TB_N°3.p... - Friedrich-Naumann

TÜRKEI BULLETIN 03/16
Berichtszeitraum: 01. - 15. Februar 2016
Inhalt u. a.: Türkei bombardiert Nordsyrien: Dissonanz zwischen Ankara und Washington, Brandanschläge auf regierungsnahe Zeitungen, Türkei-Korrespondentin der norwegischen ‚Aftenposten‘ ausgewiesen, Geheimdienst bekommt mehr Budget und Einfluss, Kämpfe im Südosten des Landes dauern an, Davutoğlu verbreitet Optimismus – Südosten soll rasch wieder aufgebaut werden, Energiepreise in der Türkei bleiben hoch, Bloomberg – Innovationsindex: Türkei nur Mittelmaß
Überblick
Auch im zweiten Monat des noch jungen Jahres dauern die Kämpfe im Südosten der Türkei an. Allerdings wurden die Kampfhandlungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK-Kämpfern in
der Stadt Cizre (Prov. Şırnak) nach 59 Tagen für beendet erklärt. Die veröffentlichten Bilder zeigen
eine in Ruinen liegende Geisterstadt.
Die Bombardements der russischen Luftwaffe nahe der syrischen Stadt Aleppo haben zu einer erneuten großen Flüchtlingswelle in Richtung türkischer Grenze geführt. Die Türkei weigert sich bislang, die Grenze zu öffnen und droht mit einem Eingriff in den Bürgerkrieg im Nachbarland.
Im Rahmen der europäischen Flüchtlingskrise besuchte Bundeskanzlerin Merkel zunächst den türkischen Regierungschef Davutoğlu und anschließend Staatspräsident Erdoğan. Damit haben sich Merkel und ihr türkisches Pendant fünfmal seit dem Oktober vergangenen Jahres getroffen, die SyrienGeberkonferenz in London ausgenommen. Beide Seiten wollen die NATO in den Kampf gegen
Schlepper in der Ägäis einbinden.
FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff stellte den Sinn des Kanzler-Besuches in Ankara
infrage. „Wiederholte Reisen in die Türkei sind kein Ersatz für eine eigene, organisierte Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, und die fehlt hier nach wie vor“, sagte der stellvertretende Präsident des
Europaparlaments.
Fünf Monate nach dem Tod des syrischen Flüchtlingskindes Aylan Kurdi hat im türkischen Bodrum
der Prozess gegen die Verantwortlichen für die Tragödie begonnen. Die Staatsanwaltschaft verlangt
je 35 Jahre Haft für zwei mutmaßliche syrische Schlepper, wie die Nachrichtenagentur DHA meldete.
Die Anklagebehörde suche zudem noch nach vier türkischen und zwei syrischen Verdächtigen. Das
Bild des dreijährigen Aylan, der im September 2015 bei der Überfahrt nach Griechenland ertrunken
war und tot an einen türkischen Strand gespült wurde, hatte weltweite Erschütterung ausgelöst.
Der weltgrößte Reisekonzern TUI bekommt die Terrorfolgen in der Türkei deutlich zu spüren. Der
Terroranschlag in Istanbul mit elf toten Touristen im Januar hat die Türkei-Buchungen einbrechen
lassen. Die Sommerbuchungen seien im Vergleich zum Vorjahr bislang um 40 Prozent zurückgegangen, so TUI-Chef Fritz Joussen vor der Hauptversammlung in Hannover. Er rechne in diesem Jahr
mit einer Million Türkei-Gästen, nur gut halb so viele wie im Vorjahr. Die Kreuzfahrtreederei Aida
Cruises hat die für diesen Sommer geplanten Fahrten mit Zielen in der Türkei abgesagt. Nach den
jüngsten Anschlägen in Istanbul hätten zahlreiche Gäste den Wunsch geäußert, ihre Reise auf eine
andere Urlaubsregion umzubuchen, teilte das Unternehmen in Rostock mit.
Fast drei Jahre nach den regierungskritischen Gezi-Protesten sind 14 Aktivisten in der osttürkischen
Provinz Erzincan zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt worden.
