Rechtsgutachterliche Stellungnahme der TU Braunschweig / k:wer

Rechtsgutachtliche Stellungnahme
Planungskriterien
im Auftrag des
Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE)
Landesverband Mecklenburg-Vorpommern,
Sternberg
von
Prof. Dr. Edmund Brandt/Lisa Diener, LL.M./
Ass. iur. Sebastian Willmann
TU Braunschweig
Koordinierungsstelle Windenergierecht (k:wer)
Juni 2015
Gliederung
0. Einleitung
1
1. Ausgangslage
1
2. Fragestellungen
1
3. Methodische Überlegungen
2
I. Welche Maßstäbe sind nach der Rechtsprechung an die Wirksamkeit von
Raumordnungsplänen anzulegen, um der Forderung nach einer
„substanziellen Raumverschaffung“ nachzukommen?
4
1. Gesetzliche Grundlagen
4
2. Anforderungen der Rechtsprechung an eine rechtswirksame Planung
11
a. Die Tabuzonenrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
11
b. Das Kriterium der substanziellen Raumverschaffung
18
II. Bestehen bei der Umsetzung der sich aus I. ergebenden Vorgaben der
Rechtsprechung ggf. generalisierbare Tendenzen, die eine
verallgemeinerungsfähige Maßstabsbildung ermöglichen könnten, um die
Frage nach einer substanziellen Raumverschaffung zu beantworten? Lässt
sich die danach zu treffende Beurteilung anhand einer prozentualen
Auswertung bezogen auf eine zu benennende Bezugsgröße vornehmen?
22
1. Auslegung des Begriffs der substanziellen Raumverschaffung:
Heranziehung eines Prozentwerts
24
2. Ausschließliches Abstellen auf eine Prozentangabe
27
3. Weitere Ansätze zur Operationalisierung des Begriffs der
substanziellen Raumverschaffung
32
III. Welche Bindungswirkung kommt untergesetzlichen Regelwerken
allgemein für die im Rahmen der planerischen Tätigkeit zu treffende
Abwägung zu?
36
1. Rechtliche Möglichkeiten und Ausprägungen im Bereich der
Windenergie
2. Inwieweit kommt dem Landesraumentwicklungsprogramm
Mecklenburg-Vorpommern sowie potenziellen Kriteriensets auf
36
Ministerialebene bei der Umsetzung der Kriterien aus I. in den
einzelnen Raumordnungsplänen Bindungswirkung zu?
41
a. Landesraumentwicklungsprogramm
41
aa. Bindungswirkung der Grundsätze und sonstigen
Erfordernissen
42
bb. Bindungswirkung der Ziele
42
cc. Adressaten der Bindungswirkung
44
dd. Folgen eines Verstoßes gegen die Festsetzungen des
Landesraumentwicklungsprogramms
44
b. Ministeriale Kriteriensets
47
aa. Bindungswirkung von Kriteriensets in Gestalt von
Rechtsverordnung
47
bb. Bindungswirkung von Kriteriensets in Gestalt von
Verwaltungsvorschriften
48
(1) Verwaltungsvorschrift allgemein
48
(2) Verwaltungsvorschrift „Hinweise zur Festlegung von
Eignungsgebieten für Windenergieanlagen“
48
cc. Bindungswirkung von Kriteriensets in sonstigen Dokumenten
50
IV. Ergebnisse
51
Literaturverzeichnis
53
0. Einleitung
1. Ausgangslage
Diverse Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus den vergangenen
Jahren zu den rechtlichen Anforderungen, die im Zusammenhang mit der
Windenergieplanung zu beachten sind, haben sowohl im Hinblick auf ihren
Bedeutungsgehalt als auch die daraus resultierenden praktischen Konsequenzen eine
Reihe von nicht leicht zu beantwortenden Fragen aufgeworfen. Für zusätzliche
Komplikationen sorgen (rechts-)politische Aktivitäten auf Landesebene, bei denen
nicht klar ist, wie ihr Verhältnis zu normativen Vorgaben auf Bundesebene ist. Vor dem
Hintergrund besteht ein erheblicher Klärungsbedarf in Bezug auf eine Reihe rechtlicher
Kategorien, deren Beherzigung unabdingbar erscheint, um Angriffsflächen zu
minimieren.
2. Fragestellungen
Die übergeordneten Fragen lauten: Welche Anforderungen muss ein Regionalplan
erfüllen, um den Kriterien zu genügen, die das Bundesverwaltungsgericht an das
Erfordernis der substanziellen Raumverschaffung zu Gunsten der Windenergie stellt?
Lässt sich die Bewertung an Hand einer prozentualen Angabe bezogen auf die
Landesfläche vornehmen?
Um sie angemessen beantworten zu können, sind die folgenden Teilfragen zu
beantworten:
a) Welche Maßstäbe sind nach der Rechtsprechung an die Wirksamkeit von
Raumordnungsplänen anzulegen, um der Forderung nach einer „substanziellen
Raumverschaffung“
nachzukommen?
(Stichworte:
gesamträumliches
Planungskonzept; substanzielle Raumverschaffung; Tabukriterien und -zonen;
Differenzierung in „hart“ und „weich“; Dokumentationspflichten); dazu unter I.
b) Bestehen bei der Umsetzung der sich aus a) ergebenden Vorgaben der
Rechtsprechung ggf. generalisierbare Tendenzen, die eine verallgemeinerungsfähige
1
Maßstabsbildung ermöglichen könnten, um die Frage nach einer substanziellen
Raumverschaffung zu beantworten? Lässt sich die danach zu treffende Beurteilung
anhand einer prozentualen Auswertung bezogen auf eine zu benennende
Bezugsgröße vornehmen? Dazu unter II.
c) Welche Bindungswirkung kommt untergesetzlichen Regelwerken allgemein für die
im Rahmen der planerischen Tätigkeit zu treffende Abwägung zu? Mögliche
Unterpunkte: Helgoländer Papier; Landesraumentwicklungsprogramm. Dazu unter III.
Im Rahmen der Bearbeitung der Fragestellungen mag im Einzelfall eine konkrete
Subsumtion in Bezug auf die rechtlichen Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern
vorgenommen werden. Allerdings kann die Koordinierungsstelle Windenergierecht
(k:wer) keine anwaltliche Beratung im Einzelfall vornehmen oder ersetzen. Eine
pauschale Äußerung zu den diesbezüglichen Inhalten lässt sich daher im Vorhinein
nicht belastbar treffen, sondern wird sich vielmehr im Zuge der Bearbeitung ergeben.
3. Methodische Überlegungen
Ausgehend
von
einer
methodenstrengen
Interpretation
der
einschlägigen
Bestimmungen mit Hilfe der klassischen juristischen Auslegungsregeln bedingt das in
einem
ersten
Schritt
die
sorgsame
Auslotung
der
Rechtsprechung
des
Bundesverwaltungsgerichts sowie des OVG Greifswald. In einem zweiten Schritt
werden aus den auf die Weise gewonnenen Erkenntnissen Konsequenzen für die
gesamträumliche
Planung
generell
und
namentlich
die
Aufstellung
von
Raumordnungsplänen in Mecklenburg-Vorpommern abgeleitet.
Der Gang der Darstellung orientiert sich an den oben aufgeführten Fragestellungen.
An einigen Stellen kann gegebenenfalls davon abgewichen werden, wenn der
Sachzusammenhang es gebietet bzw. sich dadurch eine klarere Argumentationslinie
entfalten lässt.
Die Fragestellungen lassen sich mitunter nicht trennscharf voneinander separieren
oder bauen teilweise aufeinander auf. Folglich sind an einigen Stellen Redundanzen
unvermeidlich und werden zudem zwecks besserer Verständlichkeit der Ausführungen
in Kauf genommen.
2
I. Welche Maßstäbe sind nach der Rechtsprechung an die
Wirksamkeit
Forderung
von
Raumordnungsplänen
nach
einer
anzulegen,
„substanziellen
um
der
Raumverschaffung“
nachzukommen?1
1. Gesetzliche Grundlagen
Die Grundlagen der Raumordnungsplanung finden sich auf Bundesebene maßgeblich
im Raumordnungsgesetz (ROG).2 Hierfür verfügt der Bundesgesetzgeber über die
(konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz des Art. 72 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 31
Grundgesetz
(GG).3
Dabei
verfolgte
der
Bund
bei
der
Konzeption
des
Raumordnungsgesetzes 2009 den „Grundsatz gesetzgeberischer Zurückhaltung“4
und regelte bewusst nur diejenigen Bereiche, in denen mit den Ländern aus inhaltlicher
Sicht eine weitgehende Übereinstimmung bestand.5 Im Übrigen verbleiben den
Ländern unter Berücksichtigung der jeweiligen regionalen Gegebenheiten und unter
Bezugnahme
auf
die
Grundregel
des
Art.
72
Abs.
1
GG
große
Abweichungsspielräume.6 Ob ein abweichungsfester Kern in der Bundeskompetenz
verankert ist, der den Ländern bei ihrer Gesetzgebung gewisse Beschränkungen
auferlegt, ist bisher nicht abschließend geklärt.7
Dem Begriff der (bloß) gesetzlichen Grundlage kommt in dem Zusammenhang eine
zentrale Bedeutung zu: Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an das
Verständnis und die Handhabung der gesetzlichen Ausgangspunkte stellt, erfuhren in
den letzten Jahren eine stetige Fortschreibung und Konkretisierung. Maßgebliche
Relevanz kommt dabei der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
Vgl. zum Folgenden auch Willmann, NordÖR 2015, im Erscheinen; ders., Der besondere
Artenschutz als Element der Genehmigungsentscheidung eines Flächennutzungsplans (2015, Berliner
Wissenschafts-Verlag), im Erscheinen.
2 Raumordnungsgesetz (ROG) vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2986), zuletzt geändert durch
Artikel 9 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585).
3 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) in der im Bundesgesetzblatt Teil III,
Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des
Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478).
4 Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, Raumordnungsgesetz (ROG) Kommentar, 2010, § 1 Rn. 5.
5 Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, aaO., § 1 Rn. 6.
6 Dazu Spannowsky, ZfBR 2007, 221 (223).
7 Vgl. Seiler, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art. 74 Rn. 107.1.
1
3
(BVerwG) und der sich ihm im Wesentlichen anschließenden Oberverwaltungsgerichte
(OVG) zu.
Dabei beziehen sich die hiesigen Ausführungen sowohl hinsichtlich der gesetzlichen
Regelungen wie der hierzu ergangenen Rechtsprechung auf windenergetische
Nutzungsformen, ungeachtet der Tatsache, dass sich die Erkenntnisse auf sonstige
Vorhaben übertragen lassen.8 Die Erörterungen beschränken sich an der Stelle wie im
Gutachten insgesamt auf den Außenbereich im Sinne des § 35 Baugesetzbuch
(BauGB).9
In jedem Bundesland ist gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 ROG ein Raumordnungsplan für das
gesamte Landesgebiet aufzustellen. Das Landesplanungsgesetz MecklenburgVorpommern (LPlG MV, im Folgenden: LPlG)10 sieht dafür nach § 4 Abs. 1 LPlG das
sog. Landesraumentwicklungsprogramm vor. Es wird von der Landesregierung im
Benehmen mit dem Landesplanungsbeirat festgestellt und als Rechtsverordnung
erlassen (§ 7 Abs. 4 S. 1 LPlG).
Aus dem Landesraumentwicklungsprogramm sind nach § 8 Abs. 1 LPlG die regionalen
Raumentwicklungsprogramme zu entwickeln. Das sog. Entwicklungsgebot findet sich
beinahe wortgleich in § 8 Abs. 2 S. 1 ROG wieder. Es handelt sich um ein mehrstufiges
System, in dem der jeweiligen Über- und Unterordnung der einzelnen Planungsstufen
die untergeordnete Planungsentscheidung die Übergeordnete auf den regionalen
Raum zu übertragen und unter Bezugnahme auf die örtlichen Anforderungen
auszugestalten
hat.11
Zuständig
für
die
Aufstellung
der
regionalen
Raumentwicklungsprogramme sind gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 12 Abs. 3 S. 1 LPlG
die regionalen Planungsverbände als Körperschaften des öffentlichen Rechts.
Die gegenüber dem Raumordnungsgesetz leicht variierende Formulierung des
Landesplanungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern ist unschädlich. Statt von
Raumordnungsplänen spricht Letzteres von Raumentwicklungsprogrammen, auf
Vgl. Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, aaO., § 35 Rn. 111.
Baugesetzbuch (BauGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S.
2414), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. Juli 2014 (BGBl. I S. 954).
10 Gesetz über die Raumordnung und Landesplanung des Landes Mecklenburg-Vorpommern –
Landesplanungsgesetz (LPlG) – in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Mai 1998, zuletzt
geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 20. Mai 2011 (GVOBl. M-V S. 323).
11 Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, aaO., § 8 Rn. 28 ff.
8
9
4
Landes- wie auf Regionalebene. Inhaltliche Abweichungen ergeben sich hieraus nicht.
Die Begriffe lassen sich vielmehr synonym verwenden.
Regelmäßig kommt es den Planungsträgern darauf an, mittels der zur Verfügung
stehenden Instrumente die Konzentrations- und Steuerungswirkung des § 35 Abs. 3
S. 3 BauGB zu erreichen. Danach können Standortzuweisungen an einer oder
mehreren Stellen dazu führen, dass der restliche Planungsraum von den
konzentrierten
Nutzungen
freizuhalten
ist.12
Die
Konzentrations-
und
Steuerungswirkung gilt ausschließlich für Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6
BauGB:13 Sowohl Vorhaben, die konzentriert werden sollen, als auch solche,
gegenüber denen eine Ausschlusswirkung im übrigen Planungsgebiet erreicht werden
soll, müssen raumbedeutsam sein.14 Windenergieanlagen erzielen eine solche
Raumbedeutsamkeit regelmäßig ab einer Gesamthöhe von (mehr als) 100m.15
Handelt es sich daher um raumbedeutsame Windkraftanlagen, die in einem
bestimmten Bereich (konzentriert) angesiedelt werden sollen, können sie unter den
(weiteren) Voraussetzungen von § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB im restlichen – und nicht
der Windenergie zur Verfügung gestellten – Raum aufgrund der aus der
Konzentrationswirkung folgenden Ausschlusswirkung nicht mehr errichtet werden.
Der Ausschluss der Errichtung an anderer Stelle gilt einschränkend „in der Regel“,
sodass er ausnahmsweise überwunden werden kann.16 Das darf jedoch nicht dazu
führen, dass das der Konzentrationswirkung zugrunde liegende gesamträumliche
Planungskonzept in Frage gestellt wird.17 Die im Ausnahmefall gegebene Zulässigkeit
greift vielmehr in atypischen Situationen, die der Plangeber im Laufe der Planung so
nicht vorausgesehen hat.18
Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch (BauGB) Kommentar, 12. Aufl., 2014,
§ 35 Rn. 111.
13 Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, aaO., § 35 Rn. 113.
14 BVerwG, Urt. v. 19.07.2001 – 4 C 4/00, NVwZ 2002, 476 (ebd.).
15 BVerwG, Entsch. v. 02.08.2002 – 4 B 36/02, BeckRS 2002, 23580; OVG Lüneburg, Beschl. v.
12.10.2011 – 12 LA 219/10, ZfBR 2012, 55 (56).
16 Vgl. den Wortlaut von § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB; i.Ü. BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 – 4 CN 3/06, NVwZ
2007, 1081 (1082).
17 OVG Koblenz, Beschl. v. 30.04.2014 – 1 B 10305/14.OVG, BeckRS 2014, 08677.
18 BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 – 4 CN 3/06, NVwZ 2007, 1081 (1082).
12
5
Für die Beantwortung der Frage danach, ob die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3
S. 3 BauGB über die planerische Festlegung erreicht werden konnte, ist zwischen
Zielen und (bloßen) Grundsätzen der Raumordnung zu unterscheiden.19
Bei Zielen der Raumordnung handelt sich gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG um verbindliche
Vorgaben in Form von räumlich oder sachlich bestimmten oder bestimmbaren
Festlegungen. Etwaige Ziele der Raumordnung zeitigen über das Anpassungsgebot
gemeindlicher Bauleitplanung aus § 1 Abs. 4 BauGB zugleich jedenfalls mittelbare
Auswirkungen auf die kommunale (Bauleit-)Planungstätigkeit.20 Danach sind die
Gemeinden
verpflichtet,
raumordnerischen
die
eigenen
Entscheidungen
Planungen
anzupassen.
an
Zugleich
die
Vorgaben
der
konkretisieren
die
kommunalen Bauleitplanungen die übergeordneten Raumordnungspläne.21
Demgegenüber enthalten Grundsätze der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG
lediglich allgemeine Aussagen, die als Vorgaben für nachgeschaltete Abwägungsoder Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen sind.22 Es handelt sich um
Abwägungsdirektiven, die als öffentliche Belange in die weitere Planungs- oder
Genehmigungstätigkeit eingehen müssen.23
Den Trägern der Raumordnungsplanung stehen für Ausweisung windenergetischer
Nutzungen unter anderem bestimmte gesetzlich normierte Gebietstypen zur
Verfügung. Dabei handelt es sich nach § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 bis 3 ROG um Vorrang-,
Vorbehalts- und Eignungsgebiete. Die darüber hinaus bestehende Möglichkeit, auf
Länderebene zusätzliche Gebietsformen einzuführen, ist von lediglich untergeordneter
Bedeutung, da es sich bei etwaig neuen Gebietstypen in der Regel um Kombinationen
der schon im Raumordnungsgesetz benannten Festlegungen handelt. 24 Hiervon hat
das Land Mecklenburg-Vorpommern in § 4 Abs. 9 S. 2 LPlG Gebrauch gemacht und
festgelegt, dass die Gebietstypen der Vorrang-, Vorbehalts- und Eignungsgebiete
kombiniert werden können. Darüber hinausgehende Festsetzungen über neue oder
eigenständige Gebietsformen wurden hingegen nicht getroffen.
