Kippa trifft Takke

Abteilung:
Sendereihe:
Sendedatum:
Produktion:
Kirche und Religion
Gott und die Welt
6.03.2016
29.02.2016
Redaktion:
Autor/-in:
Sendezeit:
Anne Winter
Barbara Zillmann
9.04-9.30 Uhr/kulturradio
9.15-17.00 Uhr/T9
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GOTT UND DIE WELT
Kippa trifft Takke - Jüdisch-muslimischer Dialog in Deutschland
Sprecherin:
Marina Behnke
Regie:
Roman Neumann
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Orientalische, dezente Musik
O-Ton Hagar Levin, Israelische Studentin, Pädagogin
Eine Sache, die wir ganz oft hören, oh, eigentlich sind wir so ähnlich, wir dürfen beide
kein Schwein essen, wir haben beide so Tage, wo wir fasten müssen – Kopftuch - und
das kommt oft: Oh, wie ähnlich sind wir eigentlich.
O-Ton Imam Kadir Sanci
Ein Islamgelehrter des 20. Jhdt pflegte zu sagen, dass Menschen feindselig sich
gegenüber sind, wenn sie sich gegenseitig nicht kennen. () dass sie sich gegenseitig,
ich sag jetzt mal abschießen oder angreifen, ja gefährden. Und dass dieses Kennenlernen sehr bedeutend ist. Und dann muss man sich wirklich fragen, wie soll es
funktionieren?
O-Ton Chalid Durmosch, Pädagoge
Also wir fangen hier im Projekt auch bei den Jugendlichen selber an. Bei den eigenen
Riten, bei den eigenen Äußerlichkeiten und (…) im Jüdischen haben wir die Kippa, und
im muslimischen Glauben haben wir die Takke, welche die Imame zum Beispiel auf
dem Haupt tragen oder die Männer in der Moschee. Inhaltlich geht's um dasselbe.
Beide bedecken ihr Haupt aus Respekt vor Gott.
Titelsprecherin
Kippa trifft Takke
Jüdisch-muslimischer Dialog in Deutschland
Eine Sendung von Barbara Zillmann
Atmo jüdischer Chor
Autorin
Einmal im Jahr lädt die CDU-nahe Konrad Adenauer Stiftung in Berlin zur Rabbiner
Brandt-Vorlesung ein. Die Veranstaltungsreihe soll die interreligiösen Impulse von
Henry G. Brandt, einem liberalen Rabbiner aus Augsburg, in die Breite tragen.
Organisator ist der deutsche Koordinierungsrat der "Gesellschaften für christlichjüdische Zusammenarbeit", dem der Rabbiner vorsteht. Während sich das Auditorium,
das wie ein Hörsaal mit ansteigenden Rängen gestaltet ist, langsam füllt, singt sich der
Chor ein. Für diesen Abend haben die Sängerinnen und Sänger ein Lied des jüdischen
Komponisten Louis Lewandowski ausgewählt; seine Musik stand für die Assimilation
der Juden im Deutschland des 19. Jhdts.
Atmo jüdischer Chor, als Probe erkennbar (fast wie Kirchengesang)
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Autorin:
Eine Frau Mitte 30, mit langen schwarzen Haaren, in dunkler Jeans und bunter Bluse
geht die Stufen hinunter, setzt sich in die erste Reihe und lauscht der Musik. Es ist die
Referentin des Abends, Lamya Kaddor. Die Islamwissenschaftlerin und Religionslehrerin wurde als Kind syrischer Einwanderer in Westfalen geboren. Sie will heute
Abend über die Rolle der Muslime in der deutschen Zivilgesellschaft sprechen.
O-Ton Sirsch
Für uns ist das natürlich nichts Neues. Bereits in den 70er Jahren gab es Gespräche
zwischen dem deutschen Koordinierungsrat und Muslimen in Deutschland, und wir
haben Ende der 80er Jahre (mit Ignaz Bubis) die abrahamischen Teams ins Leben
gerufen – (und uns ist es wichtig, auch diese Seite zu beachten).
Autorin:
sagt Rudolf Sirsch, Generalsekretär der christlich-jüdischen Gesellschaften. Interkulturell geschulte Pädagogen aus Judentum, Christentum und Islam, die sich
gleichermaßen auf den "Urvater Abraham berufen", gehen bis heute gemeinsam in
Schulen. Doch neben dem traditionellen Trialog wird derzeit das direkte jüdischmuslimische Gespräch immer wichtiger.
