57/2015 Manipulationsvorwürfe zu Dieselfahrzeugen der

Mitteilungen der Juristischen Zentrale
VERTRAGSANWÄLTE
Nr. 57/2015
28.09.2015 Sk/Dö/St
Manipulationsvorwürfe zu Dieselfahrzeugen der VW-Gruppe
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Manipulation von Abgaswerten bei VW-Dieselmodellen in USA hat auch in Europa
das Vertrauen vieler Besitzer erschüttert. Derzeit erreichen die Juristische Zentrale zahlreiche Mitgliederanfragen zu den aktuellen Vorwürfen gegen die VW-Gruppe. Es ist damit
zu rechnen, dass auch bei der Vertragsanwaltschaft entsprechende Anfragen eingehen,
so dass wir Sie mit dieser Mitteilung über den aktuellen Stand informieren möchten.
Wir haben die Form der FAQ gewählt, um die klassischen Mitgliederanfragen abzudecken.
Aktuelle Situation und Hintergrund:
In Europa gilt nach wie vor der NEFZ (Typprüfzyklus) als Maßstab für die Typgenehmigung eines Fahrzeugs. Dass außerhalb des Prüfzyklus – also im realen Fahrbetrieb – die
Abgaswerte höher sind, ist bekannt. Dies zeigen auch regelmäßig die Messungen im
ADAC EcoTest. Eine Prüfung der Emissionen im realen Fahrbetrieb (RDE – Real Driving
Emission) ist für die Typgenehmigung in Europa allerdings erst ab 2017 vorgesehen.
In den USA gelten für Diesel weit niedrigere NOx-Grenzwerte als in Europa. Für das
Erreichen der dort vorgeschriebenen NOx-Grenzwerte wurde eine Software eingesetzt,
die den Prüfzyklus erkennt und manipuliert. Auch in Europa ist offenbar in zahlreichen
Motoren der VW-Gruppe (VW, Seat, Skoda, Audi) diese Manipulationssoftware verbaut
worden; unklar ist, ob diese im Prüfzyklus nach NEFZ tatsächlich aktiviert wurde, da die
hier vorgegebenen (höheren) NOx-Grenzwerte wesentlich leichter einzuhalten ist. Es liegen daher derzeit noch keine gesicherten Erkenntnisse dafür vor, dass ähnliche Manipulationen wie in USA bei europäischen VW-Modellen stattfinden. Daher können alle Auskünfte zur Rechtslage derzeit nur auf der hypothetischen Grundlage gegeben werden,
dass sich die Manipulationsvorwürfe bestätigen sollten.
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1. Bestehen grundsätzlich Sachmängelrechte?
Für die Annahme eines Sachmangels oder gar die Rückabwicklung von Kaufverträgen
reicht allein die Tatsache, dass Manipulationssoftware eingebaut ist, wohl (noch) nicht
aus.
Etwas anderes gilt, wenn VW die Manipulation ausdrücklich einräumt bzw. eine solche
nachgewiesen wird. Sollte sich auch für den Europäischen Markt herausstellen, dass die
im Prüfzyklus ermittelten Werte fehlerhaft sind, liegt ein Sachmangel vor. Nur dann kommen die gesetzlichen Sachmängelhaftungsrechte, insbesondere ein Anspruch auf Nacherfüllung, Minderung oder gar der Rücktritt vom Kaufvertrag in Betracht. Für Privatleute
gilt beim Kauf vom Händler eine Sachmängelhaftungsfrist von zwei Jahren für Neufahrzeuge und von einem Jahr für Gebrauchtfahrzeuge. Unternehmern stehen beim Neuwagenkauf ein Jahr lang Sachmängelrechte zu; beim Gebrauchtwagenkauf dürfen sie gänzlich ausgeschlossen werden.
2. Bestehen Schadensersatzansprüche wegen arglistiger Täuschung bzw. Betrug?
Ansprüche gegen den Händler setzen voraus, dass dieser arglistig getäuscht hat; dieser
Nachweis über das Wissen des Verkäufers ist nicht zu führen. Dem Händler ist das Fehlverhalten des Herstellers und dessen Mitarbeiter nicht zuzurechnen. Somit entfallen
Schadensersatzansprüche wegen arglistiger Täuschung gegen den Händler.
Sollte sich der Manipulationsverdacht bestätigen, stehen jedoch Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller im Raum. Dies dürfte vor allem für Besitzer älterer Fahrzeuge
interessant sein, die aufgrund Zeitablaufs keine Sachmängelrechte mehr geltend machen
können. In Betracht kommen hier zum einen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
gemäß § 826 BGB sowie Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Als
Schadenspositionen könnten u.a. die Kosten für die Fehlerbeseitigung geltend gemacht
werden sowie nachgewiesene Mehrkosten durch einen Kraftstoffmehrverbrauch.
