06_Limonaden_Sachverhalt

JURISTISCHE FAKULTÄT
EXAMINATORIUM ZIVILRECHT
MÜNCHNER
EXAMENSTRAINING
Examinatorium – Arbeitsrecht
Sommersemester 2015
Fall 6: Limonaden
Themenkreis: Anfechtung des Arbeitsvertrages; Umdeutung; Weiterbeschäftigungsanspruch; befristetes Arbeitsverhältnis; tarifliche Altersgrenzen
Bernd Brause (B), wohnhaft in Starnberg, ist Inhaber eines florierenden Betriebes zur Herstellung nicht alkoholischer Erfrischungsgetränke in München. Er beschäftigt zurzeit 65 Arbeitnehmer.
Am 12.8.2014 schloss er mit Dolores Dreist (D) aus Ramersdorf einen mündlichen Arbeitsvertrag, auf Grund dessen Dolores als kaufmännische Angestellte tätig werden sollte. Während des Einstellungsgespräches fragte er Dolores, ob sie schwanger sei, was Dolores verneinte, obwohl sie wusste, dass sie im fünften Monat schwanger ist. Im September 2014
nahm Dolores ihre Tätigkeit auf und arbeitete in den nächsten 14 Tagen zu Brauses vollster
Zufriedenheit. Am 14.9.2014 erklärte Dolores einer Kollegin, dass sie schwanger sei, und gab
vor, dies erst jetzt von ihrem Arzt erfahren zu haben. Als Brause davon hört, ist er über das
Verhalten der Dolores zutiefst empört. Er teilte seine Absicht, den Vertrag mit Dolores anzufechten und vorsorglich fristlos zu kündigen, sofort dem Betriebsratsvorsitzenden mit. Der
Betriebsratsvorsitzende teilte ihm tags darauf mit, dass der Betriebsrat generell einer Kündigung vorbehaltslos zustimme. Mit Schreiben vom 16.9.2014 ficht Brause daraufhin den Arbeitsvertrag mit Dolores wegen Irrtums und arglistiger Täuschung an und erklärt vorsorglich
die fristlose Kündigung. Dolores erhält das Schreiben am 17.9.2014. Zunächst bleibt sie untätig und wendet sich erst am 5.10.2014 an einen Anwalt. Dieser reichte am 7.10.2014 Klage
beim Arbeitsgericht München ein mit dem Antrag, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis
der Dolores weder durch die Anfechtung noch durch die fristlose Kündigung aufgelöst sei.
Zum 1.6.2014 waren bei Brause auch drei Mitarbeiter für die Verpackungsabteilung eingestellt worden. Hierzu gehörte auch Monika Moll (M), die zuvor zwei Jahre arbeitslos war.
Wegen der ungewissen künftigen Absatzentwicklung erschien Brause eine dauerhafte Personalaufstockung zu risikoreich. Deshalb wurden mit den drei neu eingestellten Arbeitnehmern
befristete Arbeitsverträge in schriftlicher Form bis zum 31.10.2014 abgeschlossen. Am Montag, den 3.11.2014 erscheint Monika Moll an ihrem Arbeitsplatz und verlangt Weiterbeschäftigung. Ihr Arbeitsverhältnis könne nicht beendet werden, da sie im zweiten Monat schwanger sei, erklärt sie dem überraschten Personalleiter und übergibt ihm ein entsprechendes
ärztliches Attest. Weiter weist sie darauf hin, dass der Betriebsrat zu ihrem Ausscheiden
nicht gehört worden sei. Im Übrigen sei bereits die Befristung ihres Arbeitsvertrages unwirksam gewesen.
Der 64-jährige Max Eifrig (E) ist das älteste Belegschaftsmitglied im Betrieb des Brause.
Nach längerer Arbeitslosigkeit in den Jahren 1998 bis 2003 wurde er zum 1.4.2003 als Lagerverwalter eingestellt. Nach dem für den Betrieb des Brause maßgeblichen Tarifvertrag
vom 1.1.2003 endet das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers mit Erreichen der Regelaltersgrenze, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Bernd Brause gehört dem tarifschließenden Arbeitgeberverband an. Max Eifrig ist Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft. Eine
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betriebliche Altersversorgung besteht bei Brause nicht. Am 30.09.2015 wendet sich Eifrig an
den Betriebsrat und bittet um Auskunft, ob die entsprechende Tarifbestimmung überhaupt
wirksam sei: Da er am 21.4.2016 65 Jahre alt werde, würde er infolge des Erreichens der Altersgrenze seinen Arbeitsplatz automatisch verlieren. Er habe zwar bei Erreichen dieser Altersgrenze einen Anspruch auf Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung,
dennoch gefalle ihm die Arbeit bei Brause wegen des guten Betriebsklimas so gut, dass er
gerne noch einige Zeit dort arbeiten wolle. Trotz seines Alters erledige er die ihm übertragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit des Arbeitgebers; das habe ihm der Personalleiter
noch vor kurzem bestätigt. Die Tarifbestimmung laufe darauf hinaus, dass allein das Erreichen der Altersgrenze das Arbeitsverhältnis beende, obwohl ein Kündigungsgrund nicht vorliege, so dass der gesetzliche Kündigungsschutz für Arbeitnehmer unterlaufen werde. Bei
einem altersbedingten Leistungsabfall könne der Arbeitgeber ohnehin kündigen. Eine solche
Regelung sei zudem ein Verstoß gegen sein durch Art. 12 GG garantiertes Recht, selbst darüber zu bestimmen, wann er in Rente gehe.
Frage 1:
Wie wird das Arbeitsgericht über die Klage der Dolores Dreist entscheiden?
Frage 2:
Hat Monika Moll einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung über den 31.10.2014
hinaus?
Frage 3:
Ist im Falle des Eifrig die tarifvertragliche Festsetzung der Altersgrenze wirksam?