Beitrag aus der Fachzeitschrift „innovative VERWALTUNG“, Ausgabe 10/2015. Weitere Infos unter: iV-Redaktion, Postfach 11 30, 27722 Worpswede, Tel. (0 47 92) 95 52-77, E-Mail: [email protected], Internet: www.innovative-verwaltung.de. ©2015 Springer Gabler/Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Konfliktpotenzial frühzeitig erkennen und bearbeiten Niedersachsen: Runder Tisch zur Vernetzung und zum Erfahrungsaustausch Anfang Juni haben das niedersächsische Justizministerium und weitere Partner aus Wirtschaft, Verwaltung und Verbänden einen „Runden Tisch Mediation und Konfliktmanagement in öffentlichen Organisationen“ initiiert. Über Aufgaben, Ziele und die weitere Entwicklung sprachen wir mit Antje Niewisch-Lennartz, Justitzministerin des Landes Niedersachsen. Warum sind die Themen „Mediation“ und „Konfliktmanagement“ inzwischen im öffentlichen Sektor so präsent? Ist das Konflikt-Potenzial gewachsen? Niewisch-Lennartz: Ich denke nicht, dass Konflikte in öffentlichen Verwaltungen in letzter Zeit zugenommen haben. Deren Wahrnehmung hat sich verändert. Oft werden im behördlichen Bereich genauso wie in der Privatwirtschaft Streitigkeiten am Arbeitsplatz in ihrer Relevanz unterschätzt. Wir neigen wie alle anderen Organisationen auch dazu, Konflikte zu verdrängen oder uns erst dann um sie zu kümmern, wenn es gar nicht mehr anders geht. Aber es lohnt sich, Streit frühzeitig anzunehmen und anzugehen. Damit steigert man zum einen die Chance, Konflikte ohne unnötige Weiterungen zu beheben, und nutzt auf der anderen Seite das positive Potenzial, das in jedem Streit liegt. Worum geht es beim Konfliktmanagement? Können Sie das konkretisieren? Niewisch-Lennartz: Die konsensuale Bearbeitung von Konflikten schwappte in den 1980er-Jahren nach Deutschland und traf hier auf eine schon bis in die 1920erJahre zurückzuverfolgende Debatte um „Schlichten statt Richten“, die allerdings mit Ideen der Demokratisierung der Justiz und auch mit ihrer Entlastung verknüpft waren. Der „Siegeszug“ der Mediation setzte in den 1990er-Jahren vor allem auf Basis positiver Erfahrungen aus dem englischsprachigen Raum ein. Seither wächst im Rechtsleben der Wunsch, zur Lösung von Konflikten neben den Gerichten auch eine konsensuale Alternative, insbeson- 18 innovative Verwaltung 10/2015 meiner festen Überzeugung neben anderen Komponenten auch, dass wir eine im besten Sinne gute Streitkultur haben. Was ist die Intention für die breit angelegte Kooperation verschiedener Partner? Niewisch-Lennartz: In erster Linie geht es darum, aus Erfahrungen anderer zu lernen. Es gibt bewährte Strategien beim Aufbau von Strukturen für das Konfliktmanagement, aber auch Hindernisse und Sackgassen. Wir denken, dass es klug ist, frühzeitig dafür zu sorgen, Anregungen für das eigene Projekt zu bekommen und aus Fehlern anderer lernen zu können. Antje Niewisch-Lennartz dere die Mediation, zur Verfügung zu haben. Erst später sind in diese Entwicklungen auch innerbetriebliche oder innerbehördliche Konflikte einbezogen worden. Seit ein paar Jahren gewinnt hier die Erkenntnis an Bedeutung, dass unbehandelte oder nicht angemessen bearbeitete Streitfälle unter Mitarbeitern erhebliche Nachteile nicht nur für die Atmosphäre in einem Unternehmen haben, sondern sich auch nachhaltig zulasten der Produktivität auswirken und erhebliche Kosten verursachen können. Für den öffentlichen Dienst gilt diese Feststellung