Vorwort der Herausgeberin und der Herausgeber

Vorwort
Barbara Koch-Priewe / Heinz Stübig / Wilfried Hendricks
Vorwort der Herausgeberin
und der Herausgeber
Dass Wolfgang Klafki zu den bedeutendsten Erziehungswissenschaftlern der deutschen Nachkriegszeit gehört, ist für einen großen Teil der nachwachsenden Generation von Pädagoginnen und Pädagogen, Lehramtsstudentinnen und -studenten eine
Selbstverständlichkeit. Dies bedeutet natürlich nicht immer, dass ihnen auch die wesentlichen Charakteristika der bildungstheoretischen Didaktik oder die Grundzüge
der kritisch-konstruktiven Bildungstheorie bekannt sind. Allerdings haben vor allem
die »Studien zu Bildungstheorie und Didaktik« (zum ersten Mal veröffentlicht
1963), die »Aspekte kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft« (1976) und das
1985 erschienene Werk »Neue Studien zu Bildungstheorie und Didaktik« einen hohen Grad an Publizität und viele Neuauflagen erreicht, sodass man bei wachsender
Neugier einen leichten Zugang zu den Kernthesen des Autors finden wird.
Die dort vertretenen Schwerpunkte aus Wolfgang Klafkis Werk beeindrucken
nicht nur durch die Systematik und Gründlichkeit der vorgetragenen Argumentationsmuster, sondern auch durch ihre thematische Breite: Zum Beispiel reicht die
Spannweite in den oben zitierten, 1985 erstmals herausgegebenen »Neuen Studien«
von der aktuellen Bedeutung »klassischer« Bildungstheorien aus dem Zeitraum zwischen etwa 1770 und 1830 über die Auseinandersetzung mit dem Leistungsbegriff
bis hin zu Vorschlägen für die Gestaltung von Innerer Differenzierung im Unterricht
und Überlegungen zur Intensivierung der Mitplanung von Unterricht durch Schüler/innen.
Dass vom Autor darüber hinaus wichtige Ansätze zu einer elaborierten und
facettenreichen kritisch-konstruktiven Theorie der Erziehungswissenschaft und
einer Theorie der Schule vorliegen, ist bisher jedoch nur einem kleineren Kreis von
Leser/innen bekannt. Der vorliegende Band hat daher die Aufgabe, diesen Teil des
Werks einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen1: Die hier abgedruckten
Studien enthalten weiterführende Antworten auf die in letzter Zeit immer häufiger
gestellte Frage nach dem Beitrag der Schultheorie, der Schulforschung und der
Schulentwicklung für pädagogische Innovationen und die Lehrerbildung. Die von
1
Vgl. zur Gesamtübersicht der Veröffentlichungen und betreuten Hochschulschriften die »Bibliographie Wolfgang Klafki«, die von Heinz Stübig herausgegeben worden und 1992 im Beltz
Verlag erschienen ist. – Die entsprechenden Ergänzungen bis 1996 finden sich im Anhang des
von W. Hendricks, B. Koch-Priewe, H. Schmitt und H. Stübig herausgegebenen Bandes: Bildungsfragen in kritisch-konstruktiver Perspektive. Weinheim 1997, S. 235–251.
7
8
Vorwort
ihm erörterten Themen beziehen sich auf Grundfragen der Schulpolitik und Schultheorie, die Schule als organisierte Institution, Konzepte basisorientierter Schulentwicklung und die Bedeutung praxisnaher Schulforschung.
Mit der Lektüre der folgenden Beiträge können sich Leser/innen u.a. mit dem
Entwurf für eine kritisch-konstruktive Theorie der Erziehungswissenschaft und der
erziehungswissenschaftlichen Forschung (erste Studie) vertraut machen. Die zweite
Studie legt eine moderne Analyse des Schulwesens vor und mündet in eine kritischkonstruktive Schultheorie (dritte Studie), aus der u.a. Gestaltungsprinzipien für die
Schulreform abgeleitet werden. Mit Hilfe der vierten Studie wird erkennbar, inwiefern die kritisch-konstruktive Theorie der Schule auf Ansätzen der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik beruht und an welchen Stellen sie sich deutlich davon abhebt. Die fünfte Studie liefert mit ihrer funktionalen und pädagogischen Analyse der
Binnenstruktur der Schule eine aktuelle Orientierung für diejenigen, die am Thema
der Schul- bzw. Organisationsentwicklung interessiert sind und die gemeinsame
Ziel- sowie Prioritätsklärungen als Voraussetzungen für innere und äußere Schulreform verstehen. Mit der sechsten Studie werden die Leser/innen darüber informiert,
dass die Bemühungen um eine zeitgemäße Schul- und Bildungstheorie durchaus
praktische Bedeutung haben: Wolfgang Klafki stellt die Begründungen zusammen,
die zur Entwicklung der Schulkonzeption von länderspezifischen Beratungsgremien,
wie z.B. der Bildungskommission »Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft« in
NRW, geführt haben. Sowohl die Bemühungen um die Mitgestaltung von Schulpolitik, v.a. durch Förderung der Schulentwicklung als Systementwicklung als auch der
Einzelschule, sind dort erkennbar. Vor allem Letzteres wird in der siebten Studie im
Detail aufgegriffen: Neben Begründungen für die Beteiligung von Lehrer/innen an
der Diskussion um Schulqualität finden sich dort hilfreiche Empfehlungen für die
Schulpraxis sowie Folgerungen für eine veränderte Lehrerbildung. Zur Professionalisierung von Lehrer/innen gehört – wie in der achten Studie erläutert wird – jedoch
nicht nur ein Verständnis für Möglichkeiten und Erfordernisse der gemeinsamen
Schul- und Unterrichtsentwicklung und -evaluation, sondern auch eine Fähigkeit
zum empathischen, teilnehmenden Verstehen von Kindern und Jugendlichen – ein
Aspekt, dem u.a. vermutlich in der täglichen Unterrichtspraxis und der Lehrerbildung zu wenig Raum gewidmet wird. In der neunten Studie systematisiert Wolfgang
Klafki die Ansätze der empirischen Bildungsforschung und zieht aus den bisher vorgelegten Ergebnissen Schlussfolgerungen, insbesondere für die Wechselwirkung zwischen äußerer und innerer Schulreform, dem Verhältnis zwischen zentralen und dezentralen Gestaltungsoptionen sowie für die Verbesserung der Lehrerprofessionalität
durch eine spezielle Struktur der Lehrerfortbildung. – Abgerundet wird der Band
durch ein Interview, das Jörg-W. Link und Hanno Schmitt mit dem Autor geführt
haben.
