Letzter Sonntag nach Epiphanias (mit Taufe) - Paul

Thomas W. Stephan – Predigt: Letzter Sonntag nach Epiphanias – Gen 12,1‐4a Abrams Berufung 1 von 5 Letzter Sonntag nach Epiphanias (mit Taufe)
2016‐01‐17  Predigt: Gen 12,1-4a Abrams Berufung
Liebe Tauffamilie, liebe Gemeinde, wie war das eigentlich, als Sie Ihr Elternhaus verlassen haben, als Sie von zu Hause ausgezogen sind? Erinnern Sie sich noch daran, wie das war? Da heißt es endlich auf eigenen Beinen zu stehen. Selbstständig zu sein. Sie kennen vielleicht den Satz: „So lange Du Deine Füße unter meinen Tisch stellst…“ Im Predigttext geht es auch um jemanden, der ausgezogen ist. Obwohl er hatte dazu etwas länger gebraucht. Er war keine 18 mehr, als er auszog, auch kein kleines Kind mehr, sondern ein alter Mann. Auch die Situation war ein bisschen anders. Im Ersten Buch Mose wird uns aber von diesem Aufbruch erzählt. Einerseits ein ganz besonderer, andererseits aber auch ein sehr exemplarischer: 12 1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner
Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.
2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen
großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.
3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und bin dir
sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.
1. Abraham zieht aus Der Erzvater Abraham ist einer der ganz wichtigen Menschen für das Volk Israel. Sein Auszug, seine Reise in ein anderes Land war kein Zuckerschlecken, keine einfache Sache. Zuallererst war es ein gewaltiges Risiko, denn Abraham zog nicht alleine los. Als Patriarch seiner Sippe waren es viele Familien, denen er vorstand, mit Frauen und Kindern und natürlich jeder Menge Vieh. Die Großfamilie seines Neffen Lot zog mit ihm aus. Eine große Verantwortung. Was, wenn da etwas passiert? Wenn so viele Menschen von einem Gebiet in ein anderes wandern und dabei durch Vieh gebremst werden, dann sind sie lange unterwegs. Sie brauchen Wasser und Weiden. Sie müssen sich mit den Menschen, die die jeweils durchwanderten Gebiete bewohnen, auseinandersetzen… Dieser Auszug bedeutete, alles hinter sich zu lassen. Abraham und die Seinen machten sich nach Nordwesten auf. Sie verließen Ur im Zweistromland, heute Irak, und zogen über den „fruchtbaren Halbmond“, folgten in dieser trockenen Landschaft den Flussläufen, wo es genügend Nahrung und Wasser gab. Eigentlich ganz ähnliche Wege, wie sie viele heute auch wieder nehmen – Thomas W. Stephan – Predigt: Letzter Sonntag nach Epiphanias – Gen 12,1‐4a Abrams Berufung 2 von 5 MÜSSEN. Viele Monate werden sie gebraucht haben, bis sie – über mehrere Stationen – im Land Kanaan, im Gebiet des heutigen Israel, angekommen sind. Aber nicht die Strecke ist das Besondere an diesem Predigttext. Auch nicht, dass es ein Großfamilienverband war, der sich da aufmachte. Das Besondere an dieser Erzählung ist, dass Abraham sich nicht als junger Erwachsener aufmachte, eine neue, eigene Heimat zu finden, sondern erst als erwachsener Mann, Familienvorstand. In so einem Alter zieht man nicht mehr groß um. Schon gar nicht nimmt man die gesamte Familie mit und zieht monatelang durch die Landschaft, einem neuen Ziel entgegen. Und wenn man sich heute mit Sack und Pack, mit der ganzen Familie aufmacht, alles – ein gutes relativ gefestigtes Leben – hinter sich lässt und alle Beziehungen abbricht, dann tut man das nicht freiwillig, sondern weil fliehen muss, vertrieben wird durch Hunger, Krieg und Katastrophen. Davon ist hier aber nicht die Rede. Und was heute überhaupt nicht ginge, ist, dass Abraham sagte: „Gott hat sich mir im Traum offenbart und mich aufgefordert, jetzt alles hinter mir zu lassen. Also, brechen wir auf. Ich kenne das Ziel nicht wirklich, aber schon bald geht es los.“ Eigentlich gibt es auch keinen triftigen Grund. Gott nennt keinen ‚vernünftigen‘ Grund und auch kein Ziel: „Mach dich auf – ich zeig‘ dir dann schon wo es hingeht.