Fall 19 Lösung - Juristische Fakultät

PROPÄDEUTISCHE Ü BUN GEN ZUM GRU NDKURS ZIVILRECHT I
WINTERSEMESTER 2015/16
JURISTISCHE FAKULTÄT
LEHRSTUHL FÜR BÜR GERLICH ES RECHT, INTERNATIONALES
PRIVATRECHT UND RECHTSVE RGLEICHUNG
PROF. DR . STEPHAN LORENZ
F ALL 19 – L ÖSUNG
D ER N OTVERKAUF
Frage 1: Ansprüche der Yagmur ............................................................................................. 2
A. Anspruch der Yagmur (Y) gegen Theresa (T) auf Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs
aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB ................................................................................................ 2
I.
Anspruch entstanden ................................................................................................. 2
1.
Einigung .............................................................................................................. 2
a)
Angebot, § 145 BGB ....................................................................................... 2
aa) Angebot durch Zeitungsannonce ............................................................... 2
bb) Angebot der Y .......................................................................................... 3
b) Annahme der R ............................................................................................... 3
aa) Tatbestand ............................................................................................... 3
bb) Wirkung für und gegen T, § 164 Abs. 1 S. 1 BGB ........................................ 3
(1) Eigene Willenserklärung der R ............................................................. 4
(2) Im Namen des Vertretenen .................................................................. 4
(3) Im Rahmen der Vertretungsmacht ........................................................ 4
(a) Erteilung ...................................................................................... 4
(b) Überschreiten der Grenzen der Vertretungsmacht ........................... 4
(4) Zwischenergebnis ............................................................................... 5
c)
2.
Zwischenergebnis........................................................................................... 5
Keine Wirksamkeitshindernisse, hier: Missbrauch der Vertretungsmacht ................ 5
a)
Missbrauch der Vertretungsmacht ................................................................... 5
b) Objektive Evidenz des Missbrauchs für Vertragspartner .................................... 5
c)
3.
Zwischenergebnis........................................................................................... 6
Zwischenergebnis ................................................................................................ 6
II. Einrede des nichterfüllten Vertrags, § 320 Abs. 1 S. 1 BGB .......................................... 6
III. Zwischenergebnis ...................................................................................................... 6
B. Anspruch der Y gegen R auf Erfüllung oder Schadensersatz aus § 179 Abs. 1 BGB .............. 7
C. Ergebnis ......................................................................................................................... 7
Frage 2: (Y wusste vom „Freundschaftsdienst“ der T) .............................................................. 7
A. Anspruch der Y gegen T auf Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs aus § 433 Abs. 1 S. 1
BGB ................................................................................................................................ 7
I.
Einigung ................................................................................................................... 7
VERONIKA EICHHORN ∙ DOMINIK REGELSBERGER
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FALL 19 – LÖSUN G
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II. Rechtshindernde Einwendungen ................................................................................. 7
III. Zwischenergebnis ...................................................................................................... 8
B. Anspruch der Y gegen R auf Erfüllung oder Schadensersatz aus § 179 Abs. 1 BGB .............. 8
I.
Unmittelbare Anwendung des § 179 Abs. 1 BGB .......................................................... 8
II. Analoge Anwendung des § 179 Abs. 1 BGB ................................................................. 8
III. Zwischenergebnis ...................................................................................................... 8
C. Ergebnis ......................................................................................................................... 8
Frage 1: Ansprüche der Yagmur
A.
Anspruch der Yagmur (Y) gegen Theresa (T) auf Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB
Y könnte einen Anspruch gegen T auf Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Zug-um-Zug gegen Bezahlung des Kaufpreises haben. Ein solcher
könnte sich aus § 433 Abs. 1. S. 1 BGB ergeben.
Voraussetzung hierfür ist, dass ein Anspruch der Y gegen T auf Übergabe
und Übereignung des Pkw entstanden, nicht wieder erloschen und auch
durchsetzbar ist.
I.
