Chemie stimmt – Rest ist komplex

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CHEMIE PLUS 10-2015
thema des monats
DIESELABGASBEHANDLUNG
Chemie stimmt – Rest ist komplex
Der «VW-Skandal» ruft in Erinnerung, dass bei der Abgasnachbehandlung in Dieselautos noch Optimierungsbedarf besteht.
Auch die Schwachstellen der Prüfverfahren rücken ins Blickfeld. So einfach die Chemie, so komplex die Technik.
Anders als Ottomotoren werden Dieselmoto- fristig auf ein sauerstoffärmeres, «fettes» Geiesel boomt. In Europa ist bereits et- ren mit Luftüberschuss (mageres Gemisch, misch umgeschaltet. Dadurch steigen die
wa jedes zweite zugelassene Auto
>1) betrieben, was z. B. zur verminderten Temperaturen und die CO- und CmHn-Konmit einem Dieselaggregat ausgestattet. In der CO2-Produktion führt. Ein Dreiwegekat kann zentrationen im Katalysator an, was folgenSchweiz liegt dieser Anteil noch bei rund hier aber nicht verwendet werden, u. a des- de Reaktionen ermöglicht:
25 % – allerdings mit steigender Tendenz. halb weil sich die Stickoxide wegen des O2- (1) Ausspeicherung:
Die Popularität des Selbstzünders hat Grün- Überschusses nicht zu Stickstoff reduzieren Ba (NO3)2 + 3 CO ➞ BaO + CO2 + 2 NO
de: Schon immer galten Dieselfahrzeuge lassen. Heutige Dieselautos vefügen daher (2) Reduktion:
aufgrund ihres geringeren Spritverbrauchs über ein dreistufiges Abgasnachbehand- 2 NO + 2 CO + N2 + 2 CO2
als wirtschaftliche Alternative zum Benziner. lungskonzept: In einem Oxidationskatalysa- Das Signal zum Umschalten von mager auf
In den vergangenen Jahren haben sich die tor wird Stickstoffmonoxid in Stickstoffdi- fett und umgekehrt erhält der Motor über
behäbigen «Russ-Schleudern» von einst aber oxid umgewandelt. Dieses hilft, den nachge- Messfühler, z. B. Abgas-Sensoren, und Rezu durchaus sportlichen Fahrzeugen entwi- schalteten Partikelfilter zu regenerieren. Die chenmodelle in der Motorsteuerung.
ckelt, die zudem als relativ «sauber» gelten. Stickoxide müssen anschliessend in einer Die NOx-Speicherkats sind heute in viele
Zur Leistungssteigerung haben motortechni- gesonderten Einheit katalytisch reduziert Klein- und Mittelklassewagen eingebaut und
sche Entwicklungen wie etwa der Turbola- werden.
bewirken dort eine effiziente NOx-Reduktider beigetragen. Die ökologion – jedenfalls tun sie dies bei
schen Aspekte verbesserten
den obligatorischen Abgastests.
sich, nachdem auch für DiesGleichwohl ist ihre Speicherkalautos Abgasgrenzwerte eingepazität schon allein wegen der
führt wurden, was die Herstelgeringen Ausmasse begrenzt, zuler zur Entwicklung ausgefeilter
dem können absorbierte SchweAbgasnachbehandlungssysteme
feloxide dem Kat zusetzen.
veranlasste.
Selektive Katalytische Reduktion
Indes ist Emissionskontrolle
(SCR): Diese robuste Technologie
beim Diesel komplexer als bei
kommt bereits seit Jahren in LastOttomotoren. (Hinweis: Im Folwagen zum Einsatz. Sie ist zwar
genden handelt es sich um verteurer als die LNT-Technologie,
einfachte Darstellungen.) Benziwandelt die Stickoxide aber effiziner verfügen heute über Dreienter um. Im SCR-Katalysator
wegekatalysatoren, in denen
wird ein aktives Reduktionsmittel
In Europa sehr populär – Dieselautos.
