinen Bildern auf, sodass er
bald das Gefühl hatte, diese aus allen Blickwinkeln zu kennen, und so begann er, kleine
Tonfiguren nach ihnen zu formen. Dieses dreidimensionale Modellieren beschreibt Fischl als
überaus sinnliche Erfahrung, bei der, im Gegensatz zum Malen, die Augen der Hand folgen
und vertrauen. Diese sinnenhafte Körperlichkeit meint man in seinen späteren
Bronzearbeiten spüren zu können. Für seine Skulptur Woman Arching benutzte er
Fotografien von brasilianischen Tänzern. Diese bildlichen Vorlagen können Posen und
Körperhaltungen einfrieren, die nur Bruchteile von Sekunden anhalten, bevor der Tänzer die
Balance verliert, und die das menschliche Auge kaum wahrzunehmen vermag. Solche
Bewegungen setzt Fischl in Skulptur um. In einer Technik, die wie eine Hommage an seine
Vorbilder Auguste Rodin und Alberto Giacometti erscheint, erschafft er eine Tänzerin, die auf
den rechten Zehenspitzen stehend den Rücken nach hinten wölbt. Sogar den Kopf hat sie
beinahe genussvoll in den Nacken gelegt, als Gegengewicht dient nur die linke Fußspitze,
mit der sie sich leicht am Boden abstützt. Die Arme sind vor dem Brustkorb gehalten. Fischl
gelingt es, die große Beweglichkeit wie auch ihre Körperspannung spürbar zu machen, die
Kraft ihrer Waden, die schon für den nächsten Schritt gespannt zu sein scheinen. Die
Tänzerin ist ganz bei sich, ganz eins mit ihrer Bewegung und ihrem Körper – eine betörend
schöne, purifizierte Körperdarstellung. Wie rechts abgebildet, entwickelt die Skulptur in
Gegenüberstellung mit Robert Longos gigantischer Welle From the Wave Series: Monsters,
Untitled aus der ALTANA Kunstsammlung einen spannungsreichen Dialog. Die
überdimensionierte, mit Kohle und Graphit gezeichnete Welle ist in ihrer alles mit sich
reißenden Sogkraft ein Sinnbild für die Macht und Gewalt der Natur. Fischls Tänzerin
vollführt mit ihrem Körper die Bewegung der Welle gleichsam nach. Ihre Spannung und
Dynamik machen deutlich, wozu der menschliche Körper fähig ist und dass letztlich auch er
selbst eine Naturgewalt ist.
Mit ihr, wie sie mein eigen ist, zu schalten.
In den Jahren von 1999 bis 2009 schuf der Künstler Thomas Schütte die Werkgruppe
Frauen mit überlebensgroßen Skulpturen aus Bronze, Stahl und Aluminium. Während die
früheren Frauendarstellungen dieser Serie noch stärker an Skulpturen aus dem frühen 20.
Jahrhundert erinnern, beispielsweise an Frauenfiguren aus Bronze von Henri Matisse oder
Aristide Maillol, machte sich Schütte den weiblichen Körper im Laufe der Jahre mehr und
mehr zu eigen und verformte ihn radikal: „abgesägte Gliedmaßen, Verzerrungen,
plattgewalzte Körper, die aufreizende Pose eines Porno-Modells“. Mehr und mehr
verfremdete der Künstler den Frauenkörper in seinen späteren Werken, die teilweise an die
abstrakten Großskulpturen von Henry Moore erinnern. Im Zuge der monumentalen
Werkgruppe entstanden 2006 außerdem die Mappe Frauen Serie B mit 18 Radierungen
sowie die kleinformatige Bronzeskulptur Modell Nr. 17, die sich formal und inhaltlich eng an
diese angliedern. Die Radikalität, mit welcher Schütte die weiblichen Körper verändert,
scheint nicht durch misogyne Absichten zu entstehen, wie zum Teil vermutet wurde, vielmehr
benutzt er den weiblichen Körper als Ausgangsform, um aus ihm heraus neue Formen zu
schaffen. Dieser Formenreichtum wird an der Mappe mit den Radierungen sichtbar. Blatt Nr.