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Die Staatsanwaltschaft habe ihnen u. a. Widerstand gegen die Staatsgewalt und Mitgliedschaft in
einer Terrororganisation vorgeworfen, so türkische Medien. Das Gericht verhängte Haftstrafen zwischen 20 Monaten und knapp 18 Jahren.
Türkei bombardiert Nordsyrien: Dissonanz zwischen Ankara und Washington
Der türkische Staatspräsident Erdoğan kritisierte bei einem Treffen mit Bezirksvorstehern die USA
wegen ihrer Haltung zu den syrischen Kurden. „Hey, Amerika, seid Ihr auf unserer Seite oder auf der
Seite der Terrororganisationen PYD und YPG?“ (die Kurden-Partei PYD gilt als syrischer Ableger der
PKK und die YPG als ihr militärischer Flügel, Anm.d.Red.) Die PYD wird von den USA in Syrien unterstützt und – im Gegensatz zur PKK – nicht als Terrororganisation eingestuft, wie der Sprecher
des US-Außenministeriums, John Kirby, zuvor deutlich gemacht hatte. Kurdische Milizen gingen am
effektivsten gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) vor, so Kirby zur Begründung. Wegen der
Äußerung Kirbys hatte die Türkei den US-Botschafter einbestellt. Erdoğan warf den USA vor, kurdische Rebellengruppen falsch einzuschätzen. Dies sei eine Ursache für das Blutvergießen in der Region und gefährde die Sicherheit der Türkei.
Zudem drohte Erdoğan damit, in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Irgendwann werde sein
Land die Geduld verlieren, und dann werde die Türkei gezwungen sein, aktiv zu werden. Derzeit bereite man sich auf die Ankunft von weiteren Flüchtlingen vor, die durch russische Luftangriffe in und
um Aleppo vertrieben worden seien, so Erdoğan. Zur Forderung nach einer Grenzöffnung sagte er, in
jene Länder, die nun „gute Tipps“ geben, könnte Ankara bald selbst Flüchtlinge abschieben. Die Türkei habe „kein Schild mit der Aufschrift ‘Dummkopf‘ auf der Stirn“.
Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bekräftigte, dass sein Land die Entsendung von Bodentruppen in
das Bürgerkriegsland Syrien erwäge. „Wenn es eine Strategie (gegen den IS) gibt, könnten die Türkei
und Saudi-Arabien einen Einsatz am Boden starten“, so der Außenminister nach seiner Teilnahme an
der Münchner Sicherheitskonferenz. Zuvor hatte Saudi-Arabien die Bereitschaft bekundet, im Rahmen der US-geführten Koalition Bodentruppen gegen den IS nach Syrien zu entsenden. Çavuşoğlu
kündigte außerdem an, dass die Saudis Kampfflugzeuge für den Einsatz gegen den IS zum türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik (Prov. Adana) entsenden werden. Wie viele Flugzeuge Riad dort
stationieren werde, sei aber noch unklar.
Währenddessen steigt die Not an der syrisch-türkischen Grenze immer weiter. Russische Luftschläge
und Angriffe der syrischen Regierungstruppen lösen die Flucht zehntausender Menschen aus. Doch
trotz zahlreicher internationaler Appelle verweigert die Türkei bislang den Flüchtlingen die Einreise.
Lediglich Verletzte dürfen passieren. Die Verwundeten würden in Krankenhäuser gebracht und dort
behandelt, heißt es seitens der Türkei.
Der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, William Spindler, hat die Türkei in Genf gebeten,
die Grenzen für alle Flüchtlinge aus Syrien zu öffnen. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth forderte die
Türkei zum Handeln auf: „Man kann die Leute nicht an den Grenzen auf syrischem Gebiet festhalten,
in Lager einsperren, das ist nicht zu akzeptieren.“ Auf der syrischen Seite warten seit Tagen nach
unterschiedlichen Angaben zwischen 10.000 und 50.000 Menschen aus dem umkämpften Aleppo.
Die frühere Handelsmetropole liegt nur 60 Kilometer von der Grenze entfernt. Die syrische Armee
und ihre Verbündeten waren in der vergangenen Woche mit Hilfe russischer Luftschläge im Norden
des Landes vorgerückt und hatten so die neue Massenflucht ausgelöst.
