38/2015 Manipulationsvorwürfe zu Dieselfahrzeugen der

Mitteilungen der Juristischen Zentrale
REGIONALCLUB
Nr. 38/2015
12.10.2015 Sk/Dö/St
Manipulationsvorwürfe zu Dieselfahrzeugen der VW-Gruppe
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Manipulation von Abgaswerten bei VW-Dieselmodellen in USA hat auch in Europa das Vertrauen vieler Besitzer erschüttert. Derzeit erreichen die Juristische Zentrale zahlreiche Mitgliederanfragen zu den aktuellen Vorwürfen gegen die VW-Gruppe. Es ist damit zu rechnen, dass
auch bei Ihnen entsprechende Anfragen eingehen, so dass wir Sie mit dieser Mitteilung über
den aktuellen Stand informieren möchten.
Wir haben die Form der FAQ gewählt, um die klassischen Mitgliederanfragen abzudecken.
Aktuelle Situation und Hintergrund:
In Europa gilt nach wie vor der NEFZ (Typprüfzyklus) als Maßstab für die Typgenehmigung eines Fahrzeugs. Dass außerhalb des Prüfzyklus – also im realen Fahrbetrieb – die Abgaswerte
höher sind, ist bekannt. Dies zeigen auch regelmäßig die Messungen im ADAC EcoTest. Eine
Prüfung der Emissionen im realen Fahrbetrieb (RDE – Real Driving Emission) ist für die Typgenehmigung in Europa allerdings erst ab 2017 vorgesehen.
In den USA gelten für Diesel weit niedrigere NOx-Grenzwerte als in Europa. Für das Erreichen
der dort vorgeschriebenen NOx-Grenzwerte wurde eine Software eingesetzt, die den Prüfzyklus
erkennt und manipuliert. Auch in Europa ist offenbar in zahlreichen Motoren der VW-Gruppe
(VW, Seat, Skoda, Audi) diese Manipulationssoftware verbaut worden; unklar ist, ob diese im
Prüfzyklus nach NEFZ tatsächlich aktiviert wurde, da die hier vorgegebenen (höheren) NOxGrenzwerte wesentlich leichter einzuhalten sind. Es liegen daher derzeit noch keine gesicherten
Erkenntnisse dafür vor, dass ähnliche Manipulationen wie in USA bei europäischen VW-Modellen stattfinden. Daher können alle Auskünfte zur Rechtslage derzeit nur auf der hypothetischen
Grundlage gegeben werden, dass sich die Manipulationsvorwürfe bestätigen sollten.
1.
Bestehen grundsätzlich Sachmängelrechte?
Für die Annahme eines Sachmangels oder gar die Rückabwicklung von Kaufverträgen reicht
allein die Tatsache, dass Manipulationssoftware eingebaut ist, wohl (noch) nicht aus.
Etwas anderes gilt, wenn VW die Manipulation ausdrücklich einräumt bzw. eine solche nachgewiesen wird. Sollte sich auch für den Europäischen Markt herausstellen, dass die im Prüfzyklus
ermittelten Werte fehlerhaft sind, liegt ein Sachmangel vor. Nur dann kommen die gesetzlichen
Sachmängelhaftungsrechte, insbesondere ein Anspruch auf Nacherfüllung, Minderung oder gar
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der Rücktritt vom Kaufvertrag in Betracht. Für Privatleute gilt beim Kauf vom Händler eine Sachmängelhaftungsfrist von zwei Jahren für Neufahrzeuge und von einem Jahr für Gebrauchtfahrzeuge. Unternehmern stehen beim Neuwagenkauf ein Jahr lang Sachmängelrechte zu; beim
Gebrauchtwagenkauf dürfen sie gänzlich ausgeschlossen werden.
2.
Bestehen Schadensersatzansprüche wegen arglistiger Täuschung bzw. Betrug?
Ansprüche gegen den Händler setzen voraus, dass dieser arglistig getäuscht hat; dieser Nachweis über das Wissen des Verkäufers ist nicht zu führen. Dem Händler ist das Fehlverhalten
des Herstellers und dessen Mitarbeiter nicht zuzurechnen. Somit entfallen Schadensersatzansprüche wegen arglistiger Täuschung gegen den Händler.