11 zeigt vor tiefschwarzem Hintergrund eine weibliche Gestalt, die aus wenigen, sicher
gezogenen Linien geschaffen wurde. Zwar sind Rumpf und Kopf zum Teil stark verformt,
aber man erkennt dennoch die auf der Seite liegende Gestalt mit Brüsten und angewinkeltgespreizten Beinen als weibliche Figur, die tatsächlich an die Pose eines Pin-Up-Modells
denken lässt. Anders dagegen Blatt Nr. 7: Die roten Linien umreißen einen plastisch
wirkenden Gegenstand mit Vorsprüngen, scharfen Kanten und Rundungen, der jedoch mit
dem weiblichen Körper kaum mehr in Verbindung gebracht würde, wäre er nicht Teil der
Mappe Frauen. Diese Radierung hat sich von der Form des Frauenkörpers scheinbar ganz
losgelöst und ist nur noch Form. Wieder anders verhält es sich bei Blatt Nr. 8: Diese
Zeichnung in grünen Linien zeigt einen Kopf mit weiblichem Gesicht, der jedoch auf einer
völlig verfremdeten Statur ruht, die eher wie eine leblose, abgeschlossene Masse wirkt. Man
mag beinahe von einer metamorphischen Zwischengestalt zwischen Mensch und Ding
sprechen. Diese Radierung hat zudem eine große Ähnlichkeit mit dem Bronzemodell Nr. 17
und es scheint eine gegenseitige Befruchtung gegeben zu haben – welches der beiden
Werke zuerst entstand, lässt sich jedoch nicht erkennen.
Und wenn sie weint, weint jede kleine Blume
Um einen wild zerissnen Mädchenkranz
Die in Berlin geborene Fotografin Sibylle Bergemann wurde in den 1960er Jahren zunächst
in der DDR vor allem mit Modefotografien für die Zeitschrift Sibylle bekannt, die mit ihrem
anhaltenden Plädoyer für Individualismus weit über eine gewöhnliche Frauenzeitschrift
hinaus ging, ähnlich der Brigitte im Westen. Bereits in den 1970er Jahren begann Sibylle
Bergemann mit einer Polaroidkamera zu arbeiten. Sie benutzte die Bilder wie Skizzen für
ihre Modefotografien: „[…] ich drücke drauf, um zu sehen, was ich gesehen habe“38. Die
Künstlerin erkannte im Laufe der Zeit die besonderen Möglichkeiten, die diese Technik mit
sich bringt. Besonders das Verwischende, Verschwimmende, die Unschärfe, die eigentlich
gegen alles spricht, was ein standardmäßig gutes Foto ausmacht, nutzt sie für ihre
bildpoetischen Intentionen. Polaroids wirken schon in dem Moment, in dem sie geschossen
werden, wie antiquarische Fundstücke und bezeugen auf nostalgische Art und Weise, dass
der Augenblick, in dem das Bild gemacht wurde, in der nächsten Sekunde schon eine
Erinnerung ist. Die Kulturkritikerin Susan Sontag beschreibt diesen Effekt von Fotografie, der
besonders im Polaroid sichtbar wird, wie folgt: „Jede Fotografie ist eine Art Memento Mori.
Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit
anderer Menschen (oder Dinge). Eben dadurch, daß sie diesen einen Moment herausgreifen
und erstarren lassen, bezeugen alle Fotografien das unerbittliche Verfließen der Zeit.“ In den
Arbeiten von Sibylle Bergemann ist dieser Gedanke permanent spürbar. Die Künstlerin
benutzt Polaroidfotografie, die mit der Zeit mehr und mehr verblasst und schließlich
verschwindet; sie akzeptiert damit einerseits die Prozesse der Vergänglichkeit und versucht
andererseits, dennoch das Ephemere für eine bestimmte Zeit zu fixieren. Mit ihrem Interesse
an Verkleidungen fotografiert Bergemann in ihrer unbetitelten Polaroid-Bildstrecke Mädchen
mit Blumen im Haar und zumeist rot geschminkten Lippen. Die Mädchen stehen in ihren
Kleidchen vor Fenstern, draußen in der Natur oder vor nicht erkennbaren Hintergründen und
schauen mit neugierig-provozierenden Augen in die Kamera, sie legen den Kopf schief,
schauen weg oder drehen sich gar ganz um. Eindeutig ist der Kinderblick in allen Bildern
auszumachen, doch die irritierenden, rot geschminkten Lippen wirken wie ein Zeitraffer, der
aus den Kindern schon die Frauen machen will, die sie einmal sein werden. Sensibelerzählerisch scheinen diese Polaroids ein ganzes Leben in einem Foto festhalten zu wollen.
