Nachbereitung - schmidt

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Johanna Schmidt-Räntsch
Vorlesung Leistungsstörungsrecht
23. November 2015
Nachbereitung
Folie 2
Der oberschlaue Käufer
Schmitz errichtet auf seinem Grundstück einen Supermarkt. Sein Nachbar Müller erlaubt ihm, aufgrund
eines befristeten Mietvertrags mit Verlängerungsklausel, für 100€ monatlich ein 40 m2 großes Stück
seines Hofs mit einem Lagerraum für den Supermarkt zu bebauen. Schlau kauft das Grundstück des
Schmitz, stellt die Mietzahlungen nach drei Monaten ein und lehnt es ab, in den Mietvertrag
einzutreten, den Müller darauf kündigt. Müller verlangt von Schlau Herausgabe der Hoffläche und den
Abbruch des Lagerraums. Schlau ist entsetzt. Ohne Lagerraum sei der Supermarkt nicht vermietbar.
Außerdem koste der Abbruch 50.000 € und damit mehr als die belegte Fläche wert sei. Was meinen
Sie?
Hinweise zur Nachbereitung:
Der Fall ist der Entscheidung BGH, Urt. v. 30. 5. 2008 – V ZR 184/07, NJW 2008,
3122, nachgebildet. Der Anspruch von Müller folgt aus § 1004 BGB. Zwar hat
Schmitz einen Überbau errichtet. Dieser würde nach § 912 BGB auch zum Besitz
berechtigen und damit einem Anspruch aus § 1004 BGB entgegenstehen (BGH, Urt.
v. 17. 9. 1958 - V ZR 63/58, NJW 1958, 2061). In das Besitzrecht wäre Schlau auch
eingetreten, da er den Supermarkt mit dem Lagerraum erworben hat. Das
Besitzrecht durch Überbau ist aber von vornherein befristet gewesen und mit dem
Ende des Mietvertrags entfallen (BGH, Urt. v. 26. 1. 2004 – V ZR 243/03, BGHZ
157, 301). Damit stellt sich nur die Frage, ob Schlau dem Müller § 275 Abs. 2 BGB
entgegenhalten kann. Das ist zu verneinen. Schlau hat die Lage durch sein eigenes
uneinsichtiges Handeln selbst herbeigeführt, was nach § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB zu
seinen Lasten geht.
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Kinobau mit Hindernissen
Der Kläger kaufte 1983 von seinem damaligen Nachbarn eine von dessen Grundstück abzutrennende
Teilfläche, auf dem sich ein damals zu Wohnzwecken genutztes Hinterhaus befand. Wie in dem
Grundstückskaufvertrag vereinbart, wurde zugunsten des Klägers ein Wegerecht eingetragen. Das
Hinterhaus verfällt, weil der Mieter 984 auszog und es nicht gelang, andere Mieter zu finden. Das
Wegerecht wurde seit dieser Zeit ebenfalls nicht mehr ausgeübt. Der Beklagte erwarb in der
Zwangsversteigerung Juni 2004 das vordere Grundstück, wobei in dem Zuschlagsbeschluss auf das
Fortbestehen des Wegerechts hingewiesen wird. Er begann in August/September 2005 mit einem
Kinoneubau unter Einbeziehung der für das Wegerecht genutzten Fläche zu bebauen. Nach
Fertigstellung des Rohbaus verlangte der Kläger Dezember 2005 den Rückbau im Bereich des
Wegerechts. Zu Recht?
© Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015
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Hinweise zur Nachbereitung:
Der Fall ist dem Fall BGH, Urt. v. 18. 7. 2008 – V ZR 171/07, NJW 2008, 3123
nachempfunden. Der Kläger kann nach §§ 1027, 1004 Abs. 1 BGB von dem
Beklagten die Beseitigung der Beeinträchtigung seiner Dienstbarkeit und dazu den
teilweisen Abbruch des Kinos verlangen. Der damit verbundene Aufwand steht auf
den ersten Blick zu seinem auch angesichts der geringfügigen Nutzung der
Dienstbarkeit in einem mit den Geboten von Treu und Glauben nicht mehr zu
vereinbarenden groben Missverhältnis. Das könnte den Beklagten nach § 275 Abs. 2
Satz 1 BGB berechtigen, den Abbruch zu verweigern. Bei der Abwägung ist aber
nach § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB zu berücksichtigen, dass der Beklagten den Zustand
vorsätzlich herbeigeführt hat, in dem er die Dienstbarkeit ignoriert hat.
