1 Johanna Schmidt-Räntsch Vorlesung Leistungsstörungsrecht 23. November 2015 Nachbereitung Folie 2 Der oberschlaue Käufer Schmitz errichtet auf seinem Grundstück einen Supermarkt. Sein Nachbar Müller erlaubt ihm, aufgrund eines befristeten Mietvertrags mit Verlängerungsklausel, für 100€ monatlich ein 40 m2 großes Stück seines Hofs mit einem Lagerraum für den Supermarkt zu bebauen. Schlau kauft das Grundstück des Schmitz, stellt die Mietzahlungen nach drei Monaten ein und lehnt es ab, in den Mietvertrag einzutreten, den Müller darauf kündigt. Müller verlangt von Schlau Herausgabe der Hoffläche und den Abbruch des Lagerraums. Schlau ist entsetzt. Ohne Lagerraum sei der Supermarkt nicht vermietbar. Außerdem koste der Abbruch 50.000 € und damit mehr als die belegte Fläche wert sei. Was meinen Sie? Hinweise zur Nachbereitung: Der Fall ist der Entscheidung BGH, Urt. v. 30. 5. 2008 – V ZR 184/07, NJW 2008, 3122, nachgebildet. Der Anspruch von Müller folgt aus § 1004 BGB. Zwar hat Schmitz einen Überbau errichtet. Dieser würde nach § 912 BGB auch zum Besitz berechtigen und damit einem Anspruch aus § 1004 BGB entgegenstehen (BGH, Urt. v. 17. 9. 1958 - V ZR 63/58, NJW 1958, 2061). In das Besitzrecht wäre Schlau auch eingetreten, da er den Supermarkt mit dem Lagerraum erworben hat. Das Besitzrecht durch Überbau ist aber von vornherein befristet gewesen und mit dem Ende des Mietvertrags entfallen (BGH, Urt. v. 26. 1. 2004 – V ZR 243/03, BGHZ 157, 301). Damit stellt sich nur die Frage, ob Schlau dem Müller § 275 Abs. 2 BGB entgegenhalten kann. Das ist zu verneinen. Schlau hat die Lage durch sein eigenes uneinsichtiges Handeln selbst herbeigeführt, was nach § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB zu seinen Lasten geht. Folie 3 Kinobau mit Hindernissen Der Kläger kaufte 1983 von seinem damaligen Nachbarn eine von dessen Grundstück abzutrennende Teilfläche, auf dem sich ein damals zu Wohnzwecken genutztes Hinterhaus befand. Wie in dem Grundstückskaufvertrag vereinbart, wurde zugunsten des Klägers ein Wegerecht eingetragen. Das Hinterhaus verfällt, weil der Mieter 984 auszog und es nicht gelang, andere Mieter zu finden. Das Wegerecht wurde seit dieser Zeit ebenfalls nicht mehr ausgeübt. Der Beklagte erwarb in der Zwangsversteigerung Juni 2004 das vordere Grundstück, wobei in dem Zuschlagsbeschluss auf das Fortbestehen des Wegerechts hingewiesen wird. Er begann in August/September 2005 mit einem Kinoneubau unter Einbeziehung der für das Wegerecht genutzten Fläche zu bebauen. Nach Fertigstellung des Rohbaus verlangte der Kläger Dezember 2005 den Rückbau im Bereich des Wegerechts. Zu Recht? © Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015 2 Hinweise zur Nachbereitung: Der Fall ist dem Fall BGH, Urt. v. 18. 7. 2008 – V ZR 171/07, NJW 2008, 3123 nachempfunden. Der Kläger kann nach §§ 1027, 1004 Abs. 1 BGB von dem Beklagten die Beseitigung der Beeinträchtigung seiner Dienstbarkeit und dazu den teilweisen Abbruch des Kinos verlangen. Der damit verbundene Aufwand steht auf den ersten Blick zu seinem auch angesichts der geringfügigen Nutzung der Dienstbarkeit in einem mit den Geboten von Treu und Glauben nicht mehr zu vereinbarenden groben Missverhältnis. Das könnte den Beklagten nach § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB berechtigen, den Abbruch zu