Atmo Rede Lamya Kaddor - Stichworte: muslimischer Antisemitismus - jüdisch -
muslimischer Dialog - deutsche Gesellschaft.
Autorin:
Das Auditorium ist voll besetzt. Im Publikum sind auch Holocaust-Überlebende.
Lamya Kaddor ist eine gefragte Rednerin – aber dass sie hier eingeladen wurde, sei
eine Ehre für sie, sagt sie später. Kritisch und selbstkritisch spricht sie über
Integration der Muslime in Deutschland, über Antisemitismus und Islamfeindlichkeit,
über die pädagogische Arbeit mit radikalisierten Jugendlichen. Sie erklärt, wie wichtig
es wäre, die große Zahl der moderaten, gut integrierten deutschen Muslime wahrzunehmen und in die gesellschaftlichen Diskurse einzubinden.
Atmo Kaddor "deutsche Gesellschaft verändern", Klatschen
Autorin:
Am Ende dankt der 89jährige Rabbiner Brandt für Anstöße und neue Einsichten. Denn
Lamya Kaddor widerlegt nahezu alle Klischees über Muslime und Musliminnen in
Deutschland. Im Foyer liegen ihre Bücher zu einem zeitgemäßen Islam.
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Atmo-O-Ton Rabbiner Brandt
Ich glaube, dass manche von uns voller Gedanken nachhause gehen, und revidieren
auch einiges, was wir geglaubt haben als Wahrheiten absorbiert zu haben.
Atmo Jugendliche - Straße
Autorin:
Wenn sie nicht gerade als Referentin oder Gast einer Talkshow durch Deutschland
reist, arbeitet Lamya Kaddor als Lehrerin für islamischen Religionsunterricht in
Dinslaken, einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung im Ruhrgebiet. Von hier, berichteten Medien, kamen auch deutsche Kämpfer des IS. "Die Juden" sind bei ihren Schülern
immer wieder ein Thema, ein Schimpfwort, eine Floskel. Nicht nur bei denen, die
arabische Wurzeln haben:
Atmo Parkplatz - Schritte
O-Ton Kaddor
unser Anknüpfungspunkt ist, wir leben in Deutschland, und hier gibt es Juden und es
gibt bestimmte Vorfälle, Antisemitische Äußerungen, und die kommen aus allen
möglichen Ecken, und die wollen wir uns mal anschauen. Und auch angehen. Es geht
uns auch an, weil wir Deutsche sind.
Atmo Bistro
Autorin:
In der Schulpause geht die Religionslehrerin gern in ein nahes, beliebtes Bistro.
(Atmo) Der jüdisch-islamische Dialog liegt Lamya Kaddor am Herzen. Zusammen mit
Michael Rubinstein von der jüdischen Gemeinde Duisburg hat sie 2013 ein Buch mit
dem Titel „So fremd und doch so nah – Juden und Muslime in Deutschland“
geschrieben. Es gebe viele Gemeinsamkeiten, sagt sie, etwa ihre Situation in der
Diaspora. Die Muslima möchte Brücken bauen.
Atmo am Tisch
O-Ton Kaddor (im Bistro)
Ja. Gerade weil wir aus dem Judentum lernen können. Gerade weil in letzter Zeit ich
immer stärker wahrnehme, dass sich beispielsweise der Zentralrat der Juden oder
auch jüdische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gerade auch positiv und
rückenstärkend vor oder hinter die Muslime stellen, wenn sie mal wieder öffentlich
angeprangert werden wegen irgendwelcher Verhaltensweisen, die man ihnen zuschreibt - und das ist aus meiner Sicht sehr wohltuend und wichtig, dass tatsächlich da
jüdische Mitbürger sagen wir erheben unsere Stimme, das geht zu weit, da müssen wir
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unsere muslimischen Brüder in Schutz nehmen, das erwarte und wünsche ich mir aber
genauso andersherum, und das passiert aus meiner Sicht zu wenig.
Autorin:
Sie selbst leitet ein Jugendprojekt mit dem Namen: "Extreme out - Antisemitismus
unter Muslimen". Es wird gefördert von der Bundesregierung und getragen vom
liberal-islamischen Bund in Deutschland, dessen Vorsitzende sie ist. Auch wenn es eine
zähe und langwierige Arbeit sei - sie setzt darauf, dass sich judenfeindliche Stereotype
und Vorurteile abbauen lassen:
O-Ton Kaddor
Ja, es ist machbar, aber es sind unheimlich dicke Bretter zu bohren, und ich will nicht
verheimlichen, dass ich manchmal auch stehenbleibe auf dem Weg und frag, schaffst
du das eigentlich, ist das wirklich machbar. Aber ich glaube daran, dass es machbar ist.
