Ich bin schlecht im Bett! Und Sie auch! Die deutsche Comedy ist ein Kabinett der Scheußlichkeiten. Ein Blick auf das Entwicklungsland des Humors und das Elend der deutschen Spaßmacherei. Seite 23 Fotos: dpa/Jens Kalaene, dpa/Kay Nietfeld, 123rf/berlinimpressions [M] Sonnabend/Sonntag, 13./14. Februar 2016 71. Jahrgang/Nr. 37 Berlinausgabe 2,30 € www.neues-deutschland.de * STANDPUNKT Fortgesetzte Entmündigung Fabian Lambeck über die geplanten Hartz-Reformen Eine Sanktion, so sagt es der Duden, ist eine Maßnahme, »die jemand als Druckmittel gegen eine Person oder ein Land einsetzt, um diese zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen«. Während man auf internationaler Ebene etwa Iran sanktioniert, damit das Land sein Atomprogramm stoppt, überzieht man hierzulande Menschen mit Sanktionen, die keinen oder einen sehr schlecht bezahlten Job haben und deshalb Hartz-IVLeistungen beziehen. Diese Menschen werden per Gesetz für unmündig erklärt. Laut Definition ist unmündig, wer nicht in der Lage ist, selbst Entscheidungen zu treffen. Die Wahl des Arbeitsplatzes etwa ist eine solche Entscheidung. Wer sich dem Hartz-IV-System unterwerfen muss, hat diese Wahl nicht. Man nimmt ihm die Entscheidung ab und unterbreitet »Vermittlungsvorschläge«, die ihrem Charakter nach keine Vorschläge, sondern Befehle sind. Wer diese Arbeit nicht annehmen will, etwa weil sie mies bezahlt ist oder entwürdigend, der wird mit Sanktionen bestraft. Man stellt in Abrede, dass dieser Mensch mündig ist und selbstständig entscheiden kann. Wer nun gehofft hatte, dass diese von der öffentlichen Hand betriebene Entmündigung mit den Reformen der SPD-Bundesarbeitsministerin endlich ad acta gelegt würde, der sieht sich nun getäuscht. Künftig sollen die Betroffenen die Kosten ihrer eigenen Entmündigung teilweise erstatten. Der autoritäre Ansatz mag sozialdemokratisch sein, der Leitgedanke aber ist neoliberal. UNTEN LINKS Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, Yanis Varoufakis: Immer mehr vormals unauffällige Buchhaltertypen, die jahrein, jahraus brav Parlamentsbänke gedrückt und an den Wochenenden mit Kumpels in ihrem Hobbykeller Luftschlösschen gebastelt und Keynesianismus mit Anfassen gespielt haben, verwandelten sich in jüngster Zeit überraschend in Heilsbringer und Lichtgestalten! Und das nicht nur wegen Fasching! Nein, diese Leute meinen es ausnahmsweise ernst! Endlich tut jemand was! Erste Maßnahmen wurden nun bekannt: Der Kapitalismus soll, wenn er künftig nicht pariert, zunächst ohne Abendbrot ins Bett geschickt und, wenn auch das nichts nützt, tüchtig vermöbelt werden. Der Armut werden langweilige Positionspapiere vorgelesen, bis sie verschwindet. Und wer unerlaubt Krieg macht, kriegt zwei Wochen keinen Nachtisch! Außerdem geplant: Geldverteilen nach Feierabend, Hüpfburgen für den Frieden, Brot statt Böller. So macht Sozialismus wieder Spaß! tbl ISSN 0323-4940 Verschärftes Hartz IV in Arbeit Langzeiterwerbslosen drohen Regressansprüche der Jobcenter Neue Hoffnung auf Ende der Gewalt Syrien-Vereinbarung in München München. Russland, die USA und wichtige Regionalmächte wie Iran, Saudi-Arabien und die Türkei haben sich in der Nacht zu Freitag in München auf das Ziel einer Feuerpause in Syrien geeinigt. Binnen einer Woche sollen die Waffen schweigen. Die Milizen Islamischer Staat und Nusra-Front sollen jedoch weiter bekämpft werden können. Zudem einigte sich die Münchner Konferenz darauf, dass jetzt schnell humanitäre Hilfe in belagerte Orte gelangen soll. In Genf wurde eine neue Task Force für humanitäre Hilfe zusammengerufen, die sich um die Hilfsoperationen für die notleidende Bevölkerung kümmern soll. Die Einigung vom Freitag wurde von neuen schweren Kämpfen überschattet. Bei einem russischen Luftangriff im Zentrum Syriens sollen