1 "Illusion". Fotografie von Ari Nahor und Malerei von Ulrich Gater

"Illusion". Fotografie von Ari Nahor und Malerei von Ulrich Gater. Kunstverein March.
Eröffnung: Freitag, 26. Juni 2015. Einführung: Dr. Antje Lechleiter©, Freiburg
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Sehr geehrte Damen und Herren,
vielleicht kennen Sie das im Kulturverlag ART + WEISE herausgegebene Buch "KunstDialoge am Oberrhein" mit seiner Zusammenstellung von Zweierkonstellationen aus
den Bereichen von Malerei und Fotografie. Auch die beiden heute ausstellenden
Künstler, also Ari Nahor und Ulrich Gater haben sich an diesem Projekt beteiligt, allerdings ohne ein gemeinsames Tandem zu bilden. Das tun sie nun hier in der March und
unter dem treffenden Titel "Illusion".
Ja, Ulrich Gater, das ist der mit den Fahrrädern. Doch die Darstellung von Drahteseln
ist nicht alles, was ihn umtreibt. Er hat auch Städtebilder und Industrielandschaften mitgebracht und in seinem Atelier habe ich auch ganz neue Himmelbilder sehen können.
Gater malt nach Fotografien, sie ersetzen ihm das Skizzenbuch und so hat er, lange
bevor er den Pinsel in die Hand genommen hat, schon eine ganze Menge Vorarbeit
geleistet. Nach der Motivsuche und der Aufnahme wählt er einen geeigneten Ausschnitt
und bearbeitet jenen intensiv am Computer. Da nur ein Ölgemälde pro Monat entsteht,
kann man sich vorstellen, dass der Künstler schließlich wochenlang an seiner Kopie der
Kopie von Wirklichkeit arbeitet. Und er genießt es, nicht etwa mit feinen, spitzen
Pinseln, sondern mit breiten Borsten so etwas wie die Illusion von Wirklichkeit auf die
Leinwand zu zaubern.
Blicken wir zunächst auf seine Serie von Fahrrädern, die seit rund 13 Jahren entsteht.
Die Werkgruppe begann zu einer Zeit, als Gater eine Wohnung nahe des Freiburger
Hauptbahnhofes gemietet hatte. Er konnte den zumeist überfüllten Fahrradparkplatz
direkt von seinem Fenster aus sehen - und malen. Als er später von diesem umtriebigen Ort in ruhigere Gefilde umgezogen war, begann er damit, Fahrräder zu fotografieren, und damit ging auch eine entscheidende Stiländerung einher: Durch das Zwischenschalten des Mediums "Fotografie" entstanden Bilder von Bildern, und jene wurden nun weniger malerisch und dafür präziser ausgearbeitet. Gleichzeitig wirken sie
distanzierter. So paradox das klingen mag - je genauer also die Ausführung seiner Gemälde wurde, desto weiter rückten seine Motive von der Wirklichkeit ab. Wenn wir diese
Werke betrachten, dann beginnen wir uns zu fragen: "Welcher Realität entspringen sie
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eigentlich? Was haben sie tatsächlich mit der sichtbaren Wirklichkeit zu tun?" Und mehr
und mehr haben wir das Gefühl, dass Gater uns die Illusion gibt, etwas wiederzuerkennen, was wir zuvor vielleicht gar nie richtig gesehen haben. Die Speichen, die Lenker
und die bunten Fahrradrahmen, all das verschränkt sich zu einem teilweise undurchdringlichen Liniengeflecht, einem Gewirr, das unser Auge ganz schwindelig macht. So
geht es Ulrich Gater in diesen Bildern gar nicht um die Darstellung des Fortbewegungsmittels "Rad", sondern um die der Malerei innewohnenden Möglichkeit, so etwas
wie die Ballung, die Ansammlung von Dingen, um das "geordnete Chaos" auf die Leinwand zu bringen. Das Motiv selbst bildet letztendlich nur den Anlass der Bildentstehung. Augenzwinkernd bestehen seine Titel allerdings mit Vehemenz auf die Verbindung zur Realität, bezeichnen sie doch genau was wir sehen: Etwa den Bahnhof in
Hinterzarten.