Muss dann aber nicht auch berücksichtigt werden, dass die Verletzung der
Dienstbarkeit offensichtlich war und der der Kläger selbst zunächst nicht
eingeschritten ist und der Verletzung seiner Dienstbarkeit nicht widersprochen hat?
Ein solchen Widerspruch verlangt das Gesetz allerdings normalerweise nur bei
einem entschuldigten Überbau analog § 912 Abs. 1 BGB. Hier liegt ein
entschuldigter Überbau aber nicht vor, weil der Beklagte die Ausübungsfläche der
Dienstbarkeit vorsätzlich überbaut hat. Das ändert aber nichts daran, dass die
Überbauung offensichtlich war und der Kläger den Beklagten „ins offen Messer hat
laufen lassen“. Dieser Gesichtspunkt kann nicht unmittelbar nach § 254 Abs. 1 BGB
berücksichtigt werden, weil § 1004 Abs. 1 BGB ein Verschulden nicht voraussetzt
und der Kläger die Beseitigung des Wegs nicht mit verursacht hat. Es kommt aber
eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 254 Abs. 1 BGB in Betracht, weil in
Betracht, weil § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB bei der Frage nach dem groben
Missverhältnis auch Verschuldenselemente berücksichtigt. Das soll und darf nicht
einseitig zu Lasten des Schuldners geschehen. Wenn auch den Gläubiger des
Anspruchs ein Verschulden trifft, muss das in gleicher Weise zu seinen Lasten
berücksichtigt werden. Das kann dazu führen, dass sich die beiderseitigen
Verschuldensanteile gegenseitig aufheben. Dann bleibt es im Ergebnis bei § 275
Abs. 2 Satz 1 BGB. So liegt es hier. Der Beklagte muss sein Kino nicht abreißen. Er
schuldet aber nach § 823 Abs. 1, § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz für den
verlorenen Weg.
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Die wundersame Schustersfrau
Die Städtische Bühnen Bonn GmbH schließt mit der Sängerin Irmi Laut einen Gastspielvertrag,
demzufolge Frau Laut gegen ein Honorar von 5.000 € die Partie der Schusterfrau in „Die wundersame
Schustersfrau" für voraussichtlich 8 Aufführungen in der Zeit vom Dezember bis Februar des folgenden
Jahres verpflichtet wurde. Probenbeginn für das Engagement war Mitte November. Während einer
Abendprobe zur Oper „Die wundersame Schustersfrau" Ende November erlitt Frau Laut einen schweren
Unfall, als sie von dem oberen Ende einer zu steil ausgeführten Kulissentreppe abstürzte. Sie erlitt
erhebliche Verletzungen, musste länger im Krankenhaus behandelt werden und bis Ende März
arbeitsunfähig krank. Frau Laut verlangt das vereinbarte Honorar. Die Bühnen will ihr nur
Verletztengeld in Höhe von 1.500€ zahlen. Wie würden Sie entscheiden?
© Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015
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Hinweise zur Nachbereitung:
Der Fall ist dem Fall nachgebildet, den das Bühnenoberschiedsgericht mit Beschluss
vom 21. 3. 1994 (BO Sch 12/94, NJW 1995, 903) entschieden hat.
1. Als Anspruchsgrundlage käme zunächst § 611 BGB in Betracht. Die Norm setzt
voraus, dass der Gastspielvertag als Dienst- oder Arbeitsvertrag zu qualifizieren ist.
Dafür spricht, dass Frau Laut eine Dienstleistung schuldet. Dagegen spricht aber,
dass sie nicht einfach nur singen und schaupielern, sondern an 8 Aufführungen eine
ganz bestimmte Partie singen soll und dafür, wie man salopp sagt, „eingekauft“
worden ist. Das spricht für die Einordnung als Werkvertrag.