entsprechend. Wenn hier auch die Kostenaspekte nicht genauso durchschlagen, haben wir in Zeiten knapper werdender Mittel und von zunehmender Arbeitsverdichtung allen Anlass, uns im Wettbewerb um die besten Nachwuchskräfte als ein attraktives „Unternehmen“ zu zeigen. Dazu gehört nach Welche Ziele hat man sich gesetzt, was will man erreichen, und wie will man – auch praktisch – zusammenarbeiten? Niewisch-Lennartz: Wir bilden ein Netzwerk, das Erfahrungsaustausch zum internen Konfliktmanagement ermöglicht. Wir unterstützen uns gegenseitig beim Aufund Ausbau sowie der Durchführung von Konfliktmanagement und der Errichtung von Konfliktmanagement-Systemen. In diesem Rahmen wollen wir auch eine wissenschaftliche Fundierung und ganz allgemein einen Beitrag zur Förderung und Weiterentwicklung des konstruktiven Umgangs mit Konflikten leisten. Der Runde Tisch befindet sich freilich noch in der Gründungsphase. Wir sind gerade dabei, die Selbstorganisation zu finalisieren und uns durch – vorsichtige –Aufnahme weiterer Mitglieder breiter aufzustellen. Warum hat sich das niedersächsische Justizministerium an dem Projekt beteiligt? Beitrag aus der Fachzeitschrift „innovative VERWALTUNG“, Ausgabe 10/2015. Weitere Infos unter: iV-Redaktion, Postfach 11 30, 27722 Worpswede, Tel. (0 47 92) 95 52-77, E-Mail: [email protected], Internet: www.innovative-verwaltung.de. ©2015 Springer Gabler/Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Niewisch-Lennartz: Wir kümmern uns schon seit vielen Jahren um das Thema Mediation und konsensuale Streitlösung. Zum einen geht es um die Verfahren in unseren Gerichten, die erhebliches Mediationspotenzial aufweisen; ich selbst bin ausgebildete Mediatorin und habe zu meiner Zeit beim Verwaltungsgericht eine Vielzahl von Mediationen durchgeführt – in der Sprache des Mediationsgesetzes heute: Güterichterverfahren. Zum anderen haben wir die allgemeine Entwicklung der Mediation im Blick. So veranstalten wir jährlich einen Konfliktmanagement-Kongress, über den die innovative VERWALTUNG seit letztem Jahr auch berichtet. Vor sechs Jahren hat sich der Kongress intensiv mit Wirtschaftsmediation befasst und dabei auch die Konfliktlösung innerhalb von Unternehmen in den Fokus genommen. Darüber entstand ein Kontakt zu den Pionieren in der Wirtschaft, den wir anschließend genutzt haben, um die Idee auch in die Justizverwaltung zu tragen. Bald ergab sich das Bedürfnis nach Vernetzung, die über den schon länger etablierten „Round Table Mediation und Konfliktmanagement der deutschen Wirtschaft“ nicht zu leisten war, weil dieser öffentliche Organisationen nicht aufnimmt. So haben wir selbst die Initiative ergriffen und andere Behörden mit ähnlichen Interessen zum Auftakttreffen im Jahre 2014 nach Hannover eingeladen. Welche Erfahrungen hat Ihr Ministerium mit Mediation und Konfliktmanagement? Niewisch-Lennartz: Wir haben uns zunächst einmal ein Bild darüber gemacht, auf welche Weise Konflikte bisher aufgearbeitet werden. Hier hat sich ein breites Spektrum von Ansprechpartnern und Werkzeugen ergeben: von Dienstvorgesetzten, Personal- und Richtervertretungen über Gleichstellungsbeauftragte bis hin zu spezifischen Angeboten im Rahmen der Organisationsberatung, des Coachings oder der Prozessbegleitung im Gesundheitsmanagement. Wir haben diese verschiedenen Konfliktlösungsangebote in einem „Navigationsatlas“ zusammengeführt, den wir stetig weiterentwickeln werden. Als