(Themenbild: © istockphoto.com)
die Abgasschadstoffe Kohlendirekt in den Abgasstrom gemonoxid
(CO),
Stickoxide
sprüht. Bewährt hat sich hierbei
(NOx) und Kohlenwasserstoffe (CmHn) kata- Gerade die Reduktion der Stickoxide ist eine eine wässrige Harnstofflösung, die in Europa
lytisch oxidiert bzw. reduziert werden, ge- komplexe Aufgabe, und hierum geht es unter dem Markennamen «Adblue» (Herstelmäss den Summenformeln:
auch im «VW-Diesel-Skandal». Zum Einsatz ler: BASF) vertrieben wird. Der Harnstoff
2 CO + O2 ➞ 2 CO2
kommen heute im wesentlichen zwei Tech- wird zunächst zu CO2 und Ammoniak (NH3)
CmHn + (m + n/4)O2 ➞ m CO2 + n/2 H2O
nologien:
hydrolisiert, welches dann als eigentliches
2 NO + 2 CO ➞ N2 + 2 CO2
NOx-Speicherkatalysator (Lean NOx Trapp Reduktionsmittel fungiert:
2 NO2 + 2 CO ➞ N2 + 2 CO2 + O2
= LNT): Im normalen (mageren) Betrieb 4 NO + 4 NH3 + O2 ➞ 4 N2 + 6 H2O
Diese Reaktionen können vollständig umge- wird hier der Stickstoff zunächst «zwischen- NO +NO2 + 2 NH3 ➞ 2N2 + 3H2O
setzt werden, wenn ein stöchiochemisches gespeichert», genauer gesagt an Alkali- oder 6 NO2 +8 NH3 ➞ 7 N2 + 12 H2O
Luft/Kraftstoffgemisch zugeführt wird ( = Erdalkaliverbindungen (häufig Bariumcar- Die Fahrzeuge sind mit separaten Adblue1). Dann steht z. B. genügend CO zur Re- bonat) gebunden:
Tanks ausgestattet, welche aus Kanistern
duktion der Stickoxide zur Verfügung. Gere- 2 NO2 + 1/2 O2+BaCO3
oder auch direkt über Zapfsäulen an der
gelt wird das Luft/Kraftstoffverhältnis in ➞ Ba (NO3)2 + CO2
Tankstelle nachgefüllt werden können. Nicht
Benzinern über eine Lamba-Sonde. So kön- Die Speicherkapazität des Erdalkalimediums nur Lastwagen, sondern auch manche Pernen die Luftschadstoffe – bei warmen Be- ist aber schnell erschöpft. In Abständen von sonenwagen im Premiumsegment mit über
triebszustand – fast 100prozentig in nicht nur wenigen Minuten muss der Speicherkat 2 Liter Hubraum fahren bereits heute mit
giftige Stoffe umgewandelt werden.
daher «regeniert» werden. Hierzu wird kurz- der SCR-Technolgie.
R A L F M AYE R
D
Experten wie etwa Christian Bach, Leiter des Labors für Fahrzeugantriebssysteme an der Empa, glauben, dass die Selektive Katalytische
Reduktion im Automobilsektor an Bedeutung gewinnen wird. «Ich
gehe davon aus, dass in Zukunft auch Mittelklassewagen mit SCRKatalysatoren ausgestattet werden», sagte Bach gegenüber «Chemie
plus». Den Ausschlag dafür geben dürften einerseits verschärfte
Emissionsgrenzwerte. Schrieb die bisher gültige Euro-5-Norm für
Dieselautos noch einen NOx-Grenzwert von 0,18 g/km vor, so wurde dieser in der Euro-6-Norm, die seit dem 1. September 2015 alle
neu zugelassenen Autos erfüllen müssen, auf 0,08 g/km gesenkt.
Ziel ist es, den Stickoxid-Gehalt im Dieselabgas um 95 % und damit
auf das gleiche Niveau wie in Benzinern zu senken. In den USA gelten sogar noch geringere Grenzwerte.
Abgasprüfungen haben Schwachstellen
Vor einer weitaus grösseren Herausforderung dürften die Automobilhersteller aber dann stehen, wenn die heutigen auf dem Rollenprüfstand durchgeführten Abgas-Tests durch obligatorische Messungen auf der Strasse ergänzt werden. Die Einführung solcher «Real
Drive Emission Tests» ist in der EU frühestens für 2017/18 geplant.
Im Zuge des «VW-Skandals» drängte das deutsche Umweltbundesamt nun auf eine zügigere Umsetzung dieser Pläne.
Die Tests auf dem Rollenprüfstand in den USA hatten auch die betroffenen Dieselmodelle des Volkswagenkonzerns beanstandungslos
bestanden. Zum Handeln veranlasst sah sich die US-Umweltbehörde EPA, nachdem die gleichen Modelle bei Real-Drive-Messungen
bis zu 40-fach höhere Emissionswerte aufwiesen. Volkswagen hat in
das elektronische Steuerungssystem seiner TDI-Dieselmotoren (Typ
«EA 189») bekanntlich eine Software installiert, die die Prüfsituation
– etwa anhand der prüfungstypischen Lenkradposition, Geschwindigkeit oder Motorbetriebsdauer – erkennt. Die Daten dienen dann
dazu, das Auto auf eine Art «Prüfmodus» umzustellen, in dem u. a.
die Abgasreinigungssysteme vollumfänglich arbeiten. Abseits des
Prüfstands wird dann auf «Normalbetrieb» geschaltet, bei dem vermutlich u. a. die Anzahl Regenerationsphasen im NOx-Speicherkat
gesenkt wird bzw. die Adblue-Dosierung in SCR-Kats vermindert
wird. Möglicherweise wollte VW mit dieser «Schummelei» verhindern, dass die Autos auf der Strasse aufgrund der Abgasbehandlung
Leistung einbüssen oder sich der Verbrauch erhöht.