verweigern. Bei der Abwägung ist aber nach § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB zu berücksichtigen, dass der Beklagten den Zustand vorsätzlich herbeigeführt hat, in dem er die Dienstbarkeit ignoriert hat. Muss dann aber nicht auch berücksichtigt werden, dass die Verletzung der Dienstbarkeit offensichtlich war und der der Kläger selbst zunächst nicht eingeschritten ist und der Verletzung seiner Dienstbarkeit nicht widersprochen hat? Ein solchen Widerspruch verlangt das Gesetz allerdings normalerweise nur bei einem entschuldigten Überbau analog § 912 Abs. 1 BGB. Hier liegt ein entschuldigter Überbau aber nicht vor, weil der Beklagte die Ausübungsfläche der Dienstbarkeit vorsätzlich überbaut hat. Das ändert aber nichts daran, dass die Überbauung offensichtlich war und der Kläger den Beklagten „ins offen Messer hat laufen lassen“. Dieser Gesichtspunkt kann nicht unmittelbar nach § 254 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden, weil § 1004 Abs. 1 BGB ein Verschulden nicht voraussetzt und der Kläger die Beseitigung des Wegs nicht mit verursacht hat. Es kommt aber eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 254 Abs. 1 BGB in Betracht, weil in Betracht, weil § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB bei der Frage nach dem groben Missverhältnis auch Verschuldenselemente berücksichtigt. Das soll und darf nicht einseitig zu Lasten des Schuldners geschehen. Wenn auch den Gläubiger des Anspruchs ein Verschulden trifft, muss das in gleicher Weise zu seinen Lasten berücksichtigt werden. Das kann dazu führen, dass sich die beiderseitigen Verschuldensanteile gegenseitig aufheben. Dann bleibt es im Ergebnis bei § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB. So liegt es hier. Der Beklagte muss sein Kino nicht abreißen. Er schuldet aber nach § 823 Abs. 1, § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz für den verlorenen Weg. Folie 4 Die wundersame Schustersfrau Die Städtische Bühnen Bonn GmbH schließt mit der Sängerin Irmi Laut einen Gastspielvertrag, demzufolge Frau Laut gegen ein Honorar von 5.000 € die Partie der Schusterfrau in „Die wundersame Schustersfrau" für voraussichtlich 8 Aufführungen in der Zeit vom Dezember bis Februar des folgenden Jahres verpflichtet wurde. Probenbeginn für das Engagement war Mitte November. Während einer Abendprobe zur Oper „Die wundersame Schustersfrau" Ende November erlitt Frau Laut einen schweren Unfall, als sie von dem oberen Ende einer zu steil ausgeführten Kulissentreppe abstürzte. Sie erlitt erhebliche Verletzungen, musste länger im Krankenhaus behandelt werden und bis Ende März arbeitsunfähig krank. Frau Laut verlangt das vereinbarte Honorar. Die Bühnen will ihr nur Verletztengeld in Höhe von 1.500€ zahlen. Wie würden Sie entscheiden? © Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015 3 Hinweise zur Nachbereitung: Der Fall ist dem Fall nachgebildet, den das Bühnenoberschiedsgericht mit Beschluss vom 21. 3. 1994 (BO Sch 12/94, NJW 1995, 903) entschieden hat. 1. Als Anspruchsgrundlage käme zunächst § 611 BGB in Betracht. Die Norm setzt voraus, dass der Gastspielvertag als Dienst- oder Arbeitsvertrag zu qualifizieren ist. Dafür spricht, dass Frau Laut eine Dienstleistung schuldet. Dagegen spricht aber, dass sie nicht einfach nur singen und schaupielern, sondern an 8 Aufführungen eine ganz bestimmte Partie singen soll und dafür, wie man salopp sagt, „eingekauft“ worden ist. Das spricht für die Einordnung als Werkvertrag. 