Predigt Jes 66,13 – Jahreslosung 2016

Predigt Jes 66,13 Jahreslosung 2016
am 3.01.16 - Altenberg / Schildgen
So spricht der Herr: ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet – und in Jerusalem
sollt ihr getröstet werden. (Jesaja 66,13)
So wie von treuen Müttern in schweren Ungewittern die Kindlein hier auf Erden mit Fleiß
bewahret werden, also auch und nicht minder lässt Gott uns, seine Kinder, wenn Not und
Trübsal blitzen, in seinem Schoße sitzen. (Paul Gerhardt EG 58,4+5)
Trösten und getröstet werden – das haben alle hoffentlich schon erfahren, bevor sie das
Wort kannten. Mir fällt beim Wort Trost immer zuerst eine Szene meiner Kindheit ein
(wahrscheinlich waren es viele solcher Szenen, die sich in der Erinnerung zu einer verdichtet haben): ich war auf rauem Untergrund beim Spielen hingefallen; das Knie blutete
und die Tränen flossen. Es tat richtig weh. Ich lief zur Mutter, die nahm mich auf den
Schoß, pustete und sang was von heile, heile Gänschen… da flossen die Tränen rückwärts
und als das berühmte Pflaster auf der Wunde klebte, war alles schon wieder fast gut. In
den letzten Tagen konnte ich das live erleben: Tochter / Schwiegersohn - Neugeborenes;
wenn das Baby schreit, wird es auf den Arm genommen oder auf den Bauch gelegt oder
gestillt und es beruhigt sich wieder. Der amerikanische Soziologe Peter Berger hebt diese
Zuwendung der Mutter als die fundamentalste aller Ordnung stiftenden Gesten hervor.
Der Trost, den die Mutter gibt, reicht über sie und ihr Kind hinaus. Er enthält die Behauptung über die Wirklichkeit im Ganzen: alles ist wieder gut. Das ist die Grundformel
mütterlichen (elterlichen) Trostes. Nicht nur eine Angst, ein Schmerz wird gelindert – nein,
alles ist i.O. Wir Menschen brauchen diesen Trost von Anfang an. Das Dasein, die Welt, in
die wir geboren wurden, überfordert unser kleines Leben immer neu. Der Mensch ist auf
Trost hin erschaffen. Das ist das Beste an ihm, dass er Trost braucht. Ein Mensch, der
grundsätzlich ohne Trost leben könnte, wäre nicht liebenswürdig und wohl auch nicht lebensfähig. (Rudolf Bohren)
Macht Gott das auch so wie die Mutter? Geht das so einfach wie in der Kindheit? Das besondere an der Mutter ist: sie ist für uns Kinder eine Person, der wir 100%tig vertrauen.
Wenn Mama gesagt hat: alles wird gut, dann war das eine Tatsache. Deshalb haben wir
uns von ihr trösten lassen. Mit zunehmender Lebenserfahrung merken wir: die Methode
Pusten und Pflaster funktioniert nicht immer 1:1. Das ‚richtige‘ Leben ist oft komplizierter. Wem können wir vertrauen?
Trost – was ist das? Im Lexikon ist zu lesen: Trost ist eine Handlung, Geste oder Gegebenheit, die zur Linderung von psychischen oder physischen Schmerzen beiträgt. Die Kernbedeutung des deutschen Wortes Trost: Gewährung von Festigkeit / Zuversicht / Stärke. Es
geht um konkrete, sichtbare Hilfe und Schutz. Trost spendet, was verlässlich ist. Das
hebräische Wort (nicham) kommt ca. 120x in der hebräischen Bibel vor. In der Grundbedeutung heißt das: heftig atmen. Trost: dem anderen so nahe sein, dass er/sie meinen
Atem spürt und ich seinen/ihren; den anderen auf- und durchatmen lassen; dem anderen Menschen einen befreienden Stoßseufzer erlauben. Leser der hebräischen Bibel haben
eine Trost-Gestalt vor Augen: Noah. Sein Name ist von der gleichen Wortwurzel abgeleitet
und bedeutet so viel wie: der uns zum Aufatmen bringt.
Wie einen seine Mutter tröstet – wer ist der eine? Hier steht im Hebräischen: ‚Mann‘. Man
denkt bei dem Vers zuerst wie ich eben an einen weinenden Säugling. Aber wie klingt das,
Predigt Jes 66,13 – Jahreslosung 2016
wenn wir ‚Mann‘ wörtlich nehmen? Dann wäre ein vermeintlich Starker (starkes Geschlecht) in Wirklichkeit auf Hilfe angewiesen – auch wenn er es nicht weiß und von sich
aus gar nicht Mutters Nähe sucht. Dann stellt sich Gott dar als Mutter – eben nicht nur
mit einem Säugling auf dem Arm, sondern gegenüber dem erwachsenen Mann. Ein Rollentausch: Gott ist als Frau und Mutter die souveräne Starke, der Sohn als erwachsener
Mann der hilfsbedürftige Schwache. - Können wir sowas denken oder sind wir von der
Tradition her festgelegt auf ‚Gott als Mann‘? Es kann letztlich offenbleiben, ob man bei
diesem Bild Wort an eine Mutter mit Baby oder mit einem erwachsenen Sohn denkt. –
Letzteres ist näher am Wortlaut des Textes und für uns auch provozierender.