Dazu Haselmann, ZfBR 2014, 529 (ebd.).
Zur Anpassungspflicht Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Aufl.
2013, Rn. 61 ff.
21 BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 – 4 NB 20/91, NVwZ 1993, 167 (ebd.).
22 Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Aufl. 2013, Rn. 146.
23 Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, aaO., § 3 Rn. 65.
24 Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, aaO., § 8 Rn. 71.
19
20
6
Bei den unterschiedlichen Gebietstypen ist mitunter fraglich, ob damit ein Ziel oder
lediglich ein Grundsatz der Raumordnung planerisch umgesetzt und verwirklicht
wurde. Die Beantwortung der Frage hat zugleich weitergehende Auswirkungen im
Hinblick auf das Bestehen der Konzentrationswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB.
Bei Vorranggebieten im Sinne des § 8 Abs. 7 Nr. 1 ROG handelt es sich um Areale,
die für bestimmte raumbedeutsame Funktionen oder Nutzungen vorgesehen sind und
andere raumbedeutsame Nutzungen in diesem Gebiet ausschließen, soweit diese mit
den vorrangigen Funktionen oder Nutzungen nicht vereinbar sind. Eine solche
Darstellung stellt das stringenteste raumordnerische Instrument zur Sicherung und
Steuerung der Planung dar.25 Denn über eine das Gebiet selbst betreffende
Innenwirkung können zugleich die Konsequenzen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB
ausgelöst werden,26 sodass es sich bei der Festsetzung eines Vorranggebiets
grundsätzlich um ein Ziel der Raumordnung handelt.27 Eine rein auf die gesetzliche
Ausgangslage abstellende Betrachtung führt jedoch zunächst lediglich zu einer das
Gebiet selbst betreffenden Innenwirkung, der erfasste Bereich selbst wird beplant.
Eine darüber hinausgehende Außenwirkung ist demgegenüber fraglich. Mit dem
Begriff der Außenwirkung wird die Situation beschrieben, dass die nur innergebietlich
erfolgten Festsetzungen über die Grenzen des beplanten Bereichs hinaus im
eigentlich unbeplanten Gebiet zu einem Ausschluss der (andernorts) festgesetzten
Nutzungen führt. Die Außenwirkung wird regelmäßig ohne das Hinzutreten weiterer
Gesichtspunkte
nicht
Vorranggebiets
genügt
erreicht.28
Denn
jedenfalls
die
dem
reine
Positivanordnung
Erfordernis
der
eines
substanziellen
Raumverschaffung mittels eines gesamträumlichen Planungskonzepts in der Regel
nicht.29 Der Planverfasser muss vielmehr die außerhalb des Gebiets gewollte
Ausschlusswirkung explizit in seine Überlegungen und das daraus abzuleitende
Konzept aufnehmen:30 Verfährt er solchermaßen, kann eine – zunächst punktuell
etablierte – Außenwirkung letztlich die insgesamt bestehende Konzentrationswirkung
im Sinne des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB erreichen. Anderer Ansicht nach reicht ein
Vorranggebiet grundsätzlich ohne das Hinzutreten weiterer Gesichtspunkte aus, um
Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, aaO., § 8 Rn. 73.
Haselmann, ZfBR 2014, 529 (530).
27 Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Aufl. 2013, Rn. 151.
28 BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 – 4 NB 20/91, NVwZ 1993, 167 (169).
29 Wie hier: Haselmann, ZfBR 2014, 529 (530 f.).
30 Vgl. für einen Flächennutzungsplan, dessen Grundsätze jedoch auf Raumordnungsebene
gleichfalls gelten, BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 – 4 CN 1/12, ZfBR 2013, 475 (476).
25
26
7
ein Ziel der Raumordnung und auch die Steuerungswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3
BauGB zu erreichen.31
Demgegenüber stellen Vorbehaltsgebiete nach § 8 Abs. 7 Nr. 2 ROG Areale dar, in
denen bestimmten raumbedeutsamen Funktionen oder Nutzungen bei der Abwägung
mit konkurrierenden raumbedeutsamen Nutzungen besonderes Gewicht beizumessen
ist. Den planerischen Anordnungen kommt nach teilweise vertretener Ansicht nicht die
Qualität eines Ziels der Raumordnung zu;32 vielmehr handelt es sich um Grundsätze.
Die Formulierung „besonderes Gewicht beizumessen“ führt dazu, dass die Funktion
respektive die Nutzung auf einer nachfolgenden Abwägungsebene gesteigerte
Berücksichtigung erfahren muss, sich gleichwohl unter Umständen jedoch bei
Vorliegen eines noch stärkeren Belangs nicht durchsetzt.33 Die Ausschlusswirkung
des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB sollen Vorbehaltsgebiete daher nicht herbeiführen
können.34
Schließlich sind Eignungsgebiete nach § 8 Abs. 7 Nr. 3 ROG solche Bereiche, in denen
bestimmte raumbedeutsame Maßnahmen oder Nutzungen, die städtebaulich nach §
35 des Baugesetzbuches zu beurteilen sind, anderen raumbedeutsamen Belangen
entgegenstehen, wobei diese Maßnahmen oder Nutzungen an anderer Stelle im
Planungsraum ausgeschlossen sind. Schon aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung
kommt Eignungsgebieten innerhalb raumordnerischer Erwägungen grundsätzlich der
Charakter eines Ziels der Raumordnung zu.35 Allerdings ist die unterschiedlich
ausgestaltete Wirkung eines Eignungsgebiets zu berücksichtigen:36 Es muss zwischen
der das (beplante) Gebiet selbst betreffenden Innen- und der auf nicht oder
anderweitig ausgewiesene Flächen ausstrahlenden Außenwirkung differenziert
werden.
Dabei
wird
der
außergebietlichen
Ausschlusswirkung
regelmäßig
Zielcharakter zugeschrieben und als von Eignungsgebieten erfüllt angesehen.37 Ob
Eignungsgebiete hingegen geeignet sind, eine innergebietliche Durchsetzungskraft zu
OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 58 f.
BVerwG, Urt. v. 13.03.2003 – 4 C 4/03, ZfBR 2003, 464 (468). A. A. Goppel, in:
Spannowsky/Runkel/Goppel, aaO., § 8 Rn. 82.
33 Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, aaO., § 8 Rn. 82.
34 Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Aufl. 2013, Rn. 153 f.;
Haselmann, ZfBR 2014, 529 (530).
35 OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725; Goppel, in:
Spannowsky/Runkel/Goppel, aaO., § 8 Rn. 89 f..
36 Dazu Haselmann, ZfBR 2014, 529 (531 f.).
37 Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Aufl. 2013, Rn. 155; SchmidtEichstaedt, LKV 2012, 481 (484).
31
32
8
entfalten,
wird
hingegen
bisweilen
angezweifelt.38
Gleichwohl
nimmt
die
Rechtsprechung mitunter pauschal – wenngleich vielfach eher beiläufig denn als
konkrete Äußerung – an, dass Eignungsgebieten insgesamt die Wirkung des § 35 Abs.
3 S. 3 BauGB zukomme.39 Daraus folgt, dass über die Festsetzung eines
Eignungsgebiets nicht nur die positiven Anordnungen innerhalb des Gebiets zum
Tragen kommen und bestimmte Nutzungsformen festgeschrieben werden, sondern
die Ausweisungen auch darüber hinaus zu einer Konzentration der entsprechenden
Nutzungsformen innerhalb des Eignungsgebiets und einem Ausschluss im restlichen
Planungsraum führen. Anderer Ansicht nach bedürfte es eines expliziten planerischen
Willens, der die innergebietliche Durchsetzung betrifft und bei der Planung einen
textlichen Niederschlag gefunden hat.40
Zwischenergebnis
Die
gesetzlichen
Grundlagen
raumplanerischer
Tätigkeit
werden
über
das
Raumordnungsgesetz des Bundes sowie diejenigen der Länder verankert. Danach
sind auf Landes- wie Regionalebene Raumordnungspläne – respektive nach anderer
Formulierung Programme – aufzustellen.
Raumplanerische Festsetzungen werden über Ziel und Grundsätze der Raumordnung
verwirklicht. Mit Vorrang-, Vorbehalts- und Eignungsgebieten stehen den Trägern der
Raumordnungsplanung verschiedene Gebietstypen zur Verfügung, um die eigenen
Ziel und Grundsätze umzusetzen.
Soll die Konzentrationswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB mit der Folge erreicht
werden, dass bestimmte Nutzungsformen auf einen Teilbereich beschränkt und
zugleich an anderer Stelle ausgeschlossen werden, muss ein solches Ansinnen über
ein Ziel der Raumordnung verwirklicht werden. Vorbehaltsgebiete werden dem nicht
gerecht, wohingegen Vorrang- und – nach teilweise vertretener Ansicht –
Eignungsgebiete eine derartige Konzentrationswirkung auszulösen vermögen.
38 OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 57 ff. Ausführlich dazu Haselmann, ZfBR
2014, 529 (531 f.) m.w.N.
39 BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 – 4 CN 1/12, ZfBR 2013, 475 (476); dass., Urt. v. 01.07.2010 – 4 C
6/09, ZfBR 2010, 786 (787). Offen gelassen von BVerwG, Urt. v. 23.07.2008 – 4 B 20/08, juris Rn. 3.
40 OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 57 ff.
9
2. Anforderungen der Rechtsprechung an eine rechtswirksame Planung
Die Planung durch die Träger der Raumordnung41 vollzieht sich ebenso wie im
Rahmen der gemeindlichen Flächennutzungsplanung42 abschnittsweise.43
a) Die Tabuzonenrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
Ausgangspunkt aller im Planungsprozess zu vollziehenden Arbeitsschritte ist die
Ermittlung derjenigen Flächen, die einer windenergetischen Nutzung nicht zur
Verfügung stehen. Diese sog. Tabuzonen sind weiterhin danach zu differenzieren, ob
ihrem Ausschluss ein „hartes“ oder „weiches“ Kriterium zugrunde liegt.44 Die anhand
der zunächst erfolgten Differenzierung ermittelten Areale, in denen nach Abzug der
Tabubereiche eine windenergetische Ausweisung dem Grunde nach möglich
verbleibt, werden als sog. Potenzialflächen bezeichnet.45
Als „hart“ einzustufende und in die Planungstätigkeit einzustellende Gesichtspunkte
führen dazu, dass die korrespondierenden Bereiche für eine windenergetische
Nutzung nicht in Betracht kommen, da sie aufgrund rechtlicher oder tatsächlicher
Umstände schlechthin ungeeignet sind;46 ein solchermaßen anzunehmendes
Ausschlusskriterium steht der Errichtung von Windkraftanlagen dauerhaft entgegen
und kann auf der sich anschließenden Genehmigungsebene nicht überwunden
werden.47 Dabei handelt es sich um eine Ausprägung des für die Bauleitplanung
explizit in § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB normierten Erforderlichkeitsgebots, 48 welches auch
ohne spezielle gesetzliche Verortung auf der Ebene der Raumordnung Geltung
BVerwG, Urt. v. 11.04.2013 – 4 CN 2/12, NVwZ 2013, 1017.
BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519 (520).
43 Die Anzahl der einzelnen Stufen oder Arbeitsschritte wird dabei nicht einheitlich beantwortet.
Mitunter werden drei Prüfungsschritte angenommen: so wohl BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – 4 CN 1/11,
NVwZ 2013, 519 (520). Demgegenüber geht eine teilweise vertretene Ansicht von vier Stufen aus:
Münkler, NVwZ 2014, 1482 (1484 f.); Stüer, DVBl 2013, 509. Letztlich ist die Anzahl der
Prüfungsabschnitte für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Raumordnungsplans jedoch solange
irrelevant, wie sich die Prüfung als solche an den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts orientiert.
Mangels Relevanz wird daher im hiesigen Text auf eine Zählung schlicht verzichtet.
44 BVerwG, Urt. V. 13.12.2012 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519 (520).
45 Hendler/Kerkmann, DVBl 2014, 1369.
46 BVerwG, Urt. V. 13.12.2012 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519 (520).
47 OVG Münster, Urt. v. 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE, ZfBR 2013, 783 (786).
48 Hendler/Kerkmann, DVBl 2014, 1369.
41
42
10
beansprucht:49 Fehlt es an der Durchführbarkeit der Planung, weil sie nicht
rechtskonform umgesetzt werden kann, ist der entsprechende Plan nicht erforderlich.50
„Weichen“ Tabuzonen sind demgegenüber denjenigen Flächen zuzurechnen, die
einer Berücksichtigung im Rahmen der Abwägung zugänglich sind.51 Sie können
anhand einheitlicher Kriterien ermittelt und vorab ausgeschieden werden; dennoch
sind die sich daraus ableitenden Areale für eine windenergetische Nutzung
grundsätzlich geeignet – weder rechtliche noch tatsächliche Gegebenheiten stehen
einer entsprechenden Ausweisung dem Grunde nach entgegen.52 Allerdings sollen die
Bereiche
nach
dem
Willen
des
Planungsträgers
für
die
Bebauung
mit
Windkraftanlagen nicht zur Verfügung stehen.53 Es handelt sich damit um
Gesichtspunkte,
die
der
Ebene
der
Abwägung
zuzuordnen
sind.54
Die
Planungsentscheidung ist zu rechtfertigen und der Plangeber hat darzulegen, dass er
sich des bestehenden Bewertungsspielraums bewusst war und ihn genutzt hat. 55
Die jeweilige Entscheidung darüber, welche Gegebenheiten als harte oder weiche
Kriterien eingestellt werden, ist zu dokumentieren.56 Dafür sprechen nicht zuletzt
Gründe des Rechtsschutzes,57 ließe sich eine Planungsentscheidung ohne
hinreichende Dokumentation nur schwer überprüfen. Fehlt es hieran, ergibt sich
bereits aus der Nichterfüllung der Dokumentationsanforderung ein materiell-rechtlicher
Fehler des Plans.58 Einer wortwörtlichen Verwendung der Begriffe bedarf es hingegen
nicht, um den Anforderungen an eine rechtmäßige Planung Genüge zu tun. 59 Daher
ist es insoweit grundsätzlich unschädlich, wenn die Planung in MecklenburgVorpommern nach dem Willen des zuständigen Ministeriums insgesamt auf die
Formulierung der Ausschluss- und Restriktionskriterien zurückgreift,60 wobei
Ausschlusskriterien zu einem harten und Restriktionskriterien zu einem weichen
BVerwG, Beschl. v. 07.02.2005 – 4 BN 1/05, NVwZ 2005, 584 (586).
BVerwG, Urt. V. 18.03.2004 – 4 CN 4/03, NVwZ 2004, 856.
51 BVerwG, Urt. v. 11.04.2013 – 4 CN 2/12, NVwZ 2013, 1017.
52 Hendler/Kerkmann, DVBl 2014, 1369.
53 Vgl. dazu Willmann, in: Brandt, Jahrbuch Windenergierecht 2013, S. 79 (88).
54 BVerwG, Urt. v. 11.04.2013 – 4 CN 2/12, NVwZ 2013, 1017.
55 BVerwG, Urt. v. 11.04.2013 – 4 CN 2/12, NVwZ 2013, 1017 (1018).
56 OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725.
57 VGH Kassel, Urt. v. 17.03.2011 – 4 C 883/10, BeckRS 2011, 48793.
58 OVG Münster, Urt. v. 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE, ZfBR 2013, 783 (785).
59 OVG Greifswald, Urt. v. 03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437.
60 Vgl. Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung MV, Anlage 3 zur Richtlinie zum
Zwecke der Neuaufstellung, Änderung und Ergänzung Regionaler Raumentwicklungsprogramme in
Mecklenburg-Vorpommern vom 22.05.2012.
