Die zünftige Einkehr gehört dazu

ZAK AK T UELL
VON TAG ZU TAG
Mittwoch, 16. September 2015
ZITAT
„Scherben bringen Glück - aber nur
demArchäologen.“ Agatha Christie
HISTORISCHEDATEN
1978 – Bei einem Erdbeben der Stärke 7,8 im Nordosten des Iran kommen bis zu 25 000 Menschen ums Leben. Die Stadt Tabas und 40 Dörfer
werdenzerstört.
AUCHDASNOCH
2005 – dpa meldet: Zwischen den Inseln Amrum und Föhr hat auf dem
Seenotkreuzer „Eiswette“ ein Junge das Licht der Welt erblickt. Eintrag im Bordtagebuch: „Geburt auf
Position 54 Grad, 40,2 Minuten
Nord, 008 Grad, 34,2 Minuten Ost.
MutterundKindwohlauf.“
TAGEBUCH
DANIEL SEEBURGER
Redaktion Balingen
[email protected]
Blut am Handy
Besitzen Sie ein Handy oder ein
Smartphone? Wenn ja, befinden
Sie sich in guter Gesellschaft. 112
Millionen Mobilfunkanschlüsse
gibt es in Deutschland, darunter
sind circa 45 Millionen Smartphones. Auch ich bin Besitzer eines solchen Geräts.
In der zentralafrikanischen Republik Kongo sind derzeit rund
zwei Millionen Menschen auf der
Flucht in ihrem eigenen Land. Vor
allem aus der Provinz Nord-Kivu
machen sich viele Mensch auf in
sicherere Provinzen. Dabei sterben zahlreiche Kinder, Familien
verlieren ihre Heimat, werden
auseinandergerissen.
Was haben die Flüchtlinge im
Kongo mit unseren mobilen Telefonen zu tun? Der Kongo ist weltweit der zweitgrößte Lieferant der
Erzart Coltan und sitzt damit eigentlich auf einer wahren Goldgrube. Denn aus Coltan wird das
seltene Metall Tantal gewonnen.
Und das ist für die Herstellung von
Mobiltelefonen, Flachbildschirmen, Digitalkameras, Laptops und
Spielekonsolen unverzichtbar. Vor
allem unter der Kontrolle von lokalen Milizen, die sich gegenseitig
bekämpfen, wird Coltan abgebaut, um es an europäische, asiatische und amerikanische Konzerne zu verkaufen. Mit dem Erlös
werden Waffen beschafft. Durch
den Bürgerkrieg werden lokale
landwirtschaftliche
Strukturen
zerstört, die Menschen fliehen aus
ihrer Heimat und verarmen.
Das Beispiel Kongo macht deutlich, dass unser Wohlstand zur
Verelendung ganzer Landstriche,
nicht nur in Afrika, führen kann.
Und es zeigt, dass wir nicht
schuldlos sind an der weltweiten
Flüchtlingsproblematik. Ich bezweifle, dass den Usern, die bei
Facebook ihre Hassbotschaften
gegen Flüchtlinge via Smartphones oder Computer absetzen,
bewusst ist, dass an ihren Händen
eventuell Blut klebt. Blut von Hunderttausenden
Bürgerkriegsopfern, die die Hassposter im weltweiten Netz dann auch noch beschimpfen und verhöhnen.
600 Flüchtlinge
kommen nach
Rottenburg
Zollernalbkreis/Tübingen.
Der
Strom an Flüchtlingen reißt nicht
ab. Nach aktuellen Angaben des
Integrationsministeriums sind in
der LEA in Meßstetten aktuell 3160
Menschen untergebracht (Stand
15. September, 9 Uhr). Wie das Ministerium mitteilt, würden weitere Sonderzüge mit Flüchtlingen
aus Bayern erwartet. Ein erster Zug
traf bereits gestern Abend am
Bahnhof in Esslingen ein. Von dort
aus wurden die Menschen auf die
Erstaufnahmeeinrichtungen des
Landes verteilt. Kurzfristig werde
das Land zur Unterbringung von
Flüchtlingen eine ehemalige Gewerbeimmobilie im Rottenburger
Stadtteil Ergenzingen (Landkreis
Tübingen) in Betrieb nehmen,
heißt es in der Pressemitteilung.