2. Anspruchsgrundlage ist deshalb § 631.
a) Danach würde Frau Laut von den Städtischen Bühnen das vereinbarte Honorar
verlangen können. Fällig ist der Anspruch nach § 641 BGB an sich nur nach erfolgter
Abnahme. Diese würde nach § 646 BGB durch die Vollendung ersetzt, weil man eine
zu singenden Opernpartie schlecht abnehmen kann. Sie kann man nur fertig singen.
Das geht aber jetzt nicht mehr. Wenn Frau Laut dennoch Honorar verlangen kann,
kommt es auf die Vollendung auch nicht mehr an, weil die Vorschrift des § 646 BGB
durch die Vorschrift über die Verpflichtung zur Honorarzahlung trotz Nichterbringung
der Leistung verdrängt wird.
b) An sich sind die Städtischen Bühnen nach § 326 Abs. 1 BGB von ihrer Pflicht zur
Honorarzahlung frei geworden, weil Frau Laut die übernommene Partie nach § 275
Abs. 1 bis 3 BGB nicht mehr singen muss. Man kann das damit begründen, dass sie
nicht nur singen, sondern auch die Rolle spielen soll. Singen könnte sie noch, die
Rolle spielen aber nicht mehr. Dann liegt § 275 Abs. 1 BGB (subjektive
Unmöglichkeit) vor. Wer das anders sieht, müsste dann aber § 275 Abs. 3 BGB
bejahen.
c) Die Städtischen Bühnen sind aber von der Pflicht zur Honorarzahlung nach § 326
Abs. 1 BGB nur befreit, wenn es keine anderweitige Sonderregelung gibt. Die
besteht aber, und zwar in § 326 Abs. 2 Fall 1 BGB. Danach bleibt die GmbH zur
Zahlung verpflichtet, wenn sie für den Bühnenunfall allein oder weit überwiegend
„verantwortlich“ ist. Verantwortlich sein ist im Ergebnis dasselbe wie das
Vertretenmüssen nach § 276 BGB. Deshalb kann zur Ausfüllung dieses Begriffs auf
§ 276 BGB zurückgegriffen werden. Das liegt auch, wenn der Gläubiger schuldhaft
nicht unmittelbar die Erfüllung verhindert, sondern seine Schutzpflicht nach § 241
Abs. 2 BGB verletzt und dadurch das Leistungshindernis ausgelöst hat. Die
Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt ergab sich aus der Nichteinhaltung der
Arbeitsschutzvorschriften. So liegt es hier: Die Treppe war vorschriftswidrig zu steil.
Folie 5
Eisglätte
K ist als Bergmann in einer Schachtanlage von U beschäftigt. Ein Viertel der Belegschaft wird nach
einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat mit Werksbussen zur Arbeit abgeholt. Am 23. Januar
hatte K Frühschicht. Wie üblich begab er sich an die Bushaltestelle. Er konnte jedoch nicht zur
Schachtanlage befördert werden, weil die im Werksverkehr eingesetzten Busse wegen eingetretenen
© Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015
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Glatteises nicht fahren konnten. Auch Taxen und die im öffentlichen Linienverkehr eingesetzten Busse
konnten an diesem Morgen wegen des Glatteises nicht verkehren. Nachdem K zweimal bei der
Schachtanlage angerufen hatte und ihm mitgeteilt worden war, dass die Busse nicht verkehren
könnten, begab er sich wieder nach Hause. Die ausgefallene Schicht konnte er nicht nacharbeiten. Sie
wurde ihm auch nicht vergütet. Was sagen Sie ihm als Gewerkschaftssekretär/in?