49
50
11
Tabubereich führen. Ein Ausschlussgebiet wird danach als Fläche definiert, auf der
[…] nach raumordnerischen Kriterien generell keine Windenergieanlage aufgestellt
werden soll.61 Harte Tabukriterien stellen nach der Rechtsprechung demgegenüber
solche
Aspekte
dar,
aufgrund
derer
aus
rechtlichen
oder
tatsächlichen
Gesichtspunkten eine windenergetische Nutzung schlechterdings ausgeschlossen
ist.62 Die Verwendung des Wortes „sollen“ könnte darauf hindeuten, dass im Rahmen
eines Abwägungsvorgangs seitens der Planungsträger die Entscheidung über die
Wertung des Kriteriums zu treffen sei und es sich um ein weiches Tabukriterium
handelte.63 Die Formulierung findet sich in ähnlicher Weise in der Definition der sog.
Restriktionsgebiete – die wiederum als weiche Tabuzone verstanden werden –, wenn
dort von einer Einzelfallabwägung hinsichtlich der Gewichtung der jeweiligen
Nutzungsbelange gesprochen wird.64 Soweit die Anforderungen der Rechtsprechung
an eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Tabuzonen eingehalten
werden, ist eine abweichende Formulierung unproblematisch. Der Inhalt der
tatsächlich
vorgenommenen
Planungstätigkeit
ist
entscheidend,
sprachliche
(ministeriale) Vorgaben für die nachfolgende Planung sind demgegenüber unkritisch.
Mitunter erscheint es vereinzelt so, als dass in Mecklenburg-Vorpommern nach
teilweise vertretener Ansicht über die harten und weichen Tabukriterien hinaus eine
Kategorie der Restriktionskriterien bestehen solle.65 Eine solche Sichtweise erscheint
vor
dem
Hintergrund
der
insoweit
eindeutigen
Rechtsprechung
des
Bundesverwaltungsgerichts kritisch: Eine zusätzliche Kategorie ist darin nicht
vorgesehen. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, wie die sog. Restriktionskriterien
gehandhabt werden sollten. Eine über weiche Kriterien hinausgehende Beeinflussung
der planerischen Abwägungsentscheidung erscheint nicht überzeugend. Nach der hier
vertretenen Ansicht verbleibt es daher bei den soeben gemachten Ausführungen,
Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung MV, Anlage 3 zur Richtlinie zum
Zwecke der Neuaufstellung, Änderung und Ergänzung Regionaler Raumentwicklungsprogramme in
Mecklenburg-Vorpommern vom 22.05.2012, S. 2.
62 Dazu bereits soeben. Vgl. i.Ü. BVerwG, Urt. v. 11.04.2013 – 4 CN 2/12, NVwZ 2013, 1017.
63 Dazu soeben.
64 Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung MV, Anlage 3 zur Richtlinie zum
Zwecke der Neuaufstellung, Änderung und Ergänzung Regionaler Raumentwicklungsprogramme in
Mecklenburg-Vorpommern vom 22.05.2012, S. 2.
65 Schriftliche Belege lassen sich hierfür nicht anführen. Die hiesigen Ausführungen beruhen auf
mündlichen Mitteilungen gegenüber den Verfassern.
61
12
wonach
Ausschlusskriterien
als
harte
und
Restriktionskriterien
als
weiche
Tabukriterien verstanden werden.66
Die jeweiligen Planungsschritte als solche sowie die Planung insgesamt hat sich der
Plangeber bewusst zu machen, es muss sich um eine willentliche Aufnahme in das
eigene Planungskonzept handeln.67 Eine fehlerhafte oder gar gänzlich fehlende
Differenzierung zwischen den Tabukriterien führt bereits für sich genommen dazu,
dass ein materieller Fehler im Abwägungsvorgang besteht.68 Denn die beiden
Tabukriterien sind unterschiedlichen rechtlichen Regelungen und Konsequenzen
unterworfen:69 Hinsichtlich der harten Kriterien gilt das Erforderlichkeitsgebot,
wohingegen bezüglich der weichen Kriterien das Abwägungsgebot zu berücksichtigen
ist.70 Ein Fehler aufgrund einer unrichtig vorgenommenen Zuordnung der jeweiligen
Gesichtspunkte gilt insbesondere für den Fall, dass fälschlicherweise das Bestehen
eines harten Kriteriums angenommen wurde.71 Denn dann ist der Gesichtspunkt als
ein solcher gewertet worden, der einer windenergetischen Nutzung dauerhaft
entgegensteht und nicht überwunden werden kann.72 Handelte es sich demgegenüber
tatsächlich um ein weiches Kriterium, das in die Abwägung einzustellen gewesen
wäre, läge ein kompletter Abwägungsausfall vor: Die Planung ist bereits aus dem
Grund
rechtswidrig,
weil
die
Fläche
nicht
als
Potenzial-
respektive
Konzentrationsfläche in Betracht gezogen wurde.73
Die korrekte Einordnung der verschiedenen Kriterien in das System der harten und
weichen
Tabuzonen
bereitet
den
Planungsträgern
mitunter
erhebliche
Schwierigkeiten, weshalb gerade aus dem Gesichtspunkt eine häufige Fehlerquelle –
mit der Folge der Unwirksamkeit des Plans – resultiert. Bis dato vermochte es die
Rechtsprechung nicht, eine enumerative oder gar abschließende Auflistung der
einzelnen Aspekte zu liefern.
Vgl. dazu OVG Greifswald, Urt. v. 13.06.2013 – 4 K 27/10, juris Rn. 15, 17 f., 44. In der
Urteilsbegründung wird der Begriff der Restriktionskriterien nicht mehr aufgegriffen, was die hier
vertretene Ansicht stützt.
67 OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.05.2013 – 12 LA 49/12, BeckRS 2013, 50948 unter Verweis auf
BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519.
68 OVG Lüneburg, Urt. v. 28.08.2013 – 12 KN 146/12, BeckRS 2013, 57039.
69 BVerwG, Urt. v. 11.04.2013 – 4 CN 2/12, NVwZ 2013, 1017.
70 Hendler/Kerkmann, DVBl 2014, 1369.
71 In diese Richtung: BVerwG, Urt. v. 11.04.2013 – 4 CN 2/12, NVwZ 2013, 1017; OVG Schleswig,
Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 63 ff.
72 Dazu bereits soeben.
73 Insgesamt zu dem Absatz und im Ergebnis wie hier: Münkler, NVwZ 2014, 1482 (1485).
66
13
Die Probleme zeigen sich beispielsweise im Rahmen der Berücksichtigung und
Festsetzung von Mindestabständen zur benachbarten (Wohn-)Bebauung. Eine
gesetzliche Verankerung derartiger (Mindest-)Abstände hat es bisher mit Ausnahme
der sog. 10-H-Regelung in Bayern74 nicht gegeben. Allenfalls mittelbar lassen sich
über die Regelungen der TA-Lärm75 oder über das bauplanungsrechtliche
Rücksichtnahmegebot – etwa im Fall einer optisch bedrängenden Wirkung76 – gewisse
Abstände einfordern.77 Damit sind solche Entfernungen wohl überwiegend als weiches
Kriterium einzuordnen,78 insbesondere dann, wenn für die dem Abstand zugrunde
liegenden Erwägungen vorrangig Vorsorgegesichtspunkte maßgeblich waren, was
sich unter anderem darin äußern kann, dass die Abstände im Laufe der Zeit und
innerhalb aufeinander folgender Planungen unterschiedlich groß bemessen wurden
oder auf einer dynamischen Verweisung auf andere Papiere beruhen.79
Ähnlich verhält es sich mit Kriterien, die eine grundsätzliche Unverträglichkeit mit
windenergetischen Nutzungen aufweisen und im Konfliktfall den Ausschluss Letzterer
zur Folge haben, wie es insbesondere im Bereich des Natur- und Artenschutzes häufig
vorkommt.
Exemplarisch
sei
diesbezüglich
auf
§
44
Abs.
1
Nr.
1
Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)80 verwiesen: Ein (antizipierter) Verstoß gegen
das dort verortete sog. Tötungsverbot hat dem Grunde nach die Nichtrealisierbarkeit
der Windkraftanlage zur Folge.81 Man könnte demgemäß auf der Ebene der Planung
von einem harten Kriterium ausgehen, dass eine entsprechende Ausweisung an der
nämlichen Stelle im Planungsraum ausschlösse. Zur Beantwortung der Frage nach
einer Verwirklichung des Tötungsverbots werden mitunter ebenfalls generelle
Mindestabstände herangezogen, die ihrerseits auf pauschalisierenden Empfehlungen
Dort Art. 82 der Bayerischen Landesbauordnung. Dazu Fülbier/Wegner, ZUR 2015, 149 ff.;
Würfel/Werner, BayVBl. 2015, 109 ff.
75 Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische
Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm) vom 26. August 1998 (GMBl Nr. 26/1998 S. 503). Dazu
etwa OVG Münster, Beschl. v. 12.02.2013 – 8 A 96/12, juris Rn. 6 ff.
76 VGH München, Beschl. v. 16.01.2014 – 22 ZB 13.2608, juris Rn. 9 ff.; ders., Beschl. v. 30.04.2014 –
22 ZB 14.680, juris Rn. 19 ff., 32; VG Minden, Urt. v. 22.10.2014 – 11 K 2519/13, juris Rn. 35 ff.
77 BVerwG, Urt. v. 11.04.2013 – 4 CN 2/12, juris Rn. 8.
78 Vgl. für immissionsschutzrechtlich begründete Abstände etwa OVG Münster, Urt. v. 01.07.2013 – 2
D 46/12.NE, juris Rn. 56.
79 Dazu OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 26, 65.
80 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), zuletzt geändert durch
Artikel 4 Absatz 100 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154).
81 Vgl. nur – allerdings für ein Planfeststellungsverfahren – BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07,
juris Rn. 52 ff.; für ein Genehmigungsverfahren BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – 4 C 1/12, juris Rn. 10 ff.;
dass., Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11, juris 13 ff.
74
14
– etwa dem sog. Helgoländer Papier oder Windkrafterlassen der einzelnen Länder –
für einzelne Spezies beruhen.82
Allerdings entbindet die Orientierung an derartigen Empfehlungen von der
anzustellenden artenschutzrechtlichen Prüfung gerade nicht.83 Und diese wiederum
kann im Einzelfall auch dazu führen, dass trotz der vermuteten Einschlägigkeit
artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände eine Ausnahme hiervon zugelassen wird.84
Bisweilen
wird
gar
vorgeschlagen,
in
eine
solche
„Ausnahmesituation
hineinzuplanen“.85
Das spräche also im Ergebnis dafür, auch bei gesetzlich angeordneten Verboten im
Bereich des Natur- und Artenschutzes jedenfalls dann nicht von einem harten sondern
einem weichen Kriterium auszugehen, wenn die Gewährung einer Ausnahme
zumindest
nicht
offensichtlich
ausgeschlossen
ist.
Über
den
eigentlichen
Schutzbereich einer Art oder eines Gebiets hinausgehende Schutzradien sind
überwiegend von Vorsorgegesichtspunkten geprägt, sodass (Mindest-)Abstände in
dem Zusammenhang ebenfalls den weichen Kriterien zuzuordnen sein könnten. Die
Überlegung wird in dem Fall untermauert, dass man mit einer teilweise vertretenen
Ansicht davon ausgeht, dass harte Tabuzonen grundsätzlich zurückhaltend
anzuwenden seien.86
Im Rahmen des sich anschließenden Arbeitsschritts erfolgt die Abwägung, inwieweit
öffentliche und private Belange mit einer windenergetischen Nutzungsausweisung
konkurrieren und unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Privilegierung der
Windenergie aus § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB in Einklang zu bringen sind.87 Das bedeutet,
dass nach Abzug der Ausschlussflächen – über die Anwendung der harten und
weichen Tabukriterien – die sog. Potenzialflächen ermittelt werden.88 Dabei handelt es
sich um diejenigen Flächen, auf denen eine windenergetische Nutzung aus
BVerwG, Beschl. v. 16.09.2014 – 4 B 48/14, juris Rn. 4 f.; VGH München, Beschl. v. 18.06.2014 22 B 13.1358, juris Rn. 45; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.04.2010 – 12 LB 44/09, juris Rn. 52. Vgl. i. Ü.
zur Bindungswirkung externer Papier siehe unter III.
83 Kupke, in: Maslaton, Windenergieanlagen, 2015, Rn. 148 m. w. N.
84 Für § 44 BNatSchG etwa über § 45 Abs. 7 BNatSchG; im Rahmen von FFH-Schutzgebieten erfolgte
eine Ausnahme über § 34 Abs. 3 BNatSchG.
85 Vgl. dazu OVG Münster, Urt. v. 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE, juris Rn. 65. Siehe i. Ü. Enger, NuR
2011, 758 (760) unter Verweis auf BVerwG, Beschl. v. 25.08.1997 – 4 NB 12.97, NuR 1998, 135
(136).
86 OVG Münster, Beschl. v. 01.07.2013 – 2 D 46/12.NR, juris Rn. 47 ff.
87 Hendler/Kerkmann, DVBl 2014, 1369 m.w.N.
88 Zum Begriff der Potenzialflächen und deren Ermittlung vgl. oben.
82
15
planerischen Gesichtspunkten grundsätzlich möglich ist.89 Die solchermaßen
ermittelten Flächen stellen zugleich diejenigen dar, die als sog. Konzentrationsflächen
dem Grunde nach in Betracht kommen. Darauf aufbauend trifft der Plangeber seine
Festsetzungen und nimmt die entsprechende Ausweisung vor. Dabei hat er die
unterschiedlichen und miteinander konkurrierenden Interessen sämtlicher der in § 35
Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB aufgeführten Nutzungsformen hinreichend zu
berücksichtigen.
Der vom Planungsträger zu leistenden Abwägungstätigkeit kommt folglich an
mehreren
Stellen
maßgebliche
Bedeutung
zu,
weshalb
es
noch
einmal
zusammenfassend dargestellt werden soll.
Es beginnt mit der Identifizierung der harten Tabukriterien. Zwar stehen diese bereits
aus tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten einer windenergetischen
Ausweisung entgegen, einer diesbezüglichen Abwägung bedarf es daher nicht.
Allerdings muss sich der Planungsträger das tatsächlich bewusst machen, er hat eine
Abgrenzung gegenüber weichen – und damit der Abwägung zuzuordnenden –
Kriterien vorzunehmen. Letztlich werden daher nicht die harten Tabukriterien innerhalb
einer Abwägung ermittelt, sie sind jedoch Teil der den gesamten Planungsprozess
durchziehenden Abwägung und Bewertung und damit im Ergebnis nicht davon zu
trennen. Auf eine dezidierte Aufarbeitung und Auseinandersetzung könnte allenfalls
dann jedenfalls teilweise verzichtet werden, wenn es sich offensichtlich um
ausschließlich harte Tabuzonen handelt.90
Originär abwägend wird der Träger der Planung dann tätig, wenn er Bereiche
ausmacht, die eine windenergetisch konnotierte Nutzung – und damit im Ergebnis wie
die harten Kriterien – ausschließen sollen. An der Stelle ist folglich eine Abwägung
notwendig, ob die als vorliegend erkannten Aspekte einer Ausweisung zugunsten der
Windenergie widersprechen. Dabei können ausschließlich planungsrechtlich relevante
Gesichtspunkte
in
die
Bewertung
eingestellt
werden:91
Wünsche
und
Partikularinteressen beteiligter Akteure sind solange irrelevant, wie sie einer
normativen Verankerung gerade in dem Zusammenhang harren.
Vgl. hierzu bereits soeben.
OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 64.
91 OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 69 ff., 70.
89
90
16
Und schließlich sind die windenergetischen Ausweisungen mit grundsätzlich
gleichberechtigten, aber gegenläufigen Nutzungsinteressen ins Verhältnis zu setzen.
Hierbei wird die Erforderlichkeit eines dezidiert abwägenden Vorgehens am
eindringlichsten veranschaulicht: Es geht nicht darum, zwischen Maximalpositionen
eine Entscheidung zu treffen, sondern auch und gerade darum, leichte Changierungen
in die eine oder andere Richtung vorzunehmen, um letztendlich eine substanzielle
Raumverschaffung zugunsten der Windenergie zu erreichen.
Eine Einschränkung oder ein vollständiges Unterlassen der Abwägung kann daher
insgesamt regelmäßig nicht vollzogen werden, jedenfalls bedarf es hierzu einer
entsprechenden Begründung, die sich gegebenenfalls aus der Heranziehung den
Abwägungsprozess determinierender (externer) Papiere ergeben könnte.92
b) Das Kriterium der substanziellen Raumverschaffung
In einem letzten Arbeitsschritt ist die Frage zu beantworten, ob mit dem erzielten
Planungsergebnis der Windenergienutzung in substanzieller Weise Raum verschafft
wurde.93
Eine
gesetzliche
Verankerung
des
Begriffs
der
substanziellen
Raumverschaffung findet sich weder in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB noch in einer sonstigen
gesetzlichen Regelung; die Heranziehung der Kategorie der Substanz erscheint
jedoch erforderlich, um eine bloße und in jedem Fall unzulässige94 Verhinderungsoder
Feigenblattplanung
durch
nicht
substanzielle
Positivausweisungen
zu
vermeiden.95 Mit dem Begriff der Feigenblattplanung ist eine Situation beschrieben, in
der über die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB die grundsätzlich
bestehende gesetzliche Privilegierung von Windkraftanlagen zu umgehen versucht
wird.96 Eine solche Umgehung ist gerade nicht zulässig, hat doch der Gesetzgeber mit
§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB den Bau von Windenergieanlagen gegenüber dem
Grundsatz, dass der Außenbereich von Bebauung möglichst freizuhalten ist, 97
Ausführlich zu potenziell den Abwägungsprozess beeinflussenden Papieren unter III.