“ Aufbruch ins Ungewisse, einfach so. Wenn das jemand unter uns täte, würden wir erst einmal große Augen machen und nachfragen, ob er sie noch alle hat. 2. Unsere Auszüge Eigentlich sehnen wir uns doch nach Heimat, nach einer vertrauten Umgebung, nach Verhältnissen, die wir kennen und einschätzen können, die sicher sind. Das alles ist der Rahmen, der unserem Leben Halt und Geborgenheit gibt. Alles hinter sich zu lassen fällt schwer. Was wird kommen? Wie mag das sein? Das sind Fragen in solchen Situationen. Es geht immer ins Ungewisse – alte Bande zerschneiden und anderswo neu anzufangen. Sie kennen die Risiken, die damit verbunden sind, wenn man alles hinter sich zurücklässt. Und Sie können sich vorstellen, dass es Mut braucht, aufzubrechen. Ersetzen wir das Wort „Auszug“ einmal durch „Aufbruch“: Wo sind sie dann, unsere Aufbrüche? Wo haben wir Altvertrautes verlassen, um Neues anzufangen, es zu wagen – es in Angriff zu nehmen – zu beginnen – alles auf eine Karte zu setzen und uns zu einem Ziel aufzumachen, das nur in unserer Vorstellung Gestalt hat? Wenn wir so fragen, dann sind wir alle angesprochen, nicht nur diejenigen, die in ein anderes Land umgezogen sind oder auf dem Weg in ein neues Leben. Aufbrüche Thomas W. Stephan – Predigt: Letzter Sonntag nach Epiphanias – Gen 12,1‐4a Abrams Berufung 3 von 5 fangen wir in der Kindheit an, die Einschulung ist so ein erster Meilenstein auf dem Weg, der Anfang von etwas zuerst einmal Unvertrautem und Fremden. Es gibt viele verschiedene Auszüge und Aufbrüche – dann aus dem Elternhaus – in eine andere Stadt, zu einem neuen Job vielleicht oder Heirat, … oder eben hinaus ins Leben, mit der Geburt. Da heißt: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens“, heißt es eigentlich immer, wenn etwas Neues beginnt, oder? Ich hab mich dann immer gefragt, wann er denn nun wirklich beginnt? Es gibt aber noch viele andere – freiwillig – und hier hatte ich mich vertippt und „freuwillig“ getippt, passt aber. Aufbrüche aus Neugier, mit dem Ziel, was Neues kennenzulernen, neue Erfahrungen machen: Zum Studium ins Ausland – meine Nichte ist grade in Frankreich als Au Pair – oder sich in das Abenteuer „Familie gründen“ stürzen. Eigentlich besteht unser ganzes Leben aus Aufbrüchen – manche eben freiwillig, zu anderen werden wir durch äußere Umstände gedrängt. Aber immer geht es ins Ungewisse, wissen wir nicht was kommt. Vielleicht haben wir eine Vorstellung, eine Ahnung, ein Ziel – bestimmt bei selbst gewählten Aufbrüchen. Nicht selten aber kommt es erstens anders und zweitens, als man denkt. Das ist ziemlich schwer zu ertragen – Ungewissheit, nicht wissen, was kommt, Bekanntes, sicheres aufgeben, losgehen, einfach so. Und hier sind sich vielleicht Chiara und Abraham ganz nah, ganz gleich. „Geh“, sagt Gott, »Und der HERR sprach zu Abram: Geh […] – macht dich auf, lass
alles zurück, was dir bisher Festigkeit und Sicherheit gegeben hat und geh – ich
zeige dir wohin« sagt Gott »Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich
segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.« sagt Gott. Nichts weiter, keine Garantie, kein Tipp, wo das sein soll und was ihn dort erwartet, vielleicht als Anreiz, dass es sich auch lohnt. Einfach nur »geh […] ich geh
mit.« Ein starkes Stück – ein wirklich starkes Paar: »Geh… ohne zu wissen, was wird – UND – ich bin da, ich gehe mit und zeige dir wohin und es wird gut werden.« Was braucht es da mehr? Was braucht es da Google Maps oder einen Werbeflyer, welche Attraktionen einen am Ziel erwarten? Risiko und Zusage zugleich. Der Aufbruch ins Ungewisse wird getragen von Gottes Zusage und Verheißung: „Ich bin da, ich gehe mit und es wird gut werden – DU sollst zum Segen werden“ Liebe Gemeinde, Abraham ist aufgebrochen. Das, was uns so unendlich schwer fällt, hat er gemacht. Er hat nicht lange gehadert. Er hat sich nicht erst einmal an alles das erinnert, was er Thomas W. Stephan – Predigt: Letzter Sonntag nach Epiphanias – Gen 12,1‐4a Abrams Berufung 4 von 5 schon