Autorin:
Der Schlüssel sei Empathie, das Kennenlernen jüdischer Nachbarn und ihrer Familiengeschichten, und ein Blick der Jugendlichen auf ihre eigene Situation: Woher kommt
eigentlich die Ausgrenzung, die ich selbst immer wieder erfahre? Was richten Feindbilder in einer Gesellschaft an? Das sind Themen, die Lamya Kaddor mit ihren
Schülern diskutiert.
O-Ton Kaddor
Und ich glaube, wenn man den Mechanismus aber mal aufdeckt und sagt, ihr kennt es
doch ganz ähnlich, wenn ihr euch hier als Opfer dieser deutschen Gesellschaft fühlt
und euch auch diskriminiert fühlt, sind das doch die gleichen Mechanismen, die
verallgemeinern, es gibt ne Ingroup, und es gibt ne fremde Gruppe und im Grunde
genommen macht ihr doch genau das gleiche mit ner anderen Gruppe, und die wären
natürlich beliebig auswechselbar Autorin
Immer wieder in der Geschichte haben sich Juden, Christen und Muslime gegenseitig
zu Feinden erklärt, ihre Religionen und Kulturen als unvereinbar. Dabei fußt die jeweils
jüngere Religion auf dem Erbe der älteren – auch der Islam ist nicht im luftleeren
Raum entstanden:
O-Ton Kaddor
Und damit tun sich scheinbar ganz viele Muslime schwer, weil sie denken, das wär
quasi ne neue Religion, nein das ist es überhaupt nicht, sagt der Koran ja selbst, dass
es keine neue Religion ist. Ich glaube, wenn wir das stärker im Hinterkopf hätten in der
Begegnung mit Juden und Christen und mein Gegenüber das ähnlich sieht, dann
hätten wir die Probleme hier nicht.
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Orientalische Klänge
Autorin:
Jedes Jahr im März veranstalten die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit die Woche der Brüderlichkeit. Heute wird sie in Hannover feierlich eröffnet.
Bislang war diese Woche der Beziehung zwischen Christen und Juden gewidmet. In
diesem Jahr gibt es einen besonderen Akzent: die gemeinsame Lesung aus den
Heiligen Schriften des Judentums und des Islam, aus Tora und Koran. An sieben
Themen-Abenden werden zwei Experten ausgewählte Verse vergleichen: der
Rabbiner der liberalen jüdischen Gemeinde in Hannover, Gabor Lengyel, und die
islamische Theologin Hamideh Mohagheghi
O-Ton Mohagheghi
Es war dann jetzt die Idee, das ist die Chance. Wenn wir hier in Hannover die Woche
der Brüderlichkeit haben, dass wir dann gemeinsam jetzt das Thema eingrenzen und
sagen, wir machen nur Tora und Koran. Da denke ich, das setzt auch ganz gutes
Zeichen nach außen, dass durchaus Juden und Muslime gemeinsam sich auch an
theologische Sachen ranmachen können.
O- Ton Lengyel
Wir kennen uns lange, und Hamideh war häufig auch bei uns in der Synagoge, wir
wissen nicht wieviel kommen werden, ... es ist ein absolutes Novum, ein Versuch,
vielleicht ein geschichtliches Ereignis, wer weiß, ... es ist ein Glatteis, aber wir haben
kein Problem damit.
Autorin:
Die Schöpfungsgeschichte, das Menschenbild, die Gebote und Verbote beider
Religionen werden öffentlich debattiert - aber auch um biblische Gestalten wie etwa
Mose soll es gehen, der im Islam, ebenso wie Jesus, zu den großen Propheten zählt.
O-Ton Mohagheghi
Es ist nicht nur für sein Volk gewesen, was er als Botschaft Gottes gebracht hat,
sondern für die gesamte Menschheit. Und genau so ist es, dass im Koran dann Tora als
Rechtleitung und Licht für die Menschheit dargestellt wird, und daher - ich versteh,
dass ich als Muslima nahezu die Pflicht habe mich mit Tora auseinanderzusetzen.
