Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung Das Mediensystem der Türkei “Turkish media has always been a wounded animal.”1 Verfasser: Kerem Schamberger & Marius Schreiber Seminar: Hallin & Mancini reloaded: Medienstrukturen im internationalen Vergleich Dozenten: Prof. Dr. Michael Meyen, Maria Karidi M.A. Wintersemester 2014/2015 1 Yavuz Baydar, türkischer Journalist im Interview am 17. Dezember 2014 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .................................................................................................................... 3 2 Theoretische Fundierung ............................................................................................. 4 2.1 Forschungsstand ..................................................................................................... 5 2.2 Kategoriensystem auf Grundlage der Akteur-Struktur-Dynamik .......................... 7 3 Untersuchungsdesign................................................................................................... 8 3.1 Türkei als Untersuchungsgegenstand ..................................................................... 9 3.2 Methode und Materialauswahl ............................................................................... 9 3.2.1 Dokumentenanalyse ........................................................................................ 9 3.2.2 Experteninterviews ....................................................................................... 10 3.3 Vorgehen bei der Auswertung .............................................................................. 12 4 Thesen zum türkischen Mediensystem...................................................................... 12 4.1 These 1 - Medienökonomie .................................................................................. 13 4.2 These 2 - Gesetzgebung ........................................................................................ 16 4.3 These 3 - Arbeitsbedingungen .............................................................................. 18 4.4 These 4 - Polarisierung der Gesellschaft & Journalistisches Selbstverständnis ... 20 5 Fazit ........................................................................................................................... 22 6 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 24 7 Interviewtranskripte................................................................................................... 28 1 Einleitung „Nirgendwo ist die Presse freier als in der Türkei.“ - Präsident Recep Tayyip Erdogan (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2014) “2014 will go to history as a black year for Turkish media and Turkish journalism.” - Journalist Yavuz Baydar (Interview, 17. Dezember 2014) Die vorliegende Forschungsarbeit untersucht das türkische Mediensystem. Die Zitate von Erdogan und Baydar stellen die widersprüchliche Situation, die zurzeit in der Türkei herrscht, sehr gut dar. In Artikel 28 der türkischen Verfassung ist festgehalten: „Die Presse ist frei, Zensur findet nicht statt“ (Rumpf, 2014, S. 12). Das Committee to Protect Journalists spricht jedoch von zeitweise bis zu 76 inhaftierten Journalisten (Sweeny, 2012, S. 3). Das sind mehr als in China, Iran oder Eritrea (Franklin, 2013, S. 42). Auch die Zahl von über 65000 gesperrten Webseiten ist ob der formalen Pressefreiheit verwunderlich (Engelli Web, 2015). Das Turkey Media Barometer der Friedrich Ebert Stiftung stellt fest: „The current status of freedom of expression and the media (...) is worrying“ (Yanardagoglu & Gökdemir, 2014, S. 9) und der Europarat sprach vor kurzem von einem „beklagenswerten Muster von erhöhtem Druck auf Presse und Medienunternehmen, darunter auch soziale Medien“ (Europarat Resolution, 2015). Genügend Gründe für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der aktuellen Situation des türkischen Mediensystems. Die Untersuchung erfolgt dabei unter der spezifizierenden Forschungsfrage: Warum und wie wird die Pressefreiheit in der Türkei in der Realität eingeschränkt, obwohl diese in der Gesetzgebung rechtlich garantiert ist? Die Arbeit ist Teil eines Masterseminars mit dem Titel „Hallin & Mancini reloaded: Medienstrukturen im internationalen Vergleich“. In diesem Seminar werden insgesamt neun verschiedene Mediensysteme untersucht und anschließend miteinander verglichen. Sie stellt somit einen Beitrag zur vergleichenden Mediensystemforschung dar. Bei der Untersuchung wurde mit dem theoretischen Werkzeug der Akteur-Struktur-Dynamik von Uwe Schimank gearbeitet, die den Zusammenhang zwischen handelndem Zusammenwirken von Individuen und sozialen Strukturen beschreibt - also wie zum Beispiel Journalisten in einem gegebenen Mediensystem handeln und es durch ihr Handeln wiederum verändern. Diese Theorie stellt das Grundgerüst für ein Kategoriensystem und hilft uns so, unsere Perspektive und unser Vorwissen bewusst zu machen und die Ergebnisse der Studie leichter nachvollziehen zu können (Meyen et al., 2011, S. 36). Methodisch haben wir dabei relevante Dokumente analysiert und mündliche und schriftliche Interviews mit neun Experten des türkischen Mediensystems geführt. 3 Die Verfasser dieser Arbeit haben jeweils einen eigenen Bezug zur Türkei. Kerem Schamberger, kritischer Halbtürke, lebte 2011 längere Zeit in Istanbul und verfolgt seitdem das Mediengeschehen aufmerksam. Marius Schreiber verbrachte 2013 ein Auslandssemester in Istanbul. Diese Offenlegung des persönlichen Bezugs zum Forschungsgegenstand ist für einen qualitativen Forschungsprozess wichtig und zulässig, in sofern, dass sich die folgende Arbeit mit dem Kategoriensystem an die Regeln und Qualitätsmerkmale der qualitativen Forschung hält (Meyen et al., 2011, S. 33). Die zentralen Ergebnisse der Arbeit sind, dass es aufgrund ökonomischer Verflechtungen der Medienkonzerne mit der Regierung, juristischer Verfolgung auf Grundlage anderer Gesetze und den Arbeitsbedingungen von Journalisten zu einer de facto Einschränkung der Pressefreiheit kommt. Die Forschungsarbeit gliedert sich in folgende Punkte. Im 2. Kapitel erfolgt die theoretische Fundierung der Arbeit mit einem kurzen Überblick über den aktuellen Forschungsstand der vergleichenden Mediensystemforschung (Kapitel 2.1) und einer theoretischen Herleitung des Kategoriensystems (Kapitel 2.2). Darauffolgend erläutern wir in Kapitel 3 unser methodisches Vorgehen. Die beiden Kapitel 2 und 3 dienen dazu, die intersubjektive Nachvollziehbarkeit – als eines der wichtigsten Gütekriterien für qualitative Forschung – sicherzustellen (Meyen et al., 2011, S. 47). Im Kapitel 4 stellen wir die Ergebnisse und die Beantwortung der Forschungsfrage in thesenartiger Form dar. Am Schluss ziehen wir ein Fazit (Kapitel 5). 2 Theoretische Fundierung Dieser Untersuchung des türkischen Mediensystems liegt das Verständnis zugrunde, dass Theorien ein „organisierendes Prinzip im qualitativen Forschungsprozess“ (Löblich, 2014, S. 1) darstellen. Jede Untersuchung eines Forschungsgegenstandes ist geprägt von gewissen Vorannahmen, Vorwissen und, ob man es will oder nicht, Vorurteilen. Die Wahrnehmung der Welt, in unserem Fall des türkischen Mediensystems, ist also nicht voraussetzungslos, sondern hängt auch immer von der Position des Forschers im wissenschaftlichen Feld und den eigenen Überzeugungen ab. Es gibt kein Wissen ohne das Subjekt und kein Wissen ohne Theorie. Anstatt diese wegzudiskutieren oder zu verneinen, wählen wir den Weg der Offenlegung und somit der Nachvollziehbarkeit. Ein weiterer Vorteil des theoriegeleiteten Forschens liegt in unserem Fall darin, dass im Rahmen des Masterseminars neun verschiedene Länder und deren Mediensysteme untersucht wurden. Eine gemeinsame Theorie und die daraus resultierenden gleichen Untersuchungskategorien ermöglichen es, vergleichende Mediensystemforschung zu 4 betreiben und Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Mediensysteme festzuhalten (Wessler & Brüggemann, 2012, S. 24). Bei der vorliegenden Forschungsarbeit haben wir mit Uwe Schimanks Theorie der AkteurStruktur-Dynamik gearbeitet, die „die wechselseitige Konstitution von handelndem Zusammenwirken und sozialen Strukturen“ (Schimank, 2007, S. 122) analysiert. Diese wurde von Meyen et al. (2014) für eine kommunikationswissenschaftliche Annäherung angepasst und wird in Kapitel 2.2 näher dargestellt. Zuerst erfolgt eine Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes vergleichender Mediensystemforschung. 