mindestens 16 Personen ums Leben gekommen sein. Jets der russischen Luftwaffe hätten Orte nördlich der Stadt Homs bombardiert, Gebiete unter Kontrolle der Terrormiliz Nusra-Front, der »moderaten« Freien Syrischen Armee und islamistischer Brigaden. dpa/nd Seiten 2 und 4 Deutsche Bank kauft zurück 4,8 Milliarden Euro für Anleihen Foto: imago/imagebroker Berlin. Die Bundesregierung plant eine massive Verschärfung der Hartz-IV-Sanktionen. Dies geht aus dem Gesetzentwurf hervor, den das Kabinett Anfang Februar beschloss. Besonders brisant: die Ausweitung des Ersatzanspruchs bei »sozialwidrigem Verhalten«. Wer etwa aus personenbezogenen Gründen gekündigt wird oder ein Jobangebot des Jobcenters nicht annimmt, soll nicht nur mit der dreimonatigen Sanktion belegt werden, sondern auch Kostenersatz leisten »für eine unbestimmte Zeit für alle gezahlten SGB-II-Leistungen«, wie der Sozialrechtler Harald Thomé in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf schreibt. »Mit dieser Regel wird faktisch eine zusätzliche Sanktion eingeführt«, so Thomé. Neben der dreimonatigen Kürzung des ALG II »muss der Betroffene künftig auch das ALG II erstatten, welches er und die anderen Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft weniger erhalten hätten«, falls er in Arbeit gewesen wäre. Gegenüber »neues deutschland« prognostizierte Thomé, dass die Jobcenter »in fünf Jahren jeden zweiten Hartz-IV-Bezieher mit Rückerstattungsforderungen überziehen werden«. Selbst Lebensmittelgutscheine für Sanktionsbetroffene müssten später mit dem Regelsatz aufgerechnet werden. Auf nd-Nachfrage wollte ein Sprecher des federführenden Bundesarbeitsministeriums die Vorwürfe nicht dementieren. Im Gegenteil: Die vom Sprecher übermittelten Auszüge aus dem Entwurf bestätigen teilweise die Befürchtungen Thomés. Kritik kam am Freitag von der Vorsitzenden der LINKEN Katja Kipping. »Mit dem grundrechtswidrigen Konstrukt der Sozialwidrigkeit wird das Sanktions- und Repressionsregime Hartz IV durch die Hintertür enorm verschärft. Und das Nahles-Ministerium tut so, als wüsste es nichts davon«, sagte Kipping gegenber »nd«. fal Seite 5 Merkel auf der Couch mit Clooneys Bundesminister fordern mehr Mittel für Integration, Bundesminister verstärken Druck zu Abschiebungen Konflikte auf allen Ebenen lassen der Kanzlerin kaum eine Pause zum Luftholen. Da ist der Besuch eines Filmstars wie George Clooney willkommen. Selbst wenn er kurz ist. Von Uwe Kalbe Angela Merkel nutzte am Freitag die seltene Gelegenheit, den Glanz der Berlinale zu sich ins Bundeskanzleramt zu holen. Sie empfing den US-Filmstar George Clooney und seine Frau, die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney; beide engagieren sich in der einst von Albert Einstein initiierten Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC). Um Flüchtlinge ging es dem Vernehmen nach auch im Gespräch, und Merkel profitierte einmal mehr von der seit Monaten hartnäckig sich haltenden Legende, der wohl auch die erfreulich engagierten Clooneys aufgesessen sind – dass sie eine flüchtlingsfreundliche Politik betreibe. Er sei »absolut einverstanden damit«, bekundete Clooney seinen Respekt, wahrscheinlich auch für die angebliche Öffnung der Grenzen im letzten November, obwohl die bekanntlich nie geschlossen waren. Merkel ließ den philanthropischen Filmstar in seinem Glauben und vermied die Erläuterung, dass erst der Zusammenbruch des Dubliner Drittstaatensystems Deutschland einer so großen Zahl von Flüchtlingen ausgesetzt hat und dass es nun politischer Kärrnerarbeit bedarf, die Flüchtlinge wieder weitab der eigenen Grenzen aufzuhalten und die hier Gelandeten in möglichst großer Zahl wieder loszuwerden. Ein erheblicher Teil wird allerdings zumindest vorerst in Deutschland bleiben, was Merkel unverändertes Kopfzerbrechen bereitet. Auch wegen der Angriffe ihres CSU-Koalitionspartners. Parteichef Horst Seehofer hatte Merkel vorgeworfen, dass in Deutschland das Unrecht regiere. Am Freitag beteuerte er, er stehe zur Kanzlerin, und ihm etwas anderes zu unterstellen, sei »bösartig«. Doch Merkel hat noch mehr um die Ohren. Soeben treten Ministerinnen der SPD mit zusätzlichen finanziellen Forderungen an »Ich bin absolut einverstanden.