Hinweise zur Nachbereitung:
Der Fall ist dem Fall nachgebildet, der dem Urteil des BAG vom 8. 12. 1982 (4 AZR
134/80, BAGE 41, 123) zugrunde lag. K kann seinen Schichtlohn aus § 611 BGB
verlangen, wenn U nicht von seiner Vergütungspflicht befreit wurde. Dazu könnte es
nach § 326 Abs. 1 BGB gekommen sein, weil K nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner
Arbeitspflicht befreit war. Ein anderes ergäbe sich nur, wenn U die Eisglätte zu
vertreten hätte (§ 326 Abs. 2 Fall 1 BGB), sich im Annahmeverzug befand (§§ 326
Abs. 2 Fall 2, 615 Satz 1 BGB), wenn es um einen Fall von Betriebsgefahr (§ 615
Satz 3 BGB) gehandelt hätte oder wenn K aus persönlichen Gründen vorübergehend
an der Arbeitsleistung gehindert war (§ 616 Satz 1 BGB). Keine der Gründe liegt
vor. Für die Eisglätte kann K nichts. Es handelt sich auch nicht um eine
Betriebsgefahr, sondern um einen Witterungsnachteil, der alle traf. Annahmeverzug
liegt erst bei Nichtannahme der Arbeitsleistung am Schacht vor.
Daran ändert es auch nichts, dass er einen Werksbus stellte. Die
Betriebsvereinbarung hat nur die Gewährung eines Vorteils an die Arbeitnehmer
zum Inhalt. Es ginge zu weit, ihr eine Erweiterung der Betriebsgefahr oder eine
Veränderung des Erfüllungsorts zu entnehmen. Dafür spricht auch, dass nicht die
gesamte Belegschaft in den Genuss dieses Vorteils gelangt und sich dann
Verzerrungen innerhalb der Belegschaft ergäben.
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Der misslungene Flug
Flink buchte bei der Luftfahrtgesellschaft mbH Albatros für 1.000 € einen Flug von Cancun, Mexico,
nach Düsseldorf für den 3. 1. 2005. Am vorgesehenen Abflugtag teilte der Flugkapitän von Albatros
den Passagieren mit, ein Triebwerkschaden verhindere den Start, sie könnten in einem Hotel
übernachten. Da der Kl. aus terminlichen Gründen auf eine sofortige Weiterreise nach Deutschland
angewiesen war, buchte er einen Ersatzflug von Cancun über Miami nach Frankfurt a.M. mit Weiterflug
nach Düsseldorf. Für diesen Flug musste er 2.500 € aufwenden. Deren Ersatz lehnt auch nach
Fristsetzung Albatros ab. Zu Recht?
Hinweise zur Nachbereitung:
Der Fall ist dem Fall nachgebildet, der dem Urteil des OLG Düsseldorf vom Urteil
vom 13. 6. 1996 (18 U 174/95, NJW-RR 1997, 930) zugrunde lag. Der Anspruch
des Flink folgt entgegen dem OLG Düsseldorf nicht aus § 280 Abs. 1 und 3 i. V. m.
§ 283 BGB, weil er Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Voraussetzung dafür
ist eine Pflichtverletzung, die zur Leistungsbefreiung des anderen Teils geführt hat.
Die könnte hier in der Absage des Flugs liegen. Diese macht zwar den Transport
nicht unmöglich, den die Albatros ja auch durchführen will. Anders als das OLG
Düsseldorf meint, ist ein Flug auch kein absolutes Fixgeschäft (BGH, Urteil vom 28.
5. 2009 - Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743).
© Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015
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Vertretbar wäre aber die Annahme eines Anspruchs aus §§ 280 Abs. 1 und 3, 281
BGB. Die Albatros hat nämlich die Erfüllung durch Umbuchung abgelehnt. Das hat
die Albatros auch zu vertreten. Es sind zwar keine Anhaltspunkte dafür gegeben,
dass sie den Ausfall des Triebwerks zu vertreten hat. Sie durfte sich aber nicht
damit begnügen, die gestrandeten Fluggäste in einem Hotel unterzubringen. Ein
Linienflugunternehmen hat grundsätzlich zunächst einmal zu versuchen, den
Reisenden einen Weiterflug zu verschaffen, der hier möglich war. Das hat die
Albatros versäumt.