2. Anspruchsgrundlage ist deshalb § 631. a) Danach würde Frau Laut von den Städtischen Bühnen das vereinbarte Honorar verlangen können. Fällig ist der Anspruch nach § 641 BGB an sich nur nach erfolgter Abnahme. Diese würde nach § 646 BGB durch die Vollendung ersetzt, weil man eine zu singenden Opernpartie schlecht abnehmen kann. Sie kann man nur fertig singen. Das geht aber jetzt nicht mehr. Wenn Frau Laut dennoch Honorar verlangen kann, kommt es auf die Vollendung auch nicht mehr an, weil die Vorschrift des § 646 BGB durch die Vorschrift über die Verpflichtung zur Honorarzahlung trotz Nichterbringung der Leistung verdrängt wird. b) An sich sind die Städtischen Bühnen nach § 326 Abs. 1 BGB von ihrer Pflicht zur Honorarzahlung frei geworden, weil Frau Laut die übernommene Partie nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB nicht mehr singen muss. Man kann das damit begründen, dass sie nicht nur singen, sondern auch die Rolle spielen soll. Singen könnte sie noch, die Rolle spielen aber nicht mehr. Dann liegt § 275 Abs. 1 BGB (subjektive Unmöglichkeit) vor. Wer das anders sieht, müsste dann aber § 275 Abs. 3 BGB bejahen. c) Die Städtischen Bühnen sind aber von der Pflicht zur Honorarzahlung nach § 326 Abs. 1 BGB nur befreit, wenn es keine anderweitige Sonderregelung gibt. Die besteht aber, und zwar in § 326 Abs. 2 Fall 1 BGB. Danach bleibt die GmbH zur Zahlung verpflichtet, wenn sie für den Bühnenunfall allein oder weit überwiegend „verantwortlich“ ist. Verantwortlich sein ist im Ergebnis dasselbe wie das Vertretenmüssen nach § 276 BGB. Deshalb kann zur Ausfüllung dieses Begriffs auf § 276 BGB zurückgegriffen werden. Das liegt auch, wenn der Gläubiger schuldhaft nicht unmittelbar die Erfüllung verhindert, sondern seine Schutzpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt und dadurch das Leistungshindernis ausgelöst hat. Die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt ergab sich aus der Nichteinhaltung der Arbeitsschutzvorschriften. So liegt es hier: Die Treppe war vorschriftswidrig zu steil. Folie 5 Eisglätte K ist als Bergmann in einer Schachtanlage von U beschäftigt. Ein Viertel der Belegschaft wird nach einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat mit Werksbussen zur Arbeit abgeholt. Am 23. Januar hatte K Frühschicht. Wie üblich begab er sich an die Bushaltestelle. Er konnte jedoch nicht zur Schachtanlage befördert werden, weil die im Werksverkehr eingesetzten Busse wegen eingetretenen © Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015 4 Glatteises nicht fahren konnten. Auch Taxen und die im öffentlichen Linienverkehr eingesetzten Busse konnten an diesem Morgen wegen des Glatteises nicht verkehren. Nachdem K zweimal bei der Schachtanlage angerufen hatte und ihm mitgeteilt worden war, dass die Busse nicht verkehren könnten, begab er sich wieder nach Hause. Die ausgefallene Schicht konnte er nicht nacharbeiten. Sie wurde ihm auch nicht vergütet. Was sagen Sie ihm als Gewerkschaftssekretär/in? Hinweise zur Nachbereitung: Der Fall ist dem Fall nachgebildet, der dem Urteil des BAG vom 8. 12. 