Selbstmonitoring älterer Menschen mit tragbaren Fitnesstrackern

8. AAL-Kongress 2015 ∙ 29.-30.04.2015 in Frankfurt/Main
Selbstmonitoring älterer Menschen mit tragbaren Fitnesstrackern
Selfmonitoring of Older Adults with Wearables
Anika Steinert, Forschungsgruppe Geriatrie der Charité, Universitätsmedizin Berlin, Deutschland, [email protected]
Prof. Dr. Ilona Buchem, Beuth Hochschule für Technik Berlin, Deutschland, [email protected]
Prof. Dr. Agathe Merceron, Beuth Hochschule für Technik Berlin, Deutschland, [email protected]
Prof. Dr. Jörn Kreutel, Beuth Hochschule für Technik Berlin, Deutschland, [email protected]
Marten Haesner, Forschungsgruppe Geriatrie der Charité, Universitätsmedizin Berlin, Deutschland, [email protected]
Kurzfassung
Neben gesunder Ernährung ist körperliche Aktivität eine der wichtigsten Voraussetzung für gesundes Altern und um
Risikofaktoren für die Entstehung von Krankheiten entgegenzuwirken. Im BMBF geförderten Vorprojekt fMOOC (Fitness MOOC - Interaktion von Senioren mit tragbaren Fitnesstrackern in integrierter Massive Open Online Course Plattform) sollen Senioren mit Hilfe von seniorengerecht entwickelten Online-Plattform und Aktivitätstrackern zu mehr körperlicher Aktivität motiviert werden. Für eine zielgruppengerechte Entwicklung des Systems wurde zum einen eine Anforderungsanalyse mit sechs Senioren sowie eine Vorstudie mit 20 Senioren zum Vergleich verschiedener Fitnesstracker
durchgeführt. Aus der Befragung der über 60-jährigen Senioren ergab sich, dass eine übersichtliche Darstellung der Daten
sowohl auf dem Tracker als auch in der App als wichtig erachtet wird. Zur Evaluation des fMOOC Systems wird zum
Ende der Projektlaufzeit ein umfangreicher Feldtest durchgeführt.
Abstract
As well as nutrition, physical activity is one of the most important prerequisites for healthy aging and to counter risk
factors for the development of diseases. In the public funded project fMOOC (Fitness MOOC - interaction of seniors with
wearable fitness trackers in a Massive Open Online Course) older adults should be encouraged to take part in more physical activity with the help of a senior friendly developed Online-Platform and fitness trackers. A target-group oriented
development requirement analysis with six older adults and a preliminary study with 20 older adults was conducted to
compare several fitness trackers. The results of the requirement analysis showed that a clear presentation of data on the
fitness tracker and the app was rated as being very important. To evaluate the fMOOC system an extensive field trial will
be conducted at the end of the project.
1
Hintergrund
Der Einfluss von körperlicher Bewegung auf die Gesundheit ist unumstritten, daher zielen zahlreiche Projekte darauf ab, physische Aktivität zu fördern. Neben ungesunder
Ernährung ist körperliche Inaktivität eine der Hauptursachen für viele, vor allem das Herz-Kreislauf-System betreffende, Krankheiten [1]. Die 2001 in den USA entstandene „quantified self“ Bewegung zielt darauf ab, selbstständig Daten zu verschiedenen Lebensbereichen, u.a. Ernährung, Schlaf, Bewegung, zu erheben und mithilfe der
gewonnenen Kenntnisse gesundheitsbewusster zu leben
[2]. In der letzten Zeit werden sogenannte Aktivitäts- bzw.
