Die Potenziale persönlicher Beziehungsformen in der Lebensbewältigung männlicher Jugendlicher
Steve Stiehle
Die Potenziale persönlicher
Beziehungsformen
in der Lebensbewältigung
männlicher Jugendlicher
Persönliche Beziehungen
und Lebensbewältigung
Persönliche Beziehungen begleiten unser Aufwachsen in
vielfältiger Form (familiär, freundschaftlich, nachbarschaftlich, institutionell) und Gestalt (hilfreich-belastend, schützend-schädigend, fördernd-einschränkend). Sie sind sozialisatorisch äußerst wirkmächtig, helfen sie doch, „unsere
Persönlichkeit in der Bezogenheit auf andere und mit anderen zu entwickeln und unsere Potenziale zu entfalten. In persönlichen Beziehungen entwickeln wir unser Bild von der
Welt und ein Selbstbild von uns in dieser Welt“ (Lenz/Nestmann 2009, S. 9). Von persönlicher Beziehung kann gesprochen werden, wenn die gegenseitigen Wahrnehmungen im
Sinne einer „Wesenseinheit“ auf die persönliche Identität
gerichtet sind. Strukturell sind sie vor allem durch ein Moment der personellen Unersetzbarkeit, Kontinuität und Dauerhaftigkeit, Fortdauer-Idealisierung, Vorhandensein eines
persönlichen Wissens, emotional fundierte gegenseitige
Bindung und ausgeprägte Interdependenz gekennzeichnet
(ebd., S. 10 ff.).
Eingebettet in ein Beziehungsgefüge (soziales Netzwerk) erhalten und sichern sich Menschen über persönliche Beziehungen ihre Sozialität und soziale Einbindung (ebd.). Gleichzeitig bestehen maßgebliche Risikofaktoren für ein
gelingendes Aufwachsen im Jugendalter im Nichtgelingen
von sozialer Integration, in der Nichtanerkennung durch
wichtige Bezugsgruppen sowie in der Ausgrenzung aus Bildungsprozessen (Kolip/Hurrelmann 1994). Bei einer solchen
Ausgrenzung wird es ungleich schwerer, eine anerkannte soziale Position bzw. Rolle für sich wahrzunehmen und letztlich soziale Identität herzustellen. Der einzelne junge Mann
ist in der Regel gezwungen, sich in unterschiedliche Beziehungskonstellationen gleichzeitig zu integrieren, die (gesellschaftlichen) Lebensherausforderungen weitgehend eigenverantwortlich zu bewältigen und (wenn irgend möglich)
dies als subjektiv gelungen zu bewerten. In diesen alltägli-
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Peter Ruggle
Cliquenbeziehung und enge Freundschaftsbeziehung bedeuten männlichen Jugendlichen viel und sind auch von hoher
Relevanz für ihre Lebenszufriedenheit und ihr Wohlergehen. Diese weitgehend selbstgewählten Beziehungsformen übernehmen vielfältige Funktionen in der (alltäglichen) Lebensbewältigung von männlichen Jugendlichen und können damit
einen wesentlichen Beitrag für deren soziale Gesundheit leisten.
Dr. phil. Steve Stiehle
Professor am Fachbereich Soziale Arbeit
der Fachhochschule St. Gallen. Rosenberg­
straße 59, Postfach, CH-9001 St. Gallen,
E-Mail: [email protected]
chen Bewältigungsherausforderungen sind junge Menschen
heute zunehmend sozialstrukturellen, institutionellen sowie
familialen Desintegrationsprozessen ausgesetzt – mit riskanten Folgen für die eigene biografische Konstruktion. Hierbei werden Lebenskonstellationen „von den Subjekten dann
als kritisch erlebt, wenn das psychosoziale Gleichgewicht –
in den aufeinander bezogenen Komponenten von Selbstwert, sozialer Anerkennung und Selbstwirksamkeit – gestört
ist und dabei die bislang verfügbaren personalen und sozialen Ressourcen der Bewältigung nicht mehr ausreichen“
(Böhnisch 2010, S. 22). Um dennoch ein notwendiges psychosoziales Gleichgewicht herzustellen, besteht nach dem
Konzept der „Biographischen Lebensbewältigung“ von
Lothar Böhnisch (2012) ein umfassendes wie vielgestaltiges
Streben nach unbedingter Handlungsfähigkeit und sozialer
Integration, welche nur im sozialen Miteinander hergestellt
werden kann (Böhnisch 2010, 2012).