3. Besteht die Möglichkeit zum Rücktritt vom Vertrag?
Der Käufer kann vom Händler im Rahmen der Sachmängelhaftung zunächst kostenfreie
Nacherfüllung – hier als Nachbesserung – verlangen; die Ersatzlieferung dürfte wegen
Unverhältnismäßigkeit abgelehnt werden können. Ist diese nicht möglich oder aus anderen Gründen (z.B. lange Wartezeiten auf die Nachrüstung) nicht zumutbar, besteht die
Möglichkeit, vom Kaufvertrag zurückzutreten oder eine Preisminderung zu verlangen.
Der Rücktritt vom Kaufvertrag ist jedoch nur zulässig bei "erheblichen" Mängeln. Dies ist
indiziert, wenn die Kosten der Nachbesserung mehr als 5 % des Kaufpreises betragen
(BGH, 28.05.2015, VIII ZR 94/13, DAR 2015, 22). Bei "unerheblichen Mängeln" bleibt
dem Kunden nur die Kaufpreisminderung. Bisher wurde gerichtlich noch nicht entschieden, ab wann eine Überschreitung der Abgaswerte einen erheblichen Mangel darstellt.
Für den Kraftstoffmehrverbrauch liegt die Grenze zur Erheblichkeit bisher bei 10% (BGH,
08.05.2007, VIII ZR 19/05 DAR 2007, 516); es ist vorstellbar, dass die Rechtsprechung
sich auch bei der Überschreitung des Schadstoffausstoßes an diesem Wert orientiert.
4. Welche Rechte haben Besitzer von Fahrzeugen, für die die Sachmängelhaftungsfrist bereits abgelaufen ist?
Ein Rücktritt vom Vertrag ist in diesen Fällen nicht mehr möglich. Lediglich Schadensersatzansprüche (dies umfasst auch die Kosten der Fehlerbeseitigung) können geltend gemacht werden, siehe oben unter 2.
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5. Kann man die Abnahme eines bestellen Neuwagens verweigern?
Wir raten hier zur Abnahme unter Vorbehalt der Geltendmachung von Sachmängelrechten bzgl. erhöhter Abgas- oder Verbrauchswerte und empfehlen die schriftliche Erklärung
eines solchen Vorbehalts gegenüber dem Verkäufer. Ein entsprechendes Musterformular
fügen wir in der Anlage bei.
6. In welcher Höhe bestehen Minderungsansprüche?
Wenn eine Nachbesserung nicht möglich oder unzumutbar ist, kann der Kaufpreis gemindert werden. Die Höhe der Minderung kann man derzeit aber noch nicht abschätzen;
hier müssten der Wertverlust des Fahrzeugs bzw. die Kosten der Fehlerbeseitigung berücksichtigt werden.
7. Wie sollen sich betroffene VW-Fahrer verhalten?
Wir raten derzeit – auch vor dem Hintergrund des Kostenrisikos – von übereilten gutachterlichen Prüfungen einzelner Fahrzeuge ab. Aufgrund des öffentlichen Drucks ist mit
einer zeitnahen Aufklärung der Sachlage und einer Reaktion des VW-Konzerns z.B. in
Form eines Rückrufs oder eines Angebots zur Nachrüstung zu rechnen. Handlungsbedarf besteht derzeit nur für Betroffene, die vor der Abnahme ihres neu erworbenen Dieselfahrzeugs stehen oder in den Fällen, in denen die Sachmängelhaftungsfrist demnächst abläuft. Für erstere empfiehlt sich die Erklärung eines Vorbehalts (s.o. Frage 4),
für letztere eine Bestätigung des Verkäufers einzuholen, dass die Sachmängelhaftungsfrist bzgl. fehlerhafter Abgaswerte bis zur Klärung der Sachlage verlängert wird.
8. Ergeben sich Auswirkungen auf die Kfz-Steuer?
Nach derzeitigem Kenntnisstand ergeben sich keine Auswirkungen auf die Höhe der KfzSteuer der betroffenen Fahrzeuge. Bemessungsgrundlagen für die Kfz-Steuer sind der
Hubraum und der CO2-Ausstoß. Die in Rede stehenden Stickoxide werden zur Bemessung der Kfz-Steuer von Diesel-PKW in Deutschland nicht herangezogen, so dass auch
die nachträgliche Feststellung höherer Stickoxidwerte nicht zu einer höheren Kfz-Steuer
führen würde. Nur wenn sich herausstellt, dass auch die CO2-Werte im Prüfzyklus betroffen sind, könnte dieses Auswirkungen auf die Kfz-Besteuerung haben.
