Damit München sich bewegt: Finanzielle Realität anerkennen

Damit München sich bewegt: Finanzielle
Realität anerkennen, passende Projekte bauen
1. GVFG-Bundesprogramm 2015-2019
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur stellt auf Grund von
Vorschlägen der Länder und im Benehmen mit ihnen besondere ergänzende
Programme auf, für Vorhaben nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), die in Verdichtungsräumen oder den zugehörigen
Randgebieten liegen und zuwendungsfähige Kosten von 50 Millionen Euro
überschreiten.
Pro Jahr stellt der Bund dafür 332,56 Millionen Euro zur Verfügung. Von den Ländern
angemeldet sind 7,057 Milliarden Euro. Die Abfinanzierung würde also über 21 Jahre
dauern.
Bayern hat 2,007 Milliarden Euro angemeldet. Die Abfinanzierung würde sechs Jahre
dauern, wenn Bayern das gesamte Bundesgeld für sich alleine beanspruchen würde.
2000
1500
1000
500
0
Abbildung 1: Vorhaben im GVFG-Bundesprogramm 2015-2019 in Millionen Euro
Abbildung 2: Vorhaben im GVFG-Bundesprogramm 2015-2019
2. Der 2. S-Bahn-Tunnel München: Ein einsamer Ausreißer verlangt zu viel
Das GVFG-Bundesprogramm ist das einzige Förderprogramm des Bundes für den
Schienen-Nahverkehr in Ballungsräumen. Andere Haushaltsposten mit dem gleichen
Zweck gibt es im Bundeshaushalt nicht.
Das GVFG-Bundesprogramm enthält eine Vielzahl von kleineren und mittleren
Projekten, doch die Top Ten der teuersten Projekte zeigen, dass der zweite S-BahnTunnel München einsam und allein den unfinanzierbaren Superlativ im GVFGBundesprogramm darstellt. Er ist mit sehr großem Abstand das teuerste Projekt im
GVFG-Bundesprogramm. Er steht in keiner Relation zu den verfügbaren
Fördermitteln und sprengt den Rahmen der Bundesfinanzhilfen für den Nahverkehr.
Anders als Bayern setzen andere Bundesländer (vor allem Hessen und BadenWürttemberg) auf kleinere, finanzierbare Projekte, die unabhängig voneinander
gebaut und verkehrswirksam werden können.
Platz
Projekt
Bundesland
Erwünschte Bundesfinanzhilfen (in Mio.
EUR)
1
München, 2. S-Bahn-Tunnel
Bayern
899
2
Neckar-Alb, Regional-Stadtbahn und fünf
Baden-Württemberg
347
Zulaufstrecken
3
Hamburg, S 4 nach Bad Oldesloe
Hamburg
330
4
Rhein-Main, S-Bahn Frankfurt - Hanau
Hessen
216
5
Rhein-Main, S-Bahn 4-gl. Ausbau Frankfurt
Hessen
213
West - Friedberg
6
Rhein-Main, Frankfurt Regionaltangente
West
Hessen
211
7
Stuttgart, Stuttgart 21 Nahverkehrsanteil
Baden-Württemberg
173
8
Braunschweig, Stadtbahnausbau
Niedersachsen
153
9
Erlangen, Stadtumlandbahn
Bayern
152
Rhein-Main, Frankfurt Stadtbahn
Hessen
152
10
Europaviertel
Tabelle 1: Top Ten der teuersten Projekte im GVFG-Bundesprogramm, die gegenwärtig noch nicht in
Bau sind, und die von den Ländern erhofften Fördermittel des Bundes
3. GVFG-Bundesprogramm in Bayern
Von den von Bayern angemeldeten 2,007,Milliarden Euro wurden 433.62 Millionen
Euro für die U-Bahn und Straßenbahn in München und 1,105 Milliarden Euro für die
S-Bahn München angemeldet – davon 899.41 Millionen Euro für den 2. S-BahnTunnel. In der Summe ergibt das 1,539 Milliarden Euro. Das entspricht 76,7 Prozent
der Anmeldungen Bayerns, 21,8 Prozent der bundesweiten und 24,9 Prozent der
westdeutschen Anmeldungen.
Im GVFG-Bundesprogramm stehen Projekte aus fünf Städten in Bayern: Augsburg,
Erlangen, München, Nürnberg und Würzburg.
