Der Poincarésche Wiederkehrsatz

Seminararbeit für das Seminar
DYNAMISCHE SYSTEME
Der Poincarésche
Wiederkehrsatz
Susanne Koch
Lehrstuhl für Mathematik III
Fakultät für Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsmathematik
Universität Mannheim
Prof. Dr. Martin U. Schmidt
26.05.2015
1
Inhaltsverzeichnis
1 Jules Henri Poincaré
3
2 Erste Idee vom Wiederkehrsatz
3
3 Vorbereitung zum Poincaréschen
3.1 Divergenzfreiheit . . . . . . . .
3.2 Satz von Liouville . . . . . . . .
3.2.1 Folgerung . . . . . . . .
3.3 Invarianz . . . . . . . . . . . . .
3.4 Messbarkeit . . . . . . . . . . .
Wiederkehrsatz
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
4
4
4
4
5
5
4 Der Poincarésche Wiederkehrsatz
5
5 Vorbereitung zum Beweis
5.1 Das Lebesgue-Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Reguläre Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3 Maßerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
6
6
6
6 Der Beweis
7
7 Korollar aus dem Poincaréschen Wiederkehrsatz
7.1 ω-Limesmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2 Poisson Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.3 Korollar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
9
9
9
8 Literaturverzeichnis
10
2
1
Jules Henri Poincaré
Jules Henri Poincaré war ein bedeutender Mathematiker, theoretischer Physiker, theoretischer
Astronom und Philosoph.
Geboren am 29. April 1854 in Nancy, lebte er bis zum 17. Juli 1912, an dem er in Paris
verstarb.
Der hier behandelte Wiederkehrsatz stammt ursprünglich aus dem Werk
"Les méthodes nouvelles de la mécanique céleste",
das von 1892-1899 in 3 Bänden erschien.
2
Erste Idee vom Wiederkehrsatz
Anschaulich besagt der Poincarésche Wiederkehrsatz, dass fast jeder Punkt einer kompakten,
invarianten Menge beliebig oft, beliebig nahe zum Ausgangspunkt zurückkehrt.
Nun wollen wir uns das bildlich vorstellen.
Man nehme ein geschlossenes Gefäß, gefüllt mit einem Gas. Der Poincarésche Wiederkehrsatz besagt, dass sich in der Zukunft irgendwann die einzelnen Gaspartikel wieder an ihrem
Ursprungsplatz der ersten Beobachtung oder zumindest beliebig nahe dazu befinden.
Zudem taucht dieses Phänomen nicht nur einmal, sondern beliebig oft in der Zukunft auf,
wobei die benötigte Zeit bis zum Eintreten dieser Entwicklung möglicherweise weit außerhalb
unserer Vorstellungskraft liegen kann.
Dazu stelle man sich vor, man hat zum Beobachtungsstart eine Trennwand in dem Gefäß
und die Gaspartikel befinden sich nur auf einer Seite des Behältnisses. Die Beobachtungsspanne
beginnt beim Anheben der Trennwand.
Bei wenigen Teilchen in unserem Behältnis ist die Zeitspanne, bis die Teilchen sich wieder an
ihrem Ursprungsort bzw. beliebig nahe dazu befinden, deutlich kürzer als bei 6 · 1023 Teilchen
in einem gewöhnlichen Gasgemisch. In diesem Fall dauert es länger als die Existenz dieses
Sonnensystems bis sich die Gasteilchen wieder alle auf der einen Seite des Gefäßes befinden.
3
Vorweg genommen sei gesagt, dass es sich bei diesem Thema grundsätzlich um die Betrachtung kontinuierlicher Flüsse handelt.
Zunächst setzen wir einige Parameter fest, die im Folgenden immer gelten sollen:
M ⊂ Rm offen,
f ∈ C 1 (M, Rm ),
ϕ sei der von f erzeugte Fluss
Außerdem sind im Vortrag folgende Schreibweisen äquivalent:
ϕt (x) = ϕ(t, x) = t · x
3
Vorbereitung zum Poincaréschen Wiederkehrsatz
Als Vorbereitung zum Wiederkehrsatz schauen wir uns die Voraussetzungen im Einzelnen
genauer an.