Sollte sich der Manipulationsverdacht bestätigen, stehen jedoch Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller im Raum. Dies dürfte vor allem für Besitzer älterer Fahrzeuge interessant
sein, die aufgrund Zeitablaufs keine Sachmängelrechte mehr geltend machen können. In Betracht kommen hier zum einen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB
sowie Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Als Schadenspositionen könnten
u.a. die Kosten für die Fehlerbeseitigung geltend gemacht werden sowie nachgewiesene Mehrkosten durch einen Kraftstoffmehrverbrauch.
3.
Besteht die Möglichkeit zum Rücktritt vom Vertrag?
Der Käufer kann vom Händler im Rahmen der Sachmängelhaftung zunächst kostenfreie Nacherfüllung – hier als Nachbesserung – verlangen; die Ersatzlieferung dürfte wegen Unverhältnismäßigkeit abgelehnt werden können. Ist diese nicht möglich oder aus anderen Gründen (z.B.
lange Wartezeiten auf die Nachrüstung) nicht zumutbar, besteht die Möglichkeit, vom Kaufvertrag zurückzutreten oder eine Preisminderung zu verlangen. Der Rücktritt vom Kaufvertrag ist
jedoch nur zulässig bei "erheblichen" Mängeln. Dies ist indiziert, wenn die Kosten der Nachbesserung mehr als 5 % des Kaufpreises betragen (BGH, 28.05.2015, VIII ZR 94/13, DAR 2015,
22). Bei "unerheblichen Mängeln" bleibt dem Kunden nur die Kaufpreisminderung. Bisher wurde
gerichtlich noch nicht entschieden, ab wann eine Überschreitung der Abgaswerte einen erheblichen Mangel darstellt. Für den Kraftstoffmehrverbrauch liegt die Grenze zur Erheblichkeit bisher
bei 10% (BGH, 08.05.2007, VIII ZR 19/05 DAR 2007, 516); es ist vorstellbar, dass die Rechtsprechung sich auch bei der Überschreitung des Schadstoffausstoßes an diesem Wert orientiert.
4.
Welche Rechte haben Besitzer von Fahrzeugen, für die die Sachmängelhaftungsfrist
bereits abgelaufen ist?
Ein Rücktritt vom Vertrag ist in diesen Fällen nicht mehr möglich. Lediglich Schadensersatzansprüche (dies umfasst auch die Kosten der Fehlerbeseitigung) können geltend gemacht werden, siehe oben unter 2.
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5.
Kann man die Abnahme eines bestellen Neuwagens verweigern?
Wir raten hier zur Abnahme unter Vorbehalt der Geltendmachung von Sachmängelrechten bzgl.
erhöhter Abgas- oder Verbrauchswerte und empfehlen die schriftliche Erklärung eines solchen
Vorbehalts gegenüber dem Verkäufer. Ein entsprechendes Musterformular fügen wir in der Anlage bei.
6.
In welcher Höhe bestehen Minderungsansprüche?
Wenn eine Nachbesserung nicht möglich oder unzumutbar ist, kann der Kaufpreis gemindert
werden. Die Höhe der Minderung kann man derzeit aber noch nicht abschätzen; hier müssten
der Wertverlust des Fahrzeugs bzw. die Kosten der Fehlerbeseitigung berücksichtigt werden.
7.
Wie sollen sich betroffene VW-Fahrer verhalten?
Wir raten derzeit – auch vor dem Hintergrund des Kostenrisikos – von übereilten gutachterlichen Prüfungen einzelner Fahrzeuge ab. Aufgrund des öffentlichen Drucks ist mit einer zeitnahen Aufklärung der Sachlage und einer Reaktion des VW-Konzerns z.B. in Form eines Rückrufs
oder eines Angebots zur Nachrüstung zu rechnen. Handlungsbedarf besteht derzeit nur für Betroffene, die vor der Abnahme ihres neu erworbenen Dieselfahrzeugs stehen oder in den Fällen,
in denen die Sachmängelhaftungsfrist demnächst abläuft. Für erstere empfiehlt sich die Erklärung eines Vorbehalts (s.o. Frage 5), für letztere eine Bestätigung des Verkäufers einzuholen,
dass die Sachmängelhaftungsfrist bzgl. fehlerhafter Abgaswerte bis zur Klärung der Sachlage
verlängert wird.
8.
Ergeben sich Auswirkungen auf die Kfz-Steuer?