Die Türkei will die Flüchtlinge nach eigenen Angaben zunächst auf der syrischen Seite der Grenze
versorgen. Der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmuş sprach nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu von 600.000 Flüchtlingen, die sich im schlimmsten Falle zur türkischen Grenze aufmachen könnten. Nach Regierungsangaben hat die Türkei bereits mehr als 2,5
Mio. Flüchtlinge allein aus Syrien aufgenommen.
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Unterdessen gab die türkische Regierung bekannt, dass sie mit einem schärferen Vorgehen gegen
Menschenhandel den Flüchtlingszuzug nach Europa eindämmen wolle. Menschenhandel werde künftig als Terrordelikt behandelt, sagte Vizepremier und Regierungssprecher Numan Kurtulmuş nach
einer Kabinettssitzung in Ankara. Zudem soll bei der türkischen Polizei eine eigene Abteilung für die
Bekämpfung des Menschenhandels aufgebaut und das Personal für diesen Bereich aufgestockt werden. Auch die Maßnahmen gegen „Terror-Touristen“, die über die Türkei zum IS nach Syrien reisen,
sollen verstärkt werden. Im vergangenen Jahr seien an der Küste der Türkei rund 91.000 Flüchtlinge
an der illegalen Weiterreise nach Westeuropa gehindert worden, so Kurtulmuş weiter. Die neuen
Maßnahmen gegen den Menschenhandel sollen sofort per Dekret umgesetzt werden und später –
nach den notwendigen Parlamentsberatungen – eine gesetzliche Grundlage erhalten.
Am 13. Februar hat die Türkei dann den Worten von Präsident Erdoğan und Außenminister Çavuşoğlu Taten folgen lassen: Die Türkei griff – wenn auch zunächst nur aus der Luft – in den syrischen Bürgerkrieg ein. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu gab es Angriffe
der türkischen Streitkräfte auf Kurdenstellungen in der nordsyrischen Provinz Aleppo. Man habe Ziele
in den von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kontrollierten Gebieten nahe der Stadt
Azaz bombardiert, zitierte Anadolu Militärkreise. Bei einem weiteren Angriff sei der Beschuss eines
türkischen Postens in der südlichen Region Hatay durch syrische Regierungstruppen erwidert worden. Die oppositionsnahe, in London ansässige „Syrische Beobachterstelle für Menschenrechte“ teilte mit, dass die türkische Armee offenbar schon den zweiten Tag in Folge die Stellungen der KurdenMiliz beschossen habe. Dabei seien zwei kurdische Kämpfer getötet worden.
Ähnlich wie die türkischen Militärkreise äußerte sich Regierungschef Davutoğlu, der von Anadolu mit
den Worten zitiert wurde: „Im Rahmen der Einsatzregeln haben wir auf Kräfte in Azaz und Umgebung
geantwortet, die eine Bedrohung darstellten.“ Im Hinblick auf die PYD sprach er von einer „Terrorgruppe, die ein Arm des syrischen Regimes ist“ und, die „bei den russischen Luftangriffen gegen Zivilisten kollaboriert“. „Die Führungsstruktur und die Ideologie von PKK und PYD sind identisch. […]
Diejenigen, die sagen, es handele sich hier nicht um Terrorgruppen, kennen entweder die Region
nicht oder sie haben schlechte Absichten‘‘, betonte der Premier mit Blick auf die Haltung Washingtons.
Die USA riefen derweil die Türkei zum Stopp der Angriffe in Nordsyrien auf. Ankara müsse „den Beschuss beenden“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Kirby. Zugleich rief er die Kurden auf,
kein Kapital aus den Kämpfen zwischen syrischen Truppen und Rebellen zu schlagen.
Bei einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Merkel unterstrich Davutoğlu, dass die Militäraktionen gegen kurdische Gruppen im Norden Syriens weitergehen würden. Die Sicherheitskräfte des Landes
würden auf „Attacken der kurdischen Miliz“ reagieren, heißt es aus dem Büro des Regierungschefs in
Ankara.
