Call for Papers Jahrestagung der DGfE-Kommission Wissenschaftsforschung im Herbst 2016 vom 28. bis zum 30. September 2016 an der Universität Erfurt Theorien und Theorieentwicklungen (in) der Erziehungswissenschaft „Ein Blick auf die Geschichte des pädagogischen Denkens“, so Heinz-Elmar Tenorth 1983, „mag (…) den Anschein erwecken, daß der unablässige Wechsel von Theorien und Konzepten das eigentlich Normale erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung ausmacht“ (S. 347). Diagnosen von der Normalität des Wandels theoretischer Ausrichtungen in der Erziehungswissenschaft sind in den Formen der disziplinären Selbstvergewisserung fest verankert. Sie sind Teil des ruhelosen Versuchs der Erziehungswissenschaft, sich zwischen Krisenrhetorik und Normalitätsbekundung als wissenschaftliche Disziplin selbst festzustellen. Die Bezugspunkte hierfür waren und sind vielfältig. Sie äußern sich in Kontroversen über den Nutzen ‚fremder‘ Theorien, welche die Erziehungswissenschaft aus ihren Nachbardisziplinen der Psychologie und Soziologie, der Neurologie und Philosophie bezieht, um ihren Gegenstand zu bestimmen; sie zeigen sich an den Debatten um die Wissenschaftlichkeit der eigenen, traditionellen Theorieproduktion oder der Problematisierung der praktischen Relevanz, den Theorien für Profession und pädagogische Praxis einnehmen sollen. Auffällig an dieser inzwischen gut dokumentieren Entwicklung des disziplinären Selbstvergewisserungsbemühens (Fatke/Oelkers 2014) ist, dass über die erziehungswissenschaftliche Theorieproduktion insbesondere der letzten zwei Dekaden bislang wenig bekannt ist. In fast allen Teildisziplinen ist es infolge einer zweiten realistischen Wende zu einer Intensivierung der empirischen Forschung gekommen. Die Publikation von mehreren neuen Handbüchern für Bildungsforschung (Tippelt & Schmidt, 2010), Berufs- und Wirtschaftspädagogik (Nickolaus, Pätzold, Reinisch & Tramm 2010), Erwachsenenbildung (Tippelt & von Hippel 2011) Schulforschung (Helsper & Böhme 2008), Lehrerforschung (Terhart, Bennewitz & Rothland 2014) oder Soziale Arbeit (Otto & Thirsch, 2011; Thole 2012) dokumentiert das Ausmaß dieser Forschungsaktivitäten. Es ist ersichtlich, dass der Prozess der inneren Differenzierung auch vor den Teildisziplinen nicht Halt gemacht hat. Die Menge unterschiedlichster Forschungen und Forschungsschwerpunkte hat zu einer gewissen Unübersichtlichkeit geführt, die die Handbücher durch Aufarbeitung von Entwicklungslinien, thematische Gruppierungen, kommentierende Übersichten, Stichwortverzeichnisse etc. zu ordnen versuchen. Weitestgehend offen geblieben ist in diesen ersten Systematisierungsversuchen jedoch die Frage, wie sich die jüngeren Forschungsleistungen auf die Theorieentwicklung in den jeweiligen Subdisziplinen auswirken. Ausgehend von diesem Desiderat zielt die Tagung darauf ab, die jüngeren Forschungsaktivitäten in der Erziehungswissenschaft und ihren Teildisziplinen unter den Aspekten der Theoriekonsolidierung, Theoriegenerierung und Theoriedifferenzierung in den Blick zu nehmen. Mögliche Tagungsbeiträge könnten sich an den folgenden Fragehorizonten orientieren: Wie werden die in den Teildisziplinen vorhandenen Theorien sortiert, möglicherweise ins Verhältnis gesetzt und in den Kontext einer allgemeinen disziplinären Theoriediskussion gestellt? Greift die alte Unterscheidung von erklärenden und verstehenden Wissenschaften noch, oder nötigt die Entwicklung von Mehrebenenmodellen oder Angebots-Nutzungs-Modellen zu einer differenzierteren Sichtweise? Welche Kontinuitäten, welche Brüche sind innerhalb der verschiedenen Teildisziplinen, aber