BVerwG, Urt. v. 24.01.2008 – 4 CN 2/07, NVwZ 2008, 559 (560). Zur Frage einer möglichen
Maßstabsbildung über die Heranziehung etwaiger Flächengrößen bzw. deren Verhältnis zueinander
siehe unter II.
94 BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519 (521).
95 Haselmann, ZfBR 2014, 529.
96 BVerwG, Urt. v. 20.05.2010 – 4 C 7/09, NVwZ 200, 1561 (1562); dass., Beschl. v. 18.01.2011 – 7 B
19/10, NVwZ 2011, 812 (813); Münkler, NVwZ 2014, 1482 (1482 f.).
97 Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, aaO., § 35 Rn. 1.
92
93
17
privilegiert.98 Mit den Regelungen des § 35 BauGB soll insgesamt sichergestellt
werden, dass lediglich die dort enumerativ aufgelisteten Vorhaben realisiert werden.99
Die Konzentrationswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB orientiert sich an dem Ziel,
einen Ausgleich zwischen der normativen Privilegierung der Vorhaben des Absatz 1 –
im speziellen von Windenergieanlagen – und den potenziell negativen Effekten einer
Kumulation mehrerer Vorhaben an einem (begrenzten) Standort herzustellen.100 Denn
die Konzentration bestimmter Nutzungsformen dient einerseits dem Schutz des
(restlichen) Außenbereichs, andererseits auch dem Ausbau windenergetischer
Anlagen, der über die Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB sichergestellt wird.101
Versucht nun ein Planungsträger durch nicht ausreichende Positivausweisungen zu
Gunsten windenergetischer Nutzungen den Anschein der Berücksichtigung der
gesetzlichen Privilegierung bloß „auf dem Papier“ zu erwecken, reicht das gerade nicht
aus, um eine rechtswirksame Planung zu erreichen.102 Er ist vielmehr gezwungen, im
Rahmen eines schlüssigen und den gesamten Planungsraum erfassenden Konzepts
(auch) der Windenergie in einer der gesetzlichen Privilegierung Rechnung tragenden
– und damit substanziellen – Weise Raum zu verschaffen.103
Gelangt der Plangeber zu dem Schluss, im Rahmen seiner Planungstätigkeit die
Anforderungen der Rechtsprechung – und darin insbesondere die Pflicht zur
substanziellen Raumverschaffung – nicht ausreichend beachtet zu haben, hat er den
jeweiligen Arbeitsschritt zu wiederholen.104 Vielfach erfordert das eine neuerliche
Befassung mit der Abwägung der sog. weichen Tabukriterien und den daraus
abzuleitenden Konsequenzen auf die Plangestaltung. 105 Denn gerade hierin
verwirklichen sich die planerischen Gestaltungsmöglichkeiten der Träger der
Raumordnung. Sind harte Tabukriterien als solche (und in rechtlich nicht zu
beanstandender Weise) erkannt, folgt der Erkenntnis die unmittelbare Umsetzung über
eine entsprechende Tabuzone. Eine weitergehende Abwägung ist diesbezüglich nicht
OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725 unter Verweis auf BVerwG,
Beschl. v. 18.01.2011 – 7 B 19/10, NVwZ 2011, 812 (813).
99 Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, aaO., § 35 Rn. 1.
100 Münkler, NVwZ 2014, 1482 (1483).
101 BVerwG, Urt. v. 17.12.2002 – 4 C 15/01, NVwZ 2003, 733 (734 f.).
102 Zur Situation einer sog. Alibi- oder Feigenblattplanung siehe soeben.
103 BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519 (520); OVG Greifswald, Urt. v.
19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725.
104 BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519 (520).
105 BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519 (520).
98
18
vorgesehen: Der Ausweisung als für eine windenergetische Nutzung geeignete Fläche
stehen rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte dauerhaft entgegen. Damit ist eine
letztverbindliche
Entscheidung
getroffen
worden,
die
im
Rahmen
einer
nachvollziehenden Abwägung auf der sich anschließenden Planungs- oder
Genehmigungseben nicht beseitigt werden kann. Die Fläche ist aufgrund eines
Kriteriums der planerischen Einbindung und Festsetzung von vornherein entzogen.
Anders verhält es sich bei weichen Kriterien. Hierbei hat der Planungsträger genau
abzuwägen, ob das Areal für eine windenergetische Nutzung ausgewiesen wird oder
es dafür nicht zur Verfügung stehen soll. Die getroffene Entscheidung ist entsprechend
zu
begründen.
Als
Ergebnis
der
Festsetzungen
muss
die
substanzielle
Raumverschaffung erreicht sein. Fällt die danach zu treffende Beurteilung negativ aus,
ist das Planungskonzept zu überdenken und die Konsequenzen eines weichen
Kriteriums für die Festsetzung sind gegebenenfalls zu korrigieren.
Die Forderung nach einer substanziellen Raumverschaffung ist allerdings nicht
gleichbedeutend
mit
einer
best-
oder
größtmöglichen
Berücksichtigung
windenergetischer Nutzungen.106 Vielmehr ist es erforderlich, aber auch ausreichend,
die Grundsätze der Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit von Raumordnungsplänen
im Rahmen eines schlüssigen planerisch-räumlichen Gesamtkonzepts,107 das sich auf
den gesamten Außenbereich bezieht, beachtet zu haben.108 Daher können auch
potenzielle Eignungsflächen von einer windenergetischen Festsetzung ausgenommen
werden, solange hierfür ein sachlicher Grund besteht.109 Nicht angezeigt ist es indes,
einen (generellen) Vorrang von Windkraftanlagen gegenüber anderweitigen baulichen
Nutzungsformen anzunehmen. Auch muss der Plangeber seine Planungsbefugnis
nicht bis an die Grenze dessen ausnutzen, die rechtlich gerade noch möglich ist. 110
Das gilt namentlich für an den Maßstäben des Immissionsschutzrechts orientierten
Abstandsvorgaben zu benachbarten baulichen Nutzungen, bei denen es möglich ist,
im Rahmen des Vorsorgeprinzips und zur Vermeidung von Geräuschbelastungen,
über die Richtwerte der TA-Lärm hinausgehende Mindestabstände festzusetzen.111
VGH München, Beschl. v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2122, BeckRS 2013, 59882.
OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725.
108 BVerwG, Urt. v. 13.12.2013 – 4 CN 2/11, BeckRS 2013, 47003.
109 Willmann, in: Brandt, Jahrbuch Windenergie 2013, S. 86 m.w.N.
110 OVG Koblenz, Beschl. v. 30.04.2014 – 1 B 10305/14.OVG, BeckRS 2014, 08677.
111 OVG Koblenz, Beschl. v. 30.04.2014 – 1 B 10305/14.OVG, BeckRS 2014, 08677.
106
107
19
Zwischenergebnis
Als Ergebnis planerischer Festsetzungen auf der Ebene der Regional- wie der
Bauleitplanung, muss windenergetischen Nutzungen in substanzieller Weise Raum
verschafft worden sein.
Hierzu bedarf es einer willentlichen Steuerung der baulichen Aktivitäten durch
räumliche Festsetzungen, die ein planerisches und den gesamten Raum, der von der
jeweiligen
Planung
betroffenen
ist,
erfassendes
Konzept
verfolgen.
Die
Rechtsprechung verwendet insoweit die Formulierung eines (erforderlichen)
schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzepts.
Das Vorgehen bei der Festsetzung von Raumordnungsplänen und -programmen
vollzieht sich abschnittsweise. Die einzelnen Arbeitsschritte haben die Differenzierung
zwischen harten und weichen Tabukriterien, die nachfolgende Dokumentation des
planerischen Vorgehens sowie schließlich die Abwägung der unterschiedlichen
Nutzungsinteressen zu enthalten.
Soll die Konzentrationswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB mit der Folge erreicht
werden, dass bestimmte Nutzungsformen auf einen Teilbereich beschränkt und
zugleich an anderer Stelle ausgeschlossen werden, muss ein solches Ansinnen über
ein Ziel der Raumordnung verwirklicht werden.
20
II. Bestehen bei der Umsetzung der sich aus I. ergebenden Vorgaben
der Rechtsprechung ggf. generalisierbare Tendenzen, die eine
verallgemeinerungsfähige Maßstabsbildung ermöglichen könnten,
um die Frage nach einer substanziellen Raumverschaffung zu
beantworten? Lässt sich die danach zu treffende Beurteilung anhand
einer prozentualen Auswertung bezogen auf eine zu benennende
Bezugsgröße vornehmen?112
Die Vorgaben der Rechtsprechung an den Umgang und die Erfüllung der gesetzlichen
Grundlagen dienen im Ergebnis zur Beantwortung der Frage, ob windenergetischen
Nutzungsformen innerhalb der Planung in substanzieller Weise Raum verschafft
wurde, mithin, ob die grundsätzliche Privilegierung der Windenergie aus § 35 Abs. 1
Nr. 5 BauGB im Verhältnis zu sonstigen Nutzungsformen im Außenbereich
ausreichend Berücksichtigung fand.113
Der Begriff der substanziellen Raumverschaffung hat bis dato keine gesetzliche
Verankerung erfahren.114 Es handelt sich vielmehr um einen von der Rechtsprechung
herangezogenen Aspekt, der zur Bewertung planerischen Handelns herangezogen
wird. Er wird den folgenden Ausführungen als Axiom zugrunde gelegt, was dazu führt,
dass die Kategorie der substanziellen Raumverschaffung als solche nicht überprüft,
sondern die Möglichkeit der Operationalisierung des Begriffs untersucht wird.
Wollte
man
generalisierende
Tendenzen
hinsichtlich
des
Umgangs
der
unterschiedlichen Planungsregionen mit den Kriterien der Tabuzonenrechtsprechung
sowie der Figur der substanziellen Raumverschaffung ausmachen und betrachtet in
dem Zusammenhang die Ebene der konkreten Planungstätigkeit, so findet sich
jedenfalls der Begriff der substanziellen Raumverschaffung in einer großen Anzahl an
derzeit gültigen oder in Aufstellung befindlichen Raumordnungsplänen. 115 Ein explizit
Vgl. zum Folgenden bereits Willmann, NordÖR 2015, im Erscheinen.
OVG Greifswald, Urt. v. 03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437.
114 Siehe dazu unter I.
115 Vgl. hierzu: Regionalplan der Region Landshut, verfügbar unter:
http://www.region.landshut.org/plan/ (Abrufdatum: 15.12.2014); Regionalplan der Region Trier,
verfügbar unter: http://www.plg-region-trier.de/Regionalplan.plg?ActiveID=1032 (Abrufdatum:
112
113
21
davon abweichendes Vorgehen ist diesbezüglich jedenfalls dann nicht zu verzeichnen,
wenn die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und deren Verbindlichkeit
im Zeitpunkt der Planaufstellung bekannt waren.
In ihren Auswirkungen unterschiedlich bewertet werden mitunter die rechtlichen und
tatsächlichen Gesichtspunkte, aus denen sich eine harte oder weiche Tabuzone ergibt.
Das gilt zumindest dann, wenn es sich nicht eindeutig um ein hartes Tabukriterium
handelt. Beispielhaft sei diesbezüglich auf die Einstellung eines bestehenden FFHGebiets116 verwiesen. Dabei fallen die korrespondierenden Wertungen nicht nur auf
der
Ebene
der
Planungsträger,
sondern
auch
auf
derjenigen
der
Instanzrechtsprechung unterschiedlich aus: Denn aufgrund der rechtlichen Qualität
sowie der daraus folgenden Konsequenzen ließe sich ein FFH-Gebiet im Einzelfall
durchaus als harte Tabuzone werten.117 Allerdings besteht die Möglichkeit, im Hinblick
auf das Schutzniveau des Gebiets, Ausnahmen zuzulassen, sodass auch ein
(lediglich) weiches Kriterium angenommen werden könnte.118 Beide Ansichten lassen
sich überzeugend formulieren.119 Die unterschiedlich ausfallende Bewertung folgt
unter anderem daraus, dass das Bundesverwaltungsgericht bis dato keine Vorgaben
dazu gemacht hat, wie die einzelnen Gesichtspunkte künftig zu charakterisieren seien.
Das gilt auch für etwaige sonstige Bemühungen, mit denen das Erfordernis der
substanziellen Raumverschaffung erfüllt werden könnte. So finden sich zwar bisweilen
Aussagen dazu, dass ein bestimmter Prozentsatz an in Bezug genommenen Flächen
für windenergetische Nutzungen ausgewiesen wurde;120 dass jedoch allein deshalb
von einer substanziellen Raumverschaffung ausgegangen werden kann, wird nicht
15.12.2014); Regionalplan der Region Düsseldorf, verfügbar unter:
http://www.brd.nrw.de/planen_bauen/regionalplan/index.jsp (Abrufdatum: 15.12.2014).
116 Schutzgebiete nach der sog. Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom
21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen,
ABl. L 206 vom 22.07.1992.
117 OVG Münster, Urt. v. 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE, ZfBR 2013, 783.
118 OVG Koblenz, Urt. v. 16.05.2013 – 1 C 11003/12.OVG, ZfBR 2013, 688.
119 Offen gelassen daher von OVG Lüneburg, Urt. v. 28.08.2013 – 12 KN 22/10, NuR 2013, 808.
120 Vgl. den Regionalplan der Region Rheinhessen-Nahe, verfügbar unter: http://www.pg-rheinhessennahe.de/2013/images/TPWE_genehmigt_02_07_12_Druck_neu.pdf (Abrufdatum: 15.12.2014);
Regionalplan der Region Main-Rhön, verfügbar unter:
http://www.regierung.unterfranken.bayern.de/assets/3/6/rpl/rp3/fortver/r3_20140812_v6_text.pdf
(Abrufdatum: 15.12.2014).
22
formuliert. Vielmehr werden die Angaben als Beschreibung des Ergebnisses der
Planungstätigkeit gemacht.121
Inwieweit die von der Judikative entwickelten Voraussetzungen über eine
verallgemeinernde Maßstabsbildung generell erfüllt werden können, ist über den Weg
der Auslegung zu ermitteln.122
Dabei haben unterschiedliche Vorgehensweisen Eingang in die Diskussion gefunden.
Die jeweiligen Vorschläge werden im Folgenden überwiegend deskriptiv dargestellt.
Das gilt insbesondere für eine Operationalisierung der Forderung nach substanzieller
Raumverschaffung über die Zugrundelegung einer prozentualen Wertangabe.123
1. Auslegung des Begriffs der substanziellen Raumverschaffung: Heranziehung
eines Prozentwerts?
Das Verständnis des Begriffs der substanziellen Raumverschaffung ist über eine
Auslegung zu erreichen. Denn eindeutige materielle Kriterien, wie der Begriff der
substanziellen Raumverschaffung auszufüllen ist, existieren derzeit nicht.124
Insbesondere hat eine prozentuale Auswertung als mögliche Grundlage einer als
substanziell erachteten Raumverschaffung bis dato keinen Niederschlag in einer
gesetzlichen Regelung gefunden.
Der Begriff der Substanz bzw. der Substanzialität beschreibt dem allgemeinen
Sprachgebrauch nach einen gehaltvollen oder einen „im Wesentlichen die
Substanz/den Inhalt einer Sache ausmachenden“ Zustand.125 Der Begriff wesentlich
wird allgemein synonym für „den Kern einer Sache zu einem bestimmten Grad
ausmachend“ verwendet.126 Um den Grad einer Erfüllung festzustellen könnte man –
ungeachtet der angelegten Maßstäbe – auf einen prozentualen Wert abstellen. Vom
Vgl. zur Bindungswirkung externer Papiere und darin etwaig enthaltenen Prozentangaben unten
sowie OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, NordÖR 2015, 261 ff. Dazu Willmann, NordÖR
2015, im Erscheinen.
122 Vgl. allgemein zur Methodik juristischer Auslegungsregeln Smeddinck, RATUBS 4/2013.
123 Hierbei wird im weiteren Verlauf nicht darauf eingegangen, ab welchem Wert von einer
ausreichenden weil substanziellen Raumverschaffung auszugehen ist; vielmehr wird die
grundsätzliche Möglichkeit einer derartigen Vorgehensweise unter Außerachtlassung konkreter
Wertangaben diskutiert.