Folie 7
Der tropfende Wasserhahn
Im Bad der B tropft der Wasserhahn. Als ihr das stärker werdende Tropfen den Schlaf zu rauben
beginnt, beauftragte die B den Klempner K, das Tropfen abzustellen. K verspricht in der nächsten
Woche zu kommen. Das war am 15. Dezember 2007. Mitte März 2008 bittet B den K auf seinem
Anrufbeantworter und per E-Mail um Mitteilung, wann er endlich komme. Sie klagt Ihnen ihr Leid. Sie
kennen die Klempnerei Blech-Fix, die damit wirbt, jeden Auftrag innerhalb eines Tages zu erledigen.
Soll B dort sofort anrufen?
Variante: B hat sofort angerufen. Die Leute von Blech-Fix packen gerade zusammen, als K erscheint
und meint: „Dann brauche ich ja bloß noch die Rechnung zu schreiben.“ B ist empört und will von
Ihnen wissen, ob sie K wirklich bezahlen muss. Was sagen Sie?
Hinweise zur Nachbereitung:
Im Ausgangsfall muss die Möglichkeit der Variante gedanklich vorweggenommen
und gefragt werden, ob B doppelt zahlen müsste, wenn sie Blech-Fix bestellt. Das
ist der Fall. B musste K eine Frist setzen, was sie nicht getan hat. Sie ist im Übrigen
auch nicht nach Maßgabe von § 349 BGB vom Vertrag zurückgetreten. Daher muss
sie in der Variante doppelt zahlen (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 22. 9. 2004 VIII ZR 203/03, NJW-RR 2005, 357, 360). Im Ausgangsfall wäre ihr zu raten, erst
den K zur Leistung aufzufordern.
Technisch hat man zwei Wege, die Lösung aufzubauen. Man kann die Frage
aufwerfen, ob die B von dem ersten Werkvertrag zurücktreten kann. Dieser Ansatz
liegt näher, weil der Rücktritt kein Verschulden voraussetzt, seine Voraussetzungen
also tendenziell leichter zu erfüllen sind. Man kann aber auch die Frage stellen, ob
die B Ersatz der Kosten für den zweiten Auftrag ersetzt bekommt, also ob sie
Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann, wenn sie Blech-Fix beauftragt.
Sowohl nach § 323 Abs. 1 BGB als auch nach § 280 Abs. 1, 3 mit § 281 Abs. 1 BGB
stellt sich die Frage, ob die B dem K die erforderliche Frist gesetzt hat. Das ist nicht
der Fall. Ihr Anruf reicht als Fristsetzung nicht aus. Zwar muss der Gläubiger keine
bestimmte Frist bezeichnen; es genügt, dass er unverzügliche Leistung verlangt
(BGH, Urteil vom 12. 8. 2009 - VIII ZR 254/08, NJW 2009, 3153 Rn. 10 f.). Diesen
Grad an Entschiedenheit weist die Nachfrage der B aber nicht auf. Also fehlt es an
der Fristsetzung. Sie könnte weder zurücktreten noch Schadensersatz statt der
Leistung verlangen. Sie müsste also doppelt zahlen. Nichts anderes ergäbe sich,
wenn sie den Reparaturauftrag nach § 649 BGB kündigte.
© Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015
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Wir hatten uns klargemacht, dass die Erleichterung bei der Fristsetzung dem
Gläubiger nur scheinbar einen Vorteil bringt. Die Aufforderungen zur unverzüglichen
Leistungserbringung setzt – nicht anders als die zu kurze Frist – die objektiv
angemessene Frist in Gang. Tritt der Gläubiger zu einem Zeitpunkt zurück, in dem
diese in Wirklichkeit noch nicht abgelaufen ist, ist der Rücktritt unbegründet. Er
müsste ihn wiederholen – wenn er das in Anbetracht der Verjährungsfrist nach
§ 218 BGB noch kann.