hatte, konnte, wusste, erreicht hatte. Er hat stattdessen sein Vertrauen auf Gott gesetzt und ist aufgebrochen. Ja, Abraham ist aufgebrochen. Aber er ist nicht allein auf dem Weg. Gott geht mit und das ist ein Segen. Für uns kann Abraham ein Vorbild sein. Abraham ist jemand, der sich nicht von vertrauter Gewohnheit, vom Spatz in der Hand, hat gefangen nehmen lässt. Sicher ist es kein Zufall, dass er für das Judentum, fürs Christentum und für den Islam, für die Abrahamitischen Religionen grundlegend ist. Er ist das Glaubensvorbild schlechthin. Was Abraham aufzubrechen ermöglichte, war sein Gottvertrauen. MIT Gott brach er auf, MIT Gott war er unterwegs und MIT Gott erreichte er sein Ziel. »Geh aus deinem
Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land,
das ich dir zeigen will« – so heißt es im Predigttext, und der fährt fort: »Da zog
Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte…« Quer durch Wüsten und Steppen, in unbekanntes, vielleicht feindliches Land – auf dem Weg in eine neue Zukunft – MIT Gott. Für gleich drei Weltreligionen und damit für ungefähr zwei Drittel aller Menschen auf diesem Planeten hat dieser Aufbruch im Vertrauen auf Gott eine große Bedeutung. Gott hatte ihm ja auch verheißen: »Ich will dich zum großen Volk
machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein
Segen sein. […] und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.« Gottes Segen ist Abrahams Kraftquelle gewesen, das, was es ihm ermöglicht hat, loszugehen. Was ist Gottes Segen eigentlich? Wie wirkt sich dieser Segen Gottes eigentlich aus? Liebe Gemeinde, wenn Sie jetzt einmal unter Ihre Sitzpolster greifen, dann finden einige von Ihnen einen Umschlag mit einem Kärtchen. Schauen Sie bitte einmal nach, und wer ein Kärtchen findet, der winke doch bitte einmal damit! [Die Kärtchen finden lassen und die Finder bitte, sie vorzulesen.  lesen
lassen]
Liebe Gemeinde, Gottes Segen bewirkt ganz vieles:  SEGEN setzt in Bewegung  SEGEN hilft, Kraft und Ruhe zu finden  SEGEN ist, dass Gott Leben möglich macht  SEGEN ist, wo Menschen teilen  SEGEN ist, in der Rückschau sagen zu können: „bis hierher hat mich Gott gebracht“ Liebe Gemeinde, Thomas W. Stephan – Predigt: Letzter Sonntag nach Epiphanias – Gen 12,1‐4a Abrams Berufung 5 von 5 Abraham ist als Glaubensvorbild eine Herausforderung an uns. Wir streben nach sicheren Zuständen, die klar und überschaubar sind. Doch wenn wir genauer hinsehen, kann uns manches davon zum Gefängnis werden. Glaube heißt, sich im Vertrauen auf Gott immer wieder aufzumachen, zu unseren Nächsten zuallererst. Heißt auch loslassen, sich trennen von, dem, was uns zurück, fest hält, vielleicht zu fest – starr und uns sogar einschnürt: Aufbrechen ist immer auch AUSbrechen – Befreiung. Befreiung aus festgefahrenem. Wo uns das gelingt, können wir Gottes Segen erfahren, ganz praktisch. Gerade die unklaren Abschnitte auf unserem Lebensweg sind es doch, in denen wir Gott ganz besonders entdecken können. Wo wir uns erst sicher und fest eingerichtet haben, fällt es schwerer, Gott zu entdecken. Gott ermutigt und auf‐ und auszubrechen – im kleinen und großen – UND er verheißt uns seine Begleitung, seinen Beistand! Da, wo wir Aufbrüche wagen, können wir Gott entdecken und seinen Segen erfahren. Und diesen Segen und diese Zusage: »Geh los, ich bin da, ich gehe mit – es wird gut werden, für dich und für die Menschen in deinem Leben«, was für uns alle gilt, das wollen wir heute Chiara in der Taufe zusprechen. Und – Paul Gerhardt – hat das schön formuliert, zu dieser Zusage: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein.“ ihr dafür vielleicht noch einen kleinen Tipp mit auf den Weg geben: „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“ Und das Schöne ist: Gottes Segen wird da vermehrt, wo man ihn teilt. Das tun wir, wo wir uns mit ihm auf den Weg machen. Brechen wir also auf. Dein Wort sei meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.
AMEN
[© Thomas W. Stephan, 2016-01-17]