Vorlesung Datenschutzrecht Rechte des Betroffenen Wiederholungsfall T betreibt in Freiburg ein Telekommunikationsgeschäft. Er hat diese Gewerbetätigkeit ordnungsgemäß der Stadt Freiburg angezeigt, die im Rahmen der gewerbeaufsichtlichen Nachschau zudem weitere personenbezogene Daten über T erhoben hat. Nunmehr steht T im Verdacht, als Schlüsselfigur einer terroristischen Gruppierung anzugehören, die vor allem in Australien tätig ist. Eine australische Polizeibehörde ersucht die Stadt Freiburg, ihr die dort vorliegenden Informationen über T zu übersenden. Zur Begründung führt die australische Behörde aus, es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass T von Freiburg aus in Anschlagsplanungen in Australien eingebunden sei. Unter welchen Voraussetzungen ist die Stadt Freiburg hierzu befugt? Die relevanten Normen des LDSG entsprechen inhaltlich dem BDSG. 2 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Ausländische Behörde ist nicht-öffentliche Stelle i.S.d. § 2 Abs. 4 BDSG Daher Erlaubnistatbestand in § 16 Abs. 1 Nr. 2 BDSG (anwendbar gem. § 4b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BDSG) Zusätzlich sind weitere Anforderungen aus § 4b Abs. 2, § 4c BDSG zu beachten 3 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Themen heute Informationsrechte über datenbezogene Handlungen (Benachrichtigung, Auskunft) Einflussrechte auf Datenverarbeitungen (Berichtigung, Löschung, Sperrung, Widerspruch) 4 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Informationsrechte (1) Systematik Benachrichtigung von einer datenbezogenen Handlung aktive Information durch den Handelnden Auskunft über gespeicherte Daten setzt Aktivität des Betroffenen voraus 5 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Informationsrechte (2) Grundrechtliche Fundierung Relevante Grundrechte Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) erfordert hinreichende Möglichkeiten, sich über Datenumgang zu orientieren Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) bzw. Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) erfordern Informationsrechte, um Rechtsschutzverfahren zu ermöglichen Grundrechtliche Anforderungen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, welche Informationsrechte er schafft Erforderlich insgesamt hinreichende Kenntnismöglichkeiten, damit der Betroffene sich orientieren und seine Rechte tatsächlich geltend machen kann 6 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Beispielsfall Das Bundesland L ändert sein Polizeigesetz, um der Polizei zukünftig Telekommunikationsüberwachungen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu ermöglichen. Die neue Regelung sieht vor, die Person, gegen welche sich die Überwachung gerichtet hat, nach Abschluss der Überwachung zu benachrichtigen. Eine Benachrichtigung ist nicht vorgesehen, wenn die Überwachung nicht länger als 72 Stunden gedauert hat. Außerdem unterbleibt die Benachrichtigung so lange, wie dadurch die polizeiliche Aufgabenerfüllung beeinträchtigt werden kann. Steht diese Benachrichtigungsregelung mit dem Grundgesetz in Einklang? 7 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Ausgangspunkt: Bei eingriffsintensiven verdeckten Datenerhebungen ist Benachrichtigung verfassungsrechtlich geboten Ausnahmen von der Benachrichtigungspflicht sind am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen Defizite der vorliegenden Regelung Überhaupt keine Benachrichtigung von Drittbetroffenen vorgesehen (insb. Kommunikationspartner der Zielperson) 72-Stunden-Regelung zum Ausschluss von Bagatellfällen nicht hinnehmbar, TKÜ von dieser Dauer ist bereits erheblicher Grundrechtseingriff Benachrichtigungsausschluss zum Schutz der Aufgabenerfüllung zu pauschal, ließe sich etwa mit Geheimhaltung der Arbeitsweise der Polizei fast immer begründen 8 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Informationsrechte (3) Benachrichtigung Öffentlicher Bereich: § 19a BDSG Voraussetzungen Datenerhebung ohne Kenntnis des Betroffenen EuGH zu Art. 11 DSRL anscheinend: Werden Daten von einer Behörde an eine andere übermittelt, muss die Empfangsbehörde den Betroffenen (nochmals) benachrichtigen, selbst wenn die Daten vor der Übermittlung bei ihm erhoben wurden Folgerichtig, wenn es sich um eine Übermittlung auf Ersuchen der Empfangsbehörde handelt; unklar, wie Spontanübermittlungen zu behandeln sind Speicherung der erhobenen Daten Gegenstand: Speicherung, Identität der verantwortlichen Stelle, Zweckbestimmung, ggfs. Datenempfänger oder Kategorien von Datenempfängern Ausnahmen in § 19a Abs. 2 BDSG und § 19a Abs. 3 