1982 (4 AZR 134/80, BAGE 41, 123) zugrunde lag. K kann seinen Schichtlohn aus § 611 BGB verlangen, wenn U nicht von seiner Vergütungspflicht befreit wurde. Dazu könnte es nach § 326 Abs. 1 BGB gekommen sein, weil K nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Arbeitspflicht befreit war. Ein anderes ergäbe sich nur, wenn U die Eisglätte zu vertreten hätte (§ 326 Abs. 2 Fall 1 BGB), sich im Annahmeverzug befand (§§ 326 Abs. 2 Fall 2, 615 Satz 1 BGB), wenn es um einen Fall von Betriebsgefahr (§ 615 Satz 3 BGB) gehandelt hätte oder wenn K aus persönlichen Gründen vorübergehend an der Arbeitsleistung gehindert war (§ 616 Satz 1 BGB). Keine der Gründe liegt vor. Für die Eisglätte kann K nichts. Es handelt sich auch nicht um eine Betriebsgefahr, sondern um einen Witterungsnachteil, der alle traf. Annahmeverzug liegt erst bei Nichtannahme der Arbeitsleistung am Schacht vor. Daran ändert es auch nichts, dass er einen Werksbus stellte. Die Betriebsvereinbarung hat nur die Gewährung eines Vorteils an die Arbeitnehmer zum Inhalt. Es ginge zu weit, ihr eine Erweiterung der Betriebsgefahr oder eine Veränderung des Erfüllungsorts zu entnehmen. Dafür spricht auch, dass nicht die gesamte Belegschaft in den Genuss dieses Vorteils gelangt und sich dann Verzerrungen innerhalb der Belegschaft ergäben. Folie 6 Der misslungene Flug Flink buchte bei der Luftfahrtgesellschaft mbH Albatros für 1.000 € einen Flug von Cancun, Mexico, nach Düsseldorf für den 3. 1. 2005. Am vorgesehenen Abflugtag teilte der Flugkapitän von Albatros den Passagieren mit, ein Triebwerkschaden verhindere den Start, sie könnten in einem Hotel übernachten. Da der Kl. aus terminlichen Gründen auf eine sofortige Weiterreise nach Deutschland angewiesen war, buchte er einen Ersatzflug von Cancun über Miami nach Frankfurt a.M. mit Weiterflug nach Düsseldorf. Für diesen Flug musste er 2.500 € aufwenden. Deren Ersatz lehnt auch nach Fristsetzung Albatros ab. Zu Recht? Hinweise zur Nachbereitung: Der Fall ist dem Fall nachgebildet, der dem Urteil des OLG Düsseldorf vom Urteil vom 13. 6. 1996 (18 U 174/95, NJW-RR 1997, 930) zugrunde lag. Der Anspruch des Flink folgt entgegen dem OLG Düsseldorf nicht aus § 280 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 283 BGB, weil er Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Voraussetzung dafür ist eine Pflichtverletzung, die zur Leistungsbefreiung des anderen Teils geführt hat. Die könnte hier in der Absage des Flugs liegen. Diese macht zwar den Transport nicht unmöglich, den die Albatros ja auch durchführen will. Anders als das OLG Düsseldorf meint, ist ein Flug auch kein absolutes Fixgeschäft (BGH, Urteil vom 28. 5. 2009 - Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743). © Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015 5 Vertretbar wäre aber die Annahme eines Anspruchs aus §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB. Die Albatros hat nämlich die Erfüllung durch Umbuchung abgelehnt. Das hat die Albatros auch zu vertreten. Es sind zwar keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sie den Ausfall des Triebwerks zu vertreten hat. Sie durfte sich aber nicht damit begnügen, die gestrandeten Fluggäste in einem Hotel unterzubringen. Ein Linienflugunternehmen hat grundsätzlich zunächst einmal zu versuchen, den Reisenden einen Weiterflug zu verschaffen, der hier möglich war. Das hat die Albatros versäumt. Folie 