Folie 8
Die geplatzte Tournee
Die beklagte Konzertveranstalterin hatte den Kläger, der ein Unternehmen für Beleuchtungstechnik und
Lichtdesign betreibt, beauftragt, die Ausleuchtung und Lichtdesign bei den 10 Konzerten der Tournee
der Pop-Gruppe „Rockmäuse“ zu übernehmen. Er sollte für jeden Aufbau- Proben und Konzertabend
225 € erhalten. Die Tournee kam nicht zustande, weil sich die Rockmäuse zerstritten. Wie entscheiden
Sie?
Hinweise zur Nachbereitung:
Der Fall ist dem Fall nachgebildet, der dem Urteil des BGH vom 18. 10. 2001 (III ZR
265/00, NJW 2002, 595) zugrunde lag. Die Konzertveranstalterin muss den
Beleuchter bezahlen, obwohl die Tournee geplatzt ist, wenn sie dafür verantwortlich
ist §§ 631, 326 Abs. 2 BGB. Vorsatz oder Fahrlässigkeit trifft sie nicht. Das hilft ihr
nach § 276 Abs. 1 BGB aber nicht, weil das Platzen der Tournee ein Umstand aus
ihrer Risikosphäre ist, für den sie die Verantwortung (stillschweigend) übernommen
hat.
Folie 9
Der gestohlene Porsche
K kauft bei V einen Porsche für 45.000 €. Da er im Moment etwas klamm ist, vereinbart er mit V, dass
er den Kaufpreis in vierteljährlichen Raten zu je 9.000 € abzahlen darf. V behält sich im Gegenzug das
Eigentum bis zur vollständigen Zahlung vor. Nach einem Jahr wird der Wagen gestohlen. Die Polizei
meint, das Fahrzeug sei im Ausland und nicht mehr auffindbar. K will jedenfalls die restlichen raten
nicht mehr zahlen. Das sieht V anders und beauftragt sie mit der Beantragung eines Mahnbescheids.
Was tun Sie?
Hinweise zur Nachbereitung:
Der Mahnbescheid könnte beantragt werden, wenn der K von seiner Zahlungspflicht
nicht befreit worden ist. Dazu könnte es nach § 326 Abs. 1 BGB gekommen sein,
weil der Porsche gestohlen und unauffindbar ist. Das setzt voraus, dass dem V
dadurch die Erfüllung seiner Verkäuferpflichten unmöglich geworden ist. Das ist
nicht der Fall. Nach BGH Urteil vom 11. 6. 1960 - V ZR 200/58, MDR 1960, 1004)
ändert der spätere Fortfall des Besitzes bei einer ansonsten vollständigen bedingten
Übereignung nichts am Eigentumsübergang mit Eintritt der Bedingung. Allerdings
wird auch vertreten, dass dies „unbelasteten“ Besitz voraussetzte (OLG
Saarbrücken, Urteil vom 14. 12. 1966 - 1 U 105/66, OLGZ 1967, 1, 9). Ob der
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Besitz von K im Hinblick auf das Rücktrittsrecht des V nach § 449 BGB bei
Ausbleiben von Raten in diesem Sinne belastet ist, scheint mir zweifelhaft, kann
aber offen bleiben. Wenn nämlich deshalb die Übereignung unmöglich geworden
sein sollte, würde K nach § 326 Abs. 2 BGB nur frei, wenn er diesen Umstand nicht
zu vertreten hätte. Das wäre aber der Fall. K hat zwar nach dem Sachverhalt weder
vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt. Ihn trifft aber ein erhöhtes Risiko, weil V ihm
das Fahrzeug übergeben hat, § 446 S. 1 BGB. Der gälte auch beim
Verbrauchsgüterkauf, § 474 Abs. 2 BGB, so dass es darauf hier nicht ankommt.
Folie 10
Unfall bei der Probefahrt
V verkauft dem K unter Ausschluss jeder Gewährleistung sein gebrauchtes Segelboot mit Hilfsmotor für
15.000 €. Die beiden vereinbaren, dass Bezahlung und Übergabe zum Ende der Segelsaison am 31.