Das Mutter-Motiv ist im Zusammenhang des ganzen Kapitels verbunden mit dem Jerusalem-Motiv. Ihr sollt an/in Jerusalem getröstet werden. Nicht nur ‚anhand‘ der Verheißungen über die Zukunft der Stadt und der Erfüllung am Ende der Zeiten sollen die Hörer/innen getröstet werden. Das ist ja auch schon was, wenn uns gesagt wird: es geht gut
aus. Gott wird sein Reich aufrichten auf Erden und Frieden verwirklichen. Sonst könnten
wir ja gerade heute die berühmte Flinte ins Korn werfen und alles Engagement sein lassen. So lange wir beten: dein Reich komme! vertrauen wir darauf, dass Gott seine Verheißungen wahr macht. Man kann auch ‚in‘ Jerusalem übersetzen. Dann ist dieser Trost
schon heute relevant. Dann können wir am Leben in Gottes Jerusalem, in seiner Gemeinde realen Trost erleben. Vers 10+11 Freut euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die
Stadt, alle, die ihr sie liebhabt! Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den
Brüsten ihres Trostes; ihr dürft reichlich trinken und euch erfreuen an dem Reichtum ihrer
Mutterbrust.
Die Bewohner Jerusalems werden Söhne / Töchter Zions genannt. Im Exil war die Sehnsucht auf die Stadt gerichtet. Im 3. Teil des Jesaja-Buches wird Jerusalem die Mutter genannt. Eine Jerusalem-Hoffnung entwickelt sich, die über die Realität zerstörter Stadtund Tempelmauern weit hinaus ragt und dann zum Bild vom neuen, himmlischen J wird.
Aus Liebe zum unteren Jerusalem machte der Heilige, gepriesen sei ER, ein neues Jerusalem oben – sagt die rabbinische Schriftauslegung. In der messianischen Zeit wird ‚Zion‘,
die Mutter Israels ihre Kinder neu gebären und die Verbannten in Empfang nehmen. Als
ich diesem Zusammenhang auf die Spur kam, viel mir der Kontrast auf: in V 11 war Zion
die Mutter; in V 13 ist es ausdrücklich Gott selbst, der mit einer Mutter verglichen wird.
Die Mutter J, von der zu Recht mit Hochachtung gesprochen wird, braucht selber Trost,
Zuversicht und Aufrichtung. Dieser Trost kommt von Gott, der allein wie eine wirkliche
Mutter trösten kann
Es gibt Menschen – auch unter uns – die haben sehr schlechte Erinnerungen an ihre Elter / Vater oder Mutter. Denen fällt es schwer, sich Gott wie einen liebenden Vater (wie
sich ein Vater über Kinder erbarmt…/ Psalm 103) oder wie eine tröstende Mutter vorzustellen. Sie bekommen kein Vaterunser über die Lippen und finden nichts Positives an Versen
wie diesen. Wir können unsere Erfahrungen nicht auslöschen wie eine Festplatte. Wir
können aber auch nicht auf die Symbolsprache verzichten. Da ist es gut, wenn die Jahreslosung ein positives Mutter-Bild zeichnet und Jesus von Gott als seinem himmlischen
Vater in den höchsten Tönen der Vertrautheit spricht. Darin liegt eine große Chance
durch Gott, den vollkommenen Vater/Mutter das schlechte Bild der Eltern in unserer Erinnerung zu korrigieren / ggf. zu heilen. Alle, die von irdischen Vätern / Müttern enttäuscht und verletzt wurden, können aufatmen: du hast einen göttlichen Vater / Mutter,
der dich über alles liebt, eben der dich tröstet… Die biblische Trostrede appelliert nicht an
den Menschen, seinen Willen und macht keine einfältigen Sprüche. Die Jahreslosung er-
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Altenberg / Schildgen 3. Januar 2016
Predigt Jes 66,13 – Jahreslosung 2016
innert an Gott, der mein Schicksal wenden kann und schon dabei ist, es zu tun. Gott als
Tröster leidet in JC in und an der Welt mit. Er kommt uns nahe, dass wir seinen Atem
spüren.
Trost erleben wir dann als echt, wenn jemand nicht von oben herab schnell noch ein paar
Worte ablässt. Getröstet werden wir, wenn wir spüren: da ist jemand wirklich betroffen.
Da lässt sich jemand von meinem Leid berühren und geht ein Stück Weges mit mir.
Er/sie hält es aus, dass es momentan keine einfache Lösung gibt. Billiger oder oberflächlicher Trost geschieht, wenn es nur ‚gut gemeint‘ ist; wenn Menschen es nicht aushalten
mit meinem Problem. Flapsige Sprüche oder schnelle Ratschläge – auch kluge Bibelzitate
helfen dann nicht weiter. Wie gehen wir mit Menschen um, die Trost brauchen? Trauen
wir uns in ihre Nähe? Wie können wir trösten? Das ist auch ein Sinn von Gemeinde:
Trostgemeinschaft. Einüben. Füreinander da sein. Jerusalem als Bild für Gemeinde.
Trost hat zum Ziel: die Person, die eine schwere Zeit durchmacht, kann wieder Kraft fürs
Leben schöpfen. Sie kann wieder nach vorne schauen. Das ist ein Prozess. Der kann ne
Weile dauern. Trosterfahrungen sind unglaublich schön. Ich wurde in schwieriger Zeit
angenommen, ernstgenommen und nicht allein gelassen. So wurde ich aufgerichtet und
bekam neue Kraft.
Hermann Kotthaus
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Altenberg / Schildgen 3. Januar 2016