Das DRK und weitere Hilfsorganisationen bereiten unter der Regie des Regierungspräsidiums die
Aufnahme vor. Zunächst werden
voraussichtlich bis zu 600 Personen in der leerstehenden und dem
Land zur Unterbringung angebotenen Halle beherbergt.
gs
Mittwoch, 16. September 2015
Die zünftige Einkehr gehört dazu
Vesperhütten sollen entlang der Albstädter Traufgänge entstehen – Regionalverband redet mit
Albstadts Traufgänge bieten
herrliches Wander- und Naturerlebnis. Es könnte besser kaum
sein. Hingegen gibt's bei der
„Einkehr danach“ durchaus
Nachholbedarf. Vesperhütten
sollen nun Abhilfe schaffen.
VOLKER BITZER
Albstadt. Was ist die schönste
Wanderung ohne die Einkehr danach? Und in diesem Punkt gibt
es im Wander-Eldorado Albstadt
durchaus noch einiges zu tun. Das
weiß man auch beim TourismusManagement der Stadtverwaltung
Albstadt. Und will deshalb nun
selbst Nägel mit Köpfen machen,
wenn schon die vorhandene Gastronomie nur teilweise oder nicht
mit genügend Zugkraft mit an einem Strang ziehen möchte. Vesperhütten entlang der Traufgänge
sollen für das kulinarische Erlebnis im Anschluss ans Wandervergnügen sorgen. Geplant sind neun
Vesperhütten auf sieben Traufgängen; drei davon sollen sogar eine
Übernachtungsmöglichkeit
bieten.
Das Thema beschäftigt jedoch
nicht nur die Tourismus-Macher
im Ebinger Rathaus, sondern auch
den Planungsausschuss des Regionalverbandes Neckar-Alb bei
seiner Sitzung am kommenden
Dienstag in Mössingen. Hierbei
geht es weniger um die Aspekte der
Wanderer-Verköstigung oder Beherbergung als vielmehr um den
erforderlichen Einklang der Vesperhütten mit Landschaft und Natur – Stichwort Zersiedelung.
Grünes Licht ohne viel wenn
und aber dürften die Albstädter
laut Sitzungsvorlage für sechs der
neun geplanten Standorte be-
Albstadts Wander- und Mountainbikerparadies: Eingezeichnet sind auf diesem Plan die neun geplanten Vesperhütten, um die Attraktivität zu steigern.
kommen: Waldheim Ebingen,
Ochsenberg Margrethausen, Zollersteighof Onstmettingen, Stich
Onstmettingen, Schönhaldenfelsen Truchtelfingen und Brunnental Lautlingen. „Abgelehnt be-
Was steckt hinter den Fachbegriffen?
Regionalverband Das ist eine
Körperschaft des öffentlichen
Rechts, dessen Kernaufgaben
die Regionalplanung und die
Regionalentwicklung der Region Neckar-Alb sind. Zu diesem Verbund gehören die
Landkreise Tübingen, Reutlingen und Zollernalb.
Zielabweichungsverfahren
Es stellt ein im Raumordnungsgesetz verankertes Verfahren dar, mit dem es vor al-
lem den planenden Kommunen, aber auch Fachplanungsbehörden möglich ist, von einem verbindlichen Ziel der
Raumordnung abzuweichen.
Voraussetzung dafür ist, dass
die Abweichung unter raum-
ordnerischen Gesichtspunkten
vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt
werden. Die Ausgestaltung
des Zieländerungsverfahrens
bleibt im Detail den Bundesländern überlassen.
Lustig: Kein Verkauf an NPD
Aber: „Waldhorn“-Geplänkel dürfte juristisches Nachspiel haben
Alles heiße Luft! Gestern verkündete „Waldhorn“-Besitzer
Niko Lustig, er werde seine
Gaststätte nicht an die NPD
verkaufen. Stattdessen will er
jetzt Strafanzeige gegen Bürgermeister Mennig erstatten.