9. Kann die Betriebserlaubnis erlöschen?
Die Betriebserlaubnis eines Kraftfahrzeugs erlischt nur bei Änderungen von Fahrzeugteilen, wenn dadurch die Fahrzeugart geändert wurde, eine Gefährdung zu erwarten ist oder
das
Abgasund
Geräuschverhalten
verschlechtert
wird.
Dies
regelt
§ 19 Abs. 2 StVZO: Eine Änderung in diesem Zusammenhang erfordert ein aktives Tätigwerden am Fahrzeug nach Zulassung. Jemand muss in Fahrzeugkomponenten willentlich durch Veränderung, Austausch, Hinzufügen oder Entfernen eingreifen. Dies ist
hier aber – soweit ersichtlich – gerade nicht der Fall.
10. Liegt hier der Erlöschungsgrund „Änderung des Abgas- oder Geräuschverhaltens“ vor?
Auf Basis des derzeit bekannten Sachverhalts ist dies nicht zu erwarten. Es ist davon
auszugehen, dass nach Ausstellen der Betriebserlaubnis nicht durch aktives Tätigwerden
am Fahrzeug das Abgasverhalten verschlechtert wurde. Mangels Änderung kann es
auch nicht zu einem automatischen Erlöschen kommen. Eine Manipulation des Herstellers zur Erlangung der Allgemeinen Betriebserlaubnis ist nicht von § 19 Abs. 2 umfasst.
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11. Kann die Zulassung erlöschen?
Nein, die Betriebserlaubnis ist nicht Bestandteil der Zulassung. Daher kann selbst bei
Erlöschen der Betriebserlaubnis nicht gegen Zulassungsvorschriften verstoßen werden.
Nur durch eine ausdrückliche behördliche Betriebsuntersagung im Einzelfall nach § 17
StVZO ist eine Einschränkung oder Entziehung der Zulassung denkbar.
12. Ist es möglich, dass eine Betriebserlaubnis durch Behörden entzogen wird?
Eine Rücknahme oder ein Widerruf der Betriebserlaubnis durch einen Verwaltungsakt ist
grundsätzlich möglich, wenn erwiesen ist, dass zur Erlangung der Allgemeinen Betriebserlaubnis durch den Hersteller manipuliert wurde. Soweit ersichtlich hat es ein solch weitreichendes Verfahren in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben. Allein die derzeit aus
den USA bekannten Vorwürfe reichen für diesen Schritt nicht aus.
Wir hoffen, hiermit die ersten Fragen beantwortet zu haben. Sollte weiterer Klärungsbedarf bestehen, wenden Sie sich gerne an die Juristische Zentrale. Über neue Erkenntnisse zur rechtlichen Bewertung werden Sie umgehend informiert. Sollten Sie in Ihrer
Eigenschaft als ADAC Vertragsanwalt von Medien zu dieser Thematik angesprochen
werden, bitten wir – um Irritationen zu vermeiden – vorher mit der Juristischen Zentrale
Rücksprache zu nehmen oder aber die Anfrage an die JZE weiterzugeben.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Markus Schäpe
Leitung Juristische Zentrale
Anlage
Vorwurf fehlerhafter Abgaswerte bei Diesel-Kraftfahrzeugen von VW und
Tochterunternehmen - Abnahme unter Vorbehalt
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Absender: Name, Vorname
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Straße
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PLZ, Ort
An
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Firma
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Straße
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PLZ, Ort
Datum: ………………………
Kaufvertrag vom …………………….
Sehr geehrte Damen und Herren,
am ……………… habe ich bei Ihnen das Diesel-Kraftfahrzeug
Hersteller: ………………………….
Typ: …………………………………
Fahrzeug-Ident.Nr. (soweit vorhanden): …………………………………………….
bestellt. Der Kaufvertrag ist in Fotokopie zu Ihrer Kenntnisnahme beigefügt.
Als Liefertermin wurde im Kaufvertrag ☐ unverbindlich / ☐ verbindlich (Zutreffendes bitte ankreuzen)
vereinbart: …………………………….
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das vorbezeichnete Diesel-Kraftfahrzeug fehlerhafte
Abgaswerte aufweist und damit mangelhaft ist, erkläre ich Ihnen hiermit, dass ich das Fahrzeug aus
diesem Grund nur
unter dem Vorbehalt
der Nacherfüllung, der Minderung des Kaufpreises oder des Rücktritts vom Kaufvertrag annehmen
werde bzw. annehme.
Des Weiteren behalte ich mir für den Fall fehlerhafter Abgaswerte die Geltendmachung weiterer
Schadensersatzansprüche vor.
Mit freundlichen Grüßen
Vorbehalt wurde zur Kenntnis genommen:
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Unterschrift Käufer
Unterschrift Verkäufer mit Firmenstempel, Datum
Anlage