Brandanschläge auf regierungsnahe Zeitungen
Bewaffnete haben zwei regierungstreue Zeitungen in der türkischen Metropole Istanbul mit MolotowCocktails angegriffen. Die Zeitung „Yeni Şafak“ teilte auf ihrer Webseite mit, ihr Redaktionsgebäude
im Stadtteil Bayrampaşa sei zudem beschossen worden. Die Brandanschläge hätten ein Feuer ausgelöst. Verletzte habe es nicht gegeben. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, zur
gleichen Zeit hätten Maskierte die regierungstreue Zeitung „Yeni Akit“ beschossen und MolotowCocktails auf parkende Autos geworfen. Beide Zeitungen vertreten stramm die Linie der islamischkonservativen AKP-Regierung und greifen die Opposition regelmäßig scharf an. Die Blätter befürworten u. a. die Militäroffensive gegen die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans PKK.
Staatspräsident Erdoğan verurteilte die Angriffe auf das Schärfste. Auch international wurden die
Anschläge kritisiert.
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Der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, nannte Übergriffe auf Medien „absolut inakzeptabel“. Sein US-Kollege John Bass teilte über Twitter mit: „Gewalt gegen Journalisten ist immer inakzeptabel.“ Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ warnte, Gewalt dürfe „kein Mittel der Auseinandersetzung sein, egal was man von der redaktionellen Linie einer Publikation hält“.
Türkei-Korrespondentin der norwegischen ‚Aftenposten‘ ausgewiesen
Die renommierte norwegische Zeitung ‚Aftenposten‘ meldete, dass ihre Korrespondentin für den Mittleren Osten aus der Türkei ausgewiesen worden sei. Es sei das erste Mal seit 1971, dass ein Korrespondent dieser Zeitung in einem anderen Land zur „persona non grata“ erklärt worden sei. Dieser
Vorgang sei „völlig inakzeptabel“, schreibt der Chefredakteur des Blattes, Espen Egil Hansen. ‚Aftenposten‘ könne ohne Probleme aus Russland oder China berichten. Aber ausgerechnet der NATOPartner Türkei zeige Verachtung für die Grundsätze der Pressefreiheit.
Die Korrespondentin Silje Rønning Kampesæter hatte das Istanbul-Büro des Blattes erst im September 2015 eröffnet, wurde aber danach lange Zeit im Unklaren darüber gelassen, ob ihr Antrag auf
Presseakkreditierung im Lande bearbeitet werde. Die türkische Botschaft in Oslo wird in dem Artikel
mit den Worten zitiert, dass jeder Fall nach seinen jeweils eigenen Kriterien behandelt und man kein
Statement zu den Gründen abgeben werde, derentwegen Akkreditierung und Aufenthaltsgenehmigung verweigert worden seien. ‚Aftenposten‘ will aber erfahren haben, dass die Ursache für die Verweigerung der Akkreditierung im Privatleben Kampesæters liegt: Ihr deutscher Verlobter hat kurdische Wurzeln! Wie die Zeitung berichtet, hat der norwegische Außenminister Børge Brende den Fall
gegenüber seinem Amtskollegen in Ankara bereits angesprochen. Dieser habe aber die Ablehnung
der Journalistin bestätigt. ‚Aftenposten‘ denkt nun darüber nach, die Korrespondentin von der jordanischen Hauptstadt Amman aus über die Region berichten zu lassen.
Geheimdienst bekommt mehr Budget und Einfluss
Laut Medienberichten will die türkische Regierung die Aktivitäten des Geheimdienstes MIT (türk. Milli
Istihbarat Teşkilatı) erheblich ausweiten. Im Jahr 2016 soll das MIT-Budget um 47 Prozent auf rund
1,6 Mrd. Türkische Lira/TL (umgerechnet etwa 480 Mio. EUR) angehoben werden. Ein Großteil der
Summe soll nach den Worten eines Stellvertreters von Premierminister Davutoğlu in einen Neubau
für den Geheimdienst investiert werden, weiteres Geld für neues Personal und für die Luftüberwachung, etwa mit Drohnen.