Auf melancholische Weise wird sowohl an die Vergänglichkeit der Kindheit als auch des
Lebens überhaupt erinnert. Gleichzeitig haftet den Blicken der Mädchen ein starker Wille und
eine Gespanntheit auf die Zukunft an. Sibylle Bergemann findet mit ihren Aufnahmen eine
betörende Balance zwischen Zartheit und Stärke, zwischen Frohmut und Elegie.
Weil Leid der Liebe so geeignet ist
Wie Träume, Seufzer, stille Wünsche, Tränen,
Der armen kranken Leidenschaft Gefolge.40
Werner Tübke, der zur ersten Generation der Leipziger Schule gezählt wird, ist wohl einer
der bedeutendsten, aber auch umstrittensten Künstler des 20. Jahrhunderts. Der Maler, der
traditionelle Maltechniken virtuos beherrschte, bediente sich motivisch meist der christlichen
Ikonografie oder antiker, Mythen. Sein selbsterklärtes Ziel war es, Gleichungen für das
menschliche Dasein zu finden. Das Zeichnen ist Ursprung und Ausgangspunkt für sein
Schaffen; so sagte er selbst: „Ich habe im Grunde als Zeichner begonnen, und ich werde
wohl als Zeichner auch aufhören.“ Ein Skizzenbuch trug er ständig bei sich und skizzierte die
Menschen, die ihn umgaben. So zeichnete er auch oftmals seine zweite Ehefrau Angelika,
mit der er von 1960 bis 1976 verheiratet war. Eines seiner frühesten Bildnisse von ihr ist das
Blatt Angelika mit Hut aus dem Jahr 1959 [S. 55]. Es handelt sich um eine äußerst feine und
besonders im Bereich des Gesichtes sehr präzise Zeichnung. Das Gesicht, Teile der Hände
sowie der rote Hut wurden mit Aquarellfarben koloriert. Es handelt sich um eine stark
romantisierende Darstellung seiner Geliebten, die Pose ist sehr klassisch gewählt. Ganz
anders und überaus reizvoll präsentiert sich eine Studie von 1965. Angelika hat in
entspannter, beinahe gelangweilter Haltung den Ellenbogen auf ihr Knie und den Kopf auf
die Hand gestützt. In sehr naher Ansicht gezeigt, schaut sie jedoch den Betrachter nicht an,
ihr Blick scheint gedankenvoll abzuschweifen. Die Zeichnung ist mit rascherer Hand und
einer härteren Linienführung geschaffen, die dabei jedoch niemals Präzision einbüßt. Tübkes
Hand scheint an keiner Stelle zögerlich, mit scheinbar intuitiver Sicherheit setzt er gekonnt
Linie an Linie und moduliert mit engen, diagonalen Schraffuren Licht und Schatten. Diese
vollendeten Blätter werden tagebuchartig gleichsam zu Zeugen der Beziehung des Paares.
Ihr alle schier
Habet nun geschlummert hier
Und geschaut in Nachtgesichten
Eures eignen Hirnes Dichten
Der japanische Bildhauer Katsura Funakoshi wuchs in seinem Heimatland in einem christlich
geprägten Elternhaus auf, sein Vater, ein bekannter Bildhauer, brachte ihm die westliche
Ikonografie nahe. In seinen Werken verarbeitet der Künstler Einflüsse aus beiden
Kulturräumen. So kommt es, dass seine figurativen Büsten aus Kampferholz etwas UrMenschliches an sich haben und gleichzeitig ein modernes Menschenbild zu verkörpern
scheinen, welches räumliche und zeitliche Grenzen überwindet und universell lesbar wird.