2.1 Forschungsstand Eines der grundlegendsten Werke für die moderne vergleichende Mediensystemforschung wurde von dem Kommunikationswissenschaftler Daniel C. Hallin und dem Politikwissenschaftler Paolo Mancini unter dem Titel „Comparing Media Systems: Three Models of Media and Politics“ (2004) veröffentlicht. Ihre Untersuchungsmethode des Vergleichs von 18 europäischen und nordamerikanischen Ländern legte einen Grundstein für daran anschließende Mediensystemforschung. Hallins und Mancinis Ziel war es, den ethnozentrischen Fokus der Kommunikationswissenschaft auf das jeweils eigene Land zu durchbrechen und Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede verschiedener Mediensysteme zu analysieren (Hallin & Mancini, 2005, S. 216). Ihrer Untersuchung liegen dabei vier Vergleichsdimensionen zugrunde. Die erste Dimension betrifft die Entwicklung der Presse, bezogen auf die Auflagenhöhe von Zeitungen. Die zweite Dimension bezieht sich auf den politischen Parallelismus, damit ist der Verflechtungsgrad zwischen dem jeweiligen Mediensystem und dem politischen System und seinen Parteien gemeint. Die dritte Dimension beschreibt den Professionalisierungsgrad des Journalismus und die vierte Dimension betrifft die Rolle des Staates und seine Einwirkungen auf das Mediensystem. Das Ergebnis ihrer Untersuchung fassen sie in einer Typologisierung der untersuchten Mediensysteme zusammen. Für Hallin und Mancini gibt es das polarisiert-pluralistische (zum Beispiel Griechenland), das demokratisch-korporatistische (zum Beispiel Deutschland) und das liberale (zum Beispiel die USA) Modell eines Mediensystems. (Hallin & Mancini, 2005) Die Methodik der vier Untersuchungsdimensionen wurde von vielen Kommunikationswissenschaftlern kopiert und auf andere Länder angewendet, auch auf die in dieser Studie zu untersuchende Türkei (Özcan, 2007). Allerdings zog das Vorgehen von Hallin und Mancini auch Kritik nach sich. Ein Kritiker ist der englische Kommunikationswissenschaftler Jonathan 5 Hardy, der selber eine Einführung in westliche Mediensysteme verfasst hat (2008). Dieser kritisiert unter anderem die Eingruppierung der untersuchten Länder in die drei Typen und verweist auf die Heterogenität derselbigen. Außerdem wirft er ihnen vor, den Professionalisierungsgrad des Journalismus normativ und damit, entgegen deren Anspruch, ethnozentrisch zu bewerten. (Hardy, 2012) Kritisiert werden muss auch, dass bei der Untersuchung nur westliche Länder berücksichtigt wurden und nicht klar ist, ob die vier Untersuchungsdimensionen auch auf nicht-westliche Länder übertragbar sind. Auf diesen und weitere Kritikpunkte sind Hallin und Mancini in ihrem 2012 erschienenen Buch „Comparing Media Systems Beyond The Western World“ eingegangen. Weitere namhafte Kommunikationswissenschaftler beschäftigten sich, oft in Auseinandersetzung mit Hallin und Mancini, in den letzten zehn Jahren mit Kriterien zur vergleichenden Analyse von Mediensystemen. Roger Blum schlägt eine Synthese aus verschiedenen Ansätzen vor und will „die Dimensionen (…) erweitern, die Hallin und Mancini ins Spiel gebracht haben“ (Blum, 2005, S. 9). So will er unter anderem das Regierungssystem, die politische Kultur, die Medienfreiheit, den Medienbesitz und den politischen Parallelismus der einzelnen Länder untersuchen. Daran anschließend schlägt er sechs zentrale Modelle vor. Thomas Hanitzsch und Claudia Mellado arbeiten in ihrer Untersuchung mit einer sechsdimensionalen Skala mit jeweils mehreren Indikatoren. Als sechs Kriterien gelten hier politische, ökonomische, organisationelle und berufliche Einflüsse, Bezugsgruppen und Einflüsse des Arbeitsablaufs (Hanitzsch & Mellado, 2011). Die Kommunikationswissenschaftler Sven Engesser und Annika Franzetti schlagen wiederum vier Kriterien (Freiheit, Vielfalt, Zentralität und Tradition) mit jeweils mehreren Indikatoren zur Untersuchung von Mediensystemen vor (2011). Die vorgestellten Ansätze zur vergleichenden Untersuchung von Mediensystemen haben alle eine gemeinsame Schwäche: Die fehlende theoretische Grundlage, die nicht nur auf der Erscheinungsebene der jeweiligen Mediensysteme verbleibt. So wird nicht klar, auf Grundlage welcher Theorie die jeweiligen Untersuchungsdimensionen zustande gekommen sind. Eine Ausnahme bildet dabei Benson, der seine Kategorien (journalistisches, ökonomisches, politisches Feld), wenn auch relativ knapp, auf die Feldtheorie Pierre Bourdieus bezieht (Benson, 2010, S. 616). Da Theorien nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch den Prozess wissenschaftlicher Forschung organisieren, wird im folgenden Kapitel die dieser Forschung zu Grunde liegende Theorie dargestellt (Meyen et al., 2011 , S. 33). 6 2.2 Kategoriensystem auf Grundlage der Akteur-Struktur-Dynamik Uwe Schimanks Ansatz der Akteur-Struktur-Dynamik bildet die theoretische Grundlage des zu entwickelnden Kategoriensystems. Um die theoretischen Voraussetzungen im Forschungsprozess und Ergebnis sichtbar zu machen, ist ein kategoriengeleitetes Vorgehen sinnvoll. Ein aus der Theorie abgeleitetes Kategoriensystem bestimmt die gesamte Untersuchung (Meyen et al., 2011 , S. 37). Schimanks Akteur-Struktur-Dynamik basiert auf der Analyse der wechselseitigen „Konstitution von handelndem Zusammenwirken und sozialen Strukturen“ (Schimank, 2007, S. 122): Inwiefern wird das gemeinsame, wechselseitig bezogene Handeln von Individuen von sozialen Strukturen geprägt und inwiefern prägt dieses Handeln selbst die sozialen Strukturen? Schimank verbindet die auf das Individuum fokussierte Akteurstheorie mit der Systemtheorie (Meyen et al., 2014, S. 279). Laut Schimank folgt jeder Akteur einer speziellen, individuellen Handlungsintention, die, wenn verschiedene Intentionen von Individuen aufeinandertreffen, zu anderen, oft unerwarteten Resultaten führt, also transintentional werden. „Soziale Strukturdynamiken werden also stets intentional vorangetrieben, entgleiten den Akteuren früher oder später unweigerlich mal weniger, mal mehr ins Transintentionale“ (Schimank, 2007, S. 125). Für die Untersuchung von Mediensystemem bedeutet dies also, wie das Handeln von Journalisten, Medieneigentümern oder Mediengewerkschaftern die Strukturen des Mediensystems bilden und diese Strukturen wiederum das Handeln dieser Menschen überhaupt erst ermöglichen. Dabei unterscheidet Schimank drei Arten sozialer Strukturen: Konstellations-, Erwartungs- und Deutungsstrukturen. Diese bilden das Grundgerüst für unser Kategoriensystem. (vgl. Meyen et al., 2015) Konstellationsstrukturen prägen das „Können“ der Akteure, also die Möglichkeiten der Handelnden in einem gegebenen System, in unserem Fall dem Mediensystem, und im Zusammenhang mit anderen Systemen, zum Beispiel der Wirtschaft oder der Politik. Sie stellen die Ressourcen dar, die Handlungen erst ermöglichen. Erwartungsstrukturen stellen das „Sollen“ der Akteure dar. Also formelle, normative Erwartungen in Form von Gesetzen, der Verfassung oder supranationalen Regeln und informelle, normative Erwartungen der Gesellschaft an das Mediensystem. Deutungsstrukturen, das „Wollen“, „sind um kulturelle Leitideen gruppiert“ (Schimank, 2007, S. 126). Im Fall von Mediensystemen handelt es sich dabei um Selbstverständnisse von Journalisten, also welche Ziele sie verfolgen und was sie für „guten“ Journalismus halten. Hierzu gehört auch das Ansehen von Massenmedien und Journalismus in der Gesellschaft. Die drei Hauptgliederungspunkte für das Kategoriensystem wurden durch die in Punkt 2.1. 7 vorgestellten Forschungen und die darin verwendeten Indikatoren mit Leben gefüllt und durch jeweilige Unterkategorien ergänzt. Somit basieren die analytischen Kategorien auf Schimanks Ansatz und die Unterkategorien speisen sich jeweils aus der existierenden Literatur zur Mediensystemforschung und einer sinnvollen Zuordnung dieser Kategorien zu den drei Hauptkategorien. Dem war eine Diskussion im Masterseminar über sinnvolle, aus der Literatur extrahierte Unterkategorien vorausgegangen. Dabei stellte sich heraus, dass die Hauptkategorie Konstellationsstrukturen vermutlich einen Schwerpunkt für eine Untersuchung von Mediensystemen bilden wird. So wurden unter anderem die Punkte Medienregulierung, Marktstrukturen, Arbeitsbedingungen, Berufsverbände und Zugang zu Medienangeboten den Konstellationsstrukturen zugeordnet, da diese die Möglichkeiten, das „Können“, der Handelnden maßgeblich prägen. Die Seminardiskussion ergab zusätzlich die Bildung einer vierten Hauptuntersuchungskategorie, die bisher noch nicht in der Literatur genannt wird: Die Nicht-sozialen Strukturen eines Landes. Also Strukturen, wie die Topografie des Landes, die nicht durch handelndes Zusammenwirken entstehen, sondern schon immer vorhanden sind. Eine komplette Darstellung des Kategoriensystems, mit allen Haupt- und Unterkategorien findet sich unter Abbildung 1. Konstellationsstrukturen (Können) Akteure im Land Akteure außerhalb des Landes internationale Journalismuskulturen Medienregulierung Marktstrukturen Arbeitsbedingungen Journalistenausbildung Auslandsmedien Berufsverbände im Mediensystem Zugang zu Medienangeboten: Bevölkerungsstruktur, Alphabetisierung, technische Infrastruktur, Zentralität Erwartungsstrukturen (Sollen) Formell: Verfassung (Staatsform, Meinungsfreiheit, Funktion der Medien), Mediengesetzgebung, supranationale Regeln Informell: Erwartungen der Gesellschaft an das Mediensystem (Pfadabhängigkeit) Deutungsstrukturen (Wollen) Selbstverständnis der Journalisten: Ziele, Publikumsbild, Routinen, Kriterien für „guten“ Journalismus Reputation von Massenmedien und Journalismus in der Gesellschaft Nicht-soziale Strukturen Topografie: Größe des Landes, Gebirge, Gewässer, Klima Abbildung 1: Kategoriensystem 3 Untersuchungsdesign Im folgenden Kapitel wird die Türkei und ihr Mediensystem als Untersuchungsgegenstand vorgestellt, die Auswahl begründet und das methodische Vorgehen erläutert. 8 3.1 Türkei als Untersuchungsgegenstand Die Türkei ist eine 1923 gegründete demokratische Republik mit 76 Millionen Einwohnern. Das Staatsoberhaupt ist der Staatspräsident, dessen Amt seit August 2014 durch Recep Tayyip Erdogan von der Regierungspartei AKP bekleidet wird. (Auswärtiges Amt, 2014) Im Zuge der Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union rückte das Land noch stärker in den Fokus der europäischen Öffentlichkeit und führte zahlreiche Reformen durch. Jahrelang hatte die Türkei herausragende Wachstumsraten. Diese sind mittlerweile zurückgegangen, aber mit Werten von 3-4% im Vergleich zu europäischen Mitgliedsstaaten noch überdurchschnittlich hoch (Auswärtiges Amt, 2014b). Der Mediensektor ist ein wachsender Markt mit einem erwarteten jährlichen Wachstum von 11,4% pro Jahr bis 2017 (Corke et al., 2014, S. 5). Neben den persönlichen Verbindungen der beiden Autoren zur Türkei, ist ein weiterer Grund für die Auswahl, dass das Land von Hallin und Mancini nicht untersucht wurde. Zwar hat Özcan (2007) nach deren Methodik die Türkei untersucht, doch seit 2007 hat sich die Medienlandschaft der Türkei stark verändert. Diese andauernde Veränderung, die sich auch in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen wiederspiegelt, in der sich die Türkei seit 2007 um 48 Plätze verschlechtert hat, stellt den Hauptanreiz dar, um das Mediensystem der Türkei in seiner heutigen Form genauer zu untersuchen (Reporter ohne Grenzen, 2007, 2015). 