Laut Angaben von Geheimdienstexperten sei der MIT mit deutlich mehr Aufgaben und Befugnissen
betraut als z. B. der Bundesnachrichtendienst oder der Verfassungsschutz. Die Türkei hatte im Jahr
2014 das Geheimdienstgesetz wesentlich reformiert. Seitdem sei die Behörde noch intransparenter
geworden, kritisiert etwa Human Rights Watch. Der Geheimdienstchef ist seither nur noch dem Premierminister zum Bericht verpflichtet. MIT-Mitarbeiter genössen quasi Straffreiheit.
Seit 2010 steht Hakan Fidan an der Spitze des MIT. Der 48-Jährige gilt als einer der engsten Vertrauten des Staatspräsidenten Erdoğan und war lange als sein Nachfolger auf dem Posten des Ministerpräsidenten gehandelt worden. Erdoğan sagte einmal über Fidan: „Er ist nicht nur mein Geheimniswahrer, er ist der Geheimniswahrer des Staates.“
Kämpfe im Südosten des Landes dauern an
Nach Silopi wurden auch in der Stadt Cizre die Kampfhandlungen für beendet erklärt. Andernorts
dauern die Kämpfe jedoch weiter an.
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Hier eine Zusammenfassung der Ereignisse vom 01. -14. Februar:
01. Februar: Im umkämpften südosttürkischen Cizre (Prov. Şırnak) ist der Kontakt zu mehr als 20 in
einem Keller eingeschlossenen Verwundeten abgebrochen. „Wir haben seit mehr als 48 Stunden
keine Verbindung mehr“, sagte die HDP-Abgeordnete Meral Danış Beştaş. In der Stadt liefern sich
Sicherheitskräfte seit Wochen heftige Gefechte mit Kämpfern der PKK. Die Opposition beschuldigt
die Regierung, den Rettungseinsatz zu verhindern und Helfer unter Beschuss zu nehmen. Die Regierung dagegen wirft den Rebellen vor, auf Einsatzkräfte zu feuern.
02. Februar: Die Vereinten Nationen haben die Türkei aufgefordert, fundamentale Rechte von Zivilisten im Südosten des Landes zu beachten. Anlass des Appells ist ein Video, das der UNHochkommissar für Menschenrechte als „äußerst schockierend“ verurteilte. Darauf sind unbewaffnete
Zivilisten zu sehen, die beim Transport von Toten über eine Straße beschossen wurden. Dem Kameramann, der selbst verletzt worden sei, drohe eine Haftstrafe. „Das Filmen von Gräueltaten ist kein
Verbrechen, aber das Feuern auf Zivilisten ist sicher eines“, sagte Said Raad al-Hussein. Das Auftauchen des Videos lasse auch viele Fragen aufkommen, was in Cizre und anderen Teilen der Südost-Türkei tatsächlich passiere und vor der Welt verborgen werde.
03. Februar: Der Militäreinsatz gegen die PKK im Südosten der Türkei ist nach Regierungsangaben
fast beendet. In Cizre werde die Operation in wenigen Tagen abgeschlossen sein, sagte Innenminister Efkan Ala. Nur noch ein Prozent der Stadt sei unter Kontrolle der PKK. Im Viertel Sur der Kurdenmetropole Diyarbakır könnten die Kämpfe noch bis zu zwei Wochen andauern, fügte Ala hinzu.
Den Einsatz in Silopi (Prov. Şırnak) hatte die Regierung schon vor zwei Wochen als „weitestgehend
beendet“ erklärt. Die Ausgangssperre wurde dort gelockert und gilt zurzeit nur noch nachts.
03. Februar: Der irakische Kurdenführer Massoud Barzani hat eine Abstimmung über einen kurdischen Staat im Nordirak angekündigt. „Die Zeit ist gekommen und die Bedingungen sind gegeben,
um die Menschen per Referendum über ihre Zukunft entscheiden zu lassen“, erklärte Barzanis Büro.
Das Referendum hat keine rechtlich bindende Wirkung, gilt aber als politisches Signal an die irakische Zentralregierung. Barzani ist der amtierende Präsident der autonomen Kurdenregion im Irak. Er
hat bereits in der Vergangenheit wiederholt zu einem Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans aufgerufen.