Anspruch entstanden
Ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB
müsste zunächst entstanden sein. Ein solcher entsteht mit Abschluss eines
wirksamen Kaufvertrags.
Y und T müssten also einen Kaufvertrag über das Kfz der T geschlossen
haben.
1.
Einigung
Ein Kaufvertrag kommt durch eine Einigung zustande, die in Form zweier auf
Abschluss eines Kaufvertrags gerichteter, übereinstimmender und gültiger
Willenserklärungen vorliegen könnte, nämlich in Form eines Angebots und
einer Annahme (vgl. §§ 145, 147 BGB).
T hat vorliegend keine eigene Willenserklärung gegenüber Y abgegeben.
Jedoch könnte sich Y mit Rabea (R) als Vertreterin der T über den Verkauf
des Wagens geeinigt haben.
a)
Angebot, § 145 BGB
Es müsste ein Angebot vorliegen. Ein auf den Abschluss eines Kaufvertrags
gerichtetes Angebot muss als notwendigen Inhalt (sog. essentialia negotii)
die Parteien des Kaufvertrags, den Kaufgegenstand und den Kaufpreis
enthalten, vom Erklärenden willentlich abgegeben wurde und dem
Vertragspartner zugegangen sein.
aa) Angebot durch Zeitungsannonce
Die Zeitungsannonce könnte ein solches Angebot sein, doch fehlt es insoweit
bereits an einem essentiale negotii, dem Kaufpreis. Der Kaufpreis ist auch
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nicht bestimmbar, da nicht klar ist, zu welchem Zeitpunkt des Meistgebot zu
bestimmen ist.
Da im Übrigen nicht anzunehmen ist, dass ein Angebot an einen unbestimmten Personenkreis gemacht werden sollte, da damit das Risiko einer Vielzahl
unerfüllbarer Verträge verbunden ist, fehlt es auch am Rechtsbindungswillen.
Folglich handelt es sich bei der Zeitungsannonce lediglich um eine invitatio
ad offerendum.
bb) Angebot der Y
Y gab auf die Zeitungsannonce hin ein Angebot über € 3.000,– ab. Es liegen
damit alle essentialia negotii eines Kaufvertrags vor.
Dieses Angebot müsste wirksam, mithin in Richtung der T abgegeben worden
und der T zugegangen sein.
T selbst hat keine Willenserklärung der Y „entgegengenommen“.
Die Willenserklärung der Y könnte jedoch durch Abgabe gegenüber R und
Zugang bei dieser gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam geworden sein, wenn
R die T passiv vertreten hat iSv § 164 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BGB oder R zumindest als Empfangsbotin der T anzusehen ist.
Da R von T mit der Veräußerung ihres Fahrzeugs beauftragt wurde, ist sie
jedenfalls von T auch zur Entgegennahme diesbezüglicher Erklärungen ermächtigt und somit jedenfalls als Empfangsbotin hinsichtlich eines Vertragsangebots anzusehen.
Da der konkrete Zeitpunkt des Zugangs an dieser Stelle keine Rolle spielt,
kann die nicht unproblematische Abgrenzung zwischen Empfangsboten und
Empfangsvertretern dahinstehen. 1
Das Angebot der Y ist jedenfalls mit Zugang bei R als Empfangsbotin und zu
erwartender Weiterleitung an T zugegangen.
Mithin liegt ein wirksames Angebot der Y gegenüber T zum Kauf des Kfz zum
Preis von € 3.000,– vor.
b)
Annahme der R
T müsste dieses Angebot auch angenommen haben.
aa) Tatbestand
Die Annahme ist das vorbehaltlose Einverständnis mit dem Angebot.