« George Clooney zu Merkels Flüchtlingspolitik die Öffentlichkeit, was Merkel sicher ein unerfreuliches Gespräch mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einbringen wird. Nachdem Sozialministerin Andrea Nahles bereits eine runde halbe Milliarde Euro für Integrationsmaßnahmen verlangt hatte, beeilte sich Barbara Hendricks nachzuziehen. Die Bauministerin führte nicht zu Unrecht an, dass die Flüchtlinge ordentlich untergebracht gehörten, und dass dies pro Jahr 1,3 Milliarden Euro zusätzlich für Wohnungsbau und Stadtentwicklung kosten dürfte. Es ist eben nicht nur guter Rat teuer, auch wenn dieser immer willkommen ist. Es sei ein sehr gutes Gespräch gewesen mit den Clooneys, zeigte sich die Kanzlerin nach dem Treffen mit den Clooneys inspiriert. Ein Rat an die Bundesländer erging derweil von Unionsfraktionschef Volker Kauder. Diese sollten Ausländer ohne Bleiberecht »mit aller Konsequenz abschieben«. Widerspruch von Merkel verlautete nicht. Bundesinnenminister Thomas de Maizière plant Medienberichten zufolge mit Hochdruck eine Sammelabschiebung von afghanischen Flüchtlingen noch im Februar und bat die Länder um Unterstützung dabei. Bei einem Besuch des Landes hatte er kürzlich eingeräumt, dass Afghanistan kein sicheres Land sei. Seiten 5 und 6 Frankfurt am Main. Nach einer Woche heftiger Kursausschläge und Zweifeln an ihrer Finanzkraft geht die Deutsche Bank in die Offensive. Sie kündigte am Freitag den Rückkauf eigener Anleihen im Wert von bis zu 4,8 Milliarden Euro an. Damit will die Bank Kapitalstärke demonstrieren und wirbt um das Vertrauen der Investoren. Der Aktienkurs schoss in die Höhe. Das Angebot zum Rückkauf gelte für bestimmte auf Euro und auf Dollar lautende Schuldpapiere, teilte das Geldinstitut in Frankfurt am Main mit. Die »starke« Liquidität mache den Rückkauf möglich. Da die Anleihen unter ihren Ausgabepreis gefallen sind, könne die Bank mit dem Rückkauf einen Gewinn realisieren, hieß es. Zudem spare sie sich künftige Zinszahlungen. Die Investoren der Deutschen Bank hatten sich in den vergangenen Tagen verunsichert darüber gezeigt, ob das Geldhaus in der Lage ist, Schulden und bestimmte Anleihen zu bedienen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, die Deutsche Bank sei eine »starke Bank, und das ist so«. AFP/nd SPD wird Edathy nicht los Einigung mit Parteispitze: Mitgliedsrechte ruhen für fünf Jahre Berlin. Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy hat sich nach der Affäre um angebliche Kinderpornografie mit der SPD-Spitze auf einen Vergleich geeinigt. Beide Seiten verständigten sich am Freitag vor der Bundesschiedskommission der Partei in Berlin darauf, die Mitgliedsrechte Edathys für fünf Jahre ruhen zu lassen, wie das Gremium anschließend mitteilte. Im Gegenzug wurde das Parteiausschlussverfahren gegen Edathy eingestellt. Edathy kann damit SPD-Mitglied bleiben. Er räumte aber laut Bundesschiedskommission als Teil des Vergleichs ein, »dass sein Verhalten den sozialdemokratischen Grundwert des Schutzes von Minderjährigen berührt hat« und er dies bedauere. Die SPDSpitze verpflichtete sich demnach ihrerseits, dass sie gegen Edathy »keinen strafrechtlichen Unrechts- oder Schuldvorwurf erhebt«. Das Gremium unter Vorsitz der SPDPolitikerin Hannelore Kohl erklärte das Verfahren damit für beendet. AFP/nd Seiten 2 und 6
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