Institut für systemische Beratung Leitung: Dr. Bernd Schmid Schloßhof 3 ∙ D- 69168 Wiesloch Tel. 0 62 22 / 8 18 80 Fax 5 14 52 Wissensmanagement - eine Kulturperspektive Gedanken und Fragen von Bernd Schmid Die Diskussion unter der Überschrift „Wissensmanagement“ erzeugt bei mir gelegentlich Stirnrunzeln. Hier werden oft pragmatische und vernünftige Fragestellungen kompliziert neu formuliert, ohne dass dies unbedingt für bessere Antworten entscheidend wäre. Auch scheint mir die Diskussion um Wissensmanagement in technologische Sackgassen geraten zu sein, aus der sie sich herauszuschälen versucht. Im Tausch gibt es das auch bei anderen Themenmoden bekannte Problem, dass bekannte Fragestellungen der Organisations- und Personalentwicklung jetzt als Wissensprobleme neu behandelt werden. Man kannte sie bisher als Fragen der Produktentwicklung, des benchmarking, der Lernkultur, der Führung etc. Ob letztlich ein Zusatznutzen erkennbar wird, wenn unter veränderten Etiketten weiter diskutiert wird, ist offen. Dennoch mag die Hervorhebung des Aspekts „Umgang mit Wissen“ in den bekannten Fragen hilfreich sein. Näher betrachtet gibt es kaum Bereiche von Organisationen , in denen (Selbst-) Steuerung nicht mit Wissen und dem Umgang damit zu tun hat. Wissensmanagement ist insofern weniger eine eigene Disziplin als eine Perspektive, aus der auf Arbeits- und Kommunikationsprozesse, Führungsbeziehungen, Identitätsfragen, Lernen etc. geblickt werden kann. Diese Perspektive darf kein Eigenleben führen, sondern muss mit anderen Perspektiven sinnvoll verknüpft werde, sollen nicht neue Artefakte von Organisationsfunktion oder gar neue eigenständige Zuständigkeiten eingerichtet werden. Es besteht die Gefahr, dass diese sich dann wieder verselbständigen, neue Wichtigkeiten und Jargons erzeugen und wegen der Anmaßung, die gerne von neuen Moden ausgeht, Gefahr laufen, mehr Kooperations- und Integrationsprobleme zu schaffen als zu lösen. Indes fallen mir zu dem Stichwort „Umgang mit Wissen in Organisationen“ eine Reihe von Beispielen, Fragen und praktische Ideen ein, denen ich gerne mehr Chancen auf Gewicht und praktische Verwirklichung geben wollte. Zu oft stoßen einfache und einsichtige Vorschläge auf Besitzstände, Gewohnheiten und Trägheiten, so dass Vernünftiges, das mit geringem Aufwand großen Nutzen stiften könnte, unterbleibt. Das liegt aber bestimmt nicht an fehlenden Konzepten zum Wissensmanagement. Ob diejenigen, die Wissensmanagement auf ihre Fahnen geschrieben haben, diese Vorschläge überhaupt als Fragen des Wissensmanagement zulassen würden, steht zudem auf einem anderen Blatt. Ich erlaube mir im folgenden Erfahrungen, Gesichtspunkte, Fragen, Vorschläge aufzureihen. Diese sind nicht in einem System geordnet, sondern werden als Katalog Schrift Nr. 83 von Anliegen, für aneinandergereiht. die bessere Fragen und Antworten erwünscht sind, Beispiel 1 stammt aus einem in viele Länder Spezialisten entsendenden Unternehmen. Chronische Klage derer, die sich in fremden Kontexten unter schwierigen Umständen know how erworben haben: Nach Rückkehr interessiert sich niemand für ihre Erfahrungen im Ausland, auch nicht für ihre zu dem speziellen Land erworbene Erfahrung, auch dann nicht, wenn dorthin weitere Entsendungen vorgesehen sind. Beispiel 2 stammt aus einem Unternehmen, das über Frühpensionierungen seine Personalkostenprobleme zu lösen versucht hat: Es fehlt plötzlich Erfahrung, modernes know how kann Berufs-, Lebens- Feld- Branchen- und auch Lebenserfahrung nicht ersetzen. Viele Fehler werden neu gemacht, weil man gar nicht wahrnahm, wie sie durch Erfahrung vermieden worden waren. Viele der ehemaligen Mitarbeiter werden als Erfahrungslieferanten wieder neu eingekauft. Dennoch gibt es kein richtiges Modell, keine Verantwortlichkeiten dafür, wie diese Erfahrung fürs Unternehmen gesichert werden soll. Beispiel 3 könnte aus vielen Unternehmen stammen. Es wird über mangelnde Information geklagt. Es wird nicht verstanden, wie “die da oben“ denken. Doch Informationsveranstaltungen und schriftliche Darstellungen führen zu weiteren Missverständnissen und Verdächtigungen, obwohl durchaus