BR/DC 3/2015 Die Rechtsprechung / La Jurisprudence Bestellungsänderung bei Pauschalpreisen – die Tücke der Lücke Die Bildung von Nachtragspreisen bei Pauschalpreisen muss letztlich durch richterliche Vertragsergänzung erfolgen. Ausgerechnet in diesem wesentlichen Punkt ist die SIA-Norm 118 lückenhaft. La formation de prix complémentaires en cas de prix forfaitaires exige en définitive que le juge complète le contrat. Sur ce point essentiel, la norme SIA-118 comporte une lacune. Urteil des Bundesgerichts vom 4A_234/2014 vom 8. September 2014 Thomas Siegenthaler, Dr. iur., Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV für Bau- und Immobilienrecht, M. Jur., Winterthur Der Fall (246) Eine Bauherrschaft hatte mit einer Unternehmerin einen Werkvertrag für Boden- und Wandplattenarbeiten in einer Wohnüberbauung abgeschlossen und als Werklohn ei nen Pauschalpreis vereinbart. In einigen Wohneinheiten der Überbauung führte die Unternehmerin dann aber keine Ar beiten aus, weil ein Teil der Wohnungskäufer die Platten durch andere Firmen verlegen liessen. men. Dabei wird der Nachtragspreis aus dem zugehörigen Pauschalpreis hergeleitet, unter Berücksichtigung der mass geblichen Unterschiede, die sich aus der Bestellungsände rung ergeben. Ein Leistungsverzeichnis kann dabei als Hilfs mittel dienen (siehe Egli, a.a.O., N 10 i.V.m. N 9 zu Art. 89 SIA-Norm 118).» Die Vorinstanz hatte entsprechend für die nicht ausgeführten Quadratmeter einen Minderpreis be stimmt. Die Vorinstanz brachte sodann den Minderpreis vom Pauschalpreis in Abzug. Zusätzlich nahm die Vorinstanz ei nen Abzug «ex aequo et bono» von 10% vor, «um den be trächtlichen rechnerischen Unsicherheiten Rechnung zu tra gen». Dieses Vorgehen wurde vom Bundesgericht nicht beanstandet. Der Entscheid Anmerkung Die Vorinstanz ging davon aus, dass eine vereinbarte Be stellungsänderung vorlag, allerdings ohne Vereinbarung des Minderpreises. Die SIA-Norm 118 war als Vertragsbestand teil vereinbart worden. Die Vorinstanz befand, dass es sich auch im Falle einer vereinbarten Bestellungsänderung auf dränge, bei Fehlen einer Vereinbarung über den Minderpreis durch richterliche Vertragsergänzung jene Bestimmungen der SIA-Norm 118 heranzuziehen, welche die einseitige Bestellungsänderung regeln (Art. 84 ff. SIA-Norm 118). Das Bundesgericht hielt dazu (in E. 5.1) Folgendes fest: «Ein sol ches Vorgehen, mithin die sinngemässe Anwendung der Art. 84 ff. SIA-Norm 118 auf einvernehmliche Bestellungs änderungen, wird auch in der Literatur befürwortet, weil die se Bestimmungen zur Natur des Vertrages passen, für den die SIA-Norm 118 übernommen wurde (siehe Egli, in: Kom mentar zur SIA-Norm 118, Art. 38–156 [Ausgabe 1977/1991], 1992, Vorbemerkungen zu Art. 84–91 SIANorm 118, S. 208; vgl. auch Spiess / Huser, Norm SIA 118, Stämpflis Handkommentar, 2014, N 11 zu Art. 84 SIA-Norm 118). Das Vorgehen der Vorinstanz ist in diesem Sinne bun desrechtlich nicht zu beanstanden.» Zur konkreten Bestimmung des Minderpreises führt das Bundesgericht unter E. 5.2 Folgendes aus: «Nach Art. 89 Abs. 2 SIA-Norm 118 wird der Nachtragspreis bei Leistun gen zu Pauschalpreisen auf der Basis jener Kostengrundlage vereinbart, die im Zeitpunkt der Bestellungsänderung gültig