66. Öffentliche Hochschultagung am 4. Februar 2016 “Die großen Weichenstellungen? Agrar- und Ernährungspolitik nach 2020“ Mehrzahlungsbereitschaft für Tierwohl: Fiktion, Nischenphänomen oder Zukunftstrend? Dr. Birgit Schulze-Ehlers, M.Sc. Nina Purwins, Dept. für Agrarökonomie & Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen Neben der artgerechten Haltung der Schweine, sind ökologische Erzeugung und regionale Herkunft wichtige Kriterien beim Fleischkauf. In jüngster Zeit wird zunehmend die Konkurrenz von regional erzeugten Lebensmitteln mit Bio-Produkten thematisiert, da Konsumenten mit beidem ethische Vorzüge assoziieren. Die Positionierung von Tierwohl-Produkten, die ein weiteres ethisches Kaufmotiv in den Vordergrund rücken, kann in diesem Zusammenhang erschwert sein. Die vorliegende Arbeit analysiert die Mehrzahlungsbereitschaft für Schweinefleisch aus artgerechter Haltung im Vergleich zu konventionellen, Bio- und regionalen Angeboten. Erstmals werden Wechselwirkungen zwischen den Kennzeichnungen in die Analyse einbezogen. Folgende Fragen werden adressiert: kann es zu Kannibalisierungseffekten kommen oder stellen Tierwohl-Kunden zumindest teilweise ein zusätzliches Kundensegment dar? Können Bio- oder Regional-Label von einem zusätzlichen Tierwohl-Label profitieren? Wir nutzen zwei teilweise vergleichbare Verbraucherbefragungen aus den Jahren 2011 (N=936) und 2015 (N=648), in denen experimentell Einkaufsentscheidungen zwischen mehreren Schnitzelangeboten simuliert wurden. Auch eine Nicht-Kauf-Entscheidung war zulässig. Die Produkteigenschaften und –preise wurden dabei systematisch so variiert, dass Aussagen über Präferenzen und Zahlungsbereitschaften der Verbraucher für jede Eigenschaft möglich sind. Erwartungsgemäß zeigten sich für alle Produktattribute positive signifikante Einflüsse auf die Kaufentscheidung, während der Preis negativen Einfluss hat. In beiden Studien sind die Bio- und die regionale Kennzeichnung der Tierwohl-Kennzeichnung im Einfluss auf die Kaufbereitschaft überlegen. Im Ergebnis aus 2011 zeigt sich zudem, dass die Zielgruppe der Bio-Käufer im Vergleich zu den Nicht-Käufern nur eine erhöhte Kaufbereitschaft für Bio- nicht aber für Regio- oder Tierwohl-Fleisch hat. Eine hohe Tierwohl-Präferenz erhöht die Kaufbereitschaft für Bio- und Tierwohl-Fleisch, aber nicht für regional erzeugtes Fleisch. Regionalität wird demnach in dieser Studie nicht hinreichend mit Tierwohl in Verbindung gebracht und könnte damit durch die Verbindung mit einem Tierwohl-Label gewinnen. Dies wird mit der 2015 in Norddeutschland durchgeführten Studie überprüft. Bei Betrachtung der Wechselwirkungen der Produkteigenschaften zeigt sich tatsächlich, dass die Kombination aus Regiound Tierwohl-Kennzeichnung die Kaufwahrscheinlichkeit stärker beeinflusst als die Kombination von Tierwohl und Bio-Label. Insgesamt kann gefolgert werden, dass die Zielgruppe für Fleisch aus artgerechter Haltung zu einem hohen Anteil deckungsgleich mit den bio-affinen Käufern ist, und eine regionale Kennzeichnung, die grundsätzlich breitere Käuferschichten anspricht als Bio, durch die zusätzliche Kombination mit einer Tierwohl-Kennzeichnung stärker profitiert. Die Mehrzahlungsbereitschaft für Tierwohl ist angesichts dieser Ergebnisse keine Fiktion. Tierwohl als alleiniges Merkmal eines konventionellen Fleischprodukts scheint jedoch kaum mit regionalen und ökologischen Angeboten konkurrenzfähig zu sein. Dies ist aus politischer Perspektive bei der Interpretation des aktuellen Markt(miss)erfolgs zu beachten. Im Fleischmarketing ist die Positionierung zu überdenken.
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