i.V.m. § 19 Abs. 2-4 BDSG 9 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Informationsrechte (4) Benachrichtigung Nicht-öffentlicher Bereich: § 33 BDSG Knüpft nicht an Datenerhebung, sondern an Datenspeicherung (Fälle des § 28 BDSG) bzw. Datenübermittlung (Fälle des § 29 BDSG) an Ausnahmen in § 33 Abs. 2 BDSG 10 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Beispielsfall Die A AG betreibt ein auf Schülerinnen und Schüler zugeschnittenes Webportal. Unter anderem können Schülerinnen und Schüler, die sich für eine bestimmte Schule registriert haben, die Lehrerinnen und Lehrern ihrer Schule anhand verschiedener Kategorien (etwa „spannender Unterricht“, „cool und witzig“, „gut angezogen“) mit Schulnoten bewerten. Besteht für die A AG eine Benachrichtigungspflicht gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern, über die auf dem Portal Noten vorhanden sind? 11 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Hier Datenspeicherung zur Übermittlung i.S.v. § 29 BDSG Benachrichtigungspflicht aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BDSG bei erstmaliger Übermittlung (= Abruf der Noten) Ausnahme von der Benachrichtigungspflicht? § 33 Abs. 2 Nr. 1 Kennenmüssen = Kenntnis? Kein Fall des § 33 Abs. 2 Nr. 8 BDSG § 33 Abs. 2 Nr. 9 BDSG Markt und Meinungsforschung? Teleologische Reduktion von § 33 BDSG? 12 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Informationsrechte (5) Auskunft Öffentlicher Bereich: § 19 BDSG Grundsatz: voraussetzungsloser Anspruch auf Antrag des Betroffenen, umfasst alle gespeicherten personenbezogenen Daten, Speicherungszweck, Empfänger bzw. Kategorien von Empfängern Ausnahmen nach § 19 Abs. 2 – 4 BDSG; ggfs. kann teilweise Auskunftspflicht bestehen bleiben Nicht-öffentlicher Bereich: § 34 BDSG Spezifizierung des Auskunftsrechts anhand der Regelungen zum Datenumgang Zweckbindung hins. der zum Zweck der Auskunftserteilung gespeicherten Daten, § 34 Abs. 5 BDSG Unentgeltlichkeit, § 34 Abs. 8 BDSG 13 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Beispielsfall Das Bundesamt für Finanzen (BfF) sammelt zentral Daten über ausländische juristische Personen und die daran beteiligten natürlichen Personen, die es primär aus öffentlich zugänglichen Quellen gewinnt (sogenannte Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen). Sinn dieser Datensammlung ist es, Steuerhinterziehungen durch Scheingeschäfte mit ausländischen Unternehmen aufzudecken, die tatsächlich nicht wirtschaftlich tätig sind (sogenannte Domizilgesellschaften). X, die an mehreren ausländischen Kapitalgesellschaften beteiligt ist, beantragt beim BfF Auskunft über die dort vorhandenen sie betreffenden Daten. Das BfF verweigert die Auskunft mit der Begründung, eine Auskunft über den Datenbestand der Informationszentrale sei generell ausgeschlossen, da diese ansonsten ihren Wert verliere. Hat X einen Auskunftsanspruch gegen das BfF? (nach BVerfGE 120, 351) 14 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Grundsatz: Auskunftsanspruch aus § 19 Abs. 1 Satz 1 BDSG Hier Ausnahme nach § 19 Abs. 4 Nr. 1 BDSG? Grundsatz: Auskunftsverweigerung setzt konkrete Abwägung der im Einzelfall berührten Interessen voraus Im Sonderfall der Informationszentrale ist jedoch generelle Auskunftsverweigerung berechtigt, da diese Datensammlung ihren Sinn verliert, wenn die Betroffenen Einblicke erhalten (würde Verhaltensanpassung ermöglichen) 15 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Einflussrechte Berichtigung unrichtiger Daten, § 20 Abs. 1 Satz 1, § 35 Abs. 1 BDSG Löschung von Daten, § 20 Abs. 2, § 35 Abs. 2 BDSG Beachte: Kein genereller Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Datenerhebung und Datenspeicherung Alternative: Sperrung, § 20 Abs. 3 – 4 und 6 – 7, § 35 Abs. 3 – 4, 6 und 8 BDSG Widerspruch, § 20 Abs. 5, § 35 Abs. 5 BDSG Nachberichtspflicht, § 20 Abs. 8, § 35 Abs. 7 BDSG 16 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Lehren des Tages Verfassungsrechtliche Grundlagen von Informationsrechten Ausnahmen von Auskunftsrechten und Benachrichtigungspflichten Einflussrechte im Überblick 17 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. Nacharbeit Taeger, Abschnitt III 10 Kühling u.a., 2. Kap., Abschnitt L Vertiefung BVerfGE 120, 351 (Auskunftsanspruch und Grundrechte) BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – VI ZR 156/13 –, BGHZ 200, 38-51 (Schufa) EuGH (Dritte Kammer), Urteil vom 1. Oktober 2015, Rs. C-201/14 – Bara u.a. 18 20.10.2015 Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M.
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