Nach derzeitigem Kenntnisstand ergeben sich keine Auswirkungen auf die Höhe der Kfz-Steuer
der betroffenen Fahrzeuge. Bemessungsgrundlagen für die Kfz-Steuer sind der Hubraum und
der CO2-Ausstoß. Die in Rede stehenden Stickoxide werden zur Bemessung der Kfz-Steuer
von Diesel-PKW in Deutschland nicht herangezogen, so dass auch die nachträgliche Feststellung höherer Stickoxidwerte nicht zu einer höheren Kfz-Steuer führen würde. Nur wenn sich
herausstellt, dass auch die CO2-Werte im Prüfzyklus betroffen sind, könnte dieses Auswirkungen auf die Kfz-Besteuerung haben.
9.
Kann die Betriebserlaubnis erlöschen?
Die Betriebserlaubnis eines Kraftfahrzeugs erlischt nur bei Änderungen von Fahrzeugteilen,
wenn dadurch die Fahrzeugart geändert wurde, eine Gefährdung zu erwarten ist oder das Abgas- und Geräuschverhalten verschlechtert wird. Dies regelt
§ 19 Abs. 2 StVZO: Eine Änderung in diesem Zusammenhang erfordert ein aktives Tätigwerden
am Fahrzeug nach Zulassung. Jemand muss in Fahrzeugkomponenten willentlich durch Veränderung, Austausch, Hinzufügen oder Entfernen eingreifen. Dies ist hier aber – soweit ersichtlich
– gerade nicht der Fall.
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10. Liegt hier der Erlöschungsgrund „Änderung des Abgas- oder Geräuschverhaltens“
vor?
Auf Basis des derzeit bekannten Sachverhalts ist dies nicht zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass nach Ausstellen der Betriebserlaubnis nicht durch aktives Tätigwerden am Fahrzeug
das Abgasverhalten verschlechtert wurde. Mangels Änderung kann es auch nicht zu einem automatischen Erlöschen kommen. Eine Manipulation des Herstellers zur Erlangung der Allgemeinen Betriebserlaubnis ist nicht von § 19 Abs. 2 StVZO umfasst.
11. Kann die Zulassung erlöschen?
Nein, die Betriebserlaubnis ist nicht Bestandteil der Zulassung. Daher kann selbst bei Erlöschen
der Betriebserlaubnis nicht gegen Zulassungsvorschriften verstoßen werden. Nur durch eine
ausdrückliche behördliche Betriebsuntersagung im Einzelfall nach § 17 StVZO ist eine Einschränkung oder Entziehung der Zulassung denkbar.
12. Ist es möglich, dass eine Betriebserlaubnis durch Behörden entzogen wird?
Eine Rücknahme oder ein Widerruf der Betriebserlaubnis durch einen Verwaltungsakt ist grundsätzlich möglich, wenn erwiesen ist, dass zur Erlangung der Allgemeinen Betriebserlaubnis
durch den Hersteller manipuliert wurde. Soweit ersichtlich hat es ein solch weitreichendes Verfahren in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben. Allein die derzeit aus den USA bekannten
Vorwürfe reichen für diesen Schritt nicht aus.
13. Wer muss jetzt aktiv werden?
Handeln sollten jetzt vor allem diejenigen, deren Neufahrzeug Euro 5 vor der Auslieferung steht
oder deren neu erworbenes Gebrauchtfahrzeug Euro 5 mit dem Dieselmotor EA 189 übergeben
werden soll. In diesen Fällen empfehlen wir die Verwendung des ADAC Musterformular zur Abnahme unter Vorbehalt (Anlage 1).
Außerdem können betroffene Fahrzeugbesitzer, deren Sachmangelhaftungsfrist demnächst abläuft, rechtzeitig eine Verlängerung dieser Frist bzw. eine Verjährungshemmung mit ihrem Vertragspartner vereinbaren. Die Clubjuristen haben auch hierfür ein Musterformular erstellt (Anlage 2).
14. Dürfen betroffenen Fahrzeuge weiterhin in Umweltzonen fahren?
Selbst wenn Fahrzeuge auf dem Rollenprüfstand nur durch Manipulation die geforderten Abgaswerte erreicht haben, bedeutet das nicht, dass bereits erteilte Umweltplaketten nicht mehr
gültig sind. Für die Erteilung der Umweltplakette ist die weiterhin gültige Typzulassung und Einstufung des Fahrzeugs durch das Kraftfahrtbundesamt maßgeblich. Die Erteilung der Umweltplakette erfolgt auch zukünftig nach diesen Vorgaben.