7 Der tropfende Wasserhahn Im Bad der B tropft der Wasserhahn. Als ihr das stärker werdende Tropfen den Schlaf zu rauben beginnt, beauftragte die B den Klempner K, das Tropfen abzustellen. K verspricht in der nächsten Woche zu kommen. Das war am 15. Dezember 2007. Mitte März 2008 bittet B den K auf seinem Anrufbeantworter und per E-Mail um Mitteilung, wann er endlich komme. Sie klagt Ihnen ihr Leid. Sie kennen die Klempnerei Blech-Fix, die damit wirbt, jeden Auftrag innerhalb eines Tages zu erledigen. Soll B dort sofort anrufen? Variante: B hat sofort angerufen. Die Leute von Blech-Fix packen gerade zusammen, als K erscheint und meint: „Dann brauche ich ja bloß noch die Rechnung zu schreiben.“ B ist empört und will von Ihnen wissen, ob sie K wirklich bezahlen muss. Was sagen Sie? Hinweise zur Nachbereitung: Im Ausgangsfall muss die Möglichkeit der Variante gedanklich vorweggenommen und gefragt werden, ob B doppelt zahlen müsste, wenn sie Blech-Fix bestellt. Das ist der Fall. B musste K eine Frist setzen, was sie nicht getan hat. Sie ist im Übrigen auch nicht nach Maßgabe von § 349 BGB vom Vertrag zurückgetreten. Daher muss sie in der Variante doppelt zahlen (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 22. 9. 2004 VIII ZR 203/03, NJW-RR 2005, 357, 360). Im Ausgangsfall wäre ihr zu raten, erst den K zur Leistung aufzufordern. Technisch hat man zwei Wege, die Lösung aufzubauen. Man kann die Frage aufwerfen, ob die B von dem ersten Werkvertrag zurücktreten kann. Dieser Ansatz liegt näher, weil der Rücktritt kein Verschulden voraussetzt, seine Voraussetzungen also tendenziell leichter zu erfüllen sind. Man kann aber auch die Frage stellen, ob die B Ersatz der Kosten für den zweiten Auftrag ersetzt bekommt, also ob sie Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann, wenn sie Blech-Fix beauftragt. Sowohl nach § 323 Abs. 1 BGB als auch nach § 280 Abs. 1, 3 mit § 281 Abs. 1 BGB stellt sich die Frage, ob die B dem K die erforderliche Frist gesetzt hat. Das ist nicht der Fall. Ihr Anruf reicht als Fristsetzung nicht aus. Zwar muss der Gläubiger keine bestimmte Frist bezeichnen; es genügt, dass er unverzügliche Leistung verlangt (BGH, Urteil vom 12. 8. 2009 - VIII ZR 254/08, NJW 2009, 3153 Rn. 10 f.). Diesen Grad an Entschiedenheit weist die Nachfrage der B aber nicht auf. Also fehlt es an der Fristsetzung. Sie könnte weder zurücktreten noch Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Sie müsste also doppelt zahlen. Nichts anderes ergäbe sich, wenn sie den Reparaturauftrag nach § 649 BGB kündigte. © Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015 6 Wir hatten uns klargemacht, dass die Erleichterung bei der Fristsetzung dem Gläubiger nur scheinbar einen Vorteil bringt. Die Aufforderungen zur unverzüglichen Leistungserbringung setzt – nicht anders als die zu kurze Frist – die objektiv angemessene Frist in Gang. Tritt der Gläubiger zu einem Zeitpunkt zurück, in dem diese in Wirklichkeit noch nicht abgelaufen ist, ist der Rücktritt unbegründet. Er müsste ihn wiederholen – wenn er das in Anbetracht der Verjährungsfrist nach § 218 BGB noch kann. Folie 8 Die geplatzte Tournee Die beklagte Konzertveranstalterin hatte den Kläger, der ein Unternehmen für Beleuchtungstechnik und Lichtdesign betreibt, beauftragt, die Ausleuchtung und Lichtdesign bei den 10 Konzerten der Tournee der Pop-Gruppe „Rockmäuse“ zu übernehmen. Er sollte für jeden Aufbau- Proben und Konzertabend 225 € erhalten. Die Tournee kam nicht zustande, weil sich die Rockmäuse zerstritten. Wie entscheiden Sie? Hinweise zur Nachbereitung: Der Fall ist dem Fall nachgebildet, der dem Urteil des BGH vom 18. 