3.2 Methode und Materialauswahl Bei der Untersuchung handelt es sich um eine kategoriengeleitete Studie, die auf der Analyse von Dokumenten und Experteninterviews basiert. Sie orientiert sich an dem in Kapitel 2.2 entwickelten Kategoriensystem. 3.2.1 Dokumentenanalyse Die erste Methode zur Untersuchung des Mediensystems der Türkei ist die Dokumentenanalyse. Sie hat zum Ziel „Strukturen und Prozesse in Organisationen, Absichten und Deutungsmuster“ sowie „Normen und Werte“ herauszufinden (Meyen et al., 2011, S. 64). Als Dokumente gelten hierbei alle schriftlichen Quellen, wie z.B. Berichte von Nichtregierungsorganisationen, Gesetze und wissenschaftliche Studien. Bei der Methode handelt es sich um ein nichtreaktives Verfahren. Dies hat den Vorteil, dass die Dokumente nicht unter dem Hinblick der möglichen Verwendung als Grundlage für unsere Forschung verfasst wurden und wir somit auch keinen Einfluss auf das Untersuchungsmaterial haben. Nachteile sind, dass die Dokumente unterschiedlich interpretierbar sind und sie nicht alle Fragen auf einmal beantworten. Die 9 Analyse dient durch die Aneignung eines ersten Wissensfundus als Vorbereitung auf die Experteninterviews, in denen zusätzliche, noch nicht abgedeckte Informationen eingeholt werden. Bei den Dokumenten muss immer auf den Kontext ihrer Herstellung geachtet werden. Dies erfolgt durch die aufmerksame Überprüfung, was für Quellen verwendet wurden und die immer wieder geforderte Hinterfragung, wer die Dokumente mit welchen Absichten veröffentlicht. (Meyen, 2008) Bei der Auswahl der Dokumente wurde ein Schwerpunkt auf Berichte von Organisationen, Gesetzestexte und Studien gelegt. Es war eine Herausforderung, Dokumente zu finden, die möglichst aktuell sind, da die türkische Medienlandschaft sich in einem dauerhaften Umbruch befindet. Informationen zu Besitzverhältnissen von vor zwei Jahren sind zum Beispiel mittlerweile veraltet. Dennoch gab es eine Reihe sehr guter, informativer Dokumente, wie zum Beispiel das von der Friedrich Ebert Stiftung veröffentlichte „Turkey Media Barometer“ (2014). 3.2.2 Experteninterviews Unter der Methode des Experteninterviews wird in dieser Arbeit „das leitfadengestützte Gespräch mit Leistungsrollenträgern in gesellschaftlichen Teilbereichen“ (Blöbaum, Nölleke, und Scheu, 2014, S. 1) verstanden. Experten mit praktischem Erfahrungswissen stellen eine wichtige Quelle dar und tragen zur „Generierung bereichsspezifischer und objektbezogener Aussagen“ (Scholl, 2009, S. 69) bei. Ziel ist es, „Träger exklusiven Wissens“ zu erreichen (Meyen et al., 2011, S. 61). Argumente für die Wahl des Experteninterviews als Methode sind deren Erkenntnispotenzial und der unproblematische Zugang zum Feld, „da relevante Experten gut identifizierbar und kooperationsbereit sind“ (Blöbaum et al., 2014, S. 2). Bei dieser Untersuchung handelt es sich um ein systematisierendes Experteninterview, dessen Ziel eine „möglichst weitgehende und umfassende Erhebung des Sachwissens der Experten bezüglich des Forschungsthemas“ (Bogner et al., 2014, S. 24) ist. Das Interview wird entlang eines Leitfadens geführt, „mit dem versucht wird, alle Lücken zu schließen“ (ebd., S. 24), die durch die bisherige Dokumentenanalyse nicht geschlossen werden konnten. Dabei dient das entwickelte Kategoriensystem als Orientierung. Für diese Untersuchung wurden zunächst 20 Fragen entwickelt, die in die zwei Hauptkategorien Aktuelle Entwicklungen im türkischen Mediensystem und Bild der Journalisten unterteilt und dann „unter Bezugnahme auf Informationen über den jeweiligen Interviewpartner angepasst“ (Blöbaum et al., 2014, S. 12) wurden. Für die Interviews in schriftlicher Form wurde ein extra Fragebogen mit sieben Fragen entwickelt. Die jeweiligen Fragen finden sich in den 10 dokumentierten mündlichen und schriftlichen Interviews im Anhang dieser Forschungsarbeit. Als Experten kamen Menschen aus unterschiedlichen Berufswelten in Frage, die alle über ein überdurchschnittlich großes Wissen zum Mediensystem der Türkei verfügen. Dazu gehören türkische Journalisten korrespondenten, und Vertreter Kommunikationsvon und Medienwissenschaftler, Nichtregierungsorganisationen, Auslands- Gewerkschaften und Ministerien sowie Mitarbeiter von Botschaften und Konsulaten. Aus diesem Fundus von Experten wurde eine Liste mit potenziellen Interviewpartnern erstellt, die per Email angeschrieben wurden. Während der Rücklauf bei vielen türkischen Experten sehr gut war und schnell die ersten Interviews zustande kamen, war er bei den deutschen Experten wesentlich schleppender. Zwar bekundeten auch hier mehrere Experten Interesse an einer Teilnahme, doch bei einigen kam es im Laufe der Feldphase zu Terminproblemen. Insgesamt wurden für dieses Forschungsprojekt neun Experten interviewt, fünf per Skype und vier per schriftlichem Fragebogen. Bei den interviewten Personen handelt es sich entweder um Journalisten und Gewerkschaftler, die in der Türkei arbeiten oder türkische Kommunikationswissenschaftler, die sich mit dem Mediensystem befassen (siehe Abbildung 2). Leider ist es nicht gelungen, ein Interview mit einem Vertreter einer offiziellen Regierungsbehörde oder regierungsnahen Medien zu führen, wodurch uns der Blick auf das Mediensystem von Seiten der Anhänger der Regierung verwehrt blieb. Name Funktion Dr. Murat Akser türkischer Medienwissenschaftler, Universität Ulster Yavuz Baydar sehr bekannter türkischer Journalist und Blogger, Kommentator für die größte türkische Tageszeitung Zaman Sabine Küper-Büsch freie deutsche Auslandskorrespondentin und Dokumentarfilmerin Ayca Söylemez türkische Journalistin beim unabhängigen Online-Nachrichtendienst Bianet Dr. Ceren Sözeri türkische Kommunikationswissenschaftlerin, Galatasaray Universität L. Dogan Tilic türkischer Journalist der linken Tageszeitung Birgün und Gewerkschafter der Türkischen Journalisten Gewerkschaft (TGS) Prof. Ali Murat Vural türkischer Kommunikationswissenschaftler, Istanbul Universität Luc Walpot Auslandskorrespondent, Leiter des ZDF-Studios Istanbul aktiver Dr. Eylem Yanardagoglu türkische Kommunikationswissenschaftlerin, Kadir Has Universität Abbildung 2: Interviewpartner Die Skype-Interviews hatten eine Länge von 35-45 Minuten und wurden aufgenommen. Die Interviews verliefen abgesehen von manchen sprachlichen Schwierigkeiten einwandfrei und brachten sehr gute Ergebnisse. 11 3.3 Vorgehen bei der Auswertung Die Auswertung des Materials erfolgte der Forschungsmethode entsprechend in zwei Abschnitten. Im ersten Schritt wurden die Dokumente analysiert. Für eine erfolgreiche Auswertung wurden zahlreiche Dokumente aus dem Internet und Bibliotheken gesammelt, um sich in die Literatur zu der Thematik einzuarbeiten. Danach wurden dann die relevantesten Dokumente gelesen und die wichtigsten Informationen durch Markierungen herausgefiltert. (Meyen et al., 2011, S. 171) Nicht jedes Dokument lieferte Informationen zu allen Untersuchungskategorien, aber aus allen ließen sich Teilaspekte herausziehen. Durch die Dokumentenauswertung erhielten wir bereits ein sehr gutes Bild vom Mediensystem der Türkei und konnten die meisten Untersuchungskategorien mit Inhalt füllen. Nach dem vorläufigen Abschluss des ersten Forschungsabschnitts fehlten vor allem Informationen zu den Deutungsstrukturen, wie zum Beispiel dem Selbstverständnis der Journalisten. Ein weiteres Problem war, dass die Informationen und Daten in den Dokumenten durch die laufenden Entwicklungen teilweise widersprüchlich waren. Umso wichtiger war es, diese Lücken mit Hilfe der Experteninterviews zu füllen. Die Skype-Interviews wurden transkribiert und die wichtigsten Aussagen herausgefiltert. Durch die Interviews haben wir wichtige Informationen und Eindrücke vom aktuellen Zustand des türkischen Mediensystems erhalten. Nachdem diese beiden Arbeitsschritte erfolgreich abgeschlossen waren, galt es, Thesen zum Mediensystem aufzustellen. Diese sollen ein gutes Verständnis vermitteln und die Kategorien aus dem Kategoriensystem weitestgehend abdecken. Kaum berücksichtigt wurden dabei die Unterkategorien Auslandsmedien, Journalismuskulturen international und nicht-soziale Strukturen, da diese im türkischen Mediensystem weniger relevant sind. Zudem war es schwierig, eindeutige Ergebnisse bezüglich der Erwartungen der Gesellschaft zu erhalten, da diese in der Türkei stark polarisiert ist. Warum dem so ist und was für Thesen anhand unserer Untersuchungen aufgestellt wurden, wird nun im Ergebnisteil dieser Arbeit erläutert. 4 Thesen zum türkischen Mediensystem Die zentralen Ergebnisse werden anhand von vier Thesen vorgestellt. Sie orientieren sich an den drei Hauptkategorien des Kategoriensystems. Zu den Konstellationsstrukturen wurden zwei Thesen formuliert um möglichst viele Aspekte des Kategoriensystems zu erfassen. Es werden nicht alle Kategorien stur nacheinander abgehandelt, sondern zum großen Teil in den Thesen beantwortet. Teilweise kommt es in den Thesen zu einer Vermischung der verschiedenen, von Schimanks Akteur-Struktur-Dynamik vorgegebenen Strukturen, da es nicht sinnvoll ist, 12 wichtige Ergebnisse zu trennen. Als Belege für die Thesen werden Ankerzitate aus den Experteninterviews angeführt. Die Forschungsfrage warum und wie die Pressefreiheit in der Türkei in der Realität eingeschränkt wird, obwohl diese in der Gesetzgebung rechtlich garantiert ist, wird dabei über alle Thesen verteilt beantwortet werden. 