Die Mehrzahl der in diesem Band abgedruckten Beiträge hat Wolfgang Klafki –
über kleinere sprachliche Korrekturen oder inhaltliche Zusätze hinaus – durch neue
Einleitungen und/oder Nachbemerkungen ergänzt. Die Rechtschreibung wurde den
neuen amtlichen Regeln angepasst.
Vorwort
Die Titel und ggf. die Untertitel der neun Textbeiträge dieses Buches entsprechen
überwiegend denen der Erstdrucke. In zwei Fällen – bei der dritten und der neunten
Studie – hat der Verfasser kleine Änderungen bzw. Ergänzungen vorgenommen.
Nicht nur, aber auch an den hier präsentierten Studien ist erkennbar, dass das
historische und dialektische Denken der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik einerseits beibehalten und fruchtbar gemacht wird. Andererseits werden die vormals gesetzten Grenzen überschritten, indem Historizität im Kontext der jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen und Entwicklungen begriffen, dialektisches mit SystemDenken verbunden und interdisziplinär argumentiert wird. Die von Wolfgang Klafki
auf dieser Basis entwickelte kritisch-konstruktive Erziehungswissenschaft zielt v.a.
auf eine Demokratisierung und Humanisierung der Erziehung ab. Wie die hier vorgelegten Studien zeigen, hat eine in diesem Kontext entworfene Schultheorie hohe
Bedeutung für aktuelle pädagogische Innovationen in Schule und Lehrerbildung.
9
10
Zum Aufbau des Buches
Wolfgang Klafki
Zum Aufbau des Buches
Die Erörterungen, die ich in den Studien zwei bis neun dieses Buches vorlege, verstehe ich als schultheoretische, auf verschiedene Ebenen und Dimensionen schulorganisatorischer und unterrichtlicher Praxis bezogene Ausprägungen einer allgemeinen,
bereichsübergreifenden erziehungswissenschaftlichen Konzeption, um deren Entwicklung ich seit drei Jahrzehnten bemüht bin.
Diese generelle Konzeption stelle ich in ihren Grundzügen in der ersten Studie
des Buches unter dem Titel »Kritisch-konstruktive Pädagogik – Herkunft und Zukunft« dar. Die Formulierung »Kritisch-konstruktive Pädagogik« bzw. »kritischkonstruktive Erziehungswissenschaft« soll zum Ausdruck bringen, dass diese Konzeption als Theorie einer Praxis gemeint ist, m.a.W.: als Theorie über und für pädagogisches Handeln. Mit der Bestimmung, dass es sich um eine »Kritisch-konstruktive« Theorie handelt, verweise ich darauf, dass ich Erziehungswissenschaft nicht als
vermeintlich wertfreie, nur auf Beschreibung und Analyse zu begrenzende Disziplin
verstehe, sondern ihr auch die Aufgabe wissenschaftlich reflektierter Wertungen und
praxisrelevanter Vorschläge zuspreche. Überdies muss so verstandene Erziehungswissenschaft sich – aufgrund der Verflechtungen ihres Forschungsthemas »Erziehung« in geschichtliche, gesellschaftlich-politische, kulturelle, philosophische, wirtschaftliche, psychologische Zusammenhänge und, besonders im Bereich schulischen
Lehrens und Lernens – auf ein breites Spektrum weiterer, schulrelevanter Fachwissenschaften beziehen.
Der Herausgeberin und den Herausgebern, die dieses Buch angeregt haben –
Frau Prof. Dr. Barbara Koch-Priewe, Prof. Dr. Heinz Stübig und Prof. Dr. Wilfried
Hendricks –, sowie den Gesprächspartnern des abschließenden Interviews, Prof. Dr.
Hanno Schmitt und Dr. Jörg-W. Link, danke ich in freundschaftlicher Verbundenheit aufrichtig für den Impuls zu dieser Publikation und den editorischen Aufwand.
Die vorliegenden Beiträge wurden für die erneute Drucklegung durchgesehen und
z.T. überarbeitet; die aktuellen Vor- bzw. Nachworte sind mit der Jahreszahl 2002 gekennzeichnet.