ernsthaft informiert werden soll und prinzipiell keine Krisenstimmung herrschen müsste. Für die Kommunikation auch nach innen ist eine Abteilung zuständig, die in Verlautbarungen denkt, geführt von einem Journalisten. Nun soll alles verstärkt über ein Intranet vermittelt werden. Es wurde vorgeschlagen, von wichtigen Referaten von Schlüsselfiguren und persönlichen Darstellungen bzw. Diskussionen von strategischer bzw. kultureller Bedeutung Tonaufnahmen zu machen. Wer das Haus verlässt, kann sich kostenlos Kopien beim Pförtner holen und unterwegs was hören. Die Vielschichtigkeit des persönlichen Vortrags würde über Glaubwürdigkeit und intuitives Begreifen viel mehr vermitteln als Kommuniques, Protokolle oder sonstige Verlautbarungen. Ober- und Untertöne sind wichtig, das Erleben persönlichen Engagements und Glaubwürdigkeit, auch wenn viele Fragen offen bleiben müssen. Das wäre einfach, billig, könnte ohne eigene Veranstaltungen in „natürlichen Situation“ hergestellt werden. Die Mitarbeiter könnten sich ohne eigenen Arbeitszeitverbrauch unterwegs informieren und orientieren. Allerdings gab es in der Geschäftsführung Ängste und Gewohnheitsschwellen: "Ich selbst fände das ja gut, aber ich weiß nicht, wie so was ankäme und was damit geschehen könnte". Beispiel 4 steht sicher auch für häufig gemachte Erfahrungen. In einem Projekt wurde in einem Teil der Organisation hierarchieübergreifend strategisch bedeutsam, kreativ und konstruktiv zusammen gearbeitet. Obwohl 2 www.systemische-professionalitaet.de [email protected] nur beispielhaft gearbeitet werden konnte, begriffen die Beteiligten, worum es ging und wie ein neuer Stil des Zusammenwirkens aussehen kann. Die Multiplikationsidee war, Betroffene und Mitwirkende im kollegialen Austausch von den gemachten Erfahrungen erzählen zu lassen, anstatt mithilfe teurer Berater in anderen Teilen der Organisation neu zu beginnen. Auch das ist als zu ungewöhnlich im ersten Durchgang nicht zustande gekommen. Stattdessen wollte man Berichte mit aus den Erfahrungen abgeleiteten Ergebnissen. Diese konnten aber die Essenz der gemachten Erfahrung nicht transportieren und blieben steril. Es kam bestenfalls die dürre Melodie, nicht aber die Musik rüber. Sind das jetzt Beispiele, mit denen sich Wissensmanagement beschäftigt, beschäftigen sollte? Gehört zum Wissensmanagement z.B. auch der Umgang mit Metaphern und Labels in Projekten? Beispiel 5 Wir mussten in einem Projekt „Strategische Führung“ eine Metapher - nämlich "Führungskaskade" durch "Führungskette" - ersetzen, weil die Betroffenen sonst den Wechselwirkungsprozess in Führungsbeziehungen als auf Topdown-Orientierung beschränkt erlebt hätten. Es durften auch nicht zu viele und zueinander unklare Metaphern verwendet werden, da man bei aller Lust an metaphorischer Sprache sonst auf der Metaphernebene die auch sonst vorherrschende babylonische Verwirrung wiederholte, statt durch Metaphern Orientierung und Anschlussfähigkeit zu schaffen. Beispiel 6 Bei uns am Institut arbeiten wir ständig an der Abschaffung von Berichtswesen. Protokolle und Berichte, die nicht wirklich von Überzeugung seitens des Berichtenden und von elementarem Interesse der Berichtsempfänger für ihre Arbeit getragen ist, verbrauchen Kraft und verkomplizieren Abläufe. Zu leicht schleicht sich ein, dass mehr Information zwar als wünschenswert bejaht wird, dann aber doch nicht oder nicht mit Überzeugung mit Leben gefüllt und nachhaltig gepflegt werden kann. Also Aufrichtigkeit bezüglich Alltagstauglichkeit und Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der Kommunikationsstile und Arten der eigenen Arbeitsorganisation sind angesagt. Sind Fragen der Aufrichtigkeit bezüglich tatsächlicher Praktiken Teil der Wissensmanagementdiskussion? Beispiel 7 Wir verwenden am Institut nur solche Konzepte, die höchstens 3 - 4 Gesichtspunkte haben. Die Erfahrung: Nur dann fallen sie den Teilnehmern in konkreten Situationen ein, haben praktische Bedeutung. Sie sind übersichtlich genug, dass sie bei genügend pragmatischer Eignung des Konzepts durch die Situationen selbst aus der Erinnerung abgerufen werden. Außerdem