Ulrich Gater kann Gegenstände lange anschauen, er kann sie so lange betrachten, bis
sie ein Geheimnis bekommen. Für mich ist er ein Meister der Komposition, der es wagen kann, seine Bilder von allen vier Rändern her extrem stark anzuschneiden. Im Verbund mit seinen leuchtenden Farben entsteht dadurch eine Dynamik, die seine Bilder
fast zum Bersten bringt.
Das Thema "Geordnetes Chaos" hat ihn auch zu Städtebildern geführt, die aus der Vogelperspektive heraus betrachtet werden. Und auch hier, in Erfurt, Leipzig oder Köln
geht es wieder um ganz malerische Fragestellungen, Gater prüft beispielsweise, wann
eine Fläche zur Linie, wann eine Linie zur Fläche wird.
Zu sehen sind hier auch die Industriebilder, die oft am Rhein an der Grenze zu Frankreich, im "Niemandsland" entstehen. Blicken wir auf die große Industriekathedrale bei
Volgelsheim (im Gang), mit ihren wunderbaren Wasserspiegelungen, dann zeigt sich
erneut, wie fremd uns das Alltägliche in den Bildern von Ulrich Gater wird. Für mich ist
er also nicht nur der mit den Fahrädern, sondern vor allem der, der die Wirklichkeit nicht
abbildet, sondern sie mit den Mitteln der Malerei analysiert. Von sich selbst sagt er: "Ich
habe keine Fantasie, ich bin Realist" und in der Tat. Seine Bilder zeigen alleine eine
Wirklichkeit: Die der Malerei.
Wüsste ich nicht, dass es wirklich alles Fotografien sind, ich käme bei den Arbeiten von
Ari Nahor gleich mehrfach ins Zweifeln. Seine Werke erinnern teilweise so stark an
Bleistiftzeichnungen oder Druckgrafiken, dass man sich unweigerlich fragt, wie der
Künstler wohl zu dieser - durch das Medium "Fotografie" übermittelten - Form der grafischen Abstraktion gefunden hat. Ein Blick in seine Biografie vermag so manches zu er2
klären, denn Nahor hat in Tel Aviv nicht nur Malerei, sondern auch Lithografie studiert,
und er begann ab 1990 damit, Fotografie und Druckgrafik zu verknüpfen. Der Umgang
mit dem Bleistift ihm noch immer wichtig, schließlich will er den Blick des Zeichners
durch den Sucher der Kamera nicht verlieren.
Uns hat Nahor Werke seiner, seit rund 5 Jahren mehr und mehr anwachsenden Serie
„Bewegtes Land“ mitgebracht. In seiner Vorstellung waren die Bilder dieser Serie schon
lange vorhanden, doch es dauerte eine ganze Weile, bis er einen Weg für ihre technische Umsetzung gefunden hatte. Und nun ist es aber so weit: Ari Nahor malt, zeichnet
und lithografiert – mit der Kamera in der Hand. Das Licht formt Inhalt und Struktur, es ist
die Grundvoraussetzung für diese Werke und Nahor spricht daher lieber von lichtbildnerischen als von fotografischen Arbeiten. Und wie wir das von der Malerei oder Zeichnung her kennen sehen wir auch hier ausschließlich Unikate. Nahor löscht die Bilddatei
nach dem Ausdruck seiner Lichtbilder unwiderruflich. So wie man nach dem Druck eines einzigen Blattes auch den Lithostein abschleifen könnte, gibt es auch hier keine
Auflage. Eine Aufnahme - ein Bild.
Der Eindruck des Grafischen entsteht nicht nur durch die samtigen Oberflächen und die
feinen Kreuzschraffuren, er wird auch durch die Entscheidung für ein Bütten- oder
Reispapier unterstützt, auf das die Lichtbilder aufgedruckt werden. Auf diesen Papieren
„steht“ die Struktur des Gestalteten ganz anders als auf herkömmlichem, glattem Papier. Beim Reispapier fransen beispielsweise die Ränder der Aufnahme ganz leicht verschwommen in den weißen Untergrund aus.