ist. Kommt keine Einigung zustande, ist der Minderpreis nach Art. 89 SIA-Norm 118 durch den Richter zu bestim Das Bundesgericht folgt der Vorinstanz, indem es die Be stimmungen der SIA-Norm 118 über die Bildung von Nach tragspreisen bei einseitigen Bestellungsänderungen (also Art. 84 ff. SIA-Norm 118) sinngemäss auf die Bestimmung von Nachtragspreisen bei vereinbarten Bestellungsänderun gen zur Anwendung bringt. Indessen unterlässt es das Bun desgericht zu erwähnen, dass es sich damit in einen Wider spruch setzt zu seinem Urteil 4A_183/2010 (27.5.2010), wo es (in E. 3.2) zum Schluss gekommen war, dass die Nach tragspreise bei einer einvernehmliche Bestellungsänderung nicht nach Art. 84 ff. SIA-Norm 118 bestimmt werden müs sen, sondern nach Art. 374 OR (sodass die Vergütung der Zusatzarbeiten nach dem Aufwand zu bestimmen sei, der bei einem sorgfältigen Vorgehen des Unternehmers zur Ausfüh rung des Werkes genügt hätte). A priori ist es überzeugend, bei der Anwendung der Be stimmungen der SIA-Norm 118 über die Bildung von Nach tragspreisen nicht zu unterscheiden, ob die Bestellungsände rung einseitig erfolgt ist oder ob der Unternehmer damit einverstanden war. Weil es nach der SIA-Norm 118 ein ein seitiges Bestellungsänderungsrecht des Bestellers gibt, kommt es nach Art. 84 ff. SIA-Norm 118 auf das Einver ständnis des Unternehmers eben gerade nicht an, sodass es bei der Bildung von Nachtragspreisen auch keinen Unter schied machen kann, wenn dieses im konkreten Fall vorliegt. Insofern ist der neue Entscheid (4A_234/2014) überzeugen der als jener aus dem Jahre 2010 (4A_183/2010). Wie aber der vorliegende Fall zeigt, führt die Anwendung von 148 Die Rechtsprechung / La Jurisprudence BR/DC 3/2015 Art. 84 ff. SIA-Norm 118 zumindest bei Pauschalpreisverträ gen kaum weiter: Art. 89 SIA-Norm 118 sieht vor, dass im Falle einer Bestellungsänderung beim Pauschalpreisvertrag ein Nach tragspreis vereinbart werde. Für den Fall, dass keine Verein barung zustande kommt, wird in Art. 89 Abs. 2 SIA-Norm 118 auf Art. 87 Abs. 4 SIA-Norm 118 verwiesen. Dieser lau tet: «Kommt keine Vereinbarung zustande, so kann die Bau leitung die Arbeit in Regie ausführen lassen oder unter voller Schadloshaltung des Unternehmers an einen Dritten ver geben. Untergeordnete Arbeiten werden immer in Regie aus geführt.» Was soll aber gelten, wenn zwar keine Vereinba rung zustande kommt, aber die Arbeiten ausgeführt werden, obschon sich der Bauherr weder für die Ausführung in Regie noch zur Vergabe an einen Dritten entscheidet? Und was soll gelten, wenn die Bestellungsänderung, wie im vorliegenden Fall, zu Minderleistungen führt? Die SIA-Norm 118 schweigt sich dazu aus und ist somit lückenhaft. Wenn es darum geht, bei Pauschalpreisverträgen die preislichen Auswirkungen von bereits ausgeführten Bestellungsänderungen zu bestim men, hilft die sinngemässe Anwendung der SIA-Norm 118 dem Richter also auch nicht weiter, denn die SIA-Norm 118 enthält dazu gar keine Regelung. Auch das dispositive Geset zesrecht enthält keine Bestimmung, wie Pauschalpreise im Fall einer Bestellungsänderung anzupassen wären (vgl. Hu bert Stöckli, Was ist mit der Vergütung los? BRT 2015, S. 18). Letztlich müssen die Gerichte die Vergütung in solchen