4.1 These 1 - Medienökonomie (Konstellationsstruktur) Die türkische Medienlandschaft ist ein stark ausdifferenziertes, duales und liberales System. Die privaten Medien sind größtenteils im Besitz großer Wirtschaftsunternehmen, die auch in anderen Bereichen investieren. Durch wirtschaftliche Verflechtungen und Interesse an lukrativen Regierungsaufträgen seitens der Medienkonzerne kommt es zu einer regierungskonformen Selbstzensur in den Redaktionen. Gleichzeitig fand in den letzten Jahren eine Verschiebung der Medieneigentumsverhältnisse in Richtung regierungsnaher Investoren statt. Beides führte zu einer Einschränkung der Pressefreiheit. “The most interesting aspect is that Erdogan and the AKP government realized that you don’t have to jail journalists to punish and restrict and block journalism.” - Yavuz Baydar (Interview, 17. Dezember 2014) Im Mittelpunkt dieser These stehen die Marktstrukturen mit den politischen und wirtschaftlichen Akteuren und die Regulierung von und der Zugang zu Medien. Die Türkei hat eine ausdifferenzierte, wirtschaftlich stark konzentrierte Medienlandschaft. Das duale Rundfunksystem besteht aus privaten Fernseh- und Radiosendern, sowie der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalt TRT. Auf dem Zeitungsmarkt gibt es eine hohe Titelvielfalt. Die Gesamtauflage ist mit 5,1 Millionen verkauften Ausgaben am Tag bei einer Einwohnerzahl von mehr als 76 Millionen eher gering (Dogan Yayin Holding A.S., 2014, S. 37). Die privaten Medienunternehmen sind „Teil von Holdinggesellschaften, also Mischkonzernen, die immer auch in anderen industriellen oder kaufmännischen Bereichen tätig sind“ (Walpot, Interview, 21. Januar 2015). Diese sind im Zuge der Einführung einer liberalen Marktwirtschaft Ende der 80er und am Ende des staatlichen Rundfunkmonopols 1990 in den Medienmarkt eingestiegen (Sümer, 2009, S. 674). Das Fernsehen ist für die Türken das wichtigste Medium und stellt die Hauptquelle für Nachrichten dar. 99% der Einwohner haben einen Fernseher in ihrem Haushalt, 47% ein Radio und 72% einen Computer, von denen wiederum 68% Internetzugang haben (Broadcasting Board of Governors, 2014). Die geringe Zeitungsreichweite lässt sich zusätzlich zum allgemeinen Auflagenrückgang im Zuge der Digitalisierung mit einer hohen Analphabetenrate von ca. 10% bei Frauen und 3% bei Männern erklären (Central Intelligence Agency, 2014). 13 Der Mediensektor wird von einigen wenigen Holdinggesellschaften dominiert. Die beiden größten sind die Dogan-Medien-Gruppe und die Turkuaz-Medien-Gruppe. Zusammengenommen machen beide Gruppen 55% des Fernsehmarktes und 82% des Tageszeitungsmarktes aus (Yanardagoglu, & Gökdemir, 2014, S. 34). Der Dogan-Gruppe gehört u.a. der meistgesehene und als wichtigste Nachrichtenquelle geltende Fernsehsender Kanal D (Broadcasting Board of Governors, 2014, S. 21). Das Unternehmen ist außerdem auf dem Einzelhandelsmarkt sowie in der Energie-, Finanz- und Tourismusbranche aktiv. Die Turkuaz-Medien-Gruppe gehört zur Calik-Gruppe deren Vorsitzender der Schwiegersohn Erdogans ist und die zusätzlich in der Bau-, Energie-, Finanz- und Textilbranche aktiv ist. (Yanardagoglu & Gökdemir, 2014, S. 34) Weitere wichtige Unternehmen auf dem Medienmarkt sind die Cukurova-Gruppe, die Doguş-Gruppe, die Ciner-Gruppe und die IhlasGruppe. Die auflagenstärkste Tageszeitung ist die islamisch-konservativ ausgerichtete Zaman. Sie gehört keinem der genannten großen Medienunternehmen, sondern der Gülen Feza Gruppe (Kurban & Sözeri, 2012, S. 80). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk TRT betreibt 15 Fernsehsender und 9 Radiosender und wird durch Steuern, Zuteilungen aus dem Staatshaushalt und Werbung finanziert. Der Verwaltungsrat wird von der Regierung ernannt. Dadurch ist das Programm staatstreu und propagiert die offiziellen Ansichten und Positionen der Regierung (Yanardagoglu & Gökdemir, 2014, S. 11). Diese Art von Selbstzensur ist nicht nur ein Problem beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die türkischen Medien sind schon immer politischem Druck ausgesetzt gewesen. Dies liegt laut dem Leiter des ZDF-Studios Istanbul Luc Walpot daran, dass es in der Türkei keine demokratische Tradition gibt und die Presse entsprechend „immer Büttel einer Richtung“ war (Interview, 21. Januar 2015). Dementsprechend gab und gibt es „keine unabhängige, intellektuelle, redliche Presse“ (ebd.). Vor der Liberalisierung der Medienlandschaft in den achtziger Jahren unterlag die Presse einer offiziellen Zensur. Seitdem die großen Wirtschaftsunternehmen mit horizontalen und vertikalen wirtschaftlichen Verflechtungen den Medienmarkt beherrschen, findet die Kontrolle durch andere subtilere und indirektere Mittel statt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Vergabe öffentlicher Aufträge durch die AKP Regierung, zum Beispiel im Bauwesen. Diese Vergaben stellen für sie ein adäquates Mittel dar, um Einfluss auf die Berichterstattung der großen Medienunternehmen zu nehmen, da diese durch die Interessen in anderen Wirtschaftszweigen von den Aufträgen der Regierung abhängig sind. Um einen der lukrativen, teils milliardenschweren Aufträge zu erhalten, verzichten die Redaktionen der großen Medienkonzerne auf regierungskritische Berichterstattung. Dies hat in 14 den letzten Jahren im Zuge der gefestigten Machtposition der AKP Regierung zunehmend zu einer Kultur der Selbstzensur geführt (Sözeri & Kurban, 2014, S. 192-193). Ein prägnanter Wendepunkt war dabei ein von Erdogan einberufenes Treffen mit den wichtigsten Medieneigentümern im Oktober 2011. Von diesem entscheidenden Treffen berichtete uns auch der türkische Journalist Yavuz Baydar: “This was a meeting that resulted in the media owners accepting the terms of selfcensorship as a systematic method in the newsrooms. It was a very critical meeting. In that meeting even media owners like Dogan and others themselves starting suggesting that they would establish some sort of censorship committees, joint censorship councils in the media, so that news that will be disturbing to the government would not be printed or published or broadcast.” (Interview, 17. Dezember 2014) Regierungskritische Medien, die nicht in diesem Maße Selbstzensur betreiben, werden weiterhin durch Festnahmen eingeschüchtert. Das jüngste Beispiel sind die Festnahmen in der Redaktion der größten Tageszeitung Zaman im Dezember 2014. Diese steht dem islamischen Prediger und heutigen Rivalen Erdogans Fethullah Gülen nahe. Bis Dezember 2013 befanden sich Erdogan und Gülen in einer inoffiziellen Partnerschaft, die zerbrach, als sich beide über die Aufteilung der Macht nicht mehr einig waren. Heute wird der Gülen-Gemeinschaft von der Regierung die „Bildung von Strukturen gegen die Souveränität des Staates der Republik Türkei“ vorgeworfen (Kazim, 2014). Bei den Mainstream-Medien gibt es durch die regierungskonforme Berichterstattung mittlerweile keine direkte Zensur oder Festnahmen durch die Regierung mehr. Die Regierung schränkt so die Pressefreiheit indirekt ein, ohne offiziell gegen die Medienunternehmen vorzugehen. Neben dem politischen Druck herrscht in den Großkonzernen zusätzlich schon immer eine Selbstzensur aufgrund eigener wirtschaftlicher Interessen. Ein Beispiel dafür nennt der Journalist und Gewerkschafter Dogan Tilic im Interview. Viele Medieneigentümer hätten Geschäfte im Bergbau. Wenn man als Journalist für diese Medien arbeitet, könne man nicht kritisch über den Bergbau, also zum Beispiel die damit einhergehende Umweltzerstörung, berichten. „Writing that would mean writing against the interests of your owner.“ (Interview, 15. Dezember 2014) Zusätzlich zur Selbstzensur der großen Medienkonzerne hat die Regierung ein weiteres Mittel zur indirekten Einschränkung der Pressefreiheit entwickelt. Durch erzwungene Änderungen der Medieneigentümerstrukturen konnten von regierungsnahen Unternehmen so genannte PoolMedien geschaffen werden, die als Sprachrohr der Regierung dienen. Die Umstrukturierung wird mit Hilfe eines Einlagensicherungsfonds vollzogen. „The Savings Deposit Insurance Fund 15 (TMSF) has been used to reconfigure the mainstream media in accordance with the ideology of ruling party“ (Sözeri, Interview, 6. Januar 2015). Dieser übernimmt die Kontrolle von Medienunternehmen, deren Muttergesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten stecken und verkauft diese im nächsten Schritt günstig weiter an regierungsnahe Unternehmen (Corke et al., 2014, S. 13). Einer der bekanntesten Fälle dieser Art der Umstrukturierung des Mediensystems ist der Machtkampf zwischen der Dogan-Gruppe und der AKP-Regierung. Der Konzern hatte Erdogan durch regierungskritische Berichterstattung gegen sich aufgebracht. Wenig später erhielt die Gruppe eine Steuernachzahlungsforderung über 2,5 Milliarden US-Dollar (ebd., S. 7). Über die Folgen berichtet der Kommunikationswissenschaftler Murat Akser: „He [die Dogan Gruppe] had to sell some of the newspaper and TV channels and with these tax money they created this pool of friendly business men and gave them the funds to buy the newspapers and TV channels“ (Interview, 12. Dezember 2014). Durch die Schaffung von Pool-Medien und die Selbstzensur sind heute ca. „80% der Presse direkt unter der Kontrolle der Regierung bzw. Erdogans und seiner Unternehmensfreunde“ (Walpot, Interview, 21. Januar 2015), weshalb von unabhängigem Journalismus nicht die Rede sein kann und die Pressfreiheit eingeschränkt ist. 4.2 These 2 - Gesetzgebung (Erwartungsstruktur) Die in der Verfassung und dem Pressegesetz von 2004 verankerte Pressefreiheit wird durch andere Gesetze, wie zum Beispiel dem Anti-Terror-Gesetz oder bestimmte Paragraphen des türkischen Strafgesetzbuches eingeengt. „It is not a matter of the press law. There are many articles of the Turkish Panel Code, under which you can persecute journalists or writers (…). This country has a problem of democratic culture.