Fitness- bzw. Bewgungstracker (engl. fitness and motion
tracking) als Selbstmonitoring- und Motivationshilfen immer beliebter. Es handelt sich um tragbare Technologien
(Wearables), welche bewegungs- und gesundheitsbezogene Daten erfassen und an weitere Endgeräte übertragen,
z.B. per Bluetooth an Smartphones. Die erfassten Daten
können u.a. in Smartphone Apps ausgewertet und visuali-
ISBN 978-3-8007-3901-1
siert sowie mit anderen Nutzern, z.B. in sozialen Netzwerken, ausgetauscht und verglichen werden. Mit tragbaren
Aktivitätstrackern, wie u.a. Nike´s Fuelband, Jawbone UP,
Garmin Vivofit oder Fitbit Flex, lassen sich Geschwindigkeit, Dauer, zurückgelegte Kilometer, Essverhalten, verbrannte Kalorien, Schlafphasen und andere gesundheitsrelevante Daten messen und auswerten. Insbesondere für ältere Menschen spielt Bewegung und körperliche Fitness als
Prävention von Krankheit eine wichtige Rolle [3]. Trotz
der hohen Bedeutung von körperlicher Aktivität treibt
knapp die Hälfte der über 65-jährigen keinen Sport [4]. Für
diese Altersgruppe können Selbstmonitoring-Systeme daher eine Möglichkeit bieten, zu mehr Bewegung durch
übersichtliche Darstellung von Verläufen und Erfolgen zu
motivieren. Tragbare Fitness- und Bewegungstracker bieten dabei die Möglichkeit, Technik nahezu nahtlos in den
Alltag zu integrieren. Insbesondere die smarten Armbänder
erlauben durch ihr niedriges Gewicht (ca. 100 g) und das
Tragen am Handgelenk eine bequeme Nutzung sowohl
während körperlicher Aktivitäten als auch im Schlaf. Trotz
353
© VDE VERLAG GMBH ∙ Berlin ∙ Offenbach
8. AAL-Kongress 2015 ∙ 29.-30.04.2015 in Frankfurt/Main
des immer wachsenden Angebots werden die tragbaren Fitness- und Bewegungstracker, u.a. Armbänder für Smartphones, gibt es noch keine Geräte für ältere Nutzer. Aktuell
werden die Systeme primär für jüngere Zielgruppen entwickelt. Durch die starke Orientierung an jüngere Nutzer weisen tragbare Fitness- und Bewegungtracker in Kombination mit den mobilen Applikationen für Smartphones für
ältere Menschen eine niedrige Usability auf. Aufgrund
mangelnder Evaluationsstudien dazu, wie ältere Menschen
mit tragbaren Fitness- und Bewegungstrackern umgehen
und zurechtkommen, muss die Interaktion von Senioren
mit vorhandenen tragbaren Systemen wissenschaftlich untersucht werden. Einige erste Studien, beispielsweise Studien zur Nutzung von Fitness-Apps für Smartphones durch
Senioren, kommen zum Fazit, dass es mehrere Hindernisse
gibt, welche die Senioren von der Nutzung von mobilen
Fitness-Angeboten abhalten [5]. Zu den zentralen Hindernissen gehören nicht nur die Usability-Probleme sondern
auch die mangelnde Motivation und die Selbstdisziplin. An
dieser Stelle setzt das Vorprojekt „Fitness MOOC“ - eine
Kooperation der Beuth Hochschule für Technik Berlin
(Beuth HS) und der Charité Forschungsgruppe Geriatrie
(Charité FGG) an.
2
3.2
Das Projekt fMOOC
Ziel des einjährigen Vorprojektes „Fitness MOOC” (kurz
„fMOOC“) ist die Untersuchung der Interaktion von Senioren mit tragbaren Fitnesstrackern am Beispiel der Armbänder in Verzahnung mit sozialen Austausch- und Informationsmöglichkeiten in einer MOOC-Plattform (MOOC
= Massive Open Online Courses). Im Vorprojekt wird ein
funktionaler Prototyp vom Fitness MOOC als Open Source
Software (OSS) in Form einer integrierten Lösung von
tragbaren, mobilen und desktopbasierten
Technologien
entwickelt und in einer Nutzerstudie mit Senioren erprobt. Der Schwerpunkt liegt
bei der Entwicklung von offenen Schnittstellen, AnreizSystemen nach dem Gamification-Ansatz, Datenanalysen
mit Learning Analytics sowie
seniorengereichten
Bedienungselementen.