T selbst hat wiederum keine Erklärung abgegeben. Indem aber R der Y den
„Zuschlag“ für € 3.000,– gab, bringt sie konkludent zum Ausdruck, dass sie
das Angebot der Y vorbehaltlos annehmen wolle.
bb) Wirkung für und gegen T, § 164 Abs. 1 S. 1 BGB
Die Annahmeerklärung der R könnte unmittelbar für und gegen T wirken,
wenn R die T gem. § 164 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam vertreten hat (aktive Stell-
1
Die Frage der Abgrenzung des Empfangsboten vom Empfangsvertreter wird grundsätzlich nur dann
relevant, wenn es auf den konkreten Zeitpunkt des Zugangs ankommt. Beim Empfangsboten geht die
Willenserklärung nämlich erst dann zu, wenn mit Weiterleitung an den Geschäftsherrn zu rechnen ist (je
nach Fall also bspw. erst einen Tag später, nachdem der Empfangsbote selbst die Erklärung erhält). Beim
Empfangsvertreter geht die WE schon mit Vernehmung bzw. Erhalt beim Vertreter zu.
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vertretung). Dies setzt voraus, dass R eine eigene Willenserklärung im Namen
der T abgegeben hat und dabei innerhalb ihrer Vertretungsmacht handelte.
(1) Eigene Willenserklärung der R
R müsste eine eigene Willenserklärung abgegeben haben. Dies ist im Interesse des Erklärungsempfängers vom objektiven Empfängerhorizont aus zu betrachten, §§ 133, 157 BGB. Eine eigene Willenserklärung ist insbesondere
dann anzunehmen, wenn dem Vertreter in Bezug auf das „ob“ und „wie“ des
Geschäfts ein weiter Ermessensspielraum zukommt.
R sollte selbständig die potenziellen Vertragspartner auswählen und auch den
Preis eigenständig aushandeln. Ihr kommt mithin ein weiter Ermessensspielraum zu, sodass eine eigene Willenserklärung der R zu bejahen ist.
(2) Im Namen des Vertretenen
Ein Vertretergeschäft liegt gem. § 164 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB nur dann vor,
wenn der Vertreter ausdrücklich oder konkludent offenlegt, dass die Wirkungen des Rechtsgeschäfts nicht ihn, sondern den Vertretenen treffen sollen
(sog. Offenkundigkeitsprinzip). Die Annahmeerklärung müsste also im Namen
der Vertretenen, hier im Namen der T erfolgt sein.
R hat schon in ihrer Zeitungsannonce klargestellt, dass sie im Namen der T
deren Wagen verkaufen wolle. Da das Angebot von Y auf ebendiese Annonce
Bezug nahm, war insofern bei Abgabe der Annahmeerklärung der R hinreichend klar, dass sie im Namen der T, das heißt in fremdem Namen, handelte.
(3) Im Rahmen der Vertretungsmacht
Die Willenserklärung der Y wirkt jedoch nur für und gegen T, wenn R mit und
im Rahmen der Vertretungsmacht gehandelt hat (vgl. §§ 164 Abs. 1 S. 1, 177
Abs. 1 BGB).
(a) Erteilung
Eine Vertretungsmacht des Vertreters – also die Berechtigung, den Vertretenen aktiv und/oder passiv zu vertreten – kann sich aus Gesetz oder aus
Rechtsgeschäft ergeben. Hier kommt allein eine rechtsgeschäftlich erteilte
Vertretungsmacht (§ 166 Abs. 2 S. 1 BGB) in Betracht.
T hat der R eine schriftliche Vollmacht zum Verkauf des Wagens erteilt. Diese
stellt eine interne Spezialvollmacht dar, vgl. § 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Diese
Vollmachtserklärung ist der R auch zugegangen, § 130 Abs. 1 S. 1 BGB (analog).
(b) Überschreiten der Grenzen der Vertretungsmacht
Fraglich ist jedoch, ob R nicht mehr „innerhalb der [ihr] zustehenden Vertretungsmacht“ iSd § 164 Abs. 1 S. 1 BGB handelte, weil sie den Wagen nicht an
die Höchstbietende verkauft hat.
Dies hängt maßgeblich davon ab, welchen Umfang die Vollmacht hatte. Der
Umfang der Vollmacht richtet sich i.d.R. nach ihrem Inhalt. Die der R erteilte
Vollmacht ist nicht beschränkt (sog. rechtliches Können).