“ - Dogan Tilic (Interview, 15. Dezember 2014) Die zweite These beschäftigt sich mit juristischen Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei. Die Pressefreiheit ist durch die Verfassung und Mediengesetze geregelt. In Artikel 28 und 133 der türkischen Verfassung finden sich die grundsätzlichen formellen Erwartungsstrukturen an die Funktionen des Mediensystems. Artikel 28 stellt fest: „Die Presse ist frei, Zensur findet nicht statt“ (Rumpf, 2014, S. 12). Auch das im Juni 2004 neu beschlossene Pressegesetz stellt in Paragraph 3 fest: “Die Presse ist frei. Dies beinhaltet das Recht auf Information, Verbreitung, Kritik, Kommentierung, sowie Urheberrechte” (Basin Kanunu No 5187, 2004). Die Entstehung des Gesetzes ist im Rahmen der EUBeitrittsverhandlungen der Türkei zu sehen. In der Zeit von 2001 bis 2005, dem Jahr der offiziellen Aufnahme der Verhandlungen, wurden in der Türkei eine Reihe von Gesetzespaketen verabschiedet, die sich an EU-Recht orientierten und das Land für eine EU16 Mitgliedschaft vorbereiten sollten. Die Realität sieht oftmals anders aus. Die Journalistin des Online-Nachrichtendienstes Bianet, Ayca Söylemez, erklärt dazu im Interview: „Auch wenn die Gesetze auf dem Papier gut aussehen, hat das oft nichts mit ihrer Anwendung zu tun“ (Interview, 21. Dezember 2014). Murat Akser sieht einen Grund dafür in den Ausnahmeregelungen türkischer Gesetze. So sei jedes Gesetz durch Einschränkungen bezüglich der nationalen Sicherheit betroffen, insbesondere die Pressegesetze. Dies ermögliche die willkürliche Verfolgung von Journalisten. (Interview, 12. Dezember 2014) Auf Reaktionen der EU, wie die kürzlich erfolgte Resolution des Europarates zur Meinungsfreiheit in der Türkei, nimmt die Türkei immer weniger Rücksicht (Europarat Resolution, 2015). Für Dogan Tilic liegt der Grund in der nachhaltigen Machtfestigung der Regierung: „As it consolidated its power, as it became less dependent on external support, it became more and more oppressive“ (Interview, 15. Dezember 2014). Die konkrete juristische Verfolgung von Journalisten findet meistens nicht auf Grundlage der geltenden Mediengesetze statt, sondern mit Hilfe von bis zu 15 verschiedenen Gesetzen (Eylem Yanardagoglu, 2014, S. 98). Die türkische Journalistenvereinigung TGC spricht in einem Bericht von 10.000 Verfahren, die gegen Journalisten in den letzten Jahren eröffnet wurden (Türkiye Gazeteciler Cemiyeti, 2012). Auch im neuen Strafgesetzbuch aus dem Jahr 2005 finden sich immer noch zahlreiche Artikel, die die Pressefreiheit einschränken, zum Beispiel Artikel 301 “Beleidigung der türkischen Kultur, der Republik und der Organe und Institutionen des Staates” und Artikel 305 “Verschaffen von Vorteilen, um gegen elementare nationale Interessen Aktivitäten auszuführen” (Sümer, 2009, S. 673). Insbesondere kurdische und linke Journalisten werden immer wieder aufgrund des Vorwurfs der Unterstützung oder Propaganda für eine verbotene terroristische Vereinigung verurteilt. In einer Studie des Committee to Protect Journalists von 2012 werden 75 Journalisten aufgelistet, die zu dieser Zeit aufgrund ihrer Berichterstattung in Haft saßen. 64 davon kamen aus einem kurdischen und/oder linken Medienspektrum (Sweeny, 2012). Im Juli 2014 waren noch 37 Journalisten und Verleger inhaftiert (Önderoglu, 2014). Oftmals wird die Justiz aktiv, wenn Staatspräsident Erdogan gezielt Journalisten oder spezielle Medienangebote, die durch eine kritische Berichterstattung aufgefallen sind, ins Visier nimmt und in seinen Reden geißelt. Die Auslandskorrespondentin Sabine Küper-Büsch stellt dazu fest: „Die Judikative in der Türkei ist nicht unabhängig. Deswegen werden Journalisten häufig nicht nach dem Mediengesetz, sondern etwa dem Anti-Terror-Gesetz [sic] angeklagt. In der Türkei 17 gilt es nicht nur die Gesetze zu ändern, sondern die Rechtspraxis muß [sic] mitbeobachtet werden“ (Interview, 12. Januar 2015). Die rechtlich garantierte Pressefreiheit wird somit durch andere Gesetze, wie dem Anti-Terror-Gesetz, stark eingeschränkt und Journalisten mit Prozessen überzogen: “The antiterrorism laws make it possible to prosecute journalists for producing ‘propaganda’ for terrorist organizations or ‘aiding’ a criminal organization with a low burden of proof. The definitions of ‘terrorism’, ‘terrorist organization’, and ‘propaganda’ continue to be so open-ended that interviews with PKK leaders or descriptions of PKK activities, as well as other ‘armed’ or ‘terrorist’ organizations, could easily be used for prosecution of journalists.” (Corke et al., 2014, S. 14) Auch das Internetgesetz beschneidet die Pressefreiheit. In dem Gesetz sind die Aufgaben des Amts für Telekommunikation (Telekomünikasyon Iletisim Baskanligi, TIB) festgelegt. Es überwacht, was im Internet veröffentlicht wird und handelt sobald Gesetze in irgendeiner Form verletzt oder Beschwerden von Bürgern eingereicht werden. Der größte Einschnitt durch die aktuelle Verschärfung ist dabei, dass das TIB Internetseiten ohne richterlichen Beschluss jederzeit blockieren kann. (Yanardagoglu & Gökdemir, 2014, S. 10) Eine weitere Institution zur Medienregulierung ist der Oberste Rundfunk- und Fernsehrat (Radyo Televizyon Üst Kurulu, RTÜK). Er besteht aus fünf Vertretern der Regierungspartei und vier von der Opposition (ebd.). RTÜK vergibt per Gesetz Sendelizenzen und hat umfangreiche Strafbefugnisse. Von diesem Recht macht der Rat häufig Gebrauch, was in den Fortschrittsberichten der EU zur Türkei kritisiert wird (European Commission, 2013, S. 52). So kommt es in der rechtlichen Praxis zu einer weitläufigen Verfolgung von Journalisten, obwohl die Pressefreiheit rechtlich garantiert ist. 4.3 These 3 - Arbeitsbedingungen (Konstellationsstruktur) Die Mehrzahl der türkischen Journalisten arbeitet in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Bei einer den politischen und wirtschaftlichen Interessen der Medienkonzerne und der Regierung nicht konformen Berichterstattung droht ihnen der Verlust des Arbeitsplatzes. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Tatsache, dass gewerkschaftliche Organisierung von Seiten der Medienunternehmen nicht geduldet wird. Diese Abhängigkeit und Unsicherheit der Arbeitsplätze ist ein Hemmnis für die Pressefreiheit. „The media owners put a kind of precondition for every person that it would employ, that they shouldn´t join the union.“ - Dogan Tilic (Interview, 15. Dezember 2014) 18 „Wenn sie sich nicht selbst zensieren würden, hätten sie keine Überlebenschance.“ - Ali Murat Vural (Interview, 18. Dezember 2014) „Dem Journalisten geht es momentan vor allem darum, seine Arbeit zu behalten.“ - Aya Söylemez (Interview, 21. Dezember 2014) 95.442 Menschen arbeiteten im Jahr 2014 laut Turkey Media Barometer in der Medienbranche, davon ungefähr 35.000 die direkt mit der Produktion von Inhalten und dem Druck von Zeitungen zu tun haben (Yanardagoglu & Gökdemir, 2014, S. 64). Während Chefredakteure und leitende Angestellte der großen Medienunternehmen hohe Gehälter um die 15.000 Euro erhalten, arbeitet die große Mehrzahl der Medienschaffenden unter schwierigen Verhältnissen, ohne Jobsicherheit und soziale Absicherung. Das Einstiegsgehalt für Journalisten liegt zwischen 280 und 420 Euro und reicht für das Überleben in den beiden großen Medienstädten, Istanbul und Ankara, kaum aus (ebd., S. 62). Die durchschnittliche Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses liegt bei fünf Jahren (Sözeri & Güney, 2011, S. 35). Die türkische Journalistengewerkschaft TGS (Türkiye Gazeteciler Sendikasi) ist die einzige Gewerkschaft, die dazu befugt ist, kollektive Vereinbarungen für Journalisten zu verhandeln. 2012 hatte sie 4500 Mitglieder (Kurban & Sözeri, 2012, S. 54). Seit Anfang der 90er ist ihr Einfluss durch den Druck der Medienunternehmen und die Liberalisierung des Medienmarktes massiv zurückgegangen. In fast allen Medienbetrieben besteht keine offene gewerkschaftliche Organisierung mehr. Journalisten deren Gewerkschaftsmitgliedschaft bekannt ist, werden entlassen oder gar nicht erst eingestellt (Tilic, Interview, 15. Dezember 2014). Neben der Gewerkschaft gibt es eine Vielzahl von Ständeorganisationen, die aber aufgrund ihrer Zersplitterung nicht durchsetzungsfähig sind (Baris, 2010). Dies bestätigt auch die Kommunikationswissenschaftlerin Ceren Sözeri: “There is no reliable self-regulatory organization in the media” (Interview, 6. Januar 2015). Mehr als 60 kommunikationswissenschaftliche Fakultäten und Institute im Land schaffen ein Überangebot an jungen ausgebildeten Journalisten (Tilic, Interview, 15. Dezember 2014). Dies führt zu einem steigenden Wettbewerb und einer Konformität der Berichterstattung. Journalisten, die leicht ersetzbar sind, thematisieren in ihrer Berichterstattung seltener gesellschaftliche und politische Missstände, da dies zu einem Verlust des Jobs führen können (Baris, 2010). Der geringe Organisierungsgrad, die hohe Konkurrenz untereinander und die damit verbundene Entsolidarisierung führen dazu, dass sich Journalisten nicht gegen die Vorgaben der Medieneigentümer und der Chefredakteure wehren können. Eine regierungskritische 19 Berichterstattung, die den wirtschaftlichen Interessen des Medienkonzerns schaden kann, führt schnell zur Entlassung. Die Chefredakteure legitimieren ihren Einfluss oftmals durch direkte Beziehungen und Freundschaften zu den Medieneigentümern (Christensen, 2007, S. 186). Der Media Observation Report des unabhängigen Nachrichtenportals Bianet spricht im Zeitraum von Juli 2013 bis Juni 2014 von 384 Journalisten, die von ihren Positionen entfernt oder zum Rücktritt gezwungen wurden (Önderoglu, 2014). Für den Gewerkschafter und Journalisten Tilic prägt das die Berichterstattung der großen Mainstream-Medien: „Very simple choices for a journalist become a choice between loosing or keeping his job“ (Interview, 15. Dezember 2014). Die Arbeitsbedingungen, Berufsverbände und die Journalistenausbildung sind Unterkategorien unseres Kategoriensystems, die den Konstellationsstrukturen zuzuordnen sind. Es wird besonders deutlich, wie diese Strukturen im türkischen Mediensystem das „Können“ der Akteure, hier insbesondere der Journalisten, prägen: Die geringe Bezahlung, unsichere Beschäftigungsverhältnisse und der drohende Verlust des Berufs bei nicht-konformer Berichterstattung führt zu einer Einschränkung der Pressefreiheit. Aufgrund der geringen Selbstorganisation in Gewerkschaften und anderen Berufsverbänden können sich die Journalisten kaum dagegen wehren. Die Arbeitsbedingungen sind auch geprägt von direkter Einflussnahme der Regierung auf die Berichterstattung. Luc Walpot berichtet, dass Erdogan auch gerne persönlich zum Telefon greife. Er “ruft an bei der Holding und sagt, ihr müsst jetzt mal den und den Journalisten bei dem und dem Blatt rausschmeißen. Dann werden die am nächsten Tag gekündigt. Das ist so. Das passiert knallhart” (Interview, 21. Januar 2015). 