100%
54,00
65,30
151,88
43,12
154,37
90%
80%
70%
Würzburg
Augsburg
433,62
60%
Erlangen
50%
Nürnberg S-Bahn
40%
Nürnberg ÖPNV
30%
München ÖPNV
1.105,52
20%
München S-Bahn
10%
0%
Abbildung 3: Vorhaben im GVFG-Bundesprogramm in Bayern 2015 in Millionen Euro
4. Kostenexplosion bei der 2. S-Bahn-Röhre
Kostenexplosion bei der 2. S-Bahn Röhre
4500
4000
3500
Kosten in Millionen Euro
3000
2500
2000
1500
1000
500
0
2000
2005
2010
Jahreszahl
2015
2020
Abbildung 4: Kostenexplosion bei der 2. S-Bahn-Röhre
2000: 537 Millionen Euro
Ergänzungsuntersuchung S-Bahn
2001: 583 Millionen Euro
Vergleichende Untersuchung Ausbau S-Bahn-Südring/Zweiter S-Bahn-Tunnel
2002: 899 Millionen Euro
Vertiefende Untersuchung 2. S-Bahn-Tunnel
März 2005: 1.300 Millionen Euro
Davon 200 Millionen Euro für netzergänzende Maßnahmen, Aussagen DB
ProjektBau und BayStMWIVT
Sommer 2006: 1.850 Millionen Euro
Aussage DB AG Mitte 2006, Info an Landtag durch Minister Huber Juli 2007
Januar 2008: 1.640 Millionen Euro
Nachtragshaushalt Bayern 2008
2010: 2.047 Millionen Euro
Preisstand 2009, Dynamisierung der Kosten mit einer Inbetriebnahme 2017,
zusätzlich Risikopuffer bis zu einer Höhe von 500 Millionen, Veröffentlichung zu den
Vereinbarungen zu den Eckpunkten des Bau- und Finanzierungsvertrages zwischen
Freistaat Bayern und DB AG vom 23.12.2010
Dezember 2011: 2.237 Millionen Euro
Präsentation im Aufsichtsrat der DB AG in der 50. KW 2011
2013: 2.433 Millionen Euro
2014: 2.570 Millionen Euro
2015: 3.120 Millionen Euro
5. Bundesverkehrswegeplan: Konzeptionslosigkeit und Wünsch-Dir-WasPolitik
Der Bundesverkehrswegeplan leidet seit Jahrzehnten an einer kolossalen
Überbelegung bei Straßenbauvorhaben und chronischer Unterfinanzierung bei der
Schiene. Schuld sind die Konzeptionslosigkeit und das überzogene Wunschdenken
zahlreicher Provinzfürsten. Nach dem Wünsch-Dir-Was-Prinzip hat die CSURegierung ein Sammelsurium von knapp 400 Einzelprojekte zum Bundesverkehrswegeplan angemeldet. Die Streckenlänge dieser Projekte summiert sich auf rund
2.000 Kilometer. Die Realisierung sämtlicher Projekte würde mind. 17 Milliarden Euro
kosten. Bei gleichbleibender Mittelaufteilung unter den Ländern würde es rund 160
Jahre dauern, bis alles finanziert ist bzw. es müssten sämtliche Bedarfsplanmittel des
Bundes für die nächsten 15 Jahre nur in Bayern verbaut werden. (Quelle: BUND)
Der geplante vierstreifige autobahnmäßige Neubau der B 15neu zwischen Landshut
und Rosenheim ist vermutlich eines der umstrittensten Straßenbauprojekte Bayerns.
Im Januar 2015 verkündete Verkehrsminister Herrmann überraschenderweise das
Aus für den Neubau, mit Verweis auf die ohnehin nicht vorhandenen Finanzmittel.
Ministerpräsident Seehofer revidierte den Kabinettsbeschluss schon nach nur elf
Tagen. Diese Debatte verdeutlicht, dass hier überzogene und nicht finanzierbare
Ausbauplanungen vorliegen. Sie macht aber auch deutlich, dass derartige fachliche
Abwägungen dem Prestigedenken untergeordnet werden.
Der Schienenausbauplan ist chronisch unterfinanziert und auch hier binden
Prestigeprojekte wie die Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt seit Jahren einen Großteil
der Ausbaumittel. Der verkehrliche Nutzen für das Gesamtnetz derartiger Projekte ist
jedoch äußerst zweifelhaft. So hält auch die im Auftrag des Umweltbundesamtes
erstellte Studie „Schienennetz 2025/2030. Ausbaukonzeption für einen
leistungsfähigen Schienengüterverkehr in Deutschland“ einen zügigen und
konsequenten Paradigmenwechsel in der Schieneninfrastrukturpolitik für
unabdingbar. Nicht politökonomische, sondern streng verkehrliche Kriterien auf Basis
einer Engpassanalyse müssen künftig als Entscheidungsgrundlage dienen.