Oktober 2007 im gemeinsamen Yachtclub stattfinden sollen. Im August möchte K mit dem Boot an
einer Regatta teilnehmen, die V nicht wahrnehmen kann, weil er in Urlaub ist. Damit ist V
einverstanden. Am Ende der Regatta rammt K mit dem Boot den Steg im Hafen des Yachtclubs. Eine
Überprüfung ergibt, dass K einen schweren Fahrfehler begangen hat, aber zu dem Unfall im Umfang
von 1/5 auch ein Defekt am Hilfsmotor beigetragen hat. V ist verärgert und besteht auf vollständiger
Zahlung. Was raten Sie ihm?
Hinweise zur Nachbereitung:
Ein entschiedenes, wenn auch etwas kompliziertes Beispiel bietet der Fall OLG
Frankfurt/Main, Urteil vom 9. 9. 1992 - 21 U 69/91, NJW-RR 1995, 435, an den sich
dieser Fall entfernt anlehnt.
1. Der Ansatz ist nicht ganz einfach. Klar ist, dass Grundlage des
Zahlungsanspruchs des V § 433 Abs. 2 BGB ist. Dann aber wird es etwas
komplizierter:
a) Als Folge des Unfalls ist das Segelboot beschädigt. Diese Beschädigung lässt sich
nicht folgenfrei beseitigen. Die Frage ist, wie man diesen Umstand bewertet.
b) ME führt sie dazu, dass das versprochene Segelboot, nämlich ein gebrauchtes
Boot in dem Zustand unseres Boots bei Verkauf, als solches nicht mehr geliefert und
übereignet werden kann. Das wiederum bedeutet, dass die Leistung insgesamt nicht
mehr erbracht werden kann.
c) Man könnte die Folge der Beschädigung aber auch als Unmöglichkeit der
Nachbesserung ansehen. Dann verläuft die Prüfung anders.
2. Annahme 1: Die Leistung ist als solche unmöglich
a) Der Kaupreisanspruch des V aus § 433 Abs. 2 BGB könnte nach § 326 Abs. 1
Satz 1 BGB entfallen sein. Voraussetzung hierfür ist, dass er von seiner
Verpflichtung zur Lieferung des Boots befreit ist. Das ist er. V kann das Segelboot
nämlich nicht mehr vertragsgemäß übereignen, weil es beschädigt ist.
© Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015
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b) Auf die aus der Befreiung von der Sachleistung folgende Befreiung von der Pflicht
zur Kaufpreiszahlung darf sich K aber nach § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht berufen,
wenn er den Umstand, der den V von seiner Leistungspflicht befreite, allein oder
weit überwiegend zu verantworten hat. Das ist nicht der Fall. V hat nämlich den
Umstand zu 20% zu verantworten. Damit ist K nicht weit überwiegend, sondern
„nur“ überwiegend verantwortlich.
c) Die Frage ist, ob und in welcher Weise § 326 Abs. 2 BGB auf eine solche
Fallgestaltung analog angewendet werden kann.
aa) Voraussetzung hierfür ist eine Lücke. Diese tritt in den eigentlichen
Gesetzesmaterialien, nämlich der Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucks.
14/6040 S. 189 – Fraktionsentwurf, identisch mit dem Regierungsentwurf in BTDrucks 14/6857 und Beschlussempfehlung der Ausschüsse in BT-Drucks. 14/7052
S. 189, nicht zutage, wohl aber in dem vorausgegangenen Diskussionsentwurf des
federführenden Bundesministeriums der Justiz. Dort war der heutige § 326 Abs. 2
BGB noch als Grund für den Ausschluss des Rücktrittsrecht konstruiert und, anders
als nach § 324 Abs. 2 BGB aF, nicht mehr für jedes Verschulden gelten, sondern nur
für überwiegendes Verschulden. Bei geringfügigem Verschulden sollte der Rücktritt
erhalten bleiben. Das lässt ungeregelt, was bei anderem Grad des Verschuldens
gelten soll.
bb) Wie die Lücke zu schließen ist, ist streitig.
(1) Nach einer Meinung soll § 326 Abs. 2 BGB uneingeschränkt angewendet werden.
Die Folge davon ist, dass K uneingeschränkt zur Kaufpreiszahlung verpflichtet
bleibt.