Von dem, was wir uns gemeinhin unter Landschaftsfotografie vorstellen, hat sich der
Künstler weit entfernt, und dabei fand Nahor alle Motive in unserer näheren Umgebung,
nämlich im Kaiserstuhl, Elsass und auch im Schwarzwald. Viele der Aufnahmen, die Sie
im großen Raum finden können, zeigen Böschungen im Kaiserstuhl und man kann mit
den Augen über ihren Bewuchs wandern. Doch diese Werke lassen sich nicht topografisch festlegen und ein Betrachter aus Norddeutschland würde sicherlich eher eine Dünenlandschaft als einen Lößhohlweg assoziieren.
Wie im Vorbeirasen verwischt dieser Baum - „Bewegtes Land“ – das heißt natürlich
auch Dynamik und bei diesen Aufnahmen entsteht mitunter eine stärkere Räumlichkeit,
als wir dies von herkömmlichen Fotografien her kennen.
Drüben, im großen Raum, finden wir ein sehr stark abstrahiertes Bild mit viel flächigem
Weiß und einem geradezu unerbittlichen Schwarz. Der Ort der Aufnahme hat sich hier
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in einen dynamischen Kern zusammengezogen - zu einem emotional aufgeladenen
Moment des sinnlichen Erfassens.
Es gibt - etwa hier oder bei den kleinen Quadraten im Raum drüben - aber auch Bilder,
in denen Nahor den Elementen seiner Landschaft - etwa den Birkenstämmen, Reben,
Feldern oder Strommasten - sehr nahe rückt. Hier etwa fügt sich das Gestänge der
Masten zu einem dichten Geflecht und formt Rhythmus und Struktur. Schön, wie dabei
eine überraschende Verbindung mit den verschränkten Speichen und Fahrradrahmen
von Ulrich Gater entsteht.
Doch wie kommt dieser Künstler in technischer Hinsicht zu seinem Resultat? Auf jeden
Fall nicht durch Fotoshop. Fotografieren heißt bei Nahor in erster Linie auf den richtigen
Moment warten. Auch im Zeitalter der digitalen Fotografie erreicht er sein Ergebnis im
Moment der Aufnahme und nutzt nur jene Bearbeitungsmöglichkeiten, die zuvor auch
im analogen Bereich möglich gewesen wären. Doch wie gelingt ihm nur dieses große,
verhüllende Weiß? Nun, Nahor fotografiert besonders gerne im Winter, wenn dicker
Nebel über einer ganz dünnen Schneedecke liegt. Diesen Idealzustand gab es leider im
letzten Winter nur selten und so gab es im Frühjahr noch viel für ihn zu tun. Und siehe
da: Mit dem Frühjahr zog auch die Farbe in seine Bilder ein. Das sehen Sie etwa bei
den ersten beiden, nun schon zart grünen Bildern im Flur. In Ari Nahors Lichtbildserie
„Bewegtes Land“ treten zeitliche und räumliche Aspekte in den Vordergrund und lösen
sich von dem, was sich ursprünglich vor der Linse der Kamera befand. Das Abgebildete
und seine Abbildung sind nicht mehr identisch, das Bild ist gegenständlich und abstrakt,
es ist Malerei und Zeichnung und Fotografie, es ist das, was wir bei der Betrachtung in
uns finden.
Sehr geehrte Damen und Herren, der künstlerische Dialog von Ulrich Gater und Ari
Nahor übermittelt uns etwas ganz Elementares, zeigt er doch, dass die Fotografie Mittel
hat, sich gegen die gängige Vorstellung von Realismus zur Wehr zu setzen und dass
auch der Malerei Möglichkeiten der Verwandlung innewohnen. Genau diese Aspekte
begegnen uns in der mit der Kamera gemalten Fotografie von Ari Nahor und den nach
Fotografien gemalten Werken von Ulrich Gater.
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