KARL-OTTO MÜLLER
Meßstetten. Mennig und ein weiterer Meßstetter Kommunalpolitiker hätten ihm, dem Ahnungslosen, quasi die NPD auf den Hals
gehetzt. Und ihn damit in Misskredit gebracht.
Seit Jahresbeginn indes propagiert Niko Lustig geradezu als
Drohgebärdedas Kaufinteresseder
umstrittenen Partei. Als deren
Vertreter sei quasi ein „gewisser Jan
Zimmermann aus Freiburg“ im
Frühjahr auf ihn zugekommen und
habe sein Kaufinteresse bekundet. Zuletzt will Zimmermann bereit gewesen sein, fast eine halbe
Million Euro für das Anwesen bezahlen zu wollen.
Landrat Günther-Martin Pauli
und Bürgermeister Lothar Mennig indes wehrten ab – bis zuletzt
wollten sie sich trotz mehrfach genannter Notartermine auf das
Scheinangebot nicht einlassen.
Einen letzten Versuch startete
Lustig mit einem Pressegespräch
in der vergangenen Woche an seinem neuen Wohnort in St. Johann. Am heutigen Mittwoch sollte der Verkauf über die Bühne gehen, gestern korrigierte er ernüchtert: Der Notartermin sei abgesagt, der Verkauf geplatzt, er
selbst trete jetzt den Weg zum Insolvenzrichter an. Nach eigenen
Angaben, belaufen sich seine Verbindlichkeiten auf ein paar Hunderttausend Euro.
Mittlerweile wäre er wohl froh,
den eigentlichen Schätzpreis von
knapp 150 000 Euro für seine Immobilie zu erzielen. Einzig, der
Käufer fehle noch. Hoffnungen,
wonach zum jetzigen Zeitpunkt
Landkreis oder Stadt einspringen
könnten, sind sehr vage.
Gegenüber dem ZOLLERN-ALBKURIER erklärte der Landrat in aller Deutlichkeit: „Wir schauen uns
dieses, wie viele andere Projekte,
(heute) an, nehmen es auf unsere
Liste für mögliche Flüchtlingsquartiere für die Zeit nach der LEA.“
Mit Schließung derselben (angeblich!) ab 2016 müsste der Landkreis rund 1700 Flüchtlinge unterbringen.
Meßstettens Bürgermeister Lothar Mennig derweil erwägt Strafanzeige verbunden mit Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft
Hechingen gegen Niko Lustig wegen übler Nachrede.
züglich der Zersiedelung von
Landschaft“ – so heißt es im Beschlussvorschlag wörtlich – werden demnach die Standorte „Auf
Stocken“ Onstmettingen, Wanderparkplatz
Pfeffingen
und
Waldäcker Burgfelden. Für diese
Fälle sollten – so heißt es in der Argumentation – Alternativstandorte gefunden werden, damit die
Vorhaben im Verbund mit bestehenden baulichen Anlagen realisiert werden können. Eine so genannte Zielabweichung vom Plan
könnte trotzdem zugestimmt
Plan: Stadt Albstadt
werden, wenn von Seiten der Naturschutzbehörden eine Stellungnahme vorliegt, welche die
Vereinbarkeit dieser drei Standorte mit Naturschutzzielen bestätigt oder aber – wie es so schön
bürokratisch heißt – ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Weil dieses aus Sicht der Regionalverbandes dargelegt ist,
scheint ein so genanntes Zielabweichungsverfahren nicht zwingend erforderlich. Aber darüber
entscheiden letztlich die Mitglieder des Planungsausschusses.
ÜBRIGENS • TERMINKONFLIKT IN MESSSTETTEN
Zur Sache „Arroganz“
KARL-OTTO MÜLLER
Das jagt nicht nur Meßstettern
die Zornesröte ins Gesicht. Und das
mit Recht: Ausgerechnet am morgigen Donnerstag meint Clemens
Bratzler, mit seinem Fernsehteam
live aus der Meßstetter LEA senden zu müssen. Ausgerechnet an
dem Abend, da Meßstettens Bürger und vor allem auch Stadträte
sich in offizieller Vorstellung ein
Bild von ihren Bürgermeisterkandidaten machen wollen. Seit
gut einem Jahr steht dieser Termin, zehn Tage vor dem Wahlsonntag fest. Und nach gut einem
Viertelhundert steht auch fest, dass
ein neuer Mann das Ruder in Meßstettens Rathaus übernehmen
wird.