4.4 These 4 - Polarisierung der Gesellschaft & Journalistisches Selbstverständnis (Deutungsstrukturen) Ohne die generelle Polarisierung der türkischen Gesellschaft zu verstehen, lässt sich auch die Entwicklung der türkische Medien und die Einschränkungen der Pressefreiheit nicht nachvollziehen. Die Gesellschaft teilt sich in zwei große Lager: In Unterstützer und Gegner der AKP-Regierung. Die Mainstream-Medien sind aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen Unterstützer der Regierung. Deshalb können in ihren Redaktionen unterschiedliche journalistische Selbstverständnisse nicht mehr umgesetzt werden. Journalisten mit einem westlichen Selbstverständnis werden aus den Redaktionen verdrängt. Zurück bleiben Journalisten, die sich als Sprachrohr der Regierung sehen oder gezwungen sind so zu handeln, um ihren Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Die Polarisierung der Gesellschaft und die (erzwungene) Uniformität der Selbstverständnisse in den Mainstream-Medien führt zur Einschränkung der Pressefreiheit. 20 “Every journalist feels the pressure between being a professional of a profession, which has its own truth and its own codes and on the other hand being an employee of an employer who is paying his salary.” - Dogan Tilic (Interview, 15. Dezember 2014) Dem Kategoriensystem folgend, stehen in dieser These die Deutungsstrukturen mit dem Selbstverständnis der Journalisten und deren Reputation in der Gesellschaft im Mittelpunkt. Dies wird anhand der Polarisierung der Gesellschaft erläutert. Selbige geht mit einer Polarisierung der Medien einher. Diese Polarisierung gibt es in ihren Grundzügen schon seit Jahrzehnten, die AKP Regierung und ihr Präsident Erdogan treiben sie in den letzten Jahren aber verstärkt voran. Erdogans Vorgehen dabei beschreibt Akser: “The way he does it is the popular quote ‘us against them’. In 2007 he asked all citizens to take sides. ‘Either you are with us or you are against us’, he said in the campaign. So he shows his state of mind that any criticism is against him, against religion, against voters, against democracy.” (Interview, 12. Dezember 2014) Diese Unterteilung in Gut und Böse hatte ihren Höhepunkt während der Gezi-Proteste, als Erdogan Regierungskritiker offen als Terroristen bezeichnete (Spiegel Online, 2013). Sein Ansehen verliert er bei den Anhängern dadurch bisher nicht. „Da die AKP immer noch eine recht hohe Akzeptanz in der Bevölkerung hat, nehmen ihre Wähler das Mediensystem und seine Journalisten als weniger korrupt war, als es in Wirklichkeit ist” (Küper-Büsch, Interview, 12. Januar 2015). Durch die Polarisierung ist es schwer, ein einheitliches Bild von der Reputation der Medien zu bekommen. Während Küper-Büsch davon spricht, dass Journalisten traditionell ein hohes Ansehen genießen (ebd.), sagt Ceren Sözeri, dass die politische Polarisierung zunehmend die Glaubwürdigkeit der Medien und das Ansehen der Journalisten negativ beeinflusst (Interview, 6. Januar 2015). Die Polarisierung hat dementsprechend einen starken Einfluss auf das Selbstverständnis der Journalisten. Dies wird auch in einer Studie des türkischen Journalisten Mustafa Dagistanli deutlich, die zu dem Ergebnis kommt, dass Journalisten sich schwer tun, sich mit ihrer eigenen Arbeit zu identifizieren und stolz darauf zu sein, was sie produzieren (Dagistanli, 2014, S. 142). Türkische Journalisten, die schon seit mehreren Jahren in dieser Branche arbeiten, verstehen unter professionellen Journalismus eigentlich, dass man unabhängig von der Ideologie der Zeitung oder des Mediums für das man arbeitet, seiner Tätigkeit nachgeht (Yanardagoglu & Gökdemir, 2014, S. 55). Wie in den vorangegangen Thesen bereits erkennbar wurde, ist es in dem heutigen Zustand des Mediensystems nahezu unmöglich, diesem Selbstverständnis nachzugehen, ohne seinen Job zu verlieren oder bedroht zu werden. In Folge der Polarisierung und der Verschärfung der regierungstreuen Berichterstattung, haben zahlreiche Journalisten von sich aus gekündigt oder wurden gekündigt, da sie die neue Linie ihres Arbeitgebers nicht 21 mittragen wollten. Die Mehrzahl der Journalisten passt sich aber den neuen Gegebenheiten an und schreibt in dem Tenor, der von den Führungsetagen vorgegeben wird. (Sözeri, Interview, 6. Januar 2015). Die Polarisierung durch die Regierung in Form von ideologischer Manipulation und direkten Eingriffen haben somit zu einer Situation geführt „where the ethics of journalism are no longer open to debate“ (Yanardagoglu & Gökdemir, 2014, S. 57). Dazu wird auch im EU Fortschrittsbericht festgesellt: „The polarisation of society and the media prevents selfregulation, establishing common rules for professional ethics, and professional solidarity through setting up trade unions“ (European Commission, 2014, S. 52). Für die Pressefreiheit des Landes bedeutet dies, dass die politische Polarisierung der Gesellschaft und innerhalb der Medien ein gemeinsames Handeln für Pressfreiheit verhindert (Sözeri & Kurban, 2014, S. 195). 5 Fazit Die Türkei ist offiziell eine demokratische Republik, in der laut Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit herrscht und es eine vielfältige, liberale und duale Medienlandschaft gibt. Doch die Realität sieht anders aus: „The freedom of press and freedom of expression are at its lowest degree“ (Yanardagoglu, Interview, 25. Dezember 2014). Diese Aussage fasst den aktuellen Zustand des Mediensystems gut zusammen. Genau deshalb lautete die Forschungsfrage dieser Arbeit, warum und wie die Pressefreiheit in der Türkei in der Realität eingeschränkt wird, obwohl diese in der Gesetzgebung rechtlich garantiert ist. Die wichtigsten Ursachen für den Zustand des Mediensystems wurden im Laufe dieser Arbeit erläutert. Zuvor wurde zunächst ein an Schimank angelehntes Kategoriensystem entwickelt, mit dessen Hilfe ein strukturierter Zugang zum türkischen Mediensystem ermöglicht wurde, um herauszufinden, wie die Strukturen des Mediensystems durch das Handeln der verschiedenen Akteure entstehen und wie diese ein Handeln letztlich überhaupt ermöglichen. Anhand der Analyse von Dokumenten und Experteninterviews wurden die Untersuchungskategorien mit Inhalt gefüllt und im Anschluss daran die vier zentralen Thesen zum Mediensystem der Türkei entwickelt. Die Theorie und das Kategoriensystem waren ein Raster, mit dem das Mediensystem analysiert werden konnte und die Ergebnisse nachvollziehbar wurden. Kritisch anzumerken ist, dass es uns nicht gelungen ist, regierungsnahe Experten zu befragen. Allerdings hatten die Aussagen in den Interviews unabhängig von der Profession jeweils eine sehr ähnliche Tendenz, die sich auch in unserem Ergebnis widerspiegelt. Diese besagt, dass die Pressefreiheit, obwohl sie auf dem Papier vorhanden ist, durch verschiedene politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Einflüsse stark eingeschränkt wird. Diese Einschränkungen sind alle unter der zunehmenden Polarisierung der türkischen Gesellschaft durch die aktuelle Regierung und dem Streben nach 22 Machterhalt seitens der AKP-Regierung zu verstehen. Eine zentrale Rolle spielen die Konstellationsstrukturen. Die Mainstream-Medien gehören großen Holdinggesellschaften, die von öffentlichen, von der Regierung vergebenen Aufträgen abhängig sind. In diesem Zusammenhang findet eine Selbstzensur unter der Beachtung eigener wirtschaftlicher Interessen und der politischen Interessen der Regierung statt, so dass die Berichterstattung in den letzten Jahren zunehmend regierungskonformer wurde und es zu einer Gleichschaltung der Mainstream-Medien kam. Medienunternehmen, die diesen Kurs von sich aus nicht mitmachen wollen, werden entweder durch einen Fond der Regierung an regierungstreue Unternehmen weiterverkauft oder durch Durchsuchungen und Verhaftungen eingeschüchtert. Auch die Erwartungsstrukturen in Form von Gesetzen schränken die freie Arbeit der Presse durch bestimmte Rechtsprechungen zur Sicherheit des Landes, vor allem dem Anti-Terror-Gesetz, ein. Die Mehrzahl der Journalisten arbeitet ohne soziale Absicherungen unter prekären Verhältnissen und der andauernden Bedrohung, jederzeit entlassen zu werden. Dadurch sind sie in ihrer freien Berichterstattung eingeschränkt. Einen weiteren Beitrag dazu bilden auch die Deutungsstrukturen, da die Journalisten aufgrund einer zunehmenden Polarisierung des Landes in einen Zwiespalt zwischen dem eigenen Selbstverständnis und den redaktionellen Vorgaben geraten. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Regierung zunehmend autoritär regiert und über verschiedene Wege einen regierungskritischen Journalismus unterdrückt. In dem dreimonatigen Forschungszeitraum dieser Arbeit gab es zahlreiche weitere Entwicklungen innerhalb des türkischen Mediensystems, zum Beispiel die Verhaftung des Chefredakteurs der Zaman oder die Verabschiedung neuer Internetgesetze, die Zensur ohne Rechtsprechung erleichtern. Dies macht deutlich, dass es schwer ist, einen Status Quo des türkischen Mediensystems festzuhalten. Gerade die Festnahmen regierungskritischer Journalisten weisen eher auf eine düstere Zukunft der Pressefreiheit hin. Es bleibt abzuwarten, wie weit die AKP Regierung und ihr Präsident Erdogan gehen können. Im Juni stehen Parlamentswahlen an und zurzeit scheint ein erneuter Wahlsieg der AKP als sicher. Die meisten unserer Interviewpartner blickten deshalb mit Sorge in die Zukunft: „Turkey is rapidly moving away from the EU and democratic values towards east to central Asia. This will be a very dramatic development. I‘m very gloomy and pessimistic about the future of the Turkish media“ (Yavuz Baydar, Interview, 17. Dezember 2014). Diese Ansicht teilt auch Ceren Sözeri und sieht nur einen Ausweg aus der Krise: „Only journalists and the solidarity or resistance against the government and media owners can change the system or combat the pressures on freedom of press in Turkey“ (Interview, 6. Januar 2014). Dem ist nichts hinzuzufügen. 