Vorschlag für ein Unterrichtsprojekt im Rahmen der Förderung

Der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in Schwaben
BEGABUNGSSTÜTZPUNKT AUGSBURG
Kurs Nr. 08 im SJ 2015/2016
„Wie wirklich ist die Wirklichkeit in der bildenden Kunst“
In der Begegnung mit einer spezifischen Auswahl an Bildern (aus Malerei, Bildhauerei, Fotografie, digital erzeugten Bildwelten) werden erkenntnistheoretische und wahrnehmungspraktische Fragen an die so genannte Wirklichkeit gestellt, die weitestgehend als objektiv bestehend betrachtet wird.
Jedoch ist nach Paul Watzlawick Wirklichkeit als Ergebnis zwischenmenschlicher Kommunikation zu verstehen, die sehr wohl beispielsweise aus gezielter Interessenssteuerung manipuliert sein kann.
Die Teilnehmer dieses Kurses entwickeln zunehmend eine kritische Haltung gegenüber illusonierten Bildwirklichkeiten und erkennen Täuschungsstrategien, die durch die gezielte Wahl
eines Bildausschnittes der Realität erzeugt werden können.
Die manipulative Kraft des Bildes zeigt sich in vielen Beispielen der Kunstgeschichte: Dem
Foto wird im Allgemeinen der höchste Authentizitätsgrad, die stärkste Realitätsgarantie zugeschrieben, jedoch werden mithilfe von Fotos oder scheinbar dokumentarischen Videos
tatsächliche gesellschaftliche Realitäten beeinflusst. Dies geschah im Rahmen des IsraelPalästina-Konfliktes, da ein Video mit der Tötung eines Jungen weitere bestialische Konsequenzen verursachte.
Sequenzen der Auseinandersetzung mit kunsttheoretischen Texten (Platons Höhlengleichnis,
Ästhetik der Bildrezeption - Die Frage nach der Wirkkraft des Bildes und dessen Täuschung,
gar Lüge) rhythmisieren den auf bildnerische Praxis und Bildanalyse angelegten Kurs.
Die Kursteilnehmer setzen sich exemplarisch mit dem Werk und den je individuell geprägten
Theorien verschiedener Fotografen und Künstler auseinander:
Sigmar Polke thematisiert mit dem Ende der Malerei und die Malerei nach dem Ende der
Malerei sowie den drei Lügen der Malerei auf sehr ironische und parodistische Weise die
Zweifelhaftigkeit der Wirklichkeit.
Susan Sontag stellt in ihrem wunderbaren Essay „on photographie“ ethische Fragen an die
moralische Verantwortung der Kriegsfotografie; die Skepsis gegenüber diesem allgegenwärtigen Medium (analog zu Internetbildern) und das Nachdenken über Fotografie werden zu
einer politischen Verantwortung. Fotografie, schreibt sie, habe in den letzten Jahrzehnten
ebensoviel dazu beigetragen, „unser Gewissen abzutöten wie dazu, es aufzurütteln“. Der
Betrachter ergötzt sich am Grauen und Schmerz der Fotografierten („ästhetische Doppelmoral“).
Robert Capas fallender republikanischer Soldat im Augenblick seines Todes, aufgenommen
während des spanischen Bürgerkrieges im Jahr 1936 wurde fälschlicherweise zur Ikone der
fotografischen Kriegsdokumentation des 20. Jahrhunderts. Der vermeintlich echte Todesschuss erweist sich als Lüge und Inszenierung, um politische feindliche Gräben zu ziehen.
Anhand dieses Fotos wird der Kurs die Frage nach der Authentizität (Echtheit) von Wirklichkeit stellen.
Cindy Shermans „history portraits“ erweisen sich als Anreiz, sich mit der Malerei des Barock und Realismus (illusionistische Tendenzen) zu beschäftigen und ausgewählte Bilder mit
eigenen Requisiten und dem eigenen Körper theatralisch nachzustellen. Hierbei erkennen die
SchülerInnen, dass Bilder „gemacht“ und jederzeit veränderbar sind.
Es wird die Frage gestellt, ob eben doch die abstrakte Malerei oder Fotografie einen
höheren Wahrheitsgehalt aufweisen, da auf illusorische Darstellungsmethoden (Raum, Körper, Farbe) verzichtet wird.
An dieser Stelle werden den SchülerInnen Analogien zwischen mikroskopischen naturwissenschaftlichen Fotos und Malereien des Tachismus und action-painting nahe gebracht.
Künstlerisch-gestalterische Begabung, die selbständiges bildnerisch-praktisches Tun in Bezug
auf künstlerische Problemstellungen beinhaltet, und das Interesse, sich mit ästhetischen
sowie kunsttheoretischen Texten zu beschäftigen, werden für diesen Kurs als notwendig vorausgesetzt.
Insbesondere die Wechselwirkung und Relativität von Malerei und Fotografie werden theoretisch und praktisch in einem Jahresprojekt „erforscht“. In Einzelarbeit und in Kleingruppen
werden Texte erschlossen, Bilder betrachtet und analysiert, und deren inhaltliche Analogien
und Transfermöglichkeiten auf die eigene bildnerische Praxis aufgezeigt. Ein vom jeweiligen
Teilnehmer individuell gewähltes künstlerisches Thema (z.B. die Lüge der Fotografie, Darstellungsmöglichkeiten der Realität,...) wird das ganze Schuljahr konsequent verfolgt.
Exkursionen in die Pinakothek der Moderne München oder in die Staatsgalerie Stuttgart werden den Kurs bereichern. Sofern es die Kapazitäten erlauben, werden die Teilnehmer Prof.
Dr. Wolfgang Ullrich am Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe besuchen, der Ästhetik,
Kunstgeschichte und Philosophie lehrt.
Veranstaltungsort:
Peutinger-Gymnasium Augsburg
Jahrgangsstufen:
8 - 12
Zeit:
2 Stunden / 14 Tage
Lehrkraft/Schule/Kontaktdaten: OStR Alexander Holzapfel
Peutinger-Gymnasium, An der Blauen Kappe 10,
86152 Augsburg
Privat: 0821/5081862 und 0151-50750273
[email protected]