Jedoch ist R aufgrund des zwischen ihr und der Vollmachtgeberin T bestehenden Auftragsverhältnisses (§ 662 BGB) verpflichtet, bei dem Verkauf des
Fahrzeugs die Interessen der T zu wahren; dazu gehört es u.a., den Pkw zum
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höchstmöglichen Preis
Vollmacht in einer die
chen (sog. rechtliches
Können und Dürfen der
zu verkaufen. Folglich war R verpflichtet, von der
Interessen der T wahrenden Form Gebrauch zu maDürfen). Dieses Auseinanderfallen von rechtlichem
R ist aber ohne Einfluss auf die Vollmacht.
Für die Wirkung des § 164 Abs. 1 S. 1 BGB kommt es ausweislich des klaren
Wortlauts dieser Norm allein auf das Bestehen und den Umfang der Vollmacht an. Pflichtverletzungen des zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigendem bestehenden Grundverhältnisses (Verstöße gegen das rechtliche
Dürfen) betreffen damit nur dieses (das sog. Innenverhältnis). Sinn dieser
Trennung und Abstraktion der Vollmacht vom Grundverhältnis ist der Schutz
des Geschäftsgegners des Vertretenen. Will der Vollmachtgeber dieses Risiko
vermeiden, muss er die Vollmacht so erteilen, dass das rechtliche Können
und Dürfen des Vertreters sich decken.
R war daher (im Außenverhältnis) bevollmächtigt, den Pkw der T zu einem
von ihr allein auszuhandelnden Kaufpreis zu verkaufen. Im Rahmen dieser
Vollmacht hat R auch kontrahiert. Die Grenzen der Vertretungsmacht hat R
damit nicht überschritten.
(4) Zwischenergebnis
Damit wirkt die Annahmeerklärung der R unmittelbar für und gegen T.
c)
Zwischenergebnis
T und Y haben – vertreten durch R – einen Kaufvertrag über den Wagen der T
zum Preis von € 3.000,– geschlossen.
2.
Keine Wirksamkeitshindernisse, hier: Missbrauch der Vertretungsmacht
Y könnte sich aber so behandeln lassen müssen, als habe keine Vollmacht
vorgelegen, mit der Folge, dass der Vertrag schwebend unwirksam ist
§§ 177 ff. BGB analog. Dies setzt voraus, dass die Berufung der Y auf die
Vollmacht der R missbräuchlich ist, weil die R das rechtliche Dürfen im Rahmen des rechtlichen Könnens überschritten hat und dieser Missbrauch für Y
objektiv evident war.
a)
Missbrauch der Vertretungsmacht
Durch den Vertragsschluss der R mit Y zu € 3.000,–, statt mit X zu € 3.500,–
hat R ihr rechtliches Dürfen im Innenverhältnis im Rahmen des rechtlichen
Könnens im Außenverhältnis überschritten.
b)
Objektive Evidenz des Missbrauchs für Vertragspartner
Grundsätzlich hat der Vertretene das Risiko des Vollmachtmissbrauchs zu
tragen; den Vertragspartner trifft keine Prüfungspflicht, ob und inwieweit der
Vertreter im Innenverhältnis gebunden ist, von seiner unbeschränkten Vertretungsmacht nur begrenzt Gebrauch zu machen. Der Vertretene ist gegen einen erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner jedoch dann geschützt, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, so dass
beim Vertragspartner begründete Zweifel bestehen mussten, ob nicht ein
Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig
ist dabei eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz
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des Missbrauchs. Die objektive Evidenz ist insbesondere dann gegeben, wenn
sich nach den gegebenen Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage des
Geschäftsgegners bei dem Vertretenen geradezu aufdrängt.
Y wusste jedoch nichts von dem für T günstigeren Angebot der Xenia (X)
bzw. hätte davon auch nicht wissen müssen.