124 Münkler, NVwZ 2014, 1482 (1487).
125 Duden, 26. Aufl. 2013.
126 Duden, 26. Aufl. 2013.
121
23
Wortlaut der Formulierung einer substanziellen Raumverschaffung ist daher das
Abstellen auf eine prozentuale Wertangabe erfasst.
Mangels gesetzlicher Verankerung des Begriffs führen systematische oder historischgenetische Gesichtspunkte an der Stelle nicht weiter.
Teleologische Gesichtspunkte bringen insofern eine gewisse Tautologie mit sich, als
dieser Teilaspekt der juristischen Auslegungsmethodik nach dem Sinn und Zweck
einer Regelung fragt.127 Wenn nun bewertet werden soll, ob windenergetischen
Nutzungsformen in substanzieller Weise Raum verschafft wurde, mithin, ob eine
Sache ihrem Wesen entsprechend genutzt oder in einen wesensgemäßen Zustand
gebracht wurde, so ist diese Fragestellung zugleich maßgeblicher Bestandteil
teleologischer Erwägungen. Die in dem Zusammenhang maßgebliche Fragestellung
lautet daher, ob es dem Zweck der Regelung – hier also der Anforderung nach einer
substanziellen Raumverschaffung – entspricht, wenn darüber mittels einer – vom
Wortlaut her zulässigen – prozentualen Angabe entschieden wird.
Dabei führt ein Abstellen auf den Planungsraum selbst zunächst ebenso wenig zu
einer gesteigerten Erkenntnis wie das Abstellen auf einen gewissen Prozentsatz
davon: Denn das Wesen des Planungsraums respektive einer Fläche als solcher ist
zunächst nicht davon geprägt, windenergetische Nutzungsformen zu ermöglichen.
Allerdings erfährt der Begriff des Planungsraums eine juristische Aufladung. Denn §
35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB statuiert die gesetzliche Privilegierung von Windkraftanlagen
im Außenbereich. Die Entscheidung des Gesetzgebers, Windenergieanlagen in dem
Bereich in gesteigertem Maß die Möglichkeit der Realisierung zu gewähren, bedingt in
gewisser Weise eine Art „Widmung“ des Außenbereichs, über die eine Verhinderung
der Nutzungsform ausgeschlossen wird. Vielmehr ist der Außenbereich bereits nach
dem
Willen
des
Gesetzgebers
jedenfalls
grundsätzlich
dafür
vorgesehen,
Windenergieanlagen dort zu errichten.
Überträgt man nunmehr die Kategorie der Substanz auf die Frage der
wesensgemäßen Nutzung des Außenbereichs, so lässt sich eine bejahende Antwort
in Fortführung der soeben angestellten Erwägungen zumindest auch über eine
prozentuale Angabe geben. Der Bewertung der Frage, ob die gesetzliche
127
Smeddinck, RATUBS 4/2013, S. 19.
24
Privilegierung hinreichend Berücksichtigung fand, nach der Rechtsprechung also eine
Raumverschaffung in substanzieller Weise erreicht wurde, und ob diese hinreichende
Berücksichtigung über eine prozentuale Auswertung vorgenommen werden kann,
stehen damit keine teleologischen Gesichtspunkte entgegen. Vielfach wird es gar
erforderlich sein, eine objektive Bezugsgröße in Form der relevanten Flächengrößen
einzustellen,128 um überhaupt eine qualitative Aussage über den geschaffenen Raum
treffen zu können.129
Einem Vorgehen, das den Begriff der Substanz über eine prozentuale Auswertung
operationalisiert, stehen weiterhin keine verfassungsrechtlichen Gründe entgegen.
Vielmehr wird die Möglichkeit eines derartigen Vorgehens durch die in Art. 14 Abs. 1
GG verankerte Baufreiheit130 bestätigt. Denn danach kann mit privatem Grund und
Boden grundsätzlich so verfahren werden, wie es dem Eigentümer oder sonstigen
Nutzungsberechtigten beliebt. Es muss ihm daher dem Grund nach ermöglicht
werden, windenergetische Nutzungsformen an der Stelle umzusetzen. Und dass er
diese Möglichkeit genießt, ist grundsätzlich bereits dann gegeben, wenn ein
Prozentteil des Plangebiets dafür zur Verfügung gestellt wird.131
Zwischenergebnis
Damit lässt sich festhalten, dass es durchaus dem Wesen des Außenbereichs
entspricht, windenergetische Nutzungen dort realisieren zu können. Es ist daher
zumindest nicht ausgeschlossen, wenn die Rechtsprechung dem Ansinnen über den
Begriff
der
substanziellen
Raumverschaffung
Rechnung
trägt.
Eine
Operationalisierung der substanziellen Raumverschaffung kann über eine prozentuale
Angabe in Bezug auf eine – zu bestimmende – Basisgröße erfolgen.
BVerwG, Urt. v. 20.05.2010 – 4 C 7/09, ZfBR 2010, 675 (678 f.).
Haselmann, ZfBR 2014, 529 (534).
130 Zur Baufreiheit: Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz (GG) Kommentar, 73. Erg.Lfg. März 2014, Art. 14 Rn. 57 ff.
131 Erst in einem zweiten Schritt wäre die Frage danach zu stellen, ob ein konkreter Wert ausreichend
groß genug bemessen ist, der grundrechtlich geschützten Position gerecht zu werden. Dieser
weitergehenden Fragestellung wird indes auftragsgemäß nicht nachgegangen.
128
129
25
2. Ausschließliches Abstellen auf eine Prozentangabe132
In konsequenter Weiterverfolgung obiger Argumentation deckte zumindest der
Wortlaut gar ein ausschließliches Abstellen auf einen bestimmten Prozentsatz. 133
Inwieweit der Forderung nach Substanzialität in der Planungspraxis jedoch
ausschließlich über eine prozentuale Wertangabe entsprochen werden kann, ist
durchaus fraglich. Bereits eine rechtssicher handhabbare Maßstabsbildung erscheint
schwierig: Das gilt für die Frage nach den Basisgrößen – also die in Bezug
genommenen Flächen – ebenso wie – in noch gesteigertem Maß – für die Beurteilung,
ab welchem Prozentsatz von einer substanziellen Raumverschaffung auszugehen sei.
Die Schwierigkeiten bleiben im Übrigen auch dann bestehen, wenn nicht eine Fläche,
sondern eine anderweitige Bezugsgröße betrachtet wird.
Jedenfalls teleologische Gesichtspunkte dürften einem Vorgehen, das sich
ausschließlich auf eine prozentualen Wert stützt, um eine Ausweisung als substanziell
zu beschreiben, entgegenstehen.
Kommt es maßgeblich auf die konkreten Verhältnisse im jeweiligen Planungsgebiet
an, dürften (pauschale) Relationen unter Umständen gar als (völlig?) ungeeignet
einzustufen sein, wollte man eine Bewertung der planerischen Tätigkeit jedenfalls
allein auf einer solchen Grundlage abgeben.134 Eine explizite Entscheidung in der
Rechtsprechung, die die (eigenen) Anforderungen an eine rechtskonforme
Planungstätigkeit aufgrund des schlichten Erreichens eines bestimmten Zahlenwerts
als erfüllt ansieht, findet sich daher nicht. Vielmehr können mittels bloßer Festsetzung
eines
allgemeinen
Prozentsatzes
ohne
vollzogenen
Abwägungsprozess
die
Voraussetzungen an eine rechtmäßige Planung gerade nicht erfüllt werden.135
Die Annahme ist folgerichtig, wenn die Planungstätigkeit stets darum bemüht sein
muss,
einen
Ausgleich
zwischen
den
konfligierenden
Nutzungsformen
im
Siehe hierzu insgesamt auch Willmann, NordÖR 2015, im Erscheinen.
Unter der Prämisse, dass die Kategorie der substanziellen Raumverschaffung ihrerseits einer
rechtlichen Überprüfung – die hier nicht vorgenommen wird – standhält. Damit ist jedoch noch keine
Entscheidung über die Größenordnung gefallen, ab der eine ausreichende Substanzialität
angenommen werden kann. Begrenzend wirken in dem Zusammenhang die Belange konfligierender
Nutzungsformen.
134 In diese Richtung BVerwG, Urt. v. 12.07.2006 – 4 B 49/06, BeckRS 2006, 24484; dass., Urt. v.
13.12.2012 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519 (521).
135 BVerwG, Urt. v. 13.12.2013 – 4 CN 1/11, NVwZ 2013, 519 (521); OVG Schleswig, Urt. v.
20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 68 ff.
132
133
26
Außenbereich herzustellen.136 Stellte man demgegenüber auf einen (landes-)
einheitlichen Prozentwert ab, entfiele eine Einzelfallbetrachtung jedenfalls dann, wenn
nach Abschluss der Planung der vorgegebene Wert nicht erreicht wird. Die Träger der
Raumordnung wären vielmehr um der Erfüllung der prozentualen Angabe willens
gezwungen, weitere Flächen für eine windenergetische Nutzung auszuweisen. Soweit
die Planung bis zu dem Zeitpunkt rechtskonform erfolgt ist, machte eine
Änderungsplanung – ausgerichtet an einem schlichten Zahlenwert – gerade diese
Planung rechtswidrig.137
Das verdeutlicht ein Beispiel: Finden sich in einem Planungsraum ausschließlich harte
Tabubereiche, die dazu führen, dass lediglich 1 % der Fläche für die Errichtung von
Windenergieanlagen
ausgewiesen
wird,
kann
eine
„Neuplanung“
nicht
in
rechtskonformer Weise dazu gelangen, dass 2 % auszuweisen seien. Das
widerspräche dem Charakter eines harten Kriteriums, welches ein tatsächlich oder
rechtlich dauerhaftes Hindernis für eine windenergetische Ausweisung darstellt. Eine
Überwindung aufgrund des Nichterreichens eines bestimmten Zahlenwerts ist nicht
möglich.
Selbiges gilt, wenn der Planer in rechtskonformer Weise den Ausschluss bestimmter
Flächen aufgrund des Bestehens weicher Tabukriterien vorgenommen hat.138 Eine
Änderung
der
vormaligen
Einschätzung
ausschließlich
aufgrund
eines
zu
erreichenden Prozentsatzes stünde den Anforderungen an eine rechtswirksame
Planung hier ebenfalls entgegen.139 Denn wiederum führt das Nichterreichen eines
Zahlenwerts dazu, dass die ehedem rechtmäßige Planung nunmehr zu ändern wäre.
Bereits wenn man die unterschiedlichen topographischen Gegebenheiten innerhalb
eines Planungsgebiets oder bezogen auf die Landesfläche betrachtet, wird
augenfällig, dass es auf einen prozentualen Wert als alleiniges Kriterium nicht
ankommen kann.140
Dazu unter I.
Wie hier BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – 4 CN 2/11, BeckRS 2013, 47003
138 Zur gebotenen Einzelfallabwägung und Begründung unter I.
139 Stets unter der Voraussetzung, dass die vormalige Planungsentscheidung in rechtmäßiger Weise
getroffen wurde.
140 Vgl. ebenso Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Aufl. 2013, Rn.
98 ff.
136
137
27
Bisweilen wird in der Praxis tatsächlich versucht, dem Erfordernis der ausreichenden
Substanz über eine prozentuale Wert- oder Bereichsangabe gerecht zu werden. So
enthalten politische Äußerungen,
landesspezifische Windenergieerlasse
oder
Landesentwicklungspläne vielfach eine Formulierung dahingehend, dass ein
bestimmter Prozentsatz einer in Bezug genommenen Fläche – vielfach die
Gesamtfläche des Landes – für windenergetische Nutzungen und der damit
verbundenen Beförderung des Ausbaus erneuerbarer Energien zur Verfügung gestellt
werden soll.141 Ungeachtet dessen, dass derartige Aussagen überwiegend noch
keinen konkret planungsrelevanten Inhalt haben, handelt es sich zumeist um bereits
ihrem Charakter nach nicht bindende Äußerungen.142
Dem Grunde nach ist es nach Ansicht der Rechtsprechung durchaus möglich, einen
Flächenvergleich zumindest als eines unter mehreren Kriterien und folglich indiziell
heranzuziehen, um die Planungstätigkeit zu bewerten.143 Das Gleiche gilt für eine
flächenbezogene Mindestgröße oder Anzahl an Arealen,144 kann doch bereits mit
einem einzelnen Gebiet unter Beachtung der örtlichen Verhältnisse der Windenergie
in substanzieller Weise Raum geschaffen werden.145 Damit ist eine bloße
Prozentangabe auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein
kein
ausreichendes
Kriterium
für
die
Bejahung
einer
substanziellen
Raumverschaffung.146
Umgekehrt lassen sich aus einer verhältnismäßig geringen Größe an windenergetisch
ausgewiesenen Flächen im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung147
mitunter Indizien ableiten, die auf eine nicht ausreichende Berücksichtigung der
gesetzlichen
Privilegierung
im
Außenbereich
schließen
lassen.148
Das
gilt
Vgl. nur die Pressemeldung zum Entwurf eines Niedersächsischen Windenergieerlasses vom 12.
August 2014 (PM 114/2014), online verfügbar unter:
http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/energiestaatssekretaerin-almutkottwitz-bis-2050-sollen-windenergieanlagen-an-land-20-gw-leistung-liefern-127091.html (Abrufdatum:
12.12.2014), die von 1,4% der Landesfläche spricht.
142 Dazu weitergehend unter III.
143 Vgl. dazu bereits BVerwG, Urt. v. 17.12.2002 – 4 C 15/01, NVwZ 2003, 733 (735), wenngleich ein
alleiniges Abstellen auf das Flächenverhältnis zur Annahme einer bloßen Verhinderungsplanung
ungeeignet erscheint.
144 OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 B 68/09, BeckRS 2013, 59725.
145 BVerwG, Urt. v. 17.12.2002 – 4 C 15/01, NVwZ 2003, 733 (735); dass., Urt. v. 20.05.2010 – 4 C
7/09, ZfBR 2010, 675 (678).
146 Vgl. soeben sowie BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – 4 CN 2/11, BeckRS 2013, 47003.
147 OVG Münster, Urt. v. 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE, BeckRS 2013, 53701.
148 OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.01.2013 – 12 MN 290/12, ZUR 2013, 231 (233).
141
28
insbesondere dann, wenn die Errichtung von Windenergieanlagen auf der in Rede
stehenden Fläche mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist.149
Bezugspunkt ist bei prozentualen Angabe oftmals die Gesamtfläche des jeweiligen
Planungsgebiets.150 Demgegenüber kommt auch eine Betrachtung des Verhältnisses
von letztlich ausgewiesenen Konzentrationsflächen und anfänglichen Potenzialflächen
in Betracht.151
Teilweise
finden
sich
ungeachtet
der
beschriebenen
Schwierigkeiten
und
unterschiedlichen Ansätze gerichtliche Entscheidungen, die sich zu konkreten
Prozentangaben bezogen auf ein Flächenverhältnis verhalten. So seien bei einem
Anteil der Konzentrationsflächen von 1,4 % bezogen auf die insgesamt vorhandenen
Potenzialflächen die entsprechenden Festsetzungen zumindest nicht zu beanstanden,
wenngleich mangels Entscheidungserheblichkeit keine explizite Aussage getroffen
wurde.152 Als noch ausreichend wurde ein Anteil von 0,77 % der Gesamtfläche des
Plangebers angenommen.153 Bei der Bewertung derartiger Aussagen sind das
jeweilige Verfahrensstadium sowie die Art und der Fortgang des gerichtlichen
Verfahrens
zu
berücksichtigen.154
Daher
mag
im
Einzelfall
innerhalb
der
summarischen Prüfung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sogar ein Wert
von 0,27 % bezogen auf die Gesamtfläche des Plangebiets jedenfalls nicht zur
offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Planung führen.155
Demgegenüber kann aufgrund der örtlichen Gegebenheiten bisweilen selbst eine
Ausweisung im Umfang von einem Prozent der Planfläche nicht ausreichend sein, um
der Anforderung nach einer substanziellen Raumverschaffung zu genügen.156 Als Indiz
für eine verbotene Negativplanung können Flächengrößen respektive Verhältnisse
zwischen unterschiedlichen Basiswerten dann dienen, wenn die Verwirklichung von
BVerwG, Beschl. v. 22.04.2010 – 4 B 68/09, BeckRS 2010, 49195.
Vgl. für einen gemeindlichen Flächennutzungsplan VGH Kassel, Urt. v. 25.03.2009 – 3 C 594/07,
BeckRS 2009, 35009; für einen Raumordnungsplan bzw. ein Raumordnungsprogramm OVG
Lüneburg, Urt. v. 17.06.2013 – 12 KN 80/12, BeckRS 2013, 53386; für einen (Teil)Flächennutzungsplan VGH München, Beschl. v. 21.01.2013 – 22 CS 12.2297, BeckRS 2013, 46137.