Aus Untersuchungen in Deutschland weiss man, dass Autos verschiedener Marken (Diesel und Benziner) bei Messungen im Strassenverkehr in der Regel höhere Emissionen aufweisen als auf dem
Rollenprüfstand, wobei die Abweichungen aber deutlich geringer
sind als die im «VW-Skandal» aufgedeckten. Die obligatorischen Abgas- und Verbrauchstests wenden heute den «Neuen Europäischen
Fahrzyklus» (NEFZ) an. Diese Zyklen spiegeln aber bei Weitem
nicht die reale Fahrsituation im heutigen Strassenverkehr wider. So
werden bei keinem Zyklus mehr als 11 Kilometer zurückgelegt. Die
Höchstgeschwindigkeit beträgt 120 kmh. Beschleunigt wird von 0
auf 70 kmh in mehr als 40 Sekunden – so undynamisch fährt nicht
einmal der defensivste Autofahrer. 2017 soll in Europa der NEFZ ersetzt werden durch den «Worldwide Harmonized Light Vehicles Test
Cyclus» (WLTC), der realistischer Fahrsituationen simulieren soll. So
schreibt WLTC z. B. variable Schaltpunkte vor, die den Leistungsund Drehmomentcharakteristika der verschiedenen Fahrzeugtypen
angepasst sind. Eine vom deutschen ADAC durchgeführte und vom
«International Council on Clean Transportation» (ICCT) Teststudie
zeigten interessante Unterschiede auf: Im Durchschnitt hielten die
getesteten Dieselfahrzeuge verschiedener Marken die Euro-6-Grenz-
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werte für NOx-Emissionen im NEFZ-Test
ein, während diese im WLTC-Test überschritten wurden. Autos, die mit SCR-Katalysatoren oder mit einer Abgasrückführungseinheit ausgestattet waren, schnitten
im WLTC-Test relativ gut ab. Hingegen wiesen die mit NOx-Speicherkats (LNT) ausgerüsteten Fahrzeuge im NEFZ-Test durchschnitttlich die niedrigsten NOx-Emissionswerte auf, im WLCT-Test aber die höchsten
von allen Testfahrzeugen. (Es gab aber auch
LNT-Autos, die in beiden Tests gut abschnitten.) Fazit: WLTC scheint die Qualität der
NOx-Abgasreinigungstechniken etwas realistischer abzubilden als NEFZ. Die meisten
Experten sind sich aber einig darüber, dass
nur Real-Drive-Tests die wahren Emissionen
der einzelnen Modelle ermitteln können.
Was wird aus den VW-Dieselautos?
Was aber kommt nun auf die Autobesitzer
zu, deren Fahrzeug mit dem VolkswagenDieselmotor «EA 189» ausgestattet sind?
Weltweit sollen rund 11 Millionen Autos der
Marken VW, Audi, Seat und Skoda betroffen
sein. Noch unklar ist («Chemie plus» Redakti-
Empa forscht an Optimierung von SCR-Systemen
SCR-Systeme (Selektive Katalytische Reduktion) sind komplex. z. B. muss die Dosierung des Adblue-Harnstoffs genau auf die vom Motor ausgestossene Menge an Stickoxiden abgestimmt sein;
eine zu tiefe Dosierung bringt nicht die von Gesetzes wegen vorgeschriebene NOx-Reduktion, eine zu hohe Dosierung resultiert in unerwünschten Ammoniak-Emissionen. Zudem neigt Adblue bei
Abgastemperaturen unter 200 °C dazu, Ablagerungen zu bilden. SCR-Systeme müssen deshalb
spezifisch auf die verschiedenen Motortypen und die zu erwartenden Lastwechsel angepasst und
optimiert werden. Das Empa-Labor für Fahrzeugantriebssysteme unter Leitung von Christian Bach
hat dafür ein spezielles Hochtemperaturströmungslabor eingerichtet. Zwei Doktoranden in Bachs
Team untersuchen zurzeit verschiedene Adblue-Einspritzverfahren mit dem Ziel, eine möglichst optimale Zerstäubung und homogene Verteilung der wässrigen Harnstofflösung im Abgasstrom zu
erreichen. Die experimentellen Ergebnisse werden in Zusammenarbeit mit Kollegen der ETH Zürich
und des «Politecnico di Milano» genutzt, um Computersimulationen der Adblue-Einspritzung physikalisch korrekt zu parametrisieren und die Simulationsmodelle zu validieren. Mit solchen Simulationen lässt sich dann die Konversionsrate des Katalysators unter verschiedenen Betriebsbedingungen vorhersagen. www.empa.ch
onsschluss war am 2. Oktober), ob die
«Schummel-Software» z. B. auch in den für
den europäischen Markt produzierten Autos
aktiviert wurde.
Empa-Experte Christian Bach geht davon
aus, dass die anstehenden Nachrüstungen
im wesentlichen einen Software-Update beinhalten. Dabei müssten die Fahrzeughalter
wenn überhaupt nur mit geringen Leistungsminderungen und/oder Verbrauchser-
höhungen im Bereich 1 – 2 Prozent rechnen.
Sollte sich aber herausstellen, dass VW mit
seiner relativ hoch entwicklten Diesel-Technologie auch in Europa grossflächig «geschummelt» hat, muss man befürchten,
dass auch andere Hersteller in ähnlicher
Weise manipuliert haben. «Dies ist nicht
auszuschliessen»,
sagt
Empa-Experte
Bach.
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