Fällen also auf dem Weg der richterlichen Vertragsergänzung anpassen. Hier taten sie dies, indem sie den vereinbarten Pauschalpreis in einen Einheitspreis pro Quadratmeter um rechneten und den so errechneten Quadratmeterpreis mit der letztlich tatsächlich ausgeführten Fläche multiplizierten. Diese Lösung hat den Charme der Einfachheit. Ob sie auch kalkulatorisch richtig ist, darf bezweifelt werden. Zweifel hatte offenbar auch das Gericht. Entsprechend nahm es «ex aequo et bono» einen Abzug von 10% zulasten des Unter nehmers vor – wobei aufgrund des Bundesgerichtsurteils aber unklar bleibt, warum es «ex aequo et bono» einen Ab zug machte und nicht eher einen Zuschlag. Bevorschussung der Nachbesserungskosten – Nachforderung ausgeschlossen? Mit BGE 128 III 416 begründete das Bundesgericht die Praxis, nach der ein «Besteller Anspruch darauf hat, dass die Kosten für die Nachbesserung durch einen Dritten vom Unternehmer zu bevorschussen sind» (E. 4.2.2). Doch wie steht es um den Anspruch des Bestellers, einen Nachschuss zu fordern, wenn der Vorschuss nicht ausreicht, um die Nachbesserungskosten zu decken? Dans l’arrêt ATF 128 III 416, le Tribunal fédéral a établi la jurisprudence selon laquelle le maître de l’ouvrage a un droit au paiement d'une avance de frais lorsqu’il est fondé à faire réparer les vices de l'ouvrage par un tiers aux frais de l'entrepreneur (consid. 4.2.2). Qu’en est-il par contre du droit du maître à exiger une avance complémentaire lorsque le montant initial n’est pas suffisant pour couvrir les coûts de réparation? Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 12. November 2014 (HG130129-O [nach Angaben auf der Website des Gerichts in Rechtskraft erwachsen]) Hubert Stöckli, Dr. iur., Professor an der Universität Frei burg Der Fall (247) Ein Ehepaar betraut eine Generalunternehmerin mit dem Bau eines Mehrfamilienhauses. Es treten Mängel auf, die nun beseitigt werden sollen. Offenbar verweigert die General unternehmerin die Nachbesserung. Das Ehepaar verlegt sich auf Ersatzvornahme, zieht also einen Dritten bei, der die Män gel beseitigen soll. Von der Generalunternehmerin will sie einen Vorschuss, der ihr vom Handelsgericht (in einem ersten Verfahren) in Höhe von CHF 242 740.– zugesprochen wird. Das ist die Summe der einzelnen Kostenanteile, die in diesem ersten Verfahren geschätzt und mit einer Reserve von 20% ausgestattet wurden. Das Gericht führte dazu unter a nderem aus: «Da die Nachbesserungskosten noch nicht definitiv fest stehen, lässt sich auch der Vorschuss nicht exakt bestimmen. Gewisse Ungenauigkeiten sind zu akzeptieren. Gegen eine hohe Reserve spricht, dass der Unternehmer für seine wirt schaftliche Tätigkeit finanzielle Mittel benötigt und somit möglichst keine Gelder vorschiessen soll, die letztlich nicht benötigt werden. Demgegenüber soll der Besteller möglichst davon befreit werden, infolge einer knappen Kalkulation des Vorschusses erneut an den Unternehmer für weitere Vorschüs se gelangen zu müssen» (Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 15. März 2011 [HG110007]). Schluss endlich beliefen sich die Kosten der Nachbesserung auf über CHF 283 000.–, was das Ehepaar dazu veranlasste, in einem 149
© Copyright 2024 ExpyDoc