Nationalität oder kulturelle Herkunft sind kaum bestimmbar, auch Alter und Geschlecht
erscheinen nicht eindeutig. So auch bei seiner Skulptur A Map of the Time. Die Frau mit den
androgynen Gesichtszügen kann man vor allem an den Haaren, die am Hinterkopf zu einem
Knoten zusammengesteckt sind, als Frau identifizieren. Sie trägt eine dunkle Jacke mit
einem Kragen, die Brust ist flach, die Arme hängen in entspannter Haltung am Oberkörper
hinab. Die Frau hat, wie die meisten Werke Funakoshis, einen extrem langen Hals. Die
Körperhaltung ist aufrecht und ihr Blick aus den marmornen Augen erscheint wach,
fokussiert aber keinen festen Punkt. Sie wirkt dadurch an- und abwesend zugleich. Ihre
Lippen sind geschlossen, wie bei den meisten Skulpturen des Bildhauers. Ein japanischer
Kunsthistoriker kommentierte dennoch, man hoffe, „[…] daß das Flüstern, das in den
Arbeiten Funakoshis stecke, von den Besuchern der Ausstellung auch wahrgenommen
würde“. Dieses Flüstern scheint demnach kein ausgesprochenes, aktives zu sein.
Tatsächlich vermitteln die Figuren ein starkes Gefühl von einem Gegenüber, man „begegnet“
ihnen geradezu. Doch der unbewegte Gesichtsausdruck irritiert; Funakoshi wollte alle
Gefühle gleichzeitig in diesem einen Gesichtsausdruck vereinen – und so wird der Betrachter
in seinem Gegenüber wohl letztlich das finden, was er selbst schon in sich trägt. Schon
Heinrich von Kleist, auf welchen er sich bezieht, war der Ansicht, dass die Konfrontation des
Menschen mit seinem Abbild der Weg zur Selbsterkenntnis ist. Dieses Abbild, diesen
Spiegel seiner selbst vermag der Betrachter in Funakoshis Skulpturen zu finden und so ist
womöglich das Flüstern, von welchem der zitierte japanische Kunsthistoriker spricht, letztlich
die eigene Stimme. Der Titel der Skulptur, A Map of the Time, steht in Verbindung mit der
traditionellen japanischen, äußerst kurzen Gedichtform „Haiku“, deren wortspielerischer
Sinngehalt keinen logischen Gesetzmäßigkeiten folgt.
Mein Herz war dort nur wie in fremdem Land
Um noch einmal auf Shakespeare zurück zu kommen: Die Frau mit dem intensiv-pinken
Kostüm und dem gepunkteten Kopftuch in dem Werk Ein letzter sehnsuchtsvoller Blick
wurde ihr gestattet des Malers Jub Mönster ist - wie Viola aus der Komödie Was ihr wollt buchstäblich in einer fremden Landschaft gestrandet:
„Viola: Welch Land ist dies, ihr Freunde?
Schiffshauptmann: Illyrien, Fräulein.