Um die Bedeutsamkeit persönlicher Beziehungen im Hinblick auf die biografische Lebensbewältigung für die Gruppe
der männlichen Jugendlichen fassbarer zu machen, soll zunächst exemplarisch der Frage nachgegangen werden: Was
können Cliquenbeziehungen an sozialer Anerkennung und
enge Freundschaftsbeziehungen für den Selbstwert bei
männlichen Jugendlichen leisten? Im Sinne einer konsequenten salutogenetischen Perspektive konzentriere ich mich da-
Themen
bei bewusst auf Bedingungen und Faktoren, die Ressourcen
schützende bzw. Widerstand kräftigende Potenziale darstel­
len.
Cliquenbeziehungen –
kollektiver Anerkennungsraum
Der Begriff „Clique“ verweist wie die informelle „Gleich­
altrigengruppe“ („Peergroup“) auf einen freiwillig zusam­
mengeschlossenen Personenkreis von einander annähernd
gleichgestellten und gleichaltrigen Menschen. Zur informel­
len Gleichaltrigengruppe gehören Freunde wie Bekannte mit
engerem persönlichem Kontakt. Sie bildet für Jugendliche
neben der Familie bzw. der Elternbeziehung eine bedeutsa­
me Bezugsgruppe. Da zwischen Gleichaltrigen keine „Aus­
weisungsbefugnisse“ und „Gehorsamsverpflichtungen“
(Oswald 2009, S. 179) bestehen, gelten die Beziehungen in
dieser Gruppe weitgehend als gleichrangig und symmetrisch
reziprok (Youniss 1982). So eröffnen sich für Kinder wie für
Jugendliche in informellen Gleichaltrigengruppen „Hand­
lungsspielräume und Aneignungsmöglichkeiten im Kontext
von zumeist egalitären sozialen Beziehungen“ (Düx/Rau­
schenbach 2010, S. 66). Für die Clique ist weiterhin konstitu­
tiv eine Unbestimmtheit der Themen, eine auf begrenztem
Vertrauensvorschuss basierende Kommunikation sowie eine
prinzipielle Adressierbarkeit und Unmittelbarkeit (Scherr
2010, S. 75 f.).
Nur eine Minderheit männlicher Jugendlicher gehört keiner
Clique an (Baier et al. 2010, S. 334 f.), die Mehrheit fühlt sich
durch Gleichaltrige akzeptiert und gemocht (vgl. Erhart/
Ravens-Sieberer 2010). Im Durchschnitt verbringen fast zwei
Drittel der männlichen Jugendlichen (im Alter von 10 bis
22 Jahren) sehr oft bis oft die Freizeit in und mit der Clique
(Harring 2010, S. 45 f.). Nach Jürgen Zinnecker et al. (2002)
verstärkt sich die Zugehörigkeit von Jugendlichen zu einer
Clique mit zunehmendem Alter. Ist etwa jeder Zweite der
10- bis 12-Jährigen Cliquenmitglied, so gehören im Alter von
16 bis 18 Jahren schon vier von fünf Jugendlichen einer
Clique an (vgl. auch 16. Shell Jugendstudie 2010).
Mit der Zugehörigkeit zu einer Clique erhöhte sich auch die
durchschnittliche Anzahl an (guten und besten) Freunden
und der Spaß in diesen Beziehungen. Hinsichtlich der sozioemotionalen Befindlichkeit weisen cliquengebundene Ju­
gendliche u. a. eine stärkere soziale Akzeptiertheit sowie ein
positiveres Selbstbild auf als Jugendliche ohne Clique
(Uhlendorff 2005). Fast zwei Drittel der männlichen Jugend­
lichen berichten von Unterstützung in ihrer Clique, wenn sie
selbst Sorgen und Probleme haben, was wiederum einen po­
sitiven Einfluss auf ihre Lebenszufriedenheit und ihr Wohl­
befinden hat (Sardei-Biermann 2006). „Durch das Agieren
auf gleicher Augenhöhe bietet sich die Möglichkeit, einan­
der bei der Bewältigung von Übergängen und Konflikten mit
den damit verbundenen Höhen und Tiefen besonders gut
unterstützen zu können ...“ (Beierle 2013, S. 9), was u. a. auch
im hohen Stellenwert von Peers im Jugendalter bei der be­
ruflichen Orientierung zum Ausdruck kommt (vgl. ebd.).