Autorin:
Auch als Buchreligionen sind die Religionen einander nahe. Zugleich finden sich
sowohl in der Tora als auch im Koran Verse, die Gewalt gegen andere Völker als
Gottes Willen, ja als Gottes Befehl darstellen. Das betrifft zur Zeit besonders die
Koranexegese: Denn aggressive Verse über Juden und Christen im Koran werden bis
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heute von Fundamentalisten als Gewaltaufruf verstanden. Das Motto der Woche der
Brüderlichkeit - "Um Gottes Willen" - fragt daher auch nach dem Missbrauch von
Religionen im Namen Gottes. Rabbiner Gabor Lengyel:
O-Ton Lengyel
Da müssen wir aufpassen. Wir müssen erkennen, dass in unseren Quellen, sowohl in
der Tora als auch im Koran, schlimme Passagen sind, die Kriege verherrlichen und
gegen andere Menschen predigen (). Also wir müssen lernen, mit den Versen der
Schriften zu hadern. Und zu sagen ok, das ist der Vers:..aber dazu gehören die
unzähligen Kommentare und die sogenannte mündliche Lehre und später der Talmud
- Insofern für mich die Auseinandersetzung mit allen Versen der Tora, der Streit im
positiven Sinne ist eine elementare Basis des Judentums. Ich werde dann von
Hamideh lernen, ob das ähnlich im Koran oder später im Islam ist.
Autorin:
Die Forderung, religiöse Schriften nicht streng wörtlich zu nehmen, sondern ihre
Botschaft in jeder Epoche neu zu bedenken, findet sich vor allem bei liberalen
Vertretern aus Judentum und Islam. Sie sehen die Hinwendung zu anderen Religionen
als Gewinn. Hamideh Mohagheghi studierte Rechtswissenschaft in Teheran und
Hannover, bildete sich viele Jahre in islamischer Theologie fort und lehrt heute an der
Universität Paderborn das relativ neue Fach Komparative, also vergleichende
Theologie – als gläubige Muslima fällt es ihr nicht schwer, auch andere Religionen als
ebenbürtig anzuerkennen:
O-Ton Mohagheghi
Das ist genau das Spannende in der komparativen Theologie, dass man fest überzeugt
ist, dass dann der eigene Glaube der richtige ist für einen selbst, aber... durch diese
tiefe Glauben, den man hat, ist man offen für anderen, weil man ganz genau weiß, dass
für den anderen auch ihr Glauben ganz wichtig ist und richtig ist.
Autorin:
So sieht es auch der Berliner Imam Kadir Sanci, der Religionskomparatistik an der
Universität Potsdam lehrt. Er wirbt für ein einmaliges Projekt in Berlin: das "House of
One". In einem gemeinsamen Gotteshaus sollen einmal alle drei monotheistischen
Religionen Gebetsräume erhalten. Unter einem Dach vereint, kann dann jede Religion
nach ihrem Ritus Gottesdienste feiern
O-Ton Sanci
Es ist ja nach dem islamischen Verständnis doch problematisch, wenn man sagen
würde, dass eine Einheit vorgesehen ist, weil Gott wird als der Allmächtige verstanden,
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und der Allmächtige ist in der Lage, auch alles einheitlich zu erschaffen. Wenn Gott es
doch nicht so getan hat, dann muss darin ein Sinn zu erkennen sein In Sure 49, Vers 13 heißt es, dass Allah die Menschen in Stämme geteilt habe, also so
erschaffen hat, dass sie unterschiedlich sind. 8.56 Und da wird auch verraten, warum
sie unterschiedlich erschaffen worden sind, damit sie sich untereinander kennenlernen
können, näherkommen. Das ist eine Herausforderung - und wie kann man sich dieser
Herausforderung stellen.
Autorin:
Es gehe nicht um die Wahrheit, erklärt der Imam, auch wenn jeder sie für sich
persönlich in seiner Religion gefunden habe.
O-Ton Sanci
Mir geht es darum, mit der Identität, mit der Weltauffassung, mit der Lebensführung,
für die ich mich entschieden habe, dass ich die anderen in ihrer Position respektiere
und denke, dass wir trotzdem zusammengehören und zusammen sein können und
zusammen arbeiten und zusammen leben können. Muss man einfach sich versuchen in
die Lage des andern hineinzuversetzen und nachzuspüren, was bedeutet das für ihn,
was würde ich machen, wenn ich in seiner Lage wär. Und erst mit dieser Empathie
kann man diesen Frieden eigentlich aufbauen.