151 Dazu OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.05.2013 – 12 LA 49/12, BeckRS 2013, 50948.
152 OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.05.2013 – 12 LA 49/12, BeckRS 2013, 50948.
153 OVG Lüneburg, Urt. v. 17.06.2013 – 12 KN 80/12, ZfBR 2013, 789 (794).
154 OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.01.2013 – 12 MN 290/12, ZUR 2013, 231 (233).
155 OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.01.2013 – 12 MN 290/12, ZUR 2013, 231 (233).
156 VGH München, Beschl. v. 21.01.2013 – 22 CS 12.2297, BeckRS 2013, 46137.
149
150
29
Windenergieanlagen aufgrund weiterer Ausschlusskriterien – namentlich sei hier auf
artenschutzrechtliche Gesichtspunkte verwiesen – unsicher erscheint.157
Gemein ist allen vorgenannten Entscheidungen, dass eine prozentuale Wertangabe
nicht als alleiniges Kriterium für die Bewertung der Rechtmäßigkeit der Planung
herangezogen wird. Ihm wird vielmehr eine lediglich indizielle Wirkung attestiert.
Ungeachtet des erzielten Werts erhöhen sich die Anforderungen an die Rechtfertigung
der
Planungsentscheidung,
je
kleiner
die
letztlich
ausgewiesenen
Konzentrationsflächen werden.158 Denn über die Konzentrationswirkung des § 35 Abs.
3 S. 3 BauGB erführe das übrige Gemeindegebiet eine Sperrung bzw. Freihaltung von
Windenergieanlagen. Je weiter die Bautätigkeit potenzieller Anlagenbetreiber bereits
auf Planungsebene eingeschränkt und damit der Eingriff in die bereits grundrechtlich
als Ausfluss der Eigentumsfreiheit garantierte Baufreiheit intensiviert wird, 159 umso
stärker werden die Anforderungen an die Rechtfertigung des Eingriffs,160 was dazu
führt, dass der Planungsträger in einer solchen Situation die Erforderlichkeit und
Rechtmäßigkeit seiner Planung dezidiert nachzuweisen hat.
VGH München, Beschl. v. 21.01.2013 – 22 CS 12.2297, BeckRS 2013, 46137.
BVerwG, Urt. v. 24.01.2008 – 4 CN 2/07, NVwZ 2008, 559 (560). Siehe im Übrigen hierzu unter I.
159 Zur Baufreiheit: Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz (GG) Kommentar, 73. Erg.Lfg. März 2014, Art. 14 Rn. 57 ff.
160 Wie hier Münkler, NVwZ 2014, 1482 (1484).
157
158
30
3. Weitere Ansätze zur Operationalisierung des Begriffs der substanziellen
Raumverschaffung
Neben einer Operationalisierung über die Heranziehung bestimmter Prozentangaben
finden sich weitere Ansätze, die den Versuch einer Vereinheitlichung der Forderung
nach substanzieller Raumverschaffung unternehmen.
Möglich wäre beispielsweise, eine Variation der Verhältnisbetrachtung vorzunehmen,
wobei die in Bezug genommene Basisgröße dabei neben dem eigentlichen
Planungsraum auch die Gesamtlandesfläche sein kann: Je nach Vorgehen könnte die
Betrachtung unter Einbeziehung oder unter Ausschluss der weichen Kriterien
vorgenommen werden.161
Weitergehend sollen nach teilweise vertretener Ansicht bei der Ermittlung der
Basisgrößen lediglich diejenigen Flächen von vornherein ausgeklammert werden, die
aus tatsächlichen Gründen eine windenergetische Ausweisung ausschließen:162
Rechtliche Ausschlussgründe blieben dementsprechend außen vor.
Eine andere Überlegung lautet dahingehend – neben weiteren Kriterien –, in die
Betrachtung und Bewertung der Ausweisungen anhand des Kriteriums der
Substanzialität den Aspekt einzubeziehen, inwieweit durch die auf den ausgewiesenen
Flächen
zu
errichtenden
Windkraftanlagen
einen
„den
energiepolitischen
Zielsetzungen nicht offensichtlich widersprechenden Beitrag zur Erhöhung des Anteils
regenerativer Energien an der Gesamterzeugung zu leisten“ imstande seien.163 Als
diesbezüglich
relevante
energiepolitische
Ziele
ließen
sich
wohl
auch
gesetzgeberische Aussagen wie diejenige des § 1 Abs. 2 S. 1 Erneuerbare-EnergienGesetz (EEG 2014)164 bemühen: Danach soll der Anteil des aus erneuerbaren
Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch stetig und kosteneffizient auf
mindestens 80 Prozent bis zum Jahr 2050 gesteigert werden. Ein Teilaspekt könnte
demgemäß auch in einer Korrelation zum Bundesdurchschnitt an regenerativ
Wohl für eine Einbeziehung: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.02.2011 – OVG 2 A 2/09, juris
Rn. 47 ff. Dagegen wohl BVerwG, Beschl. v. 12.07.2006 – 4 B 49/06, juris Rn. 6 ff.
162 Lau, LKV 2012, 163 (165).
163 OVG Magdeburg, Urt. v. 26.10.2011 – 2 L 6/09, juris Rn. 40.
164 Gesetz über den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG) vom 21.
Juli 2014 (BGBl. I S. 1066), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2014
(BGBl. I S. 2406).
161
31
erzeugtem Strom zu sehen sein.165 Wiederum erscheint eine rechtssicher
handhabbare Maßstabsbildung bzw. Bezugsgrößenbenennung schwierig, 166 weshalb
der Ansatz bisher soweit ersichtlich in der übrigen Rechtsprechung sowie der Literatur
(noch) keinen Niederschlag gefunden hat.
Soweit
planerische
Kontingentierungen
über
die
Festsetzung
bestimmter
Prozentzahlen zumindest nicht als alleiniges Bewertungskriterium herangezogen
werden können, findet sich der Ansatz, eine legislative Verankerung entsprechender
Mengenziele – etwa im Raumordnungsgesetz – vorzunehmen.167 Inwieweit sich
hieraus jedoch eine Verbesserung der Planungssituation zu ergeben vermag,
erscheint fraglich: Auf gesetzlicher Ebene dürfte sich eine Mengenvorgabe jedenfalls
dann nicht durchsetzen, wenn sich anderenfalls daraus ein Konflikt mit solchen
Schutzanliegen ergeben kann, die aus übergeordneten weil normhierarchisch
höherrangigen Vorschriften resultieren. Das gälte etwa für europarechtlich geforderte
Schutzgebiete aus der FFH- oder Vogelschutzrichtlinie.
Weiterhin wird diskutiert, ob nicht ein Vergleich derjenigen Anlagenzahlen, die (auch)
ohne planerische Festsetzung aufgrund der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5
BauGB im Außenbereich errichtet werden könnten, mit denjenigen, die über respektive
aufgrund der Ausweisung errichtet werden könnten, Aufschluss über ein Erreichen der
Substanzialität geben könnte;168 ein Vorschlag, der mit einem erheblichen und
mutmaßlich nicht leistbaren Ermittlungsaufwand für den jeweiligen Planungsträger
verbunden wäre.169
In Abwandlung der soeben angesprochenen Erwägungen könnte man schließlich
darauf abstellen, inwieweit sich die gesetzliche Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5
BauGB im nachgelagerten Genehmigungsverfahren durchzusetzen vermochte oder
mutmaßlich durchsetzen wird.170 Schon eine konkrete und aussagekräftige
Maßstabsbildung dürfte hinsichtlich des zuletzt genannten Ansatzes durchaus schwer
fallen. Daneben dürfte der notwendige Umfang der Sachverhaltsaufklärung von den
OVG Magdeburg, Urt. v. 26.10.2011 – 2 L 6/09, juris Rn. 40.
Bovet/Kindler, DVBl. 2013, 488 (492).
167 Von Seht, DÖV 2011, 915 (919).
168 So noch Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 1. Aufl. 2009, Rn. 99.
Der Ansatz wird soweit ersichtlich in der 2. Auflage nicht mehr aufrechterhalten.
169 Bovet/Kindler, DVBl 2013, 488 (492).
170 Dazu Münkler, NVwZ 2014, 1482 (1487) m.w.N.
165
166
32
Trägern der Raumordnungsplanung kaum zu leisten sein.171 Denn die Gründe einer
letztlich nicht erteilten Genehmigung für ein Windenergievorhaben sind derart
mannigfaltig, dass sich aus einem bloßen Verhältnis – etwa aus eingegangenen
Anträgen und daraufhin erteilten Bescheiden oder Ablehnungen – kaum eine
Bewertung dahingehend vornehmen lässt, ob auf Planungsebene eine substanzielle
Raumverschaffung erreicht werden konnte.
171
Bovet/Kindler, DVBl 2013, 488 (492).
33
Zwischenergebnis
Damit lässt sich festhalten, dass es durchaus möglich ist, eine prozentuale Auswertung
als eines unter mehreren Kriterien für die Beantwortung der Frage nach einer
erreichten substanziellen Raumverschaffung heranzuziehen.
Ein ausschließliches Abstellen auf eine (bloße) Prozentangabe und die damit
verbundene Angabe des Verhältnisses zwischen Konzentrationsflächen und der
Gesamtlandes-
respektive
Gesamtplanungsfläche
oder
der
verbleibenden
Potenzialflächen reicht für sich genommen jedoch weder aus, eine substanzielle
Raumverschaffung zu bejahen, noch, um sie zu verneinen. Ein solcher Wert lässt sich
allenfalls als Indiz in die eine oder andere Richtung heranziehen.
Daneben vorgeschlagene Ansätze sind dem Grunde nach ebenfalls geeignet,
zumindest indiziell dazu beizutragen, von einer substanziellen Raumverschaffung im
Einzelfall ausgehen zu können.
Dabei stehen jedoch sämtliche der Optionen vor der Schwierigkeit, bisweilen einen
erheblichen und mutmaßlich nur in wenigen Ausnahmefällen leistbares Ermittlungsund Prüfungsprogramm für die Träger der Planung mit sich zu bringen.
Allen bisher in die Diskussion eingebrachten Vorschlägen ist gemein, dass eine
(höchst-)richterliche Entscheidung zur endgültigen Maßstabsklärung noch aussteht.
Folglich hat die Planung auf Raumordnungsebene stets eine Einzelfallabwägung zu
beinhalten. Die Formulierung der substanziellen Raumverschaffung ist daher als eine
(lediglich)
die
gesamte
Planungs-
und
Abwägungsentscheidung
steuernde
Kontrollüberlegung172 zu werten, in deren Rahmen eine prozentuale Auswertung in
Bezug genommener Flächen als eines unter mehreren Bewertungskriterien
herangezogen werden kann.
172
Münkler, NVwZ 2014, 1482 (1487).
34
III. Welche Bindungswirkung kommt untergesetzlichen Regelwerken
allgemein für die im Rahmen der planerischen Tätigkeit zu treffende
Abwägung zu?173
Außerhalb respektive über originär legislative Regelungen hinaus, wird in zahlreichen
Bereichen im Umfeld windenergierechtlicher Nutzungen der Versuch unternommen,
eine Vereinheitlichung diesbezüglich zu treffender behördlicher Entscheidungen zu
erreichen.
Dabei finden sich – auch respektive gerade aus rechtsdogmatischer Sicht –
unterschiedlich zu bewertende Ansätze.
1. Rechtliche Möglichkeiten und Ausprägungen im Bereich der Windenergie174
Wenngleich in vielen Bereichen die Notwendigkeit einer staatlichen Regelung besteht
oder eine solche zumindest wünschenswert ist, ist damit zugleich ganz regelmäßig
jedenfalls für Teile der betroffenen Adressaten ein Eingriff in bestehende
Rechtspositionen verbunden. Je stärker eine solche Beeinträchtigung ausfallen soll,
umso höhere Anforderungen sind an die der staatlichen Maßnahme zugrunde liegende
Ermächtigungsgrundlage zu stellen: Die wesentlichen Aspekte des hiesigen
Zusammenlebens hat das Parlament zu entscheiden.175
Gleichzeitig kann schon aufgrund der Dauer und der Komplexität nicht jeder rechtlich
relevante Aspekt mittels Parlamentsgesetz einer Regelung zugeführt werden. Darüber
hinaus soll die Sachnähe der Exekutive mit der Flexibilität einer Rechtsverordnung
kombiniert
werden.176
Hinzutritt
die
Schwierigkeit,
dass
im
Bereich
des
Windenergierechts unterschiedliche Materien aufeinandertreffen, deren Verhältnis zuVgl. zum Folgenden bereits Willmann, NordÖR 2015, im Erscheinen; ders., Untergesetzliche
Regelwerke (2015, Berliner Wissenschafts-Verlag), im Erscheinen; ders., Der besondere Artenschutz
als Element der Genehmigungsentscheidung eines Flächennutzungsplans (2015, Berliner
Wissenschafts-Verlag), im Erscheinen.
174 Vgl. für die besonderen Instrumente des Landesraumentwicklungsprogramms sowie der
ministeriellen Kriteriensets in Mecklenburg-Vorpommern unter 2.
175 Sog. Wesentlichkeitstheorie, vgl. dazu etwa Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz (GG)
Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art. 20 Rn. 177 ff.; Pestalozza, NJW 1981, 2081 (2082 f.).
176 Voßkuhle/Wischmeyer, JuS 2015, 311 (ebd.).
173
35
und untereinander bisweilen noch nicht abschließend geklärt ist oder innerhalb derer
sich eine verallgemeinerungsfähige Dogmatik noch nicht durchsetzen konnte.
Daher ist es dem Grunde nach sogar zu begrüßen, wenn bestimmte Teile eines
Problems über den verhältnismäßig unkomplizierten Weg eines untergesetzlichen
Regelwerks angegangen werden.
Hierarchisch unterhalb formeller Gesetze sind zunächst Rechtsverordnungen und
Satzungen anzusiedeln. Dabei handelt es sich um einem Parlamentsgesetz durchaus
vergleichbare
Regelwerke,
Ermächtigungsgrundlage
die
und
sich
des
jedoch
aufgrund
beschrittenen
der
herangezogenen
Verfahrens
von
Ersteren
unterscheiden.177 Beiden Regelungen kommt unstreitig Außenwirkung zu, sie sind
gegenüber den jeweiligen Adressaten verbindlich. Es handelt sich um administrative
Normsetzung,178 also um Rechtsnormen.179
Demgegenüber handelt es sich bei Verwaltungsvorschriften als weiterer Ausprägung
gesetzgeberischer Tätigkeit um bloßes Verwaltungsinnenrecht, dass über das
Innenleben und -wirken der angesprochenen Verwaltungsapparate grundsätzlich
gegenüber dem Bürger keine unmittelbaren180 Wirkungen zu erzeugen vermag.181 In
diese Kategorie sind auch Erlasse durch die Exekutive einzuordnen, d.h. wiederum
solche Regelwerke, die als Verwaltungsinternum wirken mögen, darüber hinaus
jedoch grundsätzlich gegenüber Dritten rechtlich nicht relevant sind.182
Innerhalb des Spektrums an zur Verfügung stehenden Optionen ist der Gesetzgeber
oder – soweit hierzu ermächtigt – die Verwaltung befugt, das als zielführend erachtete
gesetzliche Rechtsregime zu wählen und hernach zu erlassen. Darüber hinaus können
staatliche Stellen – wiederum im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und Befugnisse –
Papiere in Gestalt von (untergesetzlichen) Empfehlungen, Hinweisen oder Richtlinien
zu verabschieden, denen obige Rechtsnormqualität allerdings grundsätzlich fehlt.
Vgl. für die Anforderungen an Rechtsverordnung Remmert, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz,
Grundgesetz (GG) Kommentar, 74. Erg.-Lfg. 2014, Art. 80 Rn. 121 ff.; Voßkuhle/Wischmeyer, JuS
2015, 311 (313 f.).
178 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kommentar,
45. Erg.-Lfg. 2014, § 90 Rn. 216.
179 Zu dem Begriff Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 24 Rn. 3.
180 Mittelbare Auswirkungen sind selbstverständlich möglich.
181 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 24 Rn. 3.
182 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 24 Rn. 8.
177
36
Ein insoweit unkritisches Vorgehen, das jedoch gegebenenfalls dann eine andere
Bewertung erfordert, wenn den solchermaßen verabschiedeten Papieren seitens der
jeweiligen Mütter und Väter eine Verbindlichkeit beigemessen wird, für die es an einer
entsprechenden rechtlichen Verankerung gerade fehlt.183
Das gälte etwa, wenn in einem untergesetzlichen Regelwerk Vorgaben zu bestimmten
Abständen zu benachbarten baulichen Nutzungen oder generell im Hinblick auf die zu
treffende Abwägung enthalten sind.