3.1
Divergenzfreiheit
Erinnerung aus der Analysis:
Sei f ein partiell differenzierbares Vektorfeld, dann ist die Divergenz von f folgende reelle Funktion
∂fn
∂f1
+ . . . + ∂x
∂x1
n
divf = ∇f =
Ist f divergenzfrei, so gilt
div f = 0
Das führt uns zum Satz von Liouville:
3.2
Satz von Liouville
−
+
−
Wir betrachten für eine kompakte Teilmenge K ⊂ M : t+
K = min t (x) und tK = max t (x).
x∈K
+
Für jedes t ∈ (t−
K , tK ) sei
V (t) = volm (t · K) =
Z
x∈K
dx1 ∧ . . . ∧ dxm
t·K
das orientierte m-dimensionale Volumen von t · K.
Dann gilt:
V 0 (t) =
Z
divf dx
t·K
Da V 0 (t) gerade die Volumenänderung ist, gibt es keine Volumenänderung, wenn die Divergenz
von f gleich 0 ist.
V 0 (t) =
Z
0 dx = 0
t·K
3.2.1
Folgerung
Sei f divergenzfrei, so ist ϕ volumenerhaltend, d.h. für jede kompakte Menge K ⊂ M gilt:
volm (K) = volm (t · K)
+
für t−
K < t < tK
Also folgt mit dem Satz von Liouville aus der Divergenzfreiheit die Volumenerhaltung, die wir
später im Beweis brauchen werden.
4
3.3
Invarianz
Der Begriff Invarianz bedeutet Unveränderlichkeit, also eine bestimmte Art von Beständigkeit,
die sich folgendermaßen ausdrücken lässt:
Definition:
Eine Menge X heißt invariant, wenn ∀x ∈ X und ∀t ∈ J gilt: t · x ∈ X, wobei J als Intervall
all derjenigen t, für die t · x für alle x aus X definiert ist.
3.4
Messbarkeit
Auf die Voraussetzung der Messbarkeit von A muss man an dieser Stelle nicht genauer eingehen,
weil es in diesem Fall eine wenig restriktive Einschränkung ist. Man kann hier von allen als
’praktisch’ zu bezeichnenden Mengen, von messbaren Mengen ausgehen.
Nun kommen wir zum eigentlichen Thema, dem Poincaréschen Wiederkehrsatz:
4
Der Poincarésche Wiederkehrsatz
Wir betrachten den Rm und f sei divergenzfrei. Ferner sei M eine kompakte, invariante Menge
für ϕ. Schließlich sei A ⊂ M eine beliebige messbare Menge.
Dann gibt es, für fast jedes x ∈ A, eine Teilfolge (nk ) von N mit
nk · x ∈ A
∀k ∈ N
Bemerkung
a) Die Einschränkung auf ”fast jedes x ∈ A” bezieht sich auf den Ausschluss derjenigen x,
die eine Nullmenge bilden, also deren Maße 0 sind.
b) Die hier betrachtete Teilfolge (nk ) von N ist eine streng monoton wachsende Folge in N.
5
5
Vorbereitung zum Beweis
Abstecher in die Maßtheorie
Für den Beweis des Wiederkehrsatzes benötigen wir ausschließlich das Lebesgue-Maß und
seine Eigenschaften.
5.1
Das Lebesgue-Maß
Zunächst lässt sich über das Lebesgue-Maß sagen, dass es einer betrachteten Größe seinen Inhalt
zuordnet.
Wenn man also eine Fläche im 2-Dimensionalen betrachtet, ordnet das Lebesgue-Maß dieser Fläche seinen Flächeninhalt zu und zwar indem es sich mittels Rechtecken immer weiter an
den Flächeninhalt annähert, bis es schließlich diesen angibt.
Bemerkung
Das Lebesgue-Maß λ ist ein reguläres Maß.
5.2
Reguläre Maße
Aus der Definition von regulären Maßen brauchen wir nur eine bestimmte Eigenschaft, die
reguläre Maße besitzen:
Wenn λ regulär ist, gilt: λ(A) = sup{λ(K) : K ⊆ A, K ist kompakt} für jede messbare Menge A.