Viola: Und was soll ich nun in Illyrien machen?“
Der 1949 geborene Künstler durchstreift Flohmärkte und Auktionen, um alte, ausrangierte
Landschaftsgemälde aus dem frühen 20. Jahrhundert zu finden. Zudem sammelt er Dias mit
Bildern, die Menschen von Situationen aufnahmen, die sie einst als wichtig oder besonders
empfanden. Nicht selten stößt er dabei auf Kästen voller Hochzeits-, Geburtstags- und
Reisedias und kann Paaren oder Familien gleichsam beim Älterwerden zuschauen. Diese
Figuren „montiert“ er dann malerisch in die alten Landschaftsgemälde hinein – und fügt so
bewusst Dinge zusammen, die nicht so richtig zueinander passen wollen. Dieser Eindruck ist
nicht zuletzt der daraus resultierenden unterschiedlichen Malweise von Landschaft und Figur
geschuldet. Mönster hat die Frau mit dem etwas zu engen Kostüm als Repoussoir-Figur in
die rechte Bildhälfte hineingesetzt, sodass sie gleich dem Betrachter auf die vor ihr liegende
Landschaft schaut. Der Titel Ein letzter sehnsuchtsvoller Blick wurde ihr gestattet verrät die
Melancholie, aber auch den subtilen Humor, mit dem der Künstler seine Figuren einem
verstörenden Fremdheitsgefühl überlässt. Wie im Cäsar-Algorithmus verschiebt er Orte und
Personen nur um ein Weniges und erreicht damit doch größtmögliche Irritation. Bei dieser
alten Verschlüsselungsmethode wird jedem Buchstaben des Alphabets ein
Geheimbuchstabe zugeordnet. Das Geheimalphabet wird in der üblichen Reihenfolge
zyklisch nach rechts verschoben, sodass jeder Buchstabe einem neuen Geheimbuchstaben
zugeordnet ist und zunächst kein Wort mehr lesbar scheint. Die Anzahl der verschobenen
Zeichen ergibt den Schlüssel zur Dechiffrierung. In ähnlicher Manier ordnet Jub Mönster
seine Figuren einer neuen Landschaft zu und schafft mit dieser Zuordnung eine
Rätselhaftigkeit, die unlösbar scheint. So werden seine Figuren zu Namenlosen in einer
Welt, die nicht zu ihnen gehört und in welcher sie dennoch ausgesetzt wurden und sich
zwangsläufig zurechtfinden müssen. Diese Verlorenheit des Menschen in der Landschaft
erinnert zudem an Werke des großen Malers der Romantik, Caspar David Friedrich. In
seinen Arbeiten wie Mönch am Meer findet sich der Mensch ebenfalls mit einer beinahe
übermächtigen Natur konfrontiert, welcher er einsam und verloren ausgeliefert ist. Jub
Mönster berührt mit seinem Werk Fragen nach Realität und Konstruktion sowie schließlich
nach Existenz und Leben. Sei es die vermeintlich sehnsuchtsvolle Frau bei Jub Mönster, die
konfliktbehaftete Medea bei Michael Triegel, die sich Verwandelnde bei Kiki Smith oder die
starken Frauen bei Barbara Klemm – Künstlerinnen und Künstler haben nie davon
abgelassen, die Frau darzustellen. Dabei können sie ganz authentisch gezeigt werden, oder
es werden verschiedenste Rollenbilder probiert, betont oder entkräftigt. Die Anziehungskraft
der Frau auf Künstlerinnen und Künstler ist ungebrochen. Die Frauendarstellungen aus der
Sammlung Klöcker im Dialog mit Landschaftsbildern aus der ALTANA Kunstsammlung
spiegeln
mit
spielerischer
Leichtigkeit
die
Atmosphäre
von
Shakespeares
Sommernachtstraum wider und mögen am Ende ein Gefühl hinterlassen, das Hippolyta zu
Beginn des fünften Aktes angesichts der traumartigen Geschehnisse empfindet:
Doch diese ganze Nachtbegebenheit,
Und ihrer aller Sinn, zugleich verwandelt,
Bezeugen mehr als Spiel der Einbildung.
Es wird daraus ein Ganzes voll Bestand,
Doch seltsam immer noch und wundervoll.
MUSEUM SINCLAIR-HAUS
Löwengasse 15, Eingang Dorotheenstraße, 61348 Bad Homburg v. d. Höhe
Öffnungszeiten
Dienstag 14–20 Uhr, Mittwoch bis Freitag 14–19 Uhr
Samstag, Sonntag und an Feiertagen 10–18 Uhr , Montags geschlossen
Informationen zur Ausstellung: T +49 (0) 6172 404-128, www.altana-kulturstiftung.de
Zum Katalog: © ALTANA Kulturstiftung gGmbH, 120 Seiten, 2015, Kerber Verlag
ISBN Museumsausgabe: 978-3-945674-02-4, Preis: 20€
PRESSEKONTAKT: Patricia Germandi, Leitung Kommunikation
ALTANA Kulturstiftung gemeinnützige GmbH, Am Pilgerrain 15, 61352 Bad Homburg
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