23 6 Literaturverzeichnis Auswärtiges Amt. (2014). Türkei. Abgerufen am 25.01.15 von http://www.auswaertigesamt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/ Tuerkei_node.html Auswärtiges Amt. (2014b). Türkei. Wirtschaft. 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Die Qualität ist eher schlecht und Akser teilweise schwer verständlich. Akser erzählt ausführlich und anhand von Beispielen über die aktuellen Entwicklungen. Allerdings ist sein Englisch teilweise etwas holprig. Zur Transkription: Nur die mit „“ gezeichneten Stellen sind wörtliche Zitate. Alles andere sind Zusammenfassungen der Gesprächsinhalte in Ich-Form. Kerem Schamberger: Our today’s topic is the media system in turkey. Maybe in order to be able to access the information you are giving to us I would like to start of with your current profession situation. You are a lecture in cinematic arts at the University of Ulster before that you where at Kadir Has University. How did you achieve your position and what have you done before that? Murat Akser: I started with studies of cinema during my master in Canada, but later on i wanted to go on with communication. When I started studying communication what interested me was the different systems and the relationship between newspapers. When I came back to turkey in 2006 I realised that there was a slight control of media starting around 2009. It was very coordinated and organized by the government. Around then the government in turkey had this strange idea that the in 1997 the movement against that government was somehow organized by media. There was a media campaign and they thought that the same could happen to them. It’s kind of paranoia of them. What we have been learning currently is that here has been widespread wiretapping of listening to the conversations of journalists and others by another part of their government. They started arresting journalists. By doing their job suddenly whoever was critical of the government got arrested and one by one you would see those names go behind bars. I started noticing that it started with Dogan Media Group that suddenly the prime minister started saying don’t buy their newspapers, people just make money of you and stuff like that. It’s bizarre, although we know Dogan Media and other conglomerates controll the news, suddenly there was a conflict of interests. How did it happen? It’s because one tender was not given to Dogan and then they started being critical of the Erdogan government and then he started attacking back. This current government claims everything from the perspective of majority of the voters. I can do whatever I want, what is quite undemocratic and the press has to be handled, news editors have been taught how to write because they criticised the government. 1 There have been regular meetings with the prime minister, now the president, and editors. Which is bizarre. Because when you do such meetings afterwards the news release of the meetings wasn’t like “the prime minister gave briefings to the foreign policy” or something. Instead it says “the prime minister asked the editors to calm down their critic or write less about certain processes in the name of national security” or something. This kind of asking media to self censor is quite bizarre. Schamberger: I think the first meeting was in October 2011. Akser: Yes as soon as he was re-elected or just before that. Schamberger: Due to Turkeys’ application to the EU there were a lot of legal changes that formally improved the freedom of the press like the new press law from 2004. Was there really an actual positive change at that time and what did these improvements look like or where there non? Akser: According to my research there has been a steady development of the freedom of expression in journalism since the early 20th century (1908 freedom act). Later on they tried to control media during the republican times through pre-approval of the news but media was still critical. Around the 1990s media was pretty much free, except writing about terror events. “And then this happens: They are changing the laws, they are arresting people, keeping them in prison which has violated the constitution and then the constitution was the reason why they had to release them. It was a bizarre series of events. Lot of people from prison are free now and there are no charges against them, so they give them justice.” What happens in Turkey, is that they have created a new concept of pool media. This is when the government asks several business man, not just big owners, to bring their resources and put plenty of money together, to buy a certain newsgroup or newspaper. How could they do it? First it was Cem Uzan, who owned several newspapers, he twice was in elections against the Prime Minister and to punish him, they transferred all of his belongings to a fund, which was established by the previous government to get back the money of bancrupt enterprises, but now they were using it to distribute news outlets to favorable businessmen, who would then assign editors who write favorable. All this is changing currently. It’s changing so fast that it is hard to track. Because new media conglomerates are now firing news editors, who might write critical so there is no one left to write any real free news, because everyone will be praising the government. Schamberger: So mostly it’s after speeches of Erdogan when he said I don’t like this newspaper or this journalist, because he is writing against me and then a few days later you can read that this journalist or this head of the newspaper was kicked out. Akser: Yes and they may have been lists prepared who to arrest. One example was Tuncay Özkan, who was kind of a Republican journalist who notced that people were being arrested. If you want to arrest someone come and arrest me he said and so they arrested him because he challenged them. Without any proper reason they could just arrest anyone and three of these people were elected member of parlament while they were in prison - this is such a injustice. In the article you read we had to fight with the editor because she said: “Stop it, when you write this you will be in trouble and there will be lawsuits against you.“ And I said: This is what I am claiming and in a short period of time we will see that all these people will be let go. It will happen within two years or less than that. 2 Schamberger: What is the legal framework for these persecutions? Because it’s not on the basis of the press law, I think it’s on the basis of several other laws like the anti terror law. Akser: Yes. They made laws which allowed them first to arrest people and then produce evidence and then take them to court. These long arrests were planned to, even they were unconstitutional, as a special form of punishment to innocent people without basis. So special court and special appointed prosecutors who turned out to be the Gülen people later on because Sekerya Öz has been the leader of them. Its kind of an agreement, the Cemaat people say that you give us protection and we will give protection from the media to you. You just give us powers, so slowly they pass laws to create this kind of special court and prosecutors which has become a breaking point with last years December 17 investigatons and everything was okay. Everyone who were arrested were cursed and I rememeber the prime minister saying that „I am the prosecutor“, because the member of the CHP, I think it was Baykal, said „Im the lawyer of those who are arrested.“ From that point on we should talking about parallel structure and other kinds of organisation that mislead him. But its really strange. Schamberger: I don’t know, whether you have read the current article of Dilek Kurban. She is also saying that these meetings with the media owners and Erdogan, which started in 2011, are kind of a turning point of the current situation of press freedom in Turkey. Akser: Yes. I’m aware of these. They have produced these policy papers criticising the way media is approaching. They are great works. I recommend them to everyone. Schamberger: The press law is kind of liberal but the reality is completely different. So on basis of which laws are the journalists prosecuted? Akser: What happens is that there are exceptions for every law in terms of national security. They create these exceptions in other laws to supress the press. The best thing they can do is either add to the constitution a law [14:18: unverständlich]. Freedom of expression and press are protected by the constitution, not law. That’s why any law against the freedom of reporting is unconstitutional. They are trying to get away with these changes in the laws but each law that is creating kind of problems for the media freedom is not illegal. They can pass law but they are unconstitutional. Schamberger: It is not only about laws it’s also about self-censorship because they fear to be the enemy of the government in the view of Erdogan. Akser: “The way he does it is the popular quote „us against them“. In 2007 he asked all citizens to take sides „either you are with us or you are against us“, he said in the campaign. So he shows his state of mind that any criticism is against him, against religion, against voters, against democracy. He has the idea that “If you are against me and my idea, then you are against all these people and their ideas. Which is quite bizarre because you could do wrong policy decisions and he just could say, „Sorry I am wrong“, but he does not say that and instead says everyone else is guilty. This is a kind of psychological sickness.” There are extra reports on this subject. This could happen in certain African dictatorship or Latin America. That’s why this is such a strange situation for us in a country that is official a democracy this much interference