10. 2001 (III ZR 265/00, NJW 2002, 595) zugrunde lag. Die Konzertveranstalterin muss den Beleuchter bezahlen, obwohl die Tournee geplatzt ist, wenn sie dafür verantwortlich ist §§ 631, 326 Abs. 2 BGB. Vorsatz oder Fahrlässigkeit trifft sie nicht. Das hilft ihr nach § 276 Abs. 1 BGB aber nicht, weil das Platzen der Tournee ein Umstand aus ihrer Risikosphäre ist, für den sie die Verantwortung (stillschweigend) übernommen hat. Folie 9 Der gestohlene Porsche K kauft bei V einen Porsche für 45.000 €. Da er im Moment etwas klamm ist, vereinbart er mit V, dass er den Kaufpreis in vierteljährlichen Raten zu je 9.000 € abzahlen darf. V behält sich im Gegenzug das Eigentum bis zur vollständigen Zahlung vor. Nach einem Jahr wird der Wagen gestohlen. Die Polizei meint, das Fahrzeug sei im Ausland und nicht mehr auffindbar. K will jedenfalls die restlichen raten nicht mehr zahlen. Das sieht V anders und beauftragt sie mit der Beantragung eines Mahnbescheids. Was tun Sie? Hinweise zur Nachbereitung: Der Mahnbescheid könnte beantragt werden, wenn der K von seiner Zahlungspflicht nicht befreit worden ist. Dazu könnte es nach § 326 Abs. 1 BGB gekommen sein, weil der Porsche gestohlen und unauffindbar ist. Das setzt voraus, dass dem V dadurch die Erfüllung seiner Verkäuferpflichten unmöglich geworden ist. Das ist nicht der Fall. Nach BGH Urteil vom 11. 6. 1960 - V ZR 200/58, MDR 1960, 1004) ändert der spätere Fortfall des Besitzes bei einer ansonsten vollständigen bedingten Übereignung nichts am Eigentumsübergang mit Eintritt der Bedingung. Allerdings wird auch vertreten, dass dies „unbelasteten“ Besitz voraussetzte (OLG Saarbrücken, Urteil vom 14. 12. 1966 - 1 U 105/66, OLGZ 1967, 1, 9). Ob der © Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015 7 Besitz von K im Hinblick auf das Rücktrittsrecht des V nach § 449 BGB bei Ausbleiben von Raten in diesem Sinne belastet ist, scheint mir zweifelhaft, kann aber offen bleiben. Wenn nämlich deshalb die Übereignung unmöglich geworden sein sollte, würde K nach § 326 Abs. 2 BGB nur frei, wenn er diesen Umstand nicht zu vertreten hätte. Das wäre aber der Fall. K hat zwar nach dem Sachverhalt weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt. Ihn trifft aber ein erhöhtes Risiko, weil V ihm das Fahrzeug übergeben hat, § 446 S. 1 BGB. Der gälte auch beim Verbrauchsgüterkauf, § 474 Abs. 2 BGB, so dass es darauf hier nicht ankommt. Folie 10 Unfall bei der Probefahrt V verkauft dem K unter Ausschluss jeder Gewährleistung sein gebrauchtes Segelboot mit Hilfsmotor für 15.000 €. Die beiden vereinbaren, dass Bezahlung und Übergabe zum Ende der Segelsaison am 31. Oktober 2007 im gemeinsamen Yachtclub stattfinden sollen. Im August möchte K mit dem Boot an einer Regatta teilnehmen, die V nicht wahrnehmen kann, weil er in Urlaub ist. Damit ist V einverstanden. Am Ende der Regatta rammt K mit dem Boot den Steg im Hafen des Yachtclubs. Eine Überprüfung ergibt, dass K einen schweren Fahrfehler begangen hat, aber zu dem Unfall im Umfang von 1/5 auch ein Defekt am Hilfsmotor beigetragen hat. V ist verärgert und besteht auf vollständiger Zahlung. Was raten Sie ihm? Hinweise zur Nachbereitung: Ein entschiedenes, wenn auch etwas kompliziertes Beispiel bietet der Fall OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 9. 