Wenngleich ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften – soweit eine solche vorliegt
– möglich sind,184 dürfen darüber und insbesondere über untergesetzliche Regelwerke
nicht einem Umgehungsgeschäft gleich die Anforderungen an Planungs- und
Genehmigungsentscheidungen
wie
sie
gesetzlicherseits
oder
seitens
der
Rechtsprechung postuliert werden, umgangen werden.
Das hat zur Folge, dass sich Planungs- und Genehmigungsbehörden zwar einerseits
aufgrund der behördeninternen Hierarchie und Aufsicht selbstverständlich nach
entsprechenden Weisungen übergeordneter Ebenen zu richten haben. Andererseits
ist darüber hinaus grundsätzlich möglich, aus solchen Papieren Konsequenzen für
nachfolgende Entscheidungen mit Außenwirkungen abzuleiten.185
Voraussetzung ist dabei jedoch, dass das zugrunde gelegte Reglement seinerseits
den Anforderungen an die jeweilige Verwaltungsentscheidung oder -maßnahme
genügt.186 Und es darf darüber hinaus nicht dazu führen, dass im Rahmen der
Inbezugnahme die eigentlichen
(planerischen) Maßnahmen
–
insbesondere
hinsichtlich einer zu treffenden Abwägung – unterlassen werden und vielmehr die
vermeintlich bindende Vorgabe unbesehen übernommen wird, soweit und solange
eine derartige Bindungswirkung gerade nicht besteht.187
Im
Bereich
windenergierechtlicher
Nutzungen
finden
sich
untergesetzliche
Regelwerke insbesondere in Gestalt von Windkrafterlassen, Hinweisen und
Empfehlungen übergeordneter Behörden. Inhaltlich werden darin etwa Anregungen zu
Wie hier Raschke, ZfBR 2013, 632 (636 f.).
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 24 Rn. 10.
185 Vgl. etwa für einen Regionalplan: OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 63.
186 OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 63 ff.
187 OVG Schleswig, Urt. v. 20.01.2015 – 1 KN 6/13, juris Rn. 63 ff.
183
184
37
(Mindest-)Abständen
oder
sonstige
Empfehlungen
für
die
zu
treffende
Abwägungsentscheidung gemacht. Ähnliche Papiere finden sich im Bereich des
(besonderen)
Artenschutzes.
Namentlich
kämen
diesbezüglich
wiederum
Windkrafterlasse und entsprechende Leitfäden einzelner Bundesländer sowie das
sog. Helgoländer Papier in Betracht. Gemein ist den Papieren, dass hinsichtlich
angenommener artenschutzrechtlicher Betroffenheiten regelmäßig von konkreten
Mindestabständen ausgegangen wird, ab deren Einhaltung von einer Beeinträchtigung
nicht mehr oder jedenfalls in weitaus geringerem Umfang ausgegangen werden soll.188
Bei derartigen Erlassen und Papieren soll es sich nach teilweise vertretener Ansicht –
jedenfalls soweit die Bewertung eines potenziellen Verstoßes gegen das sog.
Tötungsverbot aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in Rede steht – bisweilen um
„antizipierte Sachverständigengutachten von hoher Qualität“ handeln.189 Wollte man
von den darin beschriebenen Methoden oder Vorgehensweisen abweichen, soll es im
Weiteren hierfür eines sachlichen Grunds bedürfen.190
Das bedeutet nun jedoch nicht, dass ein etwaiger Windkrafterlass die einzig mögliche
und vertretbare Herangehensweise zur Beurteilung eines potenziellen Verstoßes
gegen das Tötungsverbot darstellt oder vorgibt.191 Das folgt schon daraus, dass bei
einer
derartigen
Annahme
die
Anwendbarkeit
der
Naturschutzfachlichen
Einschätzungsprärogative entfiele:192 Es hätte sich eine Methodik fachlich gegenüber
den im Übrigen vertretenen Expertisen durchgesetzt und stellte demgemäß den
aktuellen Stand der Wissenschaft dar.
Hinzu treten weitere Bedenken. Zum einen sind die in Bezug genommenen Erlasse
und Richtlinien vielfach bereits mehrere Jahre alt. Die Entwicklung auf dem Gebiet der
Risiko- oder Verhaltensanalyse potenziell betroffener Arten kann daher mit diesen
Verlautbarungen kaum nachgehalten und abgebildet werden.
Vgl. etwa den Windkrafterlass Brandenburg, Anlage 1 Tierökologische Abstandskriterien, Stand:
15.10.2012, abrufbar unter: http://www.mlul.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.310544.de
(Abrufdatum: 20.05.2015); vgl. weiterhin das sog. Helgoländer Papier der Landesarbeitsgemeinschaft
der Vogelschutzwarten, Entwurfsfassung, Stand: wohl März 2015, abrufbar unter:
http://www.wattenrat.de/wp-content/uploads/2015/03/lagvsw_abstandsempfehlungen_beschlussversion_lana_03-2015.pdf (Abrufdatum: 20.05.2015).
189 Für den Bayrischen Windkrafterlass: VGH München, Beschl. v. 18.06.2014 - 22 B 13.1358, juris
Rn. 45.
190 VGH München, Beschl. v. 18.06.2014 - 22 B 13.1358, juris Rn. 45.
191 BVerwG, Beschl. v. 16.09.2014 – 4 B 48/14, juris Rn. 4 f.
192 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11, NVwZ 2014, 524 (526).
188
38
Zum anderen kommt derartigen Texten regelmäßig eine weitaus geringere rechtliche
Verbindlichkeit zu, als es deren Verfassern bei der Formulierung unter Umständen
vorschwebte.193
Selbst
Erlasse,
die
über
die
rechtliche
Qualität
einer
Verwaltungsvorschrift verfügen, enthalten lediglich Verwaltungsinnenrecht, das keine
Außenwirkung entfaltet. Denn eine solchermaßen verstandene Orientierung an
Vorgaben in einem potenziellen Erlass unter gleichzeitigem Verzicht auf eine
eigenständige Abwägung wäre rechts- und somit letztlich abwägungsfehlerhaft.194 Das
gilt in noch verstärktem Maße dann, wenn es sich lediglich um „Leitlinien“, „Hinweise“
oder „Anregungen“ handelt, die bereits aus ihrem Selbstverständnis heraus allenfalls
empfehlenden Charakter haben.
Vielmehr sollte die Benennung der Regelwerke durchaus wörtlich genommen werden:
Als (grobe) empfehlende Vorgabe im Sinne der Erreichung eines – in bestimmten
Grenzen – einheitlichen behördlichen Vorgehens sind untergesetzliche Regelwerke
mitunter gar zu begrüßen. Hierüber ließe sich eine gewisse Vorhersehbarkeit und
damit in der Folge Handlungs- und Rechtssicherheit erzielen.
Keinesfalls darf eine solchermaßen verstandene „Bindungskraft“ indes dazu führen,
dass von der weiterhin erforderlichen Einzelfallprüfung abgesehen wird. 195 Mehr als
eine
im
konkreten
Einzelfall
ausfüllungsbedürftige
„Marschrichtung“
sollte
untergesetzlichen Regelwerken weder aus rechtsdogmatischen noch aus vermeintlich
notwendig erscheinenden, praktischen Gründen attestiert werden.
Dazu Raschke, ZfBR 2013, 632 (636 f.).
Vgl. in Bezug auf Mindestabstände: Scheidler, KommJur 2012, 367 (369).
195 Für den Bereich des Artenschutzes wie hier: Kupke, in: Maslaton, Windenergieanlagen, 2015, Rn.
148.
193
194
39
2. Inwieweit kommt dem Landesraumentwicklungsprogramm MecklenburgVorpommern sowie potenziellen Kriteriensets auf Ministerialebene bei der
Umsetzung der Kriterien aus I. in den einzelnen Raumordnungsplänen
Bindungswirkung zu?
Eine
andere
Beurteilung
könnte
hinsichtlich
der
Bindungswirkung
des
Landesraumentwicklungsprogramms sowie potenzieller Kriteriensets in MecklenburgVorpommern angezeigt sein.196
a) Landesraumentwicklungsprogramm
In jedem Bundesland ist ein Raumordnungsplan für das gesamte Landesgebiet nach
§
8
Abs.
1
Nr.
Landesplanungsgesetz
1
Raumordnungsgesetz
(ROG)
aufzustellen.
Das
Mecklenburg-Vorpommern
(LPlG)
sieht
dafür
das
LPlG).
Aus
dem
Landesraumentwicklungsprogramm
vor
Landesraumentwicklungsprogramm
(§
4
Abs.
sind
1
die
regionalen
Raumentwicklungsprogramme197 zu entwickeln (sog. Entwicklungsgebot aus § 8 Abs.
2 LPlG).
Das Landesraumentwicklungsprogramm wird von der Landesregierung im Benehmen
mit dem Landesplanungsbeirat festgestellt und als Rechtsverordnung erlassen (§ 7
Abs.
4
S.
1
LPlG).
Rechtsverordnungen
sind
Rechtsnormen
und
damit
allgemeinverbindlich. Einer der Unterschiede zum formellen Gesetz besteht
hinsichtlich des Normgebers: Rechtsverordnungen werden durch die Exekutive (z.B.
Ministerien, Regierung), formelle Gesetze durch die Legislative (Bundestag und
Landtage) erlassen.198
Die Landesverordnung über das Landesraumentwicklungsprogramm MecklenburgVorpommern (LEP-LVO) stellt in § 1 Abs. 2 die verbindliche Wirkung der Ziele,
Grundsätze, sonstigen Erfordernisse und raumordnerische Festlegungen der Karte im
Vgl. die ehemalige Fragestellung IV: Inwieweit kommt dem Landesraumentwicklungsprogramm
sowie potenziellen Kriteriensets auf Ministerialebene bei der Umsetzung der Kriterien aus I. in den
einzelnen Raumordnungsplänen Bindungswirkung zu?
197 Vgl. insoweit zur unterschiedlichen Benennung bzgl. Raumordnungsprogramm und -plan unter I.
198 Ruffert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, §17
Rn. 60; Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, Rn. 88 ff.
196
40
Maßstab 1:250.000 fest. Nicht verbindlich sind die Begründungen und die
Erläuterungskarten (§ 1 Abs. 2 S. 2 LEP-LVO). Die nachfolgenden Planungs- und
Entscheidungsebenen sind an die für verbindlich erklärten Festsetzungen gebunden.
Allerdings gibt es Unterschiede hinsichtlich der Intensität der Verbindlichkeit.
aa) Bindungswirkung der Grundsätze und sonstigen Erfordernissen
Die Grundsätze gelten unmittelbar, sie müssen in den Abwägungs- oder
Ermessensentscheidungen
der
nachfolgenden
Planungen
oder
Zulassungen
gegeneinander und untereinander abgewogen werden (vgl. § 3 LPlG, § 4 Abs. 1 S. 1
ROG). Die sonstigen Erfordernisse der Raumordnung erfassen in Aufstellung
befindliche Ziele, Ergebnisse förmlicher landesplanerischer Verfahren wie des
Raumordnungsverfahrens und landesplanerische Stellungnahmen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4
ROG). Die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse entfalten keine strikte
Bindungswirkung, sie sind lediglich zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 1 S. 2 LPlG). Die
Berücksichtigungspflicht verlangt, dass die Grundsätze und sonstige Erfordernisse in
die Abwägungs- und Ermessensentscheidung aufgenommen werden müssen.199 Die
Planungsträger müssen sich daher mit den Grundsätzen und sonstigen Erfordernissen
der Raumordnung auseinandersetzen und jeden Grundsatz und jedes sonstige
Erfordernis prüfen und einzeln abwiegen. Im Rahmen einer Abwägungsentscheidung
sind die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse durch die untergeordnete Planungsoder Zulassungsebene überwindbar.200
bb) Bindungswirkung der Ziele
Ziele sind dagegen verbindliche, räumlich und sachlich bestimmte oder bestimmbare
Festlegungen, die abschließend abgewogen worden sind (§ 4 Abs. 8 S. 1 1. HS LPlG)
und beachtet werden müssen (§ 5 Abs. 1 S. 2 LPlG). Sie sind als landesplanerische
Letztentscheidung nicht der Abwägung der nachfolgenden Planungsstufen zugänglich
und können je nach Aussageschärfe nur noch konkretisiert und ausgestaltet
199
200
Goppel/Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 4 Rn. 52.
Goppel/Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 4 Rn. 53.
41
werden.201 Die Zieleigenschaft wird nicht nur durch die Verwendung einer MussFormulierung begründet. Auch Plansätze mit einer Regel-Ausnahme-Struktur können
verbindliche
Letztentscheidungen
Ausnahmetatbestände
hinreichend
darstellen,
bestimmt
sofern
die
sind
Regel-
und
und
dadurch
die
kein
Zielabweichungsverfahren erforderlich wird.202 An die Ziele sind untergeordnete
Planungsträger gebunden.203
Nur in begründeten Einzelfällen können Ausnahmen von der Bindung an die Ziele
zugelassen
werden.
Will
ein
Planungsträger
von
einem
Ziel
des
Landesraumentwicklungsprogramms abweichen, muss die Abweichung unter
raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar sein und darf die Grundzüge der
Planung nicht berühren (§ 6 Abs. 2 S. 1 ROG). § 5 Abs. 6 LPlG führt die Vorschrift
über die Zielabweichung weiter aus: Der Planungsträger hat nach § 5 Abs. 6 S. 1 LPlG
die oberste Landesplanungsbehörde – das für Raumordnung und Landesplanung
zuständige Ministerium (§ 10 S. 2 LPlG) – unverzüglich darüber zu unterrichten und
die Gründe dafür zu nennen. Die oberste Landesplanungsbehörde kann im
Einvernehmen mit den jeweils berührten Fachministerien die Abweichung zulassen,
wenn sie aufgrund veränderter Tatsachen oder Erkenntnisse nach raumordnerischen
Gesichtspunkten geboten ist und die Raumentwicklungsprogramme in ihren
Grundzügen nicht berührt werden (§ 5 Abs. 6 S. 2 LPlG). Speziell für Windenergie hat
das Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung eine Checkliste
„Zielabweichungsverfahren für Windenergieanlagen. Checkliste und Ablaufplan“
erlassen, welche die Voraussetzungen und das Verfahren für eine Zielabweichung
näher erläutert. Die Erteilung von Ausnahmen sollte jedoch restriktiv gehandhabt
werden, wenn der Plangeber keine Ausnahmemöglichkeit aufgenommen hat.204 Denn
bei großzügiger Handhabung würde ansonsten die Einhaltung der Ziele – und damit
der vorgesehene Regelfall – zur Ausnahme werden.205
Vgl. BVerwG, Urt. v. 20.11.2003 – 4 CN 6/03, NVwZ 2004, 614 (616); BVerwG, Urt. v. 16. 12. 2010
– 4 C 8/10, NVwZ 2011, 821 (821 f.); VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 15.11.2012 – 8 S 2525/09,
DVBl 2013, 384 (385 f).
202 BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8/10, NVwZ 2011, 821 (821); VGH Baden-Württemberg, Urt. v.
15.11.2012 – 8 S 2525/09, DVBl 2013, 384 (385).
203 BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 – 4 NB 20/91, NVwZ 1993, 167 (168); VGH Kassel, Urt. v.
16.08.2002 – 4 N 455/02, NVwZ 2003, 229 (230).
204 Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 6 Rn. 19.
205 Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 6 Rn. 19.
201
42
Das
durch
die
regionalen
Planungsverbände
erarbeitete
regionale
Raumentwicklungsprogramm wird anschließend durch die Landesregierung mittels
Rechtsverordnung für verbindlich erklärt, soweit es in Einklang mit höherrangigen
Rechtsvorschriften steht und sich in die angestrebte räumliche Entwicklung des
Landes einfügt (vgl. § 9 Abs. 5 S. 1 LPlG).
cc) Adressaten der Bindungswirkung
Die Bindungswirkung wird gegenüber öffentlichen Stellen bei der Durchführung von
raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen entfaltet (§ 4 Abs. 1 S. 1 ROG). Zu den
öffentlichen Stellen gehören die Behörden des Bundes und der Länder, kommunale
Gebietskörperschaften, bundesunmittelbare und die der Aufsicht eines Landes
unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (§
3
Abs.
1
Nr.
5
ROG).
Zuständig
für
die
Aufstellung
der
regionalen
Raumentwicklungsprogramme sind die regionalen Planungsverbände, die als
Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 9 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 12 Abs. 3 S. 1 LPlG)
von dem Adressatenkreis der öffentlichen Stellen erfasst sind. Die Erarbeitung der
Raumordnungspläne stellt eine raumbedeutsame Planung dar (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG).
dd)
Folgen
eines
Verstoßes
gegen
die
Festsetzungen
des
Landesraumentwicklungsprogramms
Widerspricht
ein
regionales
Landesraumentwicklungsprogramm,
Raumordnungsprogramm
liegt
ein
Verstoß
gegen
dem
höherrangige
Rechtsvorschriften vor und die Verbindlichkeitserklärung ist von der Landesregierung
im Rahmen ihrer Kontrollbefugnisse aus § 9 Abs. 5 LPlG abzulehnen. 206 Das
Letztentscheidungsrecht über inhaltliche Festlegungen besitzt das Land.207 Ist das
regionale Raumentwicklungsprogramm bereits erlassen und kommt das Gericht zu
dem Ergebnis, dass es gegen das Entwicklungsgebot verstößt, führt der Verstoß zur
OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725; OVG Greifswald, Urt. v.