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15. Ist eine Sammelklage gegen VW in Deutschland geplant?
Nein. Sammelklagen sind nach deutschem Recht nicht möglich. Jeder Betroffene müsste daher
selbst seine Rechte bei Gericht geltend machen.
Wir hoffen, hiermit die ersten Fragen beantwortet zu haben. Sollte weiterer Klärungsbedarf bestehen, wenden Sie sich gerne an die Juristische Zentrale. Über neue Erkenntnisse zur rechtlichen Bewertung werden Sie umgehend informiert.
Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, helfen Ihnen die Clubjuristen unter der
Rufnummer (089) 76 76 – 24 23
gerne weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Markus Schäpe
Komm. Leiter Juristische Zentrale
Anlagen
Vorwurf fehlerhafter Abgaswerte bei Diesel-Kraftfahrzeugen von VW und
Tochterunternehmen - Abnahme unter Vorbehalt
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Absender: Name, Vorname
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Straße
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PLZ, Ort
An
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Firma
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Straße
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PLZ, Ort
Datum: ………………………
Kaufvertrag vom …………………….
Sehr geehrte Damen und Herren,
am ……………… habe ich bei Ihnen das Diesel-Kraftfahrzeug
Hersteller: ………………………….
Typ: …………………………………
Fahrzeug-Ident.Nr. (soweit vorhanden): …………………………………………….
bestellt. Der Kaufvertrag ist in Fotokopie zu Ihrer Kenntnisnahme beigefügt.
Als Liefertermin wurde im Kaufvertrag ☐ unverbindlich / ☐ verbindlich (Zutreffendes bitte ankreuzen)
vereinbart: …………………………….
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das vorbezeichnete Diesel-Kraftfahrzeug fehlerhafte
Abgaswerte aufweist und damit mangelhaft ist, erkläre ich Ihnen hiermit, dass ich das Fahrzeug aus
diesem Grund nur
unter dem Vorbehalt
der Nacherfüllung, der Minderung des Kaufpreises oder des Rücktritts vom Kaufvertrag annehmen
werde bzw. annehme.
Des Weiteren behalte ich mir für den Fall fehlerhafter Abgaswerte die Geltendmachung weiterer
Schadensersatzansprüche vor.
Mit freundlichen Grüßen
Vorbehalt wurde zur Kenntnis genommen:
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Unterschrift Käufer
Unterschrift Verkäufer mit Firmenstempel, Datum
Anlage
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Abs. Name, Vorname
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Straße
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PLZ, Ort
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Empfänger
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Straße
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Datum ……………….
PLZ, Ort
Bestätigung über Verzicht der Verjährungseinrede
Kaufvertrag vom ………………………………………………
Fahrzeug-Identnummer ………………………………………
Sehr geehrte Damen und Herren,
nach den mir vorliegenden Informationen ist mein bei Ihnen erworbenes Fahrzeug
mit dem rund um die Abgas-Manipulationsvorwürfe bei Dieselfahrzeugen des VWKonzerns erwähnten Motor mit der Kennzeichnung EA 189 ausgerüstet.
Die derzeit in der öffentlichen Diskussion über fehlerhafte Abgaswerte (massiv
überhöhte Stickoxid-Emissionen im Realbetrieb) befindlichen Vorwürfe würden bei
Erhärtung derselben einen Sachmangel an dem bei Ihnen gekauften Kfz darstellen.
Da bislang die Sachlage nicht geklärt ist und auch nicht klar ist, wann dies geschieht,
drohen meine potentiellen Sachmängelhaftungsrechte zu verjähren.
Zur Vermeidung beiderseitiger Kostenrisiken (etwa durch kostenintensive Begutachtung meines Kfz) fordere ich Sie dazu auf, mir gegenüber den Verzicht auf die
Einrede der Verjährung bzgl. der oben angesprochenen Abgas-Manipulation zu
erklären.
Bitte senden Sie mir dieses Schreiben mit Ihrer Bestätigung inkl. Firmenstempel
zurück. Für Ihre Rückantwort habe ich mir den ……………………….. vorgemerkt.
Mit freundlichen Grüßen
Bestätigung Verjährungseinredeverzicht:
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Unterschrift
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Unterschrift/Firmenstempel
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