08. Februar: Bei Zusammenstößen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und Kämpfern der
PKK sind in den umkämpften Städten Cizre und Diyarbakır 16 Rebellen getötet worden, erklärte das
Militär. Seit Dezember wurden in beiden Städten, in denen rund um die Uhr Ausgangssperren gelten,
749 mutmaßliche PKK-Kämpfer getötet. Bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel sagte der türkische Regierungschef Davutoğlu, die Einsätze in Cizre könnten in den
kommenden Tagen zu Ende gehen. Die PKK wolle türkische Städte destabilisieren, und Cizre komme dabei eine Schüsselrolle zu, weil der Ort an der syrischen Grenze liege und Waffen und Terroristen eingeschmuggelt werden könnten, so der Premier. Er wies zudem die Kritik zurück, dass die Zivilbevölkerung ins Visier genommen worden sei. Nach Darstellung der pro-kurdischen HDP wurden in
Cizre allerdings in den letzten Tagen allein neun Zivilisten getötet.
09. Februar: Der Chef der pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtaş, hat das gewaltsame Vorgehen
der türkischen Armee in Cizre scharf verurteilt und dem Militär schlimmste Verbrechen vorgeworfen.
„Sie haben ein Massaker begangen und wollen es nicht zugeben“, sagte Demirtaş vor Abgeordneten
seiner Partei. Er nahm damit Bezug auf Berichte, nach denen in Cizre bei einem Einsatz gegen die
PKK zahlreiche Zivilisten getötet worden seien.
10. Februar: Bei der Militäroffensive der türkischen Streitkräfte gegen die PKK in der Provinz Şırnak
sind nach Militärangaben 22 PKK-Kämpfer ums Leben gekommen. Drei Soldaten seien dabei den
„Märtyrertod gestorben“.
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11. Februar: Die türkische Regierung hat die zweimonatige Militäraktion gegen Kämpfer der PKK in
der südostanatolischen Stadt Cizre für beendet erklärt. Der Einsatz sei „sehr erfolgreich“ gewesen,
sagte Innenminister Efkan Ala. Die Ausgangssperre bleibe aber bis auf weiteres bestehen. In anderen Städten der umkämpften Region wird weiter gekämpft. Laut HDP wurden allein in Cizre seit Mitte
Dezember 80 Zivilisten getötet; die Gesamtbilanz für liegt demnach bei 211 zivilen Opfern.
13. Februar: Das türkische Militär hat Stellungen syrischer Kurden-Milizen nördlich der umkämpften
Stadt Aleppo beschossen. Die Streitkräfte hätten Ziele nahe Azaz ins Visier genommen, verlautete es
aus Regierungskreisen. Noch am Abend bestätigte auch Premierminister Davutoğlu den Einsatz. Er
forderte den sofortigen Rückzug der Kurden aus dem Gebiet um Azaz.
14. Februar: Das türkische Militär setzt seinen Beschuss von Stellungen der YPD 10 km südlich der
türkisch-syrischen Grenze bei Azaz und der zuvor lange von der Al-Nusra-Front gehaltenen syrischen
Menagh-Luftwaffenbasis fort.
Davutoğlu verbreitet Optimismus – Südosten soll rasch wieder aufgebaut werden
Die türkische Regierung will den wieder aufgeflammten Kurdenkonflikt mit Milliardeninvestitionen und
mehr lokaler Selbstverwaltung lösen. Zudem seien staatliche Hilfen für zivile Opfer der Gefechte und
ein Wiederaufbau zerstörter Stadtviertel vorgesehen, sagte Ministerpräsident Davutoğlu in einer live
vom Fernsehen übertragenen Rede im südostanatolischen Mardin. Einen Dialog mit den PKKRebellen lehnte er jedoch ab.
Davutoğlu betonte, nun beginne eine neue Ära. Türken und Kurden seien gleichberechtigt. „Wir haben ein Vaterland, eine Zukunft, ein Schicksal. Wir sind gemeinsam Bürger dieses Landes.“ Die geplante Ausarbeitung einer neuen Verfassung biete die Gelegenheit zu umfassenden demokratischen
Reformen. Die türkischen Behörden müssten mehr auf die Bürger zugehen und transparenter sein.