in media freedom is strange. Schamberger: You as a scholar have you ever been affected by censorship from the government? Akser: That’s the sad thing about writing in international media. If you write in English and in the 3 level of American scholar, not many people read about it. “The government is not aware of it, even if I would translate my articles to Turkish and publish in Turkish academic magazines, it would still have such limited readership. The government wouldn’t notice it. That’s why writing scholarly on it would not affect me.” Probably, because they are not aware what I’m writing about. Schamberger: That’s for everybody who is a scholar at communications? Akser: Yes you could say that. They have their own special people doing communications but they are most interested in public relations like opinion polls. Not something like this. Schamberger: So we talked about legal and political problems. Are there also economic players that restrict the press freedom in turkey? Akser: Yes. Currently several EU reports criticise how big the business control of the media is. There is the money factor. We are talking about multi-platfrom institutions. Dogan Media in this sense owns newspapers and then TV channels and than digital platforms. They could spin the news the way they want or for example in the terms of people leaving, their critical news editors are fired or let go. Either you accept their standards or leave. What they are doing is that they are not paying much to regular journalists, but they have these columnists they pay a lot of money. You then realise that there are businesses outside the media by the owner being affected by government and they cannot just publish critical news. The warfare between the Aydin Dogan Media Group and the Government was the first time that a major business owner and major newspaper owner openly declared war on a ruling government. But Aydin Dogan lost because they have fined Dogan media so many times with over a billon dollar. “He had to sell some of the newspaper and TV channels and with these tax money they created this pool of friendly business men and gave them the funds to buy the newspapers and TV channels. Dogan lost the war, he had to sell some of his businesses which were attacked by the government for example the oil company. So he had to become a smaller player.” Schamberger: To what extend does the media literacy level of the Turkish people affect the media system? Akser: Its unfortunate that I don’t know many comparisons what goes on across the world but if something is on TV people believe it. For example during theErgenekon trials anyone watching tv were let to believe that this was clear. I was saying that there is no evidence and nobody was listening. Now the same people would say those people were innocent. Do media literacy which is a subject in European countries at a grade 8 or 10 level, they know how to analyse the media. In turkey there no such classes in high school or other classes. So people are buying all types of false news. People easily believe what government is saying and it is possible that a little time later they are ready to believe exactly the opposite. There was a changing of perception after December 17 affair. So maybe their take on news slightly changed because of this corruption scandal Schamberger: Also the people don’t read that much. They are mostly watching TV but the percentage of sold newspaper is very low in turkey. Akser: Yes it’s diminishing. I was surprised when the government was attacking newspaper because back then all of the newspaper combined would only be just a million readership. I remember the prime minister said that social media is evil. The micro news of citizen journalism is spreading so fast 4 that they are now scared of that. Democracy means citizens creating their own news and spreading them, which is unlike the traditional way from the centre to the people level. Today it’s everybody’s point of view. They are not afraid of newspaper anymore, they are afraid of citizen journalism. Schamberger: I think it also changed a lot after the Gezi protests. Akser: Yes. “They were afraid. There are such protests across the world, but they made it worse by attacking it with all their power.” Plus it was more ecological and the fact that the activists aid its not just about the trees or that. your damage to nature has been widespread for many years for the airports, the bridges, the power plants. Again it is an ecological criticism. That’s why the Prime Minister tried to frame the news from a certain perspective so that he could keep the power to himself. Gezi park events strangely coincided with the Egyptian peoples upraising that ended in a coup. So they were scared somehow. and these protests that could be handled quite peacefully turned into a widespread rebellion. They are afraid that the same could happening any time, like the 6 and 7. October this year, were people protested and died. Schamberger: Especially the Kurdish region. Akser: Yes and they were not afraid to die. Even there were new powers given to the police. And today because of the structure of the government and modern technology of surveillance, the police forces and the government seemed to be quiet capable of silencing any sort of protest. The military coup of 12 of september 1980 showed that turkish journalists could handle a lot of stress and imprisonment and censorship but still could write. So even today with all these troubles they are able to report and they are not afraid to be jailed. Politicians and religious leaders aren´t like that. Bringing the news to the people is such a selfles act - that is the most scary part for the ruling party. There is no interest in distributing the news, thats why they are trying to frame this bizarre ideas about coups and other things. And they are aware that back in the day in the 80s and 90s when they were a minority or under difficult circumstances some of the journalists wrote to protect them and they were imprisoned for that. They are forgetting that the protection of democracy hast to be linked with journalism. Accountability is really important. Their framing of money, interests, politics and big business is quite wrong. Schamberger: It’s very interesting. So in your opinion - what will the Turkish media system be like in five years from now? Akser: Of course this depends on two things. One: lets think that there might be a change in power maybe not in this election but the following election and a new coalition of people coming together to vote against the current government should have an agenda of a more plural and representative media which is transparent at the same time and free from censorship. This would be the positive outlook. The negative outlook is more journalists being fired, news can not really spread. Word-of-mouth and social media citizen journalism will grow and there will be widespread protests and deaths and riots. Either this government accepts that criticism through media is something healthy for a democracy or they will destroy all journalism and some new journalism will arise against them that is more widespread and democratic. Schamberger: Some last questions about the image of journalists in turkey - how do Turkish journalists see themselves and what do they think is their function in society? 5 Akser: One function is informing and this approach says whatever the news is, we want to get it to the world. We don’t think about national interest, we think about human interest, even if the government is going to loose money, you have to give the news. Because it is the responsibility for the future of society. Social responsibility is important. On the other hand journalists have to frame news. [34:10 – 35:08: Unverständlich] The should not only promote their own political perspective. S.: And what is the image of journalists in the society? Akser: There are two types of journalism. One is just writing about fashion news, magazine news, actors. And the other is doing serious journalism, writing about injustice. Those who are not writing about it are not being journalists and I see in both sides there are people doing good journalism but unfortunately some of the news like Sabah, even if it is really serious, related to human rights or so, but if its against the government, if it could damage the image of government they skip the news. It is a betrayal to your people, to your country or any journalistic ideal. Schamberger: The average wages of journalists are pretty low. So what is about corruption amongst journalists? Akser: I don´t think that journalists can be bribed. They are just trying to do their job. But the journalists with high ethical standards just resign after a few months if they see that they cant do their job properly. If you believe that what you do is for the good of the people, then you may risk something. The others who do it for the money, they are not good journalists anyway. “We have this dilemma of right journalism and wrong journalism”. Schamberger: My last question: Do you think that media products that are more independent like Bianet or IMC TV will become stronger in the next years? Akser: Yes they will. Of course they are always passing laws to control the online spread of news. There are many websites you can read from abroad but not from Turkey. “But still those new methods of citizen journalism will evolve and flourish and there will be more of that. So I have a very good feeling about that kind of journalism.” Schamberger: Thank you very much. 6 Interview mit Yavuz Baydar Datum: 17.12.14, 17.00 Uhr Ort: Skype Dauer: 36 Minuten Interviewer: Kerem Schamberger Zur Person: Yavuz Baydar ist ein Journalist, Blogger und Mitgründer der Plattform für unabhängige Medien P24. Außerdem schreibt er Kolumnen und Meinungsbeiträge für verschiedene türkische und internationale Zeitungen. Baydar hat 2014 eine Spezial Auszeichnung des