In diesem Fall heißt A von innen λ-regulär
Bemerkung
Ein reguläres Maß ist also so charakterisiert, dass sich für eine beliebige, messbare Menge A
deren Maß dadurch bestimmen lässt, dass man auf kompakte Mengen zurückgreift.
5.3
Maßerhaltung
Definition:
Eine messbare Abbildung g : X → X heißt maßerhaltend, wenn für alle messbaren Mengen A
gilt:
λ(g(A)) = λ(A)
6
6
Der Beweis
Dieser Abschnitt widmet sich ausschließlich dem Beweis des Poincaréschen Wiederkehrsatzes.
Der gesamte Beweis lässt sich in zwei Teile unterteilen.
Zunächst folgern wir aus der Volumenerhaltung, die wir durch die Divergenzfreiheit gegeben
haben, die Maßerhaltung von ϕ.
Teil 1
Da M kompakt und invariant ist, ist ϕ auf M global und da f divergenzfrei ist, wissen wir durch
den Satz von Liouville, dass λ(t · K) = λ(K) für jedes t ∈ R und jede kompakte Teilmenge K
von M gilt.
Da das Lebesgue-Maß regulär ist, gilt
λ(B) = sup{λ(K)|K ⊂ B, K kompakt}
für jede messbare Teilmenge B ⊂ Rm .
Da ϕt ein Homöomorphismus ist, ist t · K für jedes t ∈ R kompakt, falls K ⊂ M kompakt
ist. Folglich ist K genau dann eine kompakte Teilmenge von t · B, wenn (−t) · K eine kompakte
Teilmenge von B ist.
Es gilt ϕt ∈ C 1 (M, Rm ) für jedes t ∈ R.
Da eine C 1 -Abbildung messbare Mengen in wiederum messbare Mengen überführt, ist t · B
messbar für jedes t ∈ R und jede messbare Menge B ⊂ M .
Also erhalten wir schließlich
λ(t · B)
= sup{λ(t · K)|K ⊂ B, K kompakt}
= sup{λ(K)|K ⊂ B, K kompakt}
= λ(B)
für jede messbare Menge B ⊂ M und jedes t ∈ R, d.h. wir haben gezeigt, dass ϕ maßerhaltend ist.
Teil 2
Im zweiten Teil zeigen wir, dass nur x aus Nullmengen nicht in A zurückkehren, d.h. nur
für Nullmengen gilt der Poincarésche Wiederkehrsatz nicht.
Offensichtlich ist k · x genau dann nicht in A, wenn k · x ∈ (M \ A), also wenn x ∈ (−k) · (M \ A)
ist. Folglich ist
Bl = A ∩
\
(−k) · (M \ A),
l ∈ N+
k≥l
die Gesamtheit der Punkte in A, für die k · x für alle k ≥ l nicht in A ist. Die Mengen Bl
beschreiben also gerade die Punkte, die nach dem jeweiligen Zeitpunkt l nicht wieder in A
zurückkehren.
Jede Menge Bl ist messbar.
Somit ist
B=
∞
[
Bl
l=1
die Menge aller Punkte x ∈ A derart, dass nur endlich viele der k · x, k ∈ N ebenfalls in A sind.
Wir müssen also λ(B) = 0 zeigen. Dazu genügt es λ(Bl ) = 0 für jedes l ∈ N+ zu beweisen.
7
Da aus x ∈ Bl und k · x ∈ A stets k < l folgt, erhalten wir insbesondere (jl) · x ∈
/ Bl ,
also ((jl) · Bl ) ∩ Bl = ∅ für j ≥ 1.
Da ϕt auf M ein Homöomorphismus ist, folgt für k = nl
((jl) · Bl ) ∩ (k · Bl )
= k · (−k) · [((jl) · Bl ) ∩ (k · Bl )]
= k · [(−k) · (jl) · Bl ∩ (−k) · (k) · Bl ]
= k · [(jl − k) · Bl ∩ Bl ]
= k · [(jl − nl) · Bl ∩ Bl ]
= k · [((j − n) l) · Bl ∩ Bl ]
=∅
weil 0 ≤ n < j und somit (j − n) ≥ 1.
Demzufolge sind die Mengen (jl) · Bl , j ∈ N+ paarweise disjunkt.
Wie wir aus Teil 1 wissen, ist ϕ auf M maßerhaltend. Daraus folgt:
λ((jl) · Bl ) = λ(Bl )
∀j ∈ N+
Weiter folgt, da M kompakt ist, M hat endliches Lebesgue-Maß: λ(M ) < ∞.
Daraus lässt sich folgern, dass λ(Bl ) = 0, da die paarweise disjunkten Mengen (jl)·Bl , j ∈ N+
alle das gleiche Maß besitzen, das in Summe beschränkt sein muss.
Folglich impliziert die σ-Additivität des Maßes λ(B) = 0:
0=
∞
X
λ(Bl ) ≥ λ(
l=1
∞
[
Bl ) = λ(B)
l=1
q.e.d.
8
7
7.1
Korollar aus dem Poincaréschen Wiederkehrsatz
ω-Limesmenge
Definition:
Für jedes x ∈ X wird die ω-Limesmenge (auch positive Limesmenge) ω(x) von x durch
ω(x) =
\
{s · x | t < s < t+ (x)}
t>0
definiert.
Bemerkung
Ist t+ (x) < ∞, so ist ω(x) leer.
7.2
Poisson Stabilität
Definition:
Ein Punkt x ∈ M heißt Poisson stabil, wenn t+ (x) = ∞ ist und wenn es zu jeder Umgebung
U von x und jedem T > 0 ein t > T mit t · x ∈ U gibt.
x ist genau dann Poisson stabil, wenn x ∈ ω(x) ist, d.h. wenn x in seiner eigenen ωLimesmenge liegt.
7.3
Korollar
Unter den Voraussetzungen des Poincaréschen Wiederkehrsatzes ist fast jeder Punkt von M
Poisson stabil.
Beweis
Da M kompakt ist, existieren zu jedem k ∈ N+ endlich viele Bälle B(xj , k1 ) mit xj ∈ M für
0 ≤ j ≤ nk , die M überdecken.
Wir wenden nun den Wiederkehrsatz auf jede der abzählbar vielen messbaren Mengen
B(xj , k1 ) ∩ M , 0 ≤ j ≤ nk , k = 0, 1, 2, . . . an.
Dann gibt es eine Nullmenge N (als Vereinigung abzählbar vieler Nullmengen) derart, dass
jeder Punkt x ∈ M \ N in jeden der Bälle B(xj , k1 ), in denen er liegt, unendlich oft zurückkehrt.
Für jedes x ∈ M \ N und jedes k ∈ N+ gibt es ein j(x) ∈ {0, . . . , nk } mit x ∈ B(xj(x) , k1 ) = Bk .
Da x unendlich oft in Bk zurückkehrt, können wir induktiv eine Teilfolge (nk ) von N wählen
mit nk · x ∈ Bk für alle k ∈ N+ .
Ist nun U eine beliebige Umgebung von x, so existiert ein δ > 0 mit B(x, δ) ⊂ U .
Also folgt aus der Dreiecksungleichung Bk ⊂ B(x, δ) ⊂ U , falls k2 < δ gilt:
Um Bk ⊂ B(x, δ) zu zeigen, muss für zwei Punkte x, y ∈ Bk gelten: | y − x |< δ
| y − x | =| (y − xj(x) ) − (x − xj(x) ) |
≤| y − xj(x) | + | x − xj(x) |
< k2
<δ
Folglich liegen alle bis auf endlich viele Elemente der Folge (nk · x) in jeder Umgebung von x,
d.h. nk · x → x für k → ∞. Also ist x ∈ ω(x).
q.e.d.
9
8
Literaturverzeichnis
[1] Prof. Dr. Martin U. Schmidt:
Analysis I/II
Universität Mannheim, HS 2013/FS 2014
[2] Herbert Amann:
Gewöhnliche Differentialgleichungen
Berlin; New York: Walter de Gruyter 1995, 2. überarbeitete Auflage
[3] Prof. Dipl.-Ing. Dr. Maximilian Ganster:
Mass- und Intergrationstheorie: Reguläre Maße
Graz University of Technology, SS 2013
10