Informelle Gleichaltrigengruppen bringen
nicht nur Spaß und verhindern Einsamkeit,
sondern fördern auch prosoziales Verhalten und
Verantwortungsübernahme
Sie bieten ein hohes Potenzial für vielfältige Lern- und Er­
fahrungsmöglichkeiten. So unter anderen für Orientie­
rungsprozesse in der Persönlichkeitsentwicklung (wie der
Geschlechtsrollenentwicklung) und als Erfahrungsfeld für
Übergänge (von der Herkunftsfamilie zum eigenständigen
Beziehungsnetz) (Düx/Rauschenbach 2010). Des Weiteren
bilden sie ein Experimentierfeld für das Erlernen von
„sozialkognitiven Fähigkeiten“ (Selman 1984) wie Perspek­
tivübernahme und Konfliktlösungen sowie von Bezie­
hungsfähigkeit wie Verantwortlichkeit, Fairness und Inti­
mität. In diesem Kontext übernehmen Interaktionen in der
Clique auch unmittelbar Funktionen von sozialer Anerken­
nung, wie der Wahrnehmung der eigenen sozialen Akzep­
tanz.
In Cliquen ist eine „Verständigung über Bedeutung und Sinn
relevanter Erfahrungen unter Gleichaltrigen und damit eine
Vergewisserung darüber möglich, dass andere die Wirklich­
keit ebenso erleben und bewältigen wie man selbst“ (Scherr
2010, S. 77). Über die Mitgliedschaft in Cliquen können ge­
rade Jungen und männliche Jugendliche Bestätigung finden,
sich selbst definieren lernen (Erhart/Ravens-Sieberer 2010)
und – besonders bei stärkerer Cliqueneinbindung – oftmals
einen „kollektiven Anerkennungsraum für Männlichkeits­
praxen“ (Budde 2009) finden. Hierbei erweitern gerade die
kontrastierenden Erfahrungs- und Orientierungsmöglichkei­
ten sowie deren Anerkennung (Ohlbrecht 2010) das eigene
Bewältigungsrepertoire. Entsprechend werden durch die
Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen „Konfliktstrategien
entwickelt, erlernt und eingeübt, die für die berufliche und
private Lebenswelt eingesetzt werden können ...“ (Beierle
2013, 10).
Enge Freundschaftsbeziehungen –
geteilter Selbstwert
Freundschaften sind dyadisch-prozesshafte persönliche Be­
ziehungen, die einen aktuellen Gegenwartsbezug sowie eine
Vergangenheits- und Zukunftsperspektive benötigen (Nöt­
zold-Linden 1994). Gute Freunde zu haben, gilt für Jugendli­
che im Alter von 12 bis 25 Jahren als wichtigste Wertorien­
tierung (16. Shell Jugendstudie 2010). Die hohe Relevanz
enger Freundschaftsbeziehungen im Leben von Jungen zeigt
sich u. a. darin, dass etwa 90 % der männlichen Jugendlichen
einen besten Freund haben und sich etwa zwei Drittel der
12- bis 17-Jährigen täglich oder fast täglich mit ihrem bes­
ten Freund treffen (Sardei-Biermann 2006). Neben dem ho­
hen Stellenwert von regelmäßigem Kontakt und gemeinsam
verbrachter Zeit werden Freundschaften im Jugendalter im
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hohen Maße mit Unterstützungssicherheit und Meinungsoffenheit in Verbindung gebracht.
Soziale Gesundheit – Der Blick auf die
Potenziale persönlicher Beziehungen
Freundschaftsbeziehungen leisten im Jugendalter einen
wichtigen Beitrag zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung
von Selbstwert (Youniss 1982), indem Freunde/Freundinnen u. a. im Identität stiftenden Prozess der (Neu-)Konstruktion des Selbstbildes wichtige Funktionen übernehmen.