9. 1992 - 21 U 69/91, NJW-RR 1995, 435, an den sich dieser Fall entfernt anlehnt. 1. Der Ansatz ist nicht ganz einfach. Klar ist, dass Grundlage des Zahlungsanspruchs des V § 433 Abs. 2 BGB ist. Dann aber wird es etwas komplizierter: a) Als Folge des Unfalls ist das Segelboot beschädigt. Diese Beschädigung lässt sich nicht folgenfrei beseitigen. Die Frage ist, wie man diesen Umstand bewertet. b) ME führt sie dazu, dass das versprochene Segelboot, nämlich ein gebrauchtes Boot in dem Zustand unseres Boots bei Verkauf, als solches nicht mehr geliefert und übereignet werden kann. Das wiederum bedeutet, dass die Leistung insgesamt nicht mehr erbracht werden kann. c) Man könnte die Folge der Beschädigung aber auch als Unmöglichkeit der Nachbesserung ansehen. Dann verläuft die Prüfung anders. 2. Annahme 1: Die Leistung ist als solche unmöglich a) Der Kaupreisanspruch des V aus § 433 Abs. 2 BGB könnte nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB entfallen sein. Voraussetzung hierfür ist, dass er von seiner Verpflichtung zur Lieferung des Boots befreit ist. Das ist er. V kann das Segelboot nämlich nicht mehr vertragsgemäß übereignen, weil es beschädigt ist. © Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015 8 b) Auf die aus der Befreiung von der Sachleistung folgende Befreiung von der Pflicht zur Kaufpreiszahlung darf sich K aber nach § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht berufen, wenn er den Umstand, der den V von seiner Leistungspflicht befreite, allein oder weit überwiegend zu verantworten hat. Das ist nicht der Fall. V hat nämlich den Umstand zu 20% zu verantworten. Damit ist K nicht weit überwiegend, sondern „nur“ überwiegend verantwortlich. c) Die Frage ist, ob und in welcher Weise § 326 Abs. 2 BGB auf eine solche Fallgestaltung analog angewendet werden kann. aa) Voraussetzung hierfür ist eine Lücke. Diese tritt in den eigentlichen Gesetzesmaterialien, nämlich der Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucks. 14/6040 S. 189 – Fraktionsentwurf, identisch mit dem Regierungsentwurf in BTDrucks 14/6857 und Beschlussempfehlung der Ausschüsse in BT-Drucks. 14/7052 S. 189, nicht zutage, wohl aber in dem vorausgegangenen Diskussionsentwurf des federführenden Bundesministeriums der Justiz. Dort war der heutige § 326 Abs. 2 BGB noch als Grund für den Ausschluss des Rücktrittsrecht konstruiert und, anders als nach § 324 Abs. 2 BGB aF, nicht mehr für jedes Verschulden gelten, sondern nur für überwiegendes Verschulden. Bei geringfügigem Verschulden sollte der Rücktritt erhalten bleiben. Das lässt ungeregelt, was bei anderem Grad des Verschuldens gelten soll. bb) Wie die Lücke zu schließen ist, ist streitig. (1) Nach einer Meinung soll § 326 Abs. 2 BGB uneingeschränkt angewendet werden. Die Folge davon ist, dass K uneingeschränkt zur Kaufpreiszahlung verpflichtet bleibt. (2) Nach einer zweiten Meinung soll § 326 Abs. 2 BGB eingeschränkt analog angewendet, nämlich soweit der Verantwortungsbeitrag des Gläubigers reicht. Im vorliegenden Fall bedeutete