verwenden wir fast nur Konzepte, die sinnvolle Fragen für das Individuum, für ein Team, für eine größere Organisation, ja sogar für die Gesellschaft zulassen. Beispiel: Kernkompetenz. Dadurch gibt es weniger Brüche in der Konzeptualisierung wegen unklarem Anschluss auf andere 3 www.systemische-professionalitaet.de [email protected] Aggregationsgrade. Eine solche Konzeptpolitik verzichtet auf die großen Systematiken arbeitet eher mit Perspektiven, Katalogen, metaphorischen Figuren und Beispielen. Die ist im Sinne geringen Ressourcenverbrauchs ökonomisch, weil weniger Konzepte mit größerem Gültigkeitsrahmen gelernt werden. Ist Konzeptpolitik ein Bereich der Wissensmanagementdiskussion? Beispiel 8 Wie könnten erfahrenere Mitarbeiter und jüngere Mitarbeiter motiviert werden ihr know how austauschen? Von den Älteren kommt Kulturwissen und Augenmaß, von den jüngeren neueres know how und Unbefangenheit. Am besten wäre ein solcher Austausch Teil eines Mentoring-Programms, bei dem die Jüngeren auch zu Bewahrern des Wissens der Älteren berufen würden. Dass hier gemauert würde, scheint in einem akzeptablen Arbeitsklima wenig glaubhaft, denn der Mensch tut nichts lieber, als anderen seine Geschichte erzählen andere an eigenen Erfahrungen teilhaben zu lassen, wenn er sich dabei gewürdigt fühlt. Zu einer solchen Wissenskultur gehören natürlich Respekt, ja Liebe, damit Jüngere zum wandelnden Verstehenschip für persönlich-professionelle Erfahrung Älterer in der Organisation werden wollen. Stellvertretend anderen zu erzählen, was die besondere Sicht und Erfahrung des Älteren ist und Dialog mit diesem, dazu, wie er sich wiedergespiegelt sieht, wären interessante Übungen. Das kann allerdings nicht losgelöst von einer Kultur des Respekts funktionieren. Auch beste Wissensbestände müssen zu einer Wissenskultur zusammengefügt werden, wenn sie für selbstgesteuertes komplexes Handeln und Unternehmensentwicklung bedeutsam werden sollten. Daher sind viele Fragen des Wissensmanagement Fragen der Unternehmenskultur. Hierzu gehören z.B. die metaphorische Verankerung von Wissen. Wissen kristallisiert sich um Identitäten herum. Ein sinnvoller Projektaufbau, vernünftige und durchdachte Drehbücher für ein Projekt, plausible Rollen darin und passende Besetzungen dieser Rollen sind eine Voraussetzung dafür, dass im Projekt das richtige Wissen gewonnen, gepflegt, geteilt, weitergegeben wird. Die Übertragung von Professionswissen ist ein kognitiv-emotionaler, sozialer, identitätsorientierter Prozess. „Ich weiß, was ich sein will und sein darf.“ Sind Glaubenssätze, Erwartungen, Sinnverständnisse Wissen im Sinne des Wissensmanagements? Rollen- und Kontextwissen wird generiert und konfiguriert durch seelische Ausrichtung auf Inszenierungen. Wer kennt das nicht, dass einem manchmal Wissen verfügbar ist und manchmal nicht. Wer kennt es nicht, dass Wissen sich manchmal sinnvoll fügt, geeignet ist, Kraftfelder zu erzeugen? Manchmal bringt Wissen andere dazu, komplementäres Wissen einzubringen und bedeutungsloses Wissen auszublenden. Und dieselben Inhalte bleiben manchmal schal und bedeutungslos. Sind solche Fragen Gegenstand von Wissensmanagement oder sollten es sein? Wissen ist eine Frage der Selektion und Fokussierung, in zunehmend mehr Fällen eine Frage der Urteilsfähigkeit und der Unternehmenskultur einschließlich der persönlichen Hintergründe der beteiligten Menschen. Soweit Wissen also nur bedingt aufgrund objektiver Kriterien (z.B. mithilfe von Suchmaschinen) gemanagt werden 4 www.systemische-professionalitaet.de [email protected] kann, darüber hinaus viel mit Einstellungen, Motivationen und Sinn zu tun hat, wie soll das aus der Perspektive Wissensmanagement erfasst werden? Falls solche Fragen unberücksichtigt bleiben, weil man dafür nicht die richtigen Instrumente zu haben glaubt, was ist dann Wissensmanagement wert? Geht es nicht viel mehr um eine Kultur des Umgangs mit Wissen, die natürlich nur im Zusammenhang mit anderen Kulturfragen in Organisationen sinnvoll behandelt werden kann? www.systemische-professionalitaet.de [email protected] 5
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