Bratzlers Live-Show „Zur Sache
Flüchtlinge“ kommt da morgen in
Meßstettens LEA völlig ungelegen. Auch für Landrat GüntherMartin Pauli, der zusammen mit
Tübingens
Oberbürgermeister
Boris Palmer einer der Gesprächspartner von Clemens
Bratzler sein soll – wir berichteten. Erst vor wenigen Tagen hatte
Pauli wohl von dem Termin erfahren. All sein Bemühen, diesen
abzuwenden, seien erfolglos geblieben. Noch nicht einmal sein
Hinweis an die Öffentlich-Rechtlichen, mit dieser Sendung doch
sehr einschneidend in die demokratische Praxis einer Kommune
einzugreifen, zeigte Wirkung.
Wäre es nicht einfacher, den
Donnerstags-Drehort kurzerhand
in eine andere LEA zu verlegen?
Denn Meßstettens Kandidatenvorstellung und Wahltag sind unverrückbar.
Verständnisvolles
Handeln
stünde für Größe – an dem einmal eingeschlagenen Weg in die
falsche Richtung festzuhalten,
könnte als Sache der Arroganz
ausgelegt werden, Herr Bratzler!
Mehr Mut zur Marktwirtschaft
FDP-Bundesvorsitzender Christian Lindner referiert bei „Ernst Lorch“
„Mehr Mut zur Marktwirtschaft“ lautete Christian Lindners Thema. Gestern referierte
er beim Albstädter Unternehmen Ernst Lorch und kam insbesondere auf die Flüchtlingsfrage zu sprechen.
OLGA HAUG
Über 50 Interessierte folgten gestern der Einladung des Wirtschaftsrates der CDU Balingen/Sigmaringen: Im Unternehmen Ernst Lorch sprach FDP-Bundesvorsitzender
Christian Lindner unter anderem über die Flüchtlingsproblematik.
Foto: Olga Haug
Albstadt. Gleich zu Beginn seines
Redebeitrags stellte FDP-Bundesvorsitzender Christian Lindner
klar, dass seine größte Sorge jene
sei, ob sich im Zuge der großen Herausforderung, vor der sich
Deutschland gegenwärtig befindet, keine Integrationskrise ent-
wickelt. Das Bildungssystem, der
Arbeitsmarkt und die Wohnungssituation seinen nicht vorbereitet.
Lindner, auch Vorsitzender der
FDP-Landtagsfraktion in NRW,
referierte gestern im Albstädter
Unternehmen Ernst Lorch und
antwortete neben Themen wie
dem Bildungssystem, das sich zu
einer Akademisierung entwickle
und der Kritik an der Erbschaftssteuer und der Forderung nach einer Abschaffung des Solidaritätszuschlags im Jahr 2019 auf die
Flüchtlingsfrage: Nicht allein die
Sprachvermittlung sei wichtig,
sondern ebenso die Vermittlung
der Verfassungsordnung. Balkanstaaten zu herkunftssicheren Län-
dern erklären und das gesamte
Management und die Finanzierung an den Bund abgeben, seien
weitere Maßnahmen, die Lindner
für notwendig hält. Er betonte –
gleichwohl Kritik aus dem Publikum kam, mit der Angst einer Islamisierung der Gesellschaft –,
dass die Integration von Asylsuchenden eine Chance für die Gesellschaft sei, mit dem Blick in die
Zukunft, für die Lindner einen
gravierenden Arbeitskräftemangel
prognostizierte. Außerdem müssten die Ursachen bekämpft werden, wofür er eine Stärkung des
Russland-Verhältnisses
propagierte. Eingeladen hatte gestern
der Wirtschaftsrat der CDU Balingen/Sigmaringen.