„Sie liefern emotionale Sicherheit, unterstützen die eigene
Sichtweise, investieren Zeit und stabilisieren die eigene
Kompetenz. In der Pubertät helfen sie, die Erfahrungen der
körperlichen Reife zu verarbeiten“ (Seiffge-Krenke/Seiffge
2005, S. 280). Ein hohes Maß an interpersonalem Verstehen
(Selman 1984) bildet innerhalb einer dyadischen Freundschaftsbeziehung die Grundlage für wechselseitige Offenheit (als Empfänger und Adressat von Selbstoffenbarung)
und Intimität (durch Vertrauen, Loyalität und Exklusivität).
Indem in engen Freundschaftsbeziehungen positive Selbstwertgefühle und entsprechendes Selbstvertrauen vermittelt werden, beeinflussen sie die allgemeine Lebensqualität
und -zufriedenheit von Jungen und männlichen Jugendlichen maßgeblich. Enge, emotional unterstützende Freundschaften tragen auch zur Moderation von individuationsspezifischen Belastungen im Elternhaus bei. Zudem schützt
gemeinsamer Spaß mit guten und engen Freunden vor Einsamkeitsgefühlen und vor dem Empfinden sozialer Ausgrenzung in der Gleichaltrigengruppe (Uhlendorff 2005;
2005a).
Die soziale Gesundheit ist ein vergleichsweise neuer Fokus
innerhalb der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um
Gesundheit und Krankheit. Mit dem Ziel, optimale individuelle Leistungsfähigkeit zu unterstützen, verweist sie auf ein
generelles soziales Wohlbefinden und soziale Funktionsfähigkeit in verschiedenen Kontexten (Erhart/RavensSieberer 2010). Soziale Gesundheit manifestiert sich im engeren sozialen Umfeld, das durch gesellschaftliche Gegebenheiten und Umweltkontexte bestimmt wird (Kolip/Hurrelmann 1994). Ausschlaggebend für soziale Gesundheit sind
gute soziale Kontakte im Sinne tragfähiger persönlicher Beziehungen (Lenz 2003; Lenz/Nestmann 2009). In diesen liegen entscheidende Wirkungen für die Entwicklung einer eigenen Identität sowie eines Selbstkonzepts begründet
(Erikson 1973).
Ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit sind Spielarten
emotionaler und interpretativer Unterstützung in Freundschaftsbeziehungen, die auch die Entwicklung von Selbstwert fördern. Wenn Jugendliche (12 bis 25 Jahre) Schwierigkeiten oder große Probleme haben, vertrauen sich drei von
vier ihren Freunden/ihren Freundinnen an, um das Problem
gemeinsam zu lösen (16. Shell Jugendstudie 2010).
Durch ihre vielfältigen Bedeutungsgehalte gelten Freunde
für Jungen und männliche Jugendliche als nicht zu ersetzende „Entwicklungshelfer“ (Budde 2009) und können damit generell als Ressource in ihrer Lebensgestaltung (Verselbstständigung, Freizeitgestaltung etc.) und Lebensbewältigung
(Identitätsbildung, Geschlechtsrollensozialisation etc.) betrachtet werden (Sardei-Biermann 2006).
Über geteilte Entwicklungsphasen und wechselseitige Entwicklungsimpulse wird der Freund zur vertrauensvollen Bezugsperson. „Sie teilen die gleichen altersspezifischen Entwicklungsaufgaben und normativen Lebensereignisse – beispielsweise den Beginn der Pubertät, die ersten sexuellen
Erfahrungen mit Mädchen“ (Seiffge-Krenke/Seiffge 2005,
S. 268). Dieser Fundus von Gemeinsamkeit und Vertrautheit
erklärt auch die enorme Stabilität, die enge Jungenfreundschaften bis in das Erwachsenenalter haben können (Jacobs
Studie 2014).