Evaluiert
werden Potenziale und HinBild 1 Fitnesstracker Gardernisse der Nutzung von Fitmin Vivofit, Quelle:
nesstrackern zur Steigerung
www.garmin.com
der körperlichen Aktivität im
Alltag von Senioren.
3
Methodik
3.1
Vorgehensweise
Um eine zielgruppenorientierte Entwicklung des fMOOC
Systems gewährleisten zu können wurden zwei Studien zu
ISBN 978-3-8007-3901-1
Beginn des Projektes durchgeführt. In der Anforderungsanalyse zur Ermittlung benutzerspezifischer Anforderungen an das System wurden die Senioren in teilstrukturierten Interviews zu ihren Anforderungen an das technischen
System, an die Trainingskonzepte, an die Plattform und die
Benutzeroberfläche, an das Motivations- und Bewertungssystem sowie an Ethik- und Datenschutzaspekte. Zudem
wurden das Anlegen eines Aktivitätstrackers sowie das
Starten der dazugehörigen App und die Synchronisation
von Armband und App mit den Senioren getestet.
Weiterhin wurde eine Vorstudie zur Ermittlung der Bedürfnisse älterer Menschen an einen seniorengerechten Fitnesstracker durchgeführt. In der Studie PrefMOOC wurden
fünf verschiedene, bereits auf dem Markt befindliche Tracker (Garmin vivofit, Nike Fuelband, Sony Smartband,
Jawbone Up, Fitbit Flex) hinsichtlich Design, Tragekomfort und Benutzerfreundlichkeit von den Senioren bewertet. Anschließend erhielt jeder Senior randomisiert einen
Tracker zum Testen der Zuverlässigkeit der Daten, der
Synchronisation und der Darstellung der Daten für eine
Woche. In einem Abschlussvisit wurden die Probanden zu
Usability und Akzeptanz der Systeme befragt.
Stichprobe
Adressiert werden in dem Projekt fMOOC Senioren, die
über 60 Jahre alt sind. In der Anforderungsanalyse zum
fMOOC System wurden sechs Senioren mit einem durchschnittlichen Alter von 70 Jahren (3 männlich, 3 weiblich)
befragt. Die Probanden gaben an, im Durchschnitt 2 Tage
pro Woche à 64 Minuten Aktivitäten durchzuführen, bei
denen sie außer Atem kommen und durchschnittlich 0,8
Tage pro Woche à 90 Minuten Aktivitäten, bei denen sie
ins Schwitzen kommen. In die Vorstudie PrefMOOC wurden 20 Senioren ebenfalls über 60 Jahre eingeschlossen.
Auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis wurde geachtet.
4
Ergebnisse
Aus den Interviews mit den Senioren ergaben sich verschiedene Anforderungen an Fitnesstracker. Die Armbänder sollten nach Meinung der Probanden vorrangig die
Schrittzahl und die zurückgelegte Distanz messen können.
Zudem wird gewünscht, dass weitere Parameter wie Puls
und Schlafrhythmus durch die Tracker erhoben werden
können. Es soll die Möglichkeit geben, sich die Daten nach
einem Training anzeigen zu lassen. Die von dem Tracker
erhobenen Daten sollen im Vergleich sowohl wöchentlich
als auch monatlich angezeigt werden. Der Vergleich mit
anderen Nutzer ist den Senioren dabei nicht wichtig,
ebenso die Kommunikation und der Austausch der Daten
mit anderen Nutzern, dies soll daher nicht obligatorisch
sein. Wichtig ist dagegen eine übersichtliche und nachvollziehbare Darstellung der Daten in der App.