(2) Nach einer zweiten Meinung soll § 326 Abs. 2 BGB eingeschränkt analog
angewendet, nämlich soweit der Verantwortungsbeitrag des Gläubigers reicht. Im
vorliegenden Fall bedeutete das, dass K zu 80% zur Kaufpreiszahlung verpflichtet
bleibt.
(3) Nach einer dritten Meinung ist § 326 Abs. 2 BGB nicht analog anwendbar. Die
Folge davon wäre, dass K gar nicht mehr zur Kaufpreiszahlung verpflichtet ist.
cc) ME sprechen die besseren Argumente für die zweite Lösung. Sie vollzieht sich
selbst und macht ergänzende Überlegungen für ein gerechtes Ergebnis entbehrlich.
(1) Bei der ersten Lösung muss K mehr zahlen als sachlich gerechtfertigt ist. Diese
Ungerechtigkeit lässt sich nur ausgleichen, wenn dem K gegen V ein
Schadensersatzanspruch zusteht. Hier lässt sich ein solcher Anspruch im Hinblick
auf einen unterlassenen Hinweis auf den Motorschaden aus § 280 Abs. 1 BGB iVm
§ 241 Abs. 2 BGB ableiten. Das muss aber nicht immer so sein. Dann bleibt es bei
dem ungerechten Ergebnis.
(2) Bei der dritten Lösung bekommt V weniger als ihm der Sache nach zusteht, weil
sein Kaufpreisanspruch vollständig entfällt, obwohl die Ursache hierfür überwiegend
von dem Käufer gesetzt worden ist. Auch diese Ungerechtigkeit lässt sich nur durch
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einen Anspruch auf Schadensersatz ausgleichen. Dabei müsste es sich um einen
Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach § 280 Abs. 1, 3, § 283 BGB
handeln. Der ließe sich hier darstellen. Denn K kann dem V das entliehene Boot
nicht so zurückgeben, wie es ihm überlassen worden ist. Er haftet deshalb auf
Schadensersatz statt der Leistung, weil er seine Rückgabepflicht nach § 604 Abs. 1
BGB nicht erfüllen kann. Dafür ist es unerheblich, ob man in der Überlassung eine
eigenständige Leihe oder eine Leihenebenpflicht aus dem Kaufvertrag sieht. Aber
auch diese Lösungsmöglichkeit ist nicht immer gegeben.
3. Annahme 2: Unmöglichkeit der Nacherfüllung
a) In dieser Alternative entfällt der Kaufpreisanspruch nicht nach § 326 Abs. 1 Satz
1, weil eine Leistungsbefreiung dann nach § 326 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen
ist. K könnte dem V aber nicht nach § 320 BGB entgegenhalten, dass er das
Segelboot nicht mehr in vertragsgemäßem Zustand liefern kann. Denn dazu ist V
nach § 275 BGB nicht verpflichtet. K könnte deshalb nur von seinen Mängelrechten
nach § 437 BGB Gebrauch machen. Das ergibt folgendes:
b) K könnte den Rücktritt wählen. Der ist aber nach § 437 Nr. 2 iVm § 323 Abs. 6
BGB ausgeschlossen, wenn K für ihn allein oder weit überwiegend verantwortlich ist.
Es stellt sich also das gleiche Problem wie bei § 326 Abs. 2 BGB. Das gleiche gilt
nach § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Minderung, weil sie an die Stelle des
Rücktritts tritt und nur gegeben ist, wenn der Rücktritt möglich wäre.
c) Anders ist es, wenn K Schadensersatz statt der Leistung wählt. Denn könnte er
wählen, allerdings nur unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens nach § 254
Abs. 1 BGB.
d) Die Unterschiedlichkeit der Rechtsbehelfe legt aber nahe, § 326 Abs. 6 BGB auf
den Fall der „nur“ überwiegenden Verantwortlichkeit entweder uneingeschränkt oder
unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils entsprechend anzuwenden.
Andernfalls entstünde ein Wertungswiderspruch zwischen Rücktritt oder Minderung
einerseits und Schadensersatz statt der Leistung andererseits.
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