das, dass K zu 80% zur Kaufpreiszahlung verpflichtet bleibt. (3) Nach einer dritten Meinung ist § 326 Abs. 2 BGB nicht analog anwendbar. Die Folge davon wäre, dass K gar nicht mehr zur Kaufpreiszahlung verpflichtet ist. cc) ME sprechen die besseren Argumente für die zweite Lösung. Sie vollzieht sich selbst und macht ergänzende Überlegungen für ein gerechtes Ergebnis entbehrlich. (1) Bei der ersten Lösung muss K mehr zahlen als sachlich gerechtfertigt ist. Diese Ungerechtigkeit lässt sich nur ausgleichen, wenn dem K gegen V ein Schadensersatzanspruch zusteht. Hier lässt sich ein solcher Anspruch im Hinblick auf einen unterlassenen Hinweis auf den Motorschaden aus § 280 Abs. 1 BGB iVm § 241 Abs. 2 BGB ableiten. Das muss aber nicht immer so sein. Dann bleibt es bei dem ungerechten Ergebnis. (2) Bei der dritten Lösung bekommt V weniger als ihm der Sache nach zusteht, weil sein Kaufpreisanspruch vollständig entfällt, obwohl die Ursache hierfür überwiegend von dem Käufer gesetzt worden ist. Auch diese Ungerechtigkeit lässt sich nur durch © Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015 9 einen Anspruch auf Schadensersatz ausgleichen. Dabei müsste es sich um einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach § 280 Abs. 1, 3, § 283 BGB handeln. Der ließe sich hier darstellen. Denn K kann dem V das entliehene Boot nicht so zurückgeben, wie es ihm überlassen worden ist. Er haftet deshalb auf Schadensersatz statt der Leistung, weil er seine Rückgabepflicht nach § 604 Abs. 1 BGB nicht erfüllen kann. Dafür ist es unerheblich, ob man in der Überlassung eine eigenständige Leihe oder eine Leihenebenpflicht aus dem Kaufvertrag sieht. Aber auch diese Lösungsmöglichkeit ist nicht immer gegeben. 3. Annahme 2: Unmöglichkeit der Nacherfüllung a) In dieser Alternative entfällt der Kaufpreisanspruch nicht nach § 326 Abs. 1 Satz 1, weil eine Leistungsbefreiung dann nach § 326 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist. K könnte dem V aber nicht nach § 320 BGB entgegenhalten, dass er das Segelboot nicht mehr in vertragsgemäßem Zustand liefern kann. Denn dazu ist V nach § 275 BGB nicht verpflichtet. K könnte deshalb nur von seinen Mängelrechten nach § 437 BGB Gebrauch machen. Das ergibt folgendes: b) K könnte den Rücktritt wählen. Der ist aber nach § 437 Nr. 2 iVm § 323 Abs. 6 BGB ausgeschlossen, wenn K für ihn allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Es stellt sich also das gleiche Problem wie bei § 326 Abs. 2 BGB. Das gleiche gilt nach § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Minderung, weil sie an die Stelle des Rücktritts tritt und nur gegeben ist, wenn der Rücktritt möglich wäre. c) Anders ist es, wenn K Schadensersatz statt der Leistung wählt. Denn könnte er wählen, allerdings nur unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB. d) Die Unterschiedlichkeit der Rechtsbehelfe legt aber nahe, § 326 Abs. 6 BGB auf den Fall der „nur“ überwiegenden Verantwortlichkeit entweder uneingeschränkt oder unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils entsprechend anzuwenden. Andernfalls entstünde ein Wertungswiderspruch zwischen Rücktritt oder Minderung einerseits und Schadensersatz statt der Leistung andererseits. © Johanna Schmidt-Räntsch, HU-Vorlesung am 23.11.2015
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