6. Was wir eigentlich brauchen...
…den ÖPNV in der Region München stärken – jetzt
Seit Jahren blockiert der Tieftunnel vernünftige Ausbaumaßnahmen im Münchner SBahn-Netz. Die Grünen im Landtag, Oberbayern und in München fordern
finanzierbare Projekte statt Gigantismus und Vernetzung statt Konzentration auf die
Mitte. Die Region München braucht Ringsysteme, um den Bedarf an Mobilität bei
steigenden Einwohnerzahlen stadtverträglich und umweltverträglich – das heißt auch
mit einem großen Anteil im ÖPNV – decken zu können. Konsequenz: mehr
Investitionen in ÖPNV statt in Straße.
…in München
Auf dem Münchner Stadtgebiet könnte sofort mit dem vom Münchner Stadtrat
einstimmig beschlossenen Maßnahmen begonnen werden. Dazu gehören
Ausbau des Bahnhofs Laim mit Umweltverbundröhre
Sendlinger Spange über Laim
Regionalzughalt Poccistraße
Ausbau eines 6. Gleises am Ostbahnhof für die S-Bahn
Maßnahmen, die OB Ude sofort nach dem Tunnel angehen wollte. Im Münchner ÖVNetz fehlen noch ca. zehn Kilometer U-Bahn und ca. 100 Kilometer Trambahn. Diese
Investitionen sind im Rahmen des GVFG machbar. Statt eines 550 Millionen teuren
Ringtunnels in der Landshuter Allee sollte München eine ebenso teure U-Bahn über
Pasing nach Freiham bauen und müsste so das Geld nur einmal ausgeben.
… zum Vorteil für die ganze Region
Wesentliche Bausteine für einen Ausbau des regionalen Schienennetzes sind:
der S-Bahn-Südring mit einem Regionalzughalt Poccistraße (Südbahnhof)
der S-Bahn-Nordring mit einem Regionalzughalt Nordbahnhof beim FIZ und
einer Verbindungskurve nach Unterföhring und
die Pasinger Kurve.
Auf diesen Ringsystemen wären tangentiale Verkehrsbeziehungen (Regionalzüge
bzw. S-Bahnen) möglich:
-
von Landshut/Freising über Flughafen und Erding nach Riem
von Landshut/Freising über Feldmoching und Nordbahnhof (FIZ) zum
Ostbahnhof u. evtl. über Mangfalltalbahn weiter nach Rosenheim
Ingolstadt/Dachau über Nordbahnhof (FIZ) zum Ostbahnhof oder
Flughafen
von Augsburg/Pasing über Moosach und Nordbahnhof (FIZ) zum
Flughafen usw möglich
Angesichts der über den S-Bahn-Bereich hinausgehenden Pendlerverflechtungen
sind zukünftig Regionalzüge, die in Landshut, Rosenheim, Garmisch Landsberg,
Augsburg und Ingolstadt starten und im S-Bahn-Bereich die wichtigsten Bahnhöfe als
Express-System bedienen, sinnvoll. Diese Verknüpfungen und Verbesserungen
wären bei einem schrittweisen Ausbau des Netzes möglich.
…S-Bahn-Ausbau an den Außenästen
Dringend erforderliche Ausbaumaßnahmen in der Region München werden durch die
Planungen des 2. S-Bahn-Tunnels blockiert und auf den Sankt-Nimmerleinstag
verlegt, nachdem zuvor schon die jahrelange Debatte um den Transrapid den
Ausbau auf die lange Bank geschoben hatte. Zum Nachteil der Region und des
Gesamtsystems. Für den Ausbau der einzelnen Außenäste haben sich regionale
Initiativen gebildet. Diese Maßnahmen sind meist völlig unabhängig vom Ausbau der
Stammstrecke zu sehen und müssen unverzüglich in Angriff genommen werden.
…den Erdinger Ringschluss
Die Anbindung des Flughafens über die Schiene soll verbessert werden. Mit dem
Erdinger Ringschluss wird eine direkte Schienenanbindung des Flughafens aus
Richtung Freising, Landshut und Nordostbayern ebenso wie aus Richtung Erding,
Mühldorf und Südostbayern geschaffen. Gleichzeitig wird eine schnelle tangentiale
Verbindung zwischen den Mittelzentren Erding und Freising geschaffen.