Für das Anlegen des Garmin Aktivitätstrackers benötigten
die Senioren im Schnitt 55 Sekunden. Hier ergaben sich
Probleme beim Schließen des Armbandes, vor allem da nur
eine Hand genutzt werden konnte („Geht schon zu, muss
354
© VDE VERLAG GMBH ∙ Berlin ∙ Offenbach
8. AAL-Kongress 2015 ∙ 29.-30.04.2015 in Frankfurt/Main
nur ein bisschen üben (…) Gicht darf man nicht haben (♂,
64 Jahre)). Beim Starten der dazugehörigen App auf einem
Samsung Tablet gab es dagegen keine Probleme. Alle Probanden konnten die App sofort öffnen. Für die Synchronisierung zwischen dem Armband und der App, die den Probanden zuvor kurz gezeigt wurde, benötigten die Senioren
im Durchschnitt 32 Sekunden. Hierbei hatten sie Schwierigkeiten beim Drücken der Taste auf dem Armband.
Zur Erhebung weitere Anforderungen an Aktivitätstracker
für Senioren konnte innerhalb der Studie PrefMOOC gezeigt werden, dass es bei den Trackern Unterschiede hinsichtlich Tragekomfort, Passform, Design und Benutzerfreundlichkeit gibt. Auch die technischen Daten der Tracker unterscheiden sich wesentlich. Während die Akkulaufzeit des Aktivitätstrackers von Garmin (Garmin vivofit) bis zu einem Jahr beträgt, müssen andere Geräte (Fitbit
Flex, Nike Fuelband) alle 4-5 Tage aufgeladen werden. Zudem unterscheiden sich auch die Apps grundlegend hinsichtlich Art, Umfang und Darstellung der Daten.
5
[4] Robert Koch Institut. Daten und Fakten: Ergebnisse
der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell 2010«
[Internet]. 2012 [zitiert 25. Februar 2015]. Verfügbar
unter: http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/GEDA2010.html
[5] Möller A. Senioreninnovationsworkshop zur Entwicklung von Apps [Internet]. 2015 [zitiert 25. Februar 2015]. Verfügbar unter: https://www.fhkiel.de/index.php?id=13168
Diskussion
Ziel der vorliegenden Studien war es, die Anforderungen
von Senioren an Aktivitätstracker zu ermitteln. Neben allgemeinen Anforderungen hinsichtlich der Art und der Darstellung der Daten sowie der Bedienbarkeit eines Aktivitätstrackers aus den leitfadengestützten Interviews konnten
durch die Vergleichsstudie konkrete Aspekte der Armbänder miteinander verglichen und durch Senioren bewertet
werden. Für die Entwicklung des fMOOC Systems zeigt
sich, dass eine frühzeitige Einbeziehung der Zielgruppe
von großer Bedeutung ist, um ein seniorengerechtes System entwickeln zu können. Entwickler der Systeme, die
häufig jüngere Nutzer im Fokus haben, können aus den Ergebnissen der vorliegenden Studien lernen, unter welchen
Voraussetzungen auch Senioren ihre Systeme nutzen. Aus
den Ergebnissen geht jedoch nicht hervor, inwieweit Aktivitätstracker Senioren ausreichend zu einem aktiveren Lebensstil motivieren können. Ob die Fitnesstracker in Kombination mit einer Online-Plattform zu mehr körperlicher
Aktivität im Alter motivieren und ob auch eine langfristige
Motivation von Senioren erreicht werden kann, wird in
weiterführenden Studien untersucht.
6
Literatur
[1] Deutsche Herzstifzung. Neuer Herzbericht: Ein Drittel der Erwachsenen ist körperlich inaktiv – „Große
Herausforderung für das Gesundheitswesen“ [Internet]. 2014 [zitiert 25. Februar 2015]. Verfügbar unter: http://www.herzstiftung.de/pressemeldungen_artikel.php?articles_ID=619
[2] Maasen S, Kaiser M, Reinhart M, Sutter B. Handbuch Wissenschaftssoziologie. Springer-Verlag;
2012. 485 p.
[3] Martin P. Altern, Aktivität und Langlebigkeit. Z Für
Gerontol Geriatr. 1. Februar 2000;33(1):S079–84.
ISBN 978-3-8007-3901-1
355
© VDE VERLAG GMBH ∙ Berlin ∙ Offenbach