03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437.
207 VGH Mannheim, Beschl. v. 08.05.2012 – 8 S 217/11, NVwZ-RR 2012, 632 (634); OVG Greifswald,
Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725; OVG Greifswald, Urt. v. 03.04.2013 – 4 K 24/11,
BeckRS 2013, 54437.
206
43
Unwirksamkeit des Plans.208 Unbeachtlich ist der Verstoß nur dann, wenn die
räumliche Entwicklung dadurch nicht beeinträchtigt worden ist (§ 12 Abs. 2 ROG).
In der Praxis relevanter als ein Verstoß gegen das Entwicklungsgebot sind Verstöße
gegen einzelne Ziele.209 Dabei kann auch nur den Festlegungen, die der
übergeordneten Planung widersprechen, die Verbindlichkeitserklärung versagt
werden. Diese Vorgehensweise entspricht dem Interesse an der Planerhaltung, denn
es wird nicht dem vollständigen Plan die Verbindlichkeit versagt.210 Wurde das
regionale
Raumentwicklungsprogramm
bereits
durch
Landesverordnung
als
verbindlich erklärt, kann das Gericht die Landesverordnung auch nur hinsichtlich des
widersprüchlichen Ziels für unwirksam erklären.211
Gegen die Grundsätze des Landesraumentwicklungsprogramms könnte im Rahmen
des
Abwägungsvorgangs
verstoßen
werden.
Bei
der
Aufstellung
der
Raumordnungsprogramme müssen die Abwägungsgrundsätze beachtet werden: Die
Abwägung muss stattfinden, es sind alle planungserheblichen Belange der jeweiligen
Planungsebene zu berücksichtigen und die Belange gegen- und untereinander gerecht
abzuwägen.212 Ein Mangel der Abwägung ist allerdings nur dann erheblich, wenn er
offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Erhebliche
Fehler können noch in einem ergänzenden Verfahren behoben werden (§ 5 Abs. 5 S.
1, 2 LPlG). Sollte eine Behebung nicht möglich sein, führt der Fehler zur Nichtigkeit
des Raumentwicklungsprogramms (vgl. § 5 Abs. 5 S. 2 LPlG).
Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 8 Rn. 32.
Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 8 Rn. 32.
210 OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 - 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725; OVG Greifswald, Urt. v.
03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437.
211 OVG Greifswald, Urt. v. 03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437.
212 OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725; OVG Greifswald, Urt. v.
03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437; OVG Greifswald, Urteil vom 19.01.2001 – 4 K 9/99,
NVwZ 2001, 1063 (1064).
208
209
44
Zwischenergebnis
Dem Landesraumentwicklungsprogramm kommt dahingehend Bindungswirkung zu,
als sich die regionalen Raumentwicklungsprogramme daraus entwickeln müssen. Die
regionalen Planungsverbände müssen sich im Regelfall an die Festlegung von Zielen
halten. Mit den Grundsätzen und sonstigen Erfordernisse müssen sie sich im Rahmen
der Abwägung auseinandersetzen.
45
b) Ministeriale Kriteriensets
Der Begriff ministeriale Kriteriensets bezeichnet untergesetzliche Regelwerke, die ein
Ministerium erlässt, um die Raumentwicklung steuern zu können. Untergesetzliche
Regelwerke sind alle Rechtsnormen, die in der Normenhierarchie unterhalb des Rangs
der förmlichen Gesetze stehen. Dazu gehören beispielsweise Rechtsverordnungen,
Satzungen oder Verwaltungsvorschriften.
Ob die Kriteriensets der Ministerien eine Bindungswirkung entfalten, hängt von ihrem
Rechtscharakter ab. Rechtsquellen für die Verwaltung – und damit auch für die
regionalen Planungsverbände als Körperschaft des öffentlichen Rechts – sind
Verfassungsrecht,
Satzungen,
Europa-
und
Völkerrecht,
Verwaltungsvorschriften
sowie
Gesetze,
Rechtsverordnungen,
ungeschriebenes
Recht
(Gewohnheitsrecht, Richterrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze).213 Gesetze
können nur vom Parlament erlassen werden. Das Satzungsrecht steht den
Selbstverwaltungen zu und nicht dem Ministerium als Organ der Exekutive. Zu den
Selbstverwaltungen gehören die Körperschaften (z.B. Gemeinden), Anstalten (z.B. die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) und Stiftungen.214 Den Ministerien als
Exekutive
stehen
die
Instrumente
der
Rechtsverordnungen
und
Verwaltungsvorschriften zur Verfügung. Wollen die Ministerien, dass ihre Kriterien für
die nachfolgenden Planungsebenen eine Bindungswirkung entfalten, müssen sie die
Kriterien als Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift erlassen.
aa) Bindungswirkung von Kriteriensets in Gestalt von Rechtsverordnungen
Rechtsverordnungen haben die gleiche Bindungswirkung wie formelle Gesetze und
sind damit für die nachfolgenden Planungen verbindlich.215
Vgl. Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, § 3; Ruffert, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, §17 Rn. 30 ff; Erbguth, Allg.
Verwaltungsrecht, § 7.
214 Erbguth, Allg. Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 7, § 26 Rn. 1 f; Ruffert, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, §17 Rn. 64.
215 Erbguth, Allg. Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 6; Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, Rn. 90.
213
46
bb) Bindungswirkung von Kriteriensets in Gestalt von Verwaltungsvorschriften
Bei Verwaltungsvorschriften handelt es sich um Vorgaben, die übergeordnete
Behörden an ihre untergeordneten Behörden richten.
(1) Verwaltungsvorschriften allgemein
Verwaltungsvorschriften binden nur die Verwaltung. Die Behörden müssen sie
grundsätzlich
aufgrund
ihrer
Weisungsgebundenheit
und
Gehorsamspflicht
beachten.216 Eine Außenwirkung gegenüber Bürgerinnen und Bürger besteht nicht, sie
werden von Verwaltungsvorschriften weder verpflichtet noch berechtigt. 217
Innerhalb des Anwendungsbereichs der Vorschrift dürfen Verwaltungen vergleichbare
Fälle
nicht
grundlos
unterschiedlich
behandeln.
Die
Verpflichtung
zur
Gleichbehandlung ergibt sich aus der Selbstbindung der Verwaltung und aus Art. 3
Abs. 1 GG.218 Wendet ein Verwaltungsmitarbeiter eine Verwaltungsvorschrift nicht
oder falsch an, führt das dann zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung, wenn dadurch
zugleich ein Verstoß gegen Art. 3 GG vorliegt.219 Solange nicht gegen Art. 3 GG
verstoßen wird, bleibt eine Nichtbeachtung der Verwaltungsvorschrift bzw. ein Verstoß
dagegen ohne Konsequenzen für die Wirksamkeit der Entscheidung. In einem solchen
Fall können Konsequenzen aber im Innenverhältnis – zwischen der über- und der
untergeordneten Stelle – gezogen werden.
(2) Verwaltungsvorschrift „Hinweise zur Festlegung von Eignungsgebieten für
Windenergieanlagen“
Nach § 9 Abs. 2 LPlG kann die oberste Landesplanungsbehörde Richtlinien zur
Ausarbeitung von regionalen Raumentwicklungsprogrammen erlassen. Davon hat die
oberste Landesplanungsbehörde Gebrauch gemacht und die „Hinweise zur
Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, Rn. 867; Erbguth, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 6.
Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, Rn. 852 f; Erbguth, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 1, 6.
218 Erbguth, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 7; Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, Rn. 870.
219 Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.04.2003 – 3 C 25/02, NVwZ 2003, 1384 (1384).
216
217
47
Festlegung von Eignungsgebieten für Windenergieanlagen“220 erarbeitet.221 Die
Hinweise sollen ein landeseinheitliches Vorgehen bei der Festlegung von
Eignungsgebieten von Windenergieanlagen gewährleisten. Sie enthalten die Kriterien
für Ausweisung eines Ausschlussgebiets und Restriktionsgebiets. Adressaten der
Richtlinie sind die zuständigen regionalen Planungsverbände.222 Die Richtlinie des
Ministeriums als oberste Landesplanungsbehörde an seine nachgeordneten
regionalen Planungsverbände (vgl. § 12 Abs. 3, 4 LPlG) ist eine Verwaltungsvorschrift.
Sie lenkt das Ermessen der regionalen Planungsverbände, indem sie ihr Vorgehen an
der Richtlinie und damit auch den darin enthaltenen Kriteriensets zu orientieren haben.
Daher kann sie als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift eingeordnet werden.223
Das OVG Greifswald hat in seinen Entscheidungen festgestellt, dass „die Ausschlussund
Abstandskriterien
der
Richtlinie
als
eine
Art
„antizipiertes
Sachverständigengutachten“ angesehen werden können“.224 Die Verwendung des
Begriffs „antizipiertes Sachverständigengutachten“ erweckt zunächst den Eindruck,
dass damit eine unmittelbare Verbindlichkeit gemeint ist, so wie sie z.B. der TA Luft
zuerkannt wurde.225 Die Formulierungen und die Aussagen des OVG Greifswald
verdeutlichen aber, dass eine solche Wirkung nicht erreicht werden wollte: So wird die
Richtlinie lediglich als eine Art antizipiertes Sachverständigengutachten bezeichnet,
was dazu noch in Anführungszeichen gesetzt wurde. Weiterhin führt das Gericht aus,
dass
die
Hinweise
der
Richtlinie
nicht
als
zwingende
Vorgabe
für
die
Planungsverbände zu verstehen sind und ihre Anwendung weiterhin eine
eigenverantwortliche Entscheidung erfordert.226 Eine pauschale Anwendung ist damit
nicht zulässig, eine Einzelfallprüfung kann durch die Anwendung der festgelegten
Kriterien nicht ersetzt werden.227
Anlage 3 der Richtlinie zum Zwecke der Neuaufstellung, Änderung und Ergänzung Regionaler
Raumentwicklungsprogramme in Mecklenburg-Vorpommern.
221 OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725; OVG Greifswald, Urt. v.
03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437.
222 Anlage 3 der Richtlinie zum Zwecke der Neuaufstellung, Änderung und Ergänzung Regionaler
Raumentwicklungsprogramme in Mecklenburg-Vorpommern, S. 1.
223 Zur ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften: Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, Rn. 860;
Erbguth, Allg. Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 2.
224 OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725; OVG Greifswald, Urt. v.
03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437.
225 Grundlegend: BVerwG, Urt. v. 17.02.1978 – 1 C 102/76, NJW 1978, 1450.
226 OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725; OVG Greifswald, Urt. v.
03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437.
227 OVG Greifswald, Urt. v. 19.06.2013 – 4 K 27/10, BeckRS 2013, 58725; OVG Greifswald, Urt. v.
03.04.2013 – 4 K 24/11, BeckRS 2013, 54437; auf die Einzelfallprüfung hinweisend: Anlage 3 der
220
48
cc) Bindungswirkung von Kriteriensets in sonstigen Dokumenten
Möglicherweise sind Kriterien für die Steuerung von Windenergie im Regionalplan in
sonstigen Dokumenten wie Arbeitshilfen, Handlungsempfehlungen oder Leitfäden
enthalten. Sofern es sich dabei nicht um eine Verwaltungsvorschrift handelt, weisen
solche Dokumente keine Verbindlichkeit auf, sondern bieten lediglich eine Hilfestellung
und damit eine Erleichterung der Ausführung der Planung. Sie können z.B. für die
Begründung einer Entscheidung herangezogen werden, setzen aber immer eine
Auseinandersetzung mit dem konkreten Einzelfall voraus.
Richtlinie zum Zwecke der Neuaufstellung, Änderung und Ergänzung Regionaler
Raumentwicklungsprogramme in Mecklenburg-Vorpommern, S. 2, 10 ff.
49
Zwischenergebnis
Die Bindungswirkung etwaiger Regelwerke hängt entscheidend von der gewählten
Konstruktion ab. Kriteriensets der Ministerien, die als Rechtsverordnung oder
Verwaltungsvorschrift erlassen werden, sind für die nachfolgenden Planungsebenen
bindend.
Soll eine Außenwirkung über den Verwaltungsapparat hinaus erzeugt werden, ist
hierfür der Erlass einer Rechtsnorm erforderlich. Bloße Rechtssätze – als etwa
Verwaltungsvorschriften – sind hierzu grundsätzlich nicht geeignet.
Untergesetzlichen Regelwerken kommt hingegen regelmäßig allenfalls eine mittelbare
Außenwirkung zu. Eine Außenwirkung kann dann erzeugt werden, wenn die
Regelwerke ihrerseits den gesetzlichen Anforderungen respektive deren Interpretation
durch die Rechtsprechung genügen.
In keinem Fall darf eine Orientierung daran dazu führen, dass Anforderungen an die
zu treffende Planungsmaßnahme umgangen werden.
50
IV. Ergebnisse
1. Als Ergebnis planerischer Festsetzungen auf der Ebene der Regional- wie der
Bauleitplanung muss windenergetischen Nutzungen in substanzieller Weise Raum
verschafft werden.
Hierzu bedarf es einer willentlichen Steuerung der baulichen Aktivitäten durch
räumliche Festsetzungen, die ein planerisches und den gesamten Raum, der von der
jeweiligen
Planung
betroffenen
ist,
erfassendes
Konzept
verfolgen.
Die
Rechtsprechung verwendet insoweit die Formulierung eines (erforderlichen)
schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzepts. Die alleinige Ausweisung von
Positiv- oder Negativflächen ist hierfür vielfach nicht ausreichend.
Das Vorgehen bei der Festsetzung von Raumordnungsplänen und -programmen
vollzieht sich abschnittsweise. Die einzelnen Arbeitsschritte haben die Differenzierung
zwischen harten und weichen Tabukriterien, die nachfolgende Dokumentation des
planerischen Vorgehens sowie schließlich die Abwägung der unterschiedlichen
Nutzungsinteressen zu enthalten.
Soll die Konzentrationswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB mit der Folge erreicht
werden, dass bestimmte Nutzungsformen auf einen Teilbereich beschränkt und
zugleich an anderer Stelle ausgeschlossen werden, muss ein solches Ansinnen über
ein Ziel der Raumordnung verwirklicht werden. Vorbehaltsgebiete werden dem nicht
gerecht,
wohingegen
Vorrang-
und
Eignungsgebiete
eine
derartige
Konzentrationswirkung auszulösen vermögen.
2. Eine ausschließliche Bezugnahme auf etwaige Verhältnisangaben zwischen
unterschiedlichen Flächengrößen ist zur Beantwortung der Frage nach einer
substanziellen Raumverschaffung ungeeignet.
Weder
lässt
sich
hierüber
die
positive
Feststellung
Raumverschaffung erzielen, noch die Verneinung der Frage.
51
der
ausreichenden
Allerdings können Quotenangaben durchaus als Indiz für die Rechtmäßigkeit der
durchgeführten Abwägungsentscheidung und der daraus folgenden planerischen
Festsetzungen dienen.
Anderweitige
Ansätze
zur
Generierung
eines
einheitlichen
Maßstabs
zur
Beantwortung der Frage nach einer substanziellen Raumverschaffung befinden sich
zwar in der Diskussion, lassen sich jedoch aufgrund bisher fehlenden Entscheidung
der Rechtsprechung lediglich bedingt heranziehen.
3.
Untergesetzlichen
Regelwerken
kommt
grundsätzlich
insoweit
keine
Bindungswirkung bei der Planung zu, als sich daraus regelmäßig keine Außenwirkung
erzielen lässt. Vielmehr erzeugen die Papiere eine bloße Innenwirkung, die zwar dazu
geeignet ist, den jeweiligen Verwaltungsapparat zu binden, gleichwohl nicht dazu
führen kann, dass Rechtmäßigkeitsanforderungen im Übrigen nicht beachtet werden.
Eine für Mecklenburg-Vorpommern andere Beurteilung ergibt sich hinsichtlich des
Landesraumentwicklungsprogramms. Aufgrund der rechtlichen Konstruktion des
Landesplanungsgesetzes
regionalen
bindet
das
Planungsverbände
Landesraumentwicklungsprogramm
bei
der
Erarbeitung
der
die
regionalen
Raumentwicklungsprogramme. Sie müssen die Ziele beachten und Grundsätze und
sonstige Erfordernisse in der Abwägung berücksichtigen. Kriteriensets der Ministerien
entfalten
dann
Verbindlichkeit
Raumentwicklungsprogramme,
für
wenn
die
sie
Verwaltungsvorschrift erlassen werden.
52
Erarbeitung
als
der
regionalen
Rechtsverordnung
oder
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