strategischen und zugleich justizspezifischen Ansatz kann ich die Güterichter nennen. Wir haben im Land über 200 ausgebildete Mediatoren, die an den Gerichten die inzwischen gesetzlich geregelte Funktion von Güterichtern wahrnehmen. Wir wollen diesen großen Erfahrungsschatz auch für die Bearbeitung interner Konflikte nutzen. Das Ministerium will eigene Konfliktnavigatoren ausbilden. Was verspricht man sich von dieser Idee? dere kommunikative Fähigkeiten besitzen. Weiter ist uns Ausgewogenheit in mehrfacher Hinsicht wichtig: Neben Gesichtspunkten der Geschlechterparität und einer möglichst guten Verteilung im Flächenland Niedersachsen sowie über die Gerichtsbarkeiten und Staatsanwaltschaften wollen wir auch erreichen, dass die verschiedenen Dienstgruppen ausgewogen vertreten sind. Wir wollen den Kollegen, die sich zu einem Runder Tisch Mediation und Konflikt-Management in öffentlichen Organisationen Der Runde Tisch wurde nach einiger Vorbereitung im Juni 2015 ins Leben gerufen. Zu den Partnern des niedersächsischen Justizministeriums gehören die Landeshauptstadt München, die Europa-Universität Viadrina, die Polizei Baden-Württemberg, Postillion e. V., die Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf, Tübingen, Würzburg, Mannheim und München und die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Mehr Infos unter www.rt-mkoe.de. Niewisch-Lennartz: Die Konfliktnavigatoren sollen erste Anlaufstelle für Konfliktbeteiligte sein und eine Lotsenfunktion übernehmen, ohne selbst konkrete Fälle zu bearbeiten. Die Bestandsaufnahme hat erbracht, dass bereits bestehende Lösungsangebote zu wenig bekannt sind und Konfliktbeteiligte keine Möglichkeit haben zu prüfen, welcher Weg für den Konflikt der ertragreichste ist. Die Konfliktnavigatoren sollen diese Lücke schließen. Mögliche Instrumente sollen aufgezeigt, und das passende gefunden werden. Wie werden die Beschäftigten ausgewählt und ausgebildet, und wo sollen sie eingesetzt werden? Niewisch-Lennartz: Wir sind dabei, eine erste Gruppe von 15 Kollegen auszubilden; mit einer zweiten Gruppe gleicher Anzahl werden wir noch in diesem Jahr beginnen. Dabei kommt es uns darauf an, dass die Justizangehörigen aufgrund ihrer Berufserfahrung mit den Geschäftsabläufen in den Gerichten oder Staatsanwaltschaften sehr gut vertraut sind, Interesse an Fragen des Konfliktmanagements haben und beson- Konflikt beraten lassen, ein möglichst breites Angebot an Navigatoren zur Verfügung stellen. Es wird keine „Zuständigkeiten“ geben, die Anfragenden sollen nach ihren Kriterien auswählen können. Die Ausbildung bezieht sich zum einen auf die bestehenden Konfliktlösungsangebote, mit denen die Navigatoren vertraut gemacht werden. Zum anderen geht es um die Vermittlung grundlegenderer Kenntnisse zum Themenkreis Konflikt, Kommunikation und konsensuale Konfliktbearbeitung. Sollen auch weitere öffentliche Einrichtungen von diesem Projekt profitieren? Niewisch-Lennartz: Kooperationen sind in verschiedener Hinsicht denkbar. Zum einen wird sich der „Runde Tisch“ erweitern – ich sagte es bereits. Weitere Kooperationen im Sinne unmittelbarer bilateraler Unterstützung sind sicher denkbar; diese Überlegungen stehen aber noch am Anfang. Zunächst einmal müssen wir schauen, dass wir unser eigenes Projekt erfolgreich voranbringen. Vielen Dank für das Gespräch. innovative Verwaltung 10/2015 19
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