Zu Davutoğlus Plan gehört eine Stärkung der Rechte lokaler Verwaltungen, was u. a. seit langem von
der pro-kurdischen Partei HDP gefordert wird. Allerdings würden die Ausgaben der Kommunen
streng kontrolliert, damit kein Geld an die PKK fließen könne, so der Regierungschef. Kurdengebiete
sollen mit staatlichen Investitionen in Höhe von acht Mrd. EUR in den kommenden zwei Jahren angekurbelt werden. Verluste von Betrieben und Geschäftsleuten durch die jüngsten Kämpfe würden
ersetzt, Versicherungs- und Kreditzahlungen gestundet. Zudem sollen neue günstige Kredite zur Verfügung gestellt werden. Zerstörte Stadtviertel sollen neu aufgebaut werden.
Mit Blick auf den unter dem Schutz der UNESCO stehenden Stadtbezirk Sur in der Stadt Diyarbakır,
der zu den besonders umkämpften Gebieten gehört, sagte Davutoğlu, beim Wiederaufbau werde auf
die historische Besonderheit der betroffenen Städte geachtet. Er nannte hier als Vergleich die spanische Stadt Toledo. Der Premier unterstrich, Regierung und Behörden würden stärker als bisher das
Gespräch mit Vertretern der Kurden in Verbänden und Organisationen suchen. Allerdings werde keine bewaffnete Gruppe als Gesprächspartner akzeptiert, fügte er in Anspielung auf die PKK hinzu.
Energiepreise in der Türkei bleiben hoch
Aufgrund des Sturzes der Erdölpreise sind die Benzinpreise seit Juni 2014 weltweit um rund 60 Prozent gesunken, in der Türkei jedoch nur um 16 Prozent. Ursache dafür ist der zeitgleiche Wertverlust
der Landeswährung Lira gegenüber dem US-Dollar, in dem der türkische Energieimport fakturiert
wird, aber auch steigende nationale Steuern. Im Jahre 2014 hatte die Türkei – nach Großbritannien,
Italien und Schweden – die höchsten Kraftstoffpreise in Europa.
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Nach Aussage des Generalsekretärs des Verbandes der türkischen Mineralölindustrie PETDER,
Niyazi Ilter, ist nicht so sehr die Höhe, sondern die Art der Besteuerung durch den Staat ein Problem
für die Mineralölwirtschaft: Ist der Steuerbetrag in seiner Höhe nicht an den Preis gekoppelt, so steigt
die steuerliche Belastung bei sinkenden Preisen relativ. Anders als in Großbritannien, Deutschland,
Frankreich oder Italien habe es die türkische Mineralölwirtschaft zudem mit den Problemen der „Panscherei“ und des Schmuggels zu tun, was erhebliche Zusatzkosten verursache.
In der Türkei setzt sich der Kraftstoffpreis für den Endverbraucher im Wesentlichen aus drei Elementen zusammen: 23 Prozent des Endpreises gehen an die Raffinerien, d. h. an den mehrheitlich zur
Koç-Holding gehörenden Tüpraş-Konzern, den einzigen Anbieter in der Türkei, der sowohl das importierte Rohöl in seinen Raffinerien in Kocaeli/Izmit, Aliağa (Prov. Izmir) und Kırıkkale (Zentralanatolien), als auch das bescheidene lokale Erdölaufkommen in der südostanatolischen Provinz Batman
verarbeitet. 11 Prozent des Endpreises gehen an die Verteiler und die Endverkäufer, woran die KoçHolding durch ihre 50-Prozent-Beteiligung an einem der größten Tankstellenbetreiber der Türkei, der
OPET A.S., ebenfalls partizipiert. Circa zwei Drittel des Endpreises gehen an den türkischen Staat,
der sowohl eine Konsumsteuer als auch die Mehrwertsteuer erhebt. Die steuerliche Belastung für
den Kraftstoff liegt damit in der Türkei – auch ohne „Ökosteuer“ – nur wenig unter der in Deutschland.