Autorin:
Angesichts der weltpolitischen Lage sind religiöse Toleranz und Friedfertigkeit für
viele Menschen zu einer Überlebensfrage geworden. Aufeinander zuzugehen sei jetzt
besonders wichtig, sagt Rabbiner Lengyel aus Hannover:
O- Ton Lengyel
Meine Frau und ich wir engagieren uns seit 18 Monaten direkt hier vor Ort bei uns im
Flüchtlingsheim, () wir fahren dahin etwa zehn Minuten mit Fahrrad, und in diesem
Flüchtlingsheim helfen wir nicht x-beliebigen Menschen, sondern gerade Flüchtlinge
aus Syrien, Irak und andere Ländern. Ich weiss genau, wie ein Flüchtling sich fühlt, als
ich 1956 aus Ungarn floh, über Österreich nach Israel, da habe ich auch in Turnhallen
übernachtet.
------------------------------------- Musik
Autorin:
In den letzten Jahren haben sich immer mehr jüdisch-muslimische Projekte in
Deutschland und Europa entwickelt. Seit 2010 gibt es einmal jährlich die "Jewish
Muslim Conference" an der Universität Wien, eine wissenschaftliche Veranstaltungsreihe; das jüdische Museum in Berlin hat ein Jüdisch - Islamisches Forum gegründet
für Menschen in der Diaspora. Synagogen und Moscheen arbeiten vor Ort zusammen,
wie etwa die Sehitlik Moschee in Berlin-Kreuzberg mit der nicht weit entfernten
Synagoge am Fränkelufer.
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Atmo Fränkelufer Autos - Fahrräder - Stimmen - Schritte am Kanal lang
Autorin:
Nina und Dekel Peretz engagieren sich im Verein "Freundeskreis der Synagoge am
Fränkelufer". Die deutsche Jüdin und der Israeli wollen jüdisches Leben in Kreuzberg
wieder stärker etablieren - in einer vorwiegend muslimischen Nachbarschaft. Auf
ihrem Nachhauseweg laufen sie am Landwehrkanal entlang. Vom
gegenüberliegenden Ufer leuchten die blauen Säulen der kleinen Synagoge,
angestrahlt von Lichtern in der Dämmerung. Nach dem Holocaust blieb nur ein
Seitenflügel des Gotteshauses übrig.
O-Ton Nina Peretz
Uns ist es sehr wichtig, dass wir hier friedlich mit unsern Nachbarn zusammenzuleben
- deswegen haben wir angefangen uns im interreligiösen Dialog zu engagieren, aber
vor allem eben Kontakt zu haben mit den Nachbarn, unter anderem über die
Begegnungstage im Graefekiez - da versammeln sich die verschiedenen religiösen
Initiativen hier in diesem Dreieck zwischen Urbanstraße und Kottbusser Damm und
eben Fränkelufer an der Grenze, wir lernen voneinander, wir lernen uns einfach auch
kennen besser.
Autorin:
Deshalb macht Dekel Peretz auch gern Synagogenführungen für Muslime.
O-Ton Dekel Peretz
Das freut mich, dass wir auch ganz bewusst von muslimischen Organisationen
angesprochen werden, ob wir mit muslimischen Schüler was machen können in bezug
auf allgemeine Religionsbildung oder Antisemitismusbekämpfung, und das erfüllt mich
mit Hoffnung, dass ... auch wir als jüdische Gemeinschaft offener werden, um auch
unsere Vorurteile abzubauen.
Atmo Synagoge, innen, er als Synagogenführer: Er erklärt, warum man sich beim
Schabatgebet einmal nach links wendet, um die Braut Schabat zu begrüßen
Autorin:
Die kleine Kreuzberger Gemeinde hat sich einen Namen gemacht durch ihre Führungen zu jüdischem Leben - trotz der notwendigen Sicherheitsvorkehrungen steht sie
allen interessierten Besuchern offen. Lehrer und Pädagogen kommen gern mit
Jugendlichen. Einer ist der Sozialarbeiter Chalid Durmosch vom Projekt Maxime
Berlin. Das interkulturelle Projekt zur Gewaltprävention hält unter anderem Workshops zu Religionen und zum Nahost-Konflikt. Der Sohn einer Deutschen und eines
Syrers will jungen Muslimen die Gemeinsamkeiten von Judentum und Islam zeigen:
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O-Ton Chalid Durmosch
Zum Beispiel Speisevorschriften, ...das fällt natürlich den Jugendlichen, muslimischen
Jugendlichen, die jetzt ihre Religion umsetzen wollen, nicht leicht überall an HalalFleisch ranzukommen, aber fürn Juden ist das noch viel schwieriger, und das ist son
kleines Aufatmen unter vielen Jugendlichen, dass sie sehn, Mensch, das geht also
noch etwas anstrengender in andern Religionen zu - und das ist sehr neu.