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Soziale Gesundheit speist sich aus subjektiv als bereichernd,
unterstützend und identitätsstiftend wahrgenommenen
Einbindungen in persönliche Beziehungen. Und hier besteht
auch ein direkter Bezug zu einer weiteren Komponente des
psychosozialen Gleichgewichtes in der Lebensbewältigung,
der Selbstwirksamkeit. „Unter Selbstwirksamkeit wird dabei
eine Befindlichkeit verstanden, in der das Subjekt das stimmige Gefühl hat, mit seiner sozialen Umwelt so im Einklang
zu sein, dass das eigene Leben darauf abgestimmt und so
auch täglich Lebenssinn erzeugt werden kann“ (Böhnisch
2010, S. 32). Sich selbst der eigenen Wirkung gewiss zu sein
oder auch im Sinne der Selbstwirksamkeitsüberzeugung
(Bandura 1997), der Überzeugung nach über die Fähigkeiten
zu verfügen und damit selbst gesetzte Ziele zu erreichen
(Faulstich-Wieland 2014, S. 39), bilden weitere Elemente von
sozialer Gesundheit.
Mitentscheidend für soziale Gesundheit sind die dem Einzelnen zur Verfügung stehenden personalen und sozialen (Bewältigungs-)Ressourcen. Deren Stärkung stellt einen präventiven Ansatz in der Arbeit mit männlichen Jugendlichen dar,
um Wirkungen von Krisen zu dämpfen und damit sozial verträglicher zu gestalten. Die Tragfähigkeit von Selbstwert und
sozialer Anerkennung bei männlichen Jugendlichen in den
immer wiederkehrenden kritischen Lebenssituationen und
alltäglichen Bewältigungsherausforderungen gilt als ein Abbild von sozialer Gesundheit. Hier zeigt sich, wie belastbar
und unterstützend das bestehende Netz der persönlichen
Beziehungen ist oder eben nicht ist.
Resümee
Jungen wie männliche Jugendliche haben qualitativ eigene
Entwicklungsaufgaben zu bewältigen (Böhnisch 2013a) und
eigene Modi der Bewältigung zu wählen (Kolip 1997). So
konzentrieren sie sich in der Regel über das Miteinander aufeinander. Geteilte Aktivitäten fungieren für männliche
Themen
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J­ugendliche als notwendige Träger zur
Herstellung persönlicher Beziehungen, in
deren Verlauf ein geteiltes Erfahrungswissen, ein eigenes WerteRegel-Gefüge sowie
ein subjektiv angenommener Sinngehalt der
Beziehung entstehen
(Stiehler 2009). Das Potenzial in persönlichen Beziehungen kann für sie also nur adäquat erfasst werden, wenn dies in seinen Merkmalen und
Funktionen angemessen differenziert und (scheinbar un)soziales Handeln oder auffälliges Verhalten nicht unter dem
Begriff „typisch Jungs“ festgeschrieben wird. Gerade das Bewältigungskonzept verweist darauf, dass abweichendes Verhalten auf das menschliche Bedürfnis nach der unabdingbaren Herstellung von subjektiver Handlungsfähigkeit – im
Sinne eines psychosozialen Gleichgewichts von Selbstwert,
soziale Anerkennung sowie Selbstwirksamkeit – zurückgeführt werden kann.
Findet dies Berücksichtigung, können Cliquen- und Freundschaftsbeziehungen mit ihren vielfältigen Funktionen ein
umfassendes Ressourcenpotenzial für die Lebensbewältigung männlicher Jugendlicher darstellen und damit einen
wesentlichen Beitrag zur sozialen Gesundheit von diesen
leisten.
In der sozialen wie der pädagogischen Arbeit mit männlichen
Jugendlichen sollten Beziehungen mit Gleichaltrigen nicht
als konkurrierend zur eigenen Einflusssphäre angesehen
werden. Auch ist es wenig hilfreich, immer gleich nach den
Beziehungsrisiken sowie den nicht wahrgenommenen Funktionen in den einzelnen Beziehungen zu schauen.
Viel relevanter in der pädagogischen Arbeit mit männlichen
Jugendlichen erscheint es, den vorhandenen Potenzialen
nachzugehen und Antworten auf Fragen zu finden wie: Verfügt der männliche Jugendliche in seiner aktuellen Lebenssituation über tragfähige persönliche Beziehungen, die
Selbstwert, soziale Anerkennung und Selbstwirksamkeit
stiften? Inwieweit lassen sich die in persönlichen Beziehungen angelegten Potenziale in die eigene pädagogische Arbeit
mit männlichen Jugendlichen integrieren und damit auch
die soziale Gesundheit von diesen fördern?
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