…den Ausbau der S4 West
Mit einem mehrgleisigen Ausbau der S4 West kann der S-Bahnverkehr vom
Regional- und Fernverkehr entflochten werden. Zum einen wird die Betriebsqualität
auf dem Streckenast deutlich verbessert und zum anderen kann die zusätzliche
Kapazität für Verbesserungen im Verkehrsangebot der S-Bahn genutzt werden.
…die Verlängerung der S7 nach Geretsried
Im Süden von München soll das S-Bahn-Netz auf der Linie S7 nach Wolfratshausen
um einen circa 9 km langen Neuabschnitt nach Geretsried Süd verlängert werden.
Bereits 2004 konnte der volkswirtschaftliche Nutzen nachgewiesen werden. Derzeit
läuft das Planfeststellungsverfahren.
…den Ausbau S2 Ost
Bisher geplanter viergleisiger Ausbau S2 Ost zw. Feldkirchen und Markt Schwaben.
…den Ausbau S8 Ost
S8-Ost Daglfing (Abzweig der Gütergleise Richtung Trudering) – Johanneskirchen:
viergleisiger Ausbau (2 S-Bahngleise, 2 Gütergleise)
…den zweigleisigen Ausbau S7 Ost zwischen Giesing und Höhenkirchen
Die zahlreichen Fahrgäste der der Gemeinden Neubiberg und Ottobrunn leiden unter
einem instabilen Betrieb auf der eingleisigen Strecke. Die Bahn hat die nötigen
Grundstücke schon vor langer Zeit erworben.
…den weiteren zweigleisigen Ausbau
Beseitigung eingleisiger Abschnitte zumindest durch zweigleisige Begegnungsabschnitte, insbesondere auf der S8 West und S7 West zur Steigerung der
Bedienqualität und -kapazität
…barrierefreie Zugänge an allen Stationen
Der barrierefreie Ausbau der S-Bahn-Stationen und Bahnsteigverlängerungen an
Außenästen für längere Züge und damit höhere Kapazität (S7 West, S7 Ost, S2 Ost)
…weitere Haltepunkte
beispielsweise im Gewerbegebiet Eching/Neufahrn oder Schloss Schleißheim S1
…generell: eigenständiges Streckennetz für die S-Bahn
Mit eigener Infrastruktur im gesamten S-Bahnnetz kann auf verkehrliche
Entwicklungen schneller reagiert werden. Darüber hinaus kann die Qualität bei der SBahn deutlich verbessert werden, da durch die separate S-Bahninfrastruktur die im
Mischbetrieb vorhandenen Einflüsse durch Fahrplanunregelmäßigkeiten anderer
Zugsysteme entfallen.
...darüber hinaus: Stadt-Umland-Bahn, z.B. in Form einer Straßenbahn für die
wichtigen tangentialen Verbindungen sowie weitere Tramverlängerungen
(neben Grünwald) von München in das Umland hinaus
Das Projekt einer Stadt-Umland-Bahn, die das vorhandene sternförmige
Schnellbahnnetz durch tangentiale Verbindung verschiedener S-Bahn- und U-BahnÄste sinnvoll ergänzt, kam im Dezember 1997 ins Gespräch. Seitdem wurde das
Thema von vielen Seiten mit großem Interesse verfolgt. Auch wenn die damalige
Idee eines eigens dafür zu entwickelnden Fahrzeugs inzwischen ad acta gelegt
wurde, so sind die Strecken, für die damals realistische Potenziale ermittelt wurden,
nach wie vor sinnvoll. Immerhin gibt es derzeit erste Schnellbussenlinien auf den
aussichtsreichen Strecken.
Fazit
- Extrem teure Prestigeprojekte (2. S-Bahn-Tunnel) verschlingen die knappen
Finanzressourcen und blockieren vernünftige Ausbaumaßnahmen im Münchner
S-Bahn-Netz
- Die Grünen im Landtag, in Oberbayern und in München fordern finanzierbare
Projekte statt Gigantismus
- Investitionsschwerpunkt muss von der Straße auf die Schiene verlagert werden
München, 19. November 2015
Markus Ganserer, Sprecher für Mobilität, Landtags-Grüne
Dr. Markus Büchler, Bezirksvorsitzender Grüne Oberbayern
Paul Bickelbacher, Stadtrat München, Fraktion Grüne-rosa liste