Insgesamt erzielt der türkische Staat 12,5 Prozent seiner Einnahmen durch die Besteuerung von
Erdölprodukten und Gas.
In dem durch staatliche Eingriffe erheblich betroffenen Kraftstoffmarkt lässt sich wohl nur sehr
schwierig agieren. Dies zeigt das jüngste Bemühen der OMV, des größten börsennotierten Unternehmens in Österreich, ihren erst vor wenigen Jahren erworbenen, knapp 99 Prozent betragenden
Anteil an „Petrol Ofisi“, dem mit ca. 3500 Tankstellen größten Tankstellenbetreiber der Türkei, vollständig zu veräußern.
Die türkischen Konsumenten klagen darüber, dass sie z. B. vom 30-prozentigen Rückgang der Erdgaspreise im Jahre 2015 bisher gar nicht profitiert haben. Die Gaspreise für Heizzwecke stiegen sogar um 2,4 Prozent (nach 9 Prozent Anstieg in 2014). Auch die Elektrizitätspreise, die eigentlich auch
vom sinkenden Gaspreis profitieren sollten (weit über die Hälfte der Stromerzeugung erfolgt durch
Erdgas-betriebene Wärmekraftwerke), sind Anfang 2016 erneut um ca. 7 Prozent gestiegen. Die
staatliche Aufsichtsbehörde für den Energiemarkt EPDK (türk.: Enerji Piyasası Düzenleme Kurumu) erklärt dazu, der Preisanstieg sei vor allem durch erforderlichen Investitionen in die Verteilungssysteme bedingt. In der Tat weiß der türkische Stromkunde nicht erst seit dem großen Stromausfall
vom März 2015 von Problemen bei der Stromversorgungssicherheit zu berichten.
Bei allem begründeten Lamentieren der Endkonsumenten bleibt ein erfreuliches Faktum für die türkische Volkswirtschaft: Aufgrund der erheblich gesunkenen Einstandspreise für Energieimporte ist es
gelungen, das notorisch hohe Zahlungsbilanzdefizit des Landes von USD 46,5 Mrd. im Jahr 2014 auf
unter USD 30 Mrd. im Jahr 2015 zu senken – und das trotz des erheblichen Wertverlustes der türkischen Lira gegenüber dem US-Dollar.
Bloomberg – Innovationsindex: Türkei nur Mittelmaß
Laut dem kürzlich veröffentlichen „Bloomberg Innovation Index 2016“
(http://www.bloomberg.com/graphics/2015-innovative-countries/) rangiert die Türkei, deren politische
Führung das Land schon in wenigen Jahren unter den führenden Wirtschaftsmächten der Erde sieht,
lediglich auf Rang 35 einer 84 Staaten umfassenden Rangliste. An der Spitze liegt Südkorea gefolgt
von Japan, Deutschland, Finnland, Israel, den USA, Schweden, Singapur, Frankreich und Großbritannien. Die Schweiz und Österreich folgen auf den Plätzen 16 und 17, während China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde, nur Platz 22 innehat.
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Der Einstufung durch den „Bloomberg Index“ liegen folgende sechs Parameter zugrunde: Forschung
und Entwicklung, Produktion („manufacturing“), Zahl der Hi-Tech-Firmen, Hochschulbildung, qualifiziertes Personal und Zahl der Patente. Die Türkei schließt überdurchschnittlich gut bei der Zahl der
Patente (Rang 17), unterdurchschnittlich jedoch bei der Qualität des Personals (Rang 45) ab.
Aus Sicht der Autoren des „Bloomberg-Index“ weist er eine markante Schwäche auf: Der Versuch,
Innovation zu messen, erfasse nicht den schwer zu quantifizierenden Einfluss staatlicher Regulierung
auf die Innovationsfähigkeit eines Landes. Regulierung könne sowohl Innovation beschleunigen als
auch erheblich behindern.
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Projektbüro Türkei
Redaktion: Dr. Hans-Georg Fleck – Aret Demirci
Cumhuriyet Cad. No 107 D 2 Elmadağ-Istanbul 34473, Türkei
www.fnst-turkey.org
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