auch teildisziplinübergreifend in Bezug auf die Generierung von Theorie zu verzeichnen? Lassen sich Konvergenzen/Differenzen zwischen den Theorieimporten aus den Nachbardisziplinen und den „einheimischen“ Theorietraditionen erkennen? Und weiter: Sind besondere erziehungswissenschaftliche Rezeptionsmuster bei der Verwendung von Theorien aus anderen Disziplinen zu identifizieren? An die quantitative Bildungsforschung möchten wir die Frage richten, wie bei der Entwicklung von Mehrebenenmodellen des Bildungssystems mit dem Problem der systematischen Integration verschiedener Theorien umgegangen wird. An die qualitative Forschung, die sich häufig als Theorie generierend versteht, richten wir die Frage, wie viele Theorien in den vergangenen Jahren generiert und/oder differenziert worden sind und wie man mit dem Erreichten in Bezug auf weitere Forschungsvorhaben umgeht. Bezogen auf den Anspruch der Tagung, ,‚Theorien“ zum Gegenstand der Wissenschaftsforschung zu machen, lässt sich die metatheoretische und methodologische Frage stellen, mit welchen wissenschaftstheoretischen Unterscheidungen die Theorieproduktion in der Erziehungswissenschaft gegenstandsbezogen bestimmt und empirisch erschlossen werden kann. „Theorien“ werden im Wissenschaftssystem unter konkreten organisatorischen Bedingungen entwickelt, diskutiert, verworfen oder favorisiert. Daher richten wir die Frage auch an das Verhältnis von „Organisation“ und „Theorie“, das in „Theorien“ zum Ausdruck kommen kann oder das in „Theorien“ zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wird. Literatur Fatke, Reinhard, & Oelkers, Jürgen (Hrsg.) (2014). Die Erziehungswissenschaft und ihr Selbstverständnis heute (60. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik), Weinheim und Basel: Beltz. Helsper, Werner & Böhme, Jeannette (Hrsg.) (2008). Handbuch der Schulforschung. (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer. Nickolaus, Reinhold, Pätzold, Günter, Reinisch, Holger, Tramm, Tade (Hrsg.) (2010). Handbuch Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Otto, Hans-Uwe, & Thirsch, Hans (2011). Handbuch soziale Arbeit: Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. München: Reinhardt. Tenorth, Heinz-Elmar (1983). Die Krisen der Theoretiker sind nicht die Krisen der Theorie. Zeitschrift für Pädagogik, 29 (1983), 3, 347-358. Terhart, Ewald, Bennewitz, Hedda & Rothland, Martin (Hrsg.) (2014). Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (2., überarb. u. erw. Aufl.). Münster u.a.: Waxmann. Thole, Werner (Hrsg.) (2012). Grundriss soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch. (4. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Tippelt, Rudolf & Schmidt, Bernhard (Hrsg.) (2010). Handbuch Bildungsforschung. (3. durchges. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Tippelt, Rudolf & Hippel, Aiga von (Hrsg.) (2011). Handbuch Erwachsenenbildung / Weiterbildung (5. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Organisation Wir laden alle Kolleginnen und Kollegen herzlich dazu ein, sich an der Tagung zu beteiligen und Vorschläge für Vortragsthemen einzureichen. Diese Einladung richtet sich ausdrücklich auch an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Qualifikationsphasen. Bitte senden Sie Ihren Themenvorschlag in der Form eines Abstracts im Umfang von ca. 2.500 Zeichen bis zum 15.02.2016 an Prof. Dr. Wolfgang Meseth ([email protected]). Über die Annahme der Beiträge informieren wir Sie Anfang/Mitte März 2016. Es ist vorgesehen, die Tagungsbeiträge zu publizieren. Manfred Lüders, Wolfgang Meseth, Katharina Vogel
© Copyright 2024 ExpyDoc