Ansprache zur Verabschiedung der Hauptschüler 2015

Ansprache zur Verabschiedung der Schulabgänger 2015
Liebe Schülerinnen, liebe Schüler,
in den zurückliegenden Monaten und Jahren Eures Bei-­‐Uns-­‐Seins habt Ihr alle ein gutes Stück Weg zurückgelegt und doch steht ihr wohl noch am Anfang Eures Lebens. Und dieses Leben birgt noch so viele Rätsel -­‐ auch für uns, die wir Euch an Jahren voraus sind. Um das Leben verstehen zu können, um zu verstehen, was Lebendigkeit überhaupt bedeutet, ist es hilfreich, sich die Gegenbegriffe vor Augen zu führen: Das Steinerne und das Mechanische, das Tote, Verknöcherte, Erstarrte, Verdinglichte. Lebendigkeit hingegen ist eine Beziehungsform, eine Art und Weise, sich auf die Welt, auf die Menschen und Dinge zu beziehen und mit ihnen in Kontakt zu sein. Lebendigkeit ist ein Austauschverhältnis. Lebendigsein kann man nicht für sich alleine, sondern nur in Beziehung -­‐ das Andere muss aber kein Mensch sein, es kann auch ein Tier, ein Wald, ein Buch oder ein Lied sein. Aber diese Beziehung muss über das Nützliche, ZweckhaRe, Instrumentelle und Kausale hinausgehen. Etwas zu brauchen oder zu nutzen, auch etwas zu gestalten oder von etwas beeinflusst zu werden, das sTRet noch keine Lebendigkeit. Lebendig werde ich erst, wenn das Andere da draußen mit mir so in Beziehung triV, dass ich durch diese Beziehung selbst verändert werde, dass ich mich dabei und darin verwandle. Lebendigkeit ist deshalb Anverwandlung von Welt, nicht bloß Aneignung von Stoff. Auch die Arbeit, die Kunst, sogar die Pflege und die Trauer können uns lebendig mit der Welt verbinden. Lebendigsein bedeutet, über zahlreiche vibrierende Resonanzdrähte verbunden zu sein, in einem Frage-­‐ und Antwortverhältnis zum Leben zu stehen. Lebendigkeit ist eine Beziehungsform, die sich der Logik der Steigerung und OpTmierung, der Beherrschung und Kontrolle widersetzt. Wer sein Leben unter Kontrolle hat, ist tot. Wer sein Leben systemaTsch darauf anlegt, mehr Wissen, bessere Kontakte, einen leistungsfähigeren und aVrakTveren Körper, ein höheres Einkommen zu haben, verliert Stück für Stück seine Lebendigkeit, denn das Leben, das ist doch stets das Unverfügbare, Nicht-­‐Anhäu[are. Eine GesellschaR, die die unablässige AkkumulaTon und OpTmierung von sozialen, ökonomischen, kulturellen und körperlichen Ressourcen erfordert, gaukelt uns lebendige Weltbeziehungen jedoch nur vor, führt letztlich aber zu mechanisierter Versteinerung der Menschenseelen. Mein Wunsch für Euch mag sonderbar klingen, denn meist hört man zu solchen Gelegenheiten genau den gegenteiligen Wunsch. Ich aber meine es genau so: Bleibt ja nicht wie und wer Ihr seid! Feiert Eure Lebendigkeit und lasst Euch von der Welt verwandeln! Tag für Tag!
M. Hubert Schwizler -­‐ Klassenlehrer
Jugendhilfe Timeout e.V. im Hofgut Rössle, Breitnau/Nessellachen -­‐ 11. Juli 2015