Autorin:
In den Workshops von Maxime geht es immer auch um Identität. Dabei wird den
Jugendlichen deutlich:
O-Ton Durmosch
Ihre Namen klingen zwar arabisch, der eine heisst vielleicht Mussa oder Ibrahim oder
Issa oder Nuh, und wenn man das mal übersetzt und in die Bibel schaut, dann sind das
Namen wir Mose, oder Ibrahim oder Noah oder Jesus zum Beispiel, - Issa ist Jesus und
(bauen) David heißt im Koran Daoud. Und so heißen auch viele jugendliche Muslime.
Und deswegen gehen wir über Gemeinsamkeiten dann auch auf die Unterschiede ein,
und die Unterschiede werden dann plötzlich als Vielfalt wahrgenommen und nicht
mehr als Dinge, über die man sich dann auf- und abwerten kann, weil man sie so nicht
kennt. Oder anders kennt.
Autorin:
Natürlich beeinflusst der Nahost-Konflikt auch in Deutschland das Verhältnis von
Juden und Muslimen:
O-Ton Durmosch
Und gerade in Berlin ist es wichtig, den Konflikt in der Welt nicht zu importieren. ..
Dass man z. B. auch Juden kennenlernt, die auch nicht scharf auf den Konflikt sind,
auch nochmal differenziert drauf zu blicken, dass man auf allen Seiten nochmal die
Brandstifter hat - und auf allen Seiten nochmal die Friedensstifter. Und das ist wichtig
auch, da diese Unterschiede kennenzulernen.
Atmo Jugendliche, arabischer Sound
Autorin:
Die Pädagogen wollen dafür ein Vorbild sein und arbeiten grundsätzlich im ZweierTeam. Als jüdisch-muslimisches Tandem treten sie vor eine Schulklasse oder Jugendgruppe. Der jüdische Kollege von Chalid Durmosch ist Shemi Shabat. Vor kurzem
führte der Israeli auch eine internationale Gruppe muslimischer und jüdischer Studenten durch Berlin.
Atmo Straße
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O-Ton Shemi Shabat
Es war schon sehr interessant, weil die Studenten hatten unterschiedlichste Hintergrund und auch Herkunft, warn Osteuropäer, aus Israel, aus der Türkei, aus arabische
Länder, Afghanistan, Palästinenser - es war schon sehr, sehr interessant.
Autorin:
Solche vorbildlichen Beispiele eines jüdisch-muslimischen Austauschs fallen nicht nur
in Berlin auf fruchtbaren Boden. Die Vernetzung nimmt zu und hat inzwischen eine
internationale Dimension erreicht. Vielleicht hilft das, den Horizont zu öffnen für ganz
neue Bündnisse. Die "Woche der Brüderlichkeit" bietet sicher einige Gelegenheiten,
mit möglichen Bündnispartnern ins Gespräch zu kommen:
Orientalische Musik
O-Ton Mohagheghi
Wir sind alle Menschen und wir haben eine Welt, in der wir leben, wie können wir
gemeinsam dafür sorgen, dass diese Welt besser wird als sie vielleicht im Moment ist.
O-Ton Lengyel
Für Taten die jetzige Zeit ist ein Paradies. Weil wir so viel tun können miteinander.
Insofern: Reden ist sehr schön, Schabbatpredigten sind auch wunderbar genauso wie
die Sonntagspredigten, entscheidend sind die Taten.
Titelsprecherin
Kippa trifft Takke
Jüdisch-muslimischer Dialog in Deutschland
Sie hörten eine Sendung von Barbara Zillmann
Es sprach: Marina Behnke
Ton: Bodo Pasternak
Redaktion: Anne Winter
Regie: Roman Neumann
Das Manuskript der Sendung können Sie bei unserer Serviceredaktion bestellen, aus Berlin
oder Potsdam unter 97993-2171. Oder per email [email protected] und zum Nachhören
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