Nota bene: Ein Missbrauch der Vertretungsmacht muss sich dem Dritten nach der
Rechtsprechung schon dann aufdrängen, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in „ersichtlich verdächtiger Weise“ Gebrauch machte oder wenn die Beschränkung für den Dritten „offenkundig“ war.
c)
Zwischenergebnis
Daher ist es nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sich Y auf die Vollmacht der R
beruft. Y muss sich nicht so behandeln lassen, als habe keine Vollmacht vorgelegen.
3.
Zwischenergebnis
Der von R und Y geschlossene Kaufvertrag wirkt daher gem. § 164 Abs. 1,
Abs. 3 BGB für und gegen T, so dass zwischen T und R ein wirksamer Kaufvertrag besteht.
Nota bene: Das Abstraktionsprinzip, also die Trennung von Vollmacht und zugrunde
liegenden Rechtsverhältnis (hier: Auftrag) dient dem Schutz des Dritten, der mit dem
Vertretenen einen Vertrag schließt, ohne das Innenverhältnis zwischen Vertreter und
Vertretenem zu kennen. Dieser Schutzgedanke greift dann nicht ein, wenn der mit
dem Vertreter handelnde Dritte nicht schutzwürdig ist.
In der Rechtsprechung sind zwei Konstellationen anerkannt, in denen dem Dritten ein
Schutzbedürfnis versagt wird:
1. Kollusion
2. Evidenz (Missbrauch der Vertretungsmach im engeren Sinne)
Die Rechtsfolge des Missbrauchs der Vertretungsmacht im engeren Sinne sieht eine
im Schrifttum verbreitete Ansicht in der analogen Anwendung der §§ 177 ff. BGB.
Danach wäre ein zwischen Vertreter und Vertragspartner geschlossener Vertrag zunächst schwebend unwirksam.
Die Rechtsprechung ist uneinheitlich, sieht aber teilweise den (seinerseits wenig konturenscharfen) Rechtsmissbrauchstatbestand aus § 242 BGB als erfüllt an. Damit
stünde dem Anspruch der Y gegen T eine rechtshemmende Einwendung aus § 242
BGB entgegen.
II. Einrede des nichterfüllten Vertrags, § 320 Abs. 1 S. 1 BGB
Da Y den Kaufpreis noch nicht bezahlt hat und keine Vorleistung der T vereinbart ist, kann T die Einrede des nichterfüllten Vertrags aus § 320 Abs. 1
S. 1 BGB geltend machen. T schuldet nur Leistung Zug-um-Zug, § 322 Abs. 1
BGB analog.
III. Zwischenergebnis
Y hat einen Anspruch gegen T aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB auf Übergabe und
Übereignung des Pkw Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises von
€ 3.000,–.
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FALL 19 – LÖSUN G
B.
Anspruch der Y gegen R auf Erfüllung oder Schadensersatz aus § 179
Abs. 1 BGB
R hat offenkundig als Vertreterin der T gehandelt und diese gegenüber Y durch einen
wirksamen Kaufvertrag verpflichtet. Daher kommt wegen § 164 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
BGB ein Anspruch der Y gegen R aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB nicht in Betracht.
Ein Anspruch auf Erfüllung oder Schadensersatz aus § 179 Abs. 1 BGB setzt
ein Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht voraus. Nachdem R aber
als Vertreterin der T mit Vertretungsmacht handelte, scheidet ein Anspruch
der Y gegen R aus § 179 Abs. 1 BGB aus.
Y hat folglich keinen Anspruch gegen R auf Erfüllung oder Schadensersatz
aus § 179 Abs. 1 BGB.
C.
Ergebnis
Y hat nur einen Anspruch gegen T aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB auf Übergabe
und Übereignung des Pkw Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises von
€ 3.000,–.
Frage 2: (Y wusste vom „Freundschaftsdienst“ der T)
A.
Anspruch der Y gegen T auf Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB
Y könnte einen Anspruch gegen T auf Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Zug-um-Zug gegen Bezahlung des Kaufpreises haben. Ein solcher
könnte sich aus § 433 Abs. 1. S. 1 BGB ergeben.
Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass ein Anspruch der Y gegen T auf
Übergabe und Übereignung des Pkw entstanden ist.
Ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB
müsste zunächst entstanden sein. Ein solcher entsteht mit Abschluss eines
wirksamen Kaufvertrags.
Y und T müssten also einen Kaufvertrag über das Kfz der T geschlossen
haben.
I.
Einigung
T und Y haben – vertreten durch R – einen Kaufvertrag über den Wagen der T
zum Preis von € 3.000,– geschlossen.
II. Rechtshindernde Einwendungen
Dem Vertrag dürfen keine rechtshindernden Einwendungen entgegenstehen.
Da R das rechtliche Dürfen im Rahmen des rechtlichen Könnens überschritten hat, kommt eine Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts wegen Verstoßes gegen
die guten Sitten gem. § 138 Abs. 1 BGB Betracht. Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
R und Y könnten kollusiv zum Nachteil der T zusammengewirkt und damit
sittenwidrig gehandelt haben.
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Vereinbarungen, welche Bevollmächtigte oder sonstige Vertreter einer Partei im Einverständnis mit dem
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FALL 19 – LÖSUN G
Vertragsgegner zum eigenen Vorteil “hinter dem Rücken” des Geschäftsherrn
und zu dessen Schaden treffen, gegen die guten Sitten verstoßen und nichtig
sind.
Y hatte R gebeten, aus Freundschaft ihr Angebot dem teureren der X vorzuziehen. Indem R der Bitte entsprach und deshalb das Angebot der Y im Namen der T annahm, entgehen Letzterer € 500,–. Darin liegt ein kollusives Zusammenwirken der Y und R zum Nachteil der T. Der geschlossene Vertrag ist
somit sittenwidrig iSv § 138 Abs. 1 BGB.
Daher ist der zwischen T und Y geschlossen Kaufvertrag nichtig. 2
III. Zwischenergebnis
Y hat keinen Anspruch gegen T aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB auf Übergabe und
Übereignung des Pkw Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises von
€ 3.000,–.
B.
Anspruch der Y gegen R auf Erfüllung oder Schadensersatz aus § 179
Abs. 1 BGB
I.
Unmittelbare Anwendung des § 179 Abs. 1 BGB
Ein Anspruch auf Erfüllung oder Schadensersatz aus § 179 Abs. 1 BGB setzt
ein Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht voraus.
R handelte zwar auftragswidrig, aber innerhalb ihrer Vertretungsmacht, daher scheidet – ungeachtet des § 138 Abs. 1 BGB aus – eine direkte Anwendung des § 179 Abs. 1 BGB.
II. Analoge Anwendung des § 179 Abs. 1 BGB
Jedoch könnte im Falle des Missbrauchs der Vertretungsmacht eine analoge
Anwendung des § 179 Abs. 1 BGB angezeigt sein.
Die §§ 177 ff. BGB können jedoch nur im Falle des Missbrauchs der Vertretungsmacht im engeren Sinne analog angewandt werden. Die vorliegende
Kollusion führt jedoch gem. § 138 Abs. 1 BGB zur ex tunc Nichtigkeit des
Rechtsgeschäfts. Für die Anwendung der §§ 177 ff. BGB analog verbleibt daher kein Raum.
Nota bene: Für den Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht im engeren Sinne
würde jedoch eine Haftung des Vertreters aus § 179 Abs. 1 BGB an § 179 Abs. 3 S. 1
BGB analog scheitern.
III. Zwischenergebnis
Y hat keinen Anspruch gegen R auf Erfüllung oder Schadensersatz aus § 179
Abs. 1 BGB.
C.
Ergebnis
Y hat keine Ansprüche, weder gegen T noch gegen R.
2
Auf die Fallgruppe des Missbrauchs der Vertretungsmacht im engeren Sinne mit der Folge des §§ 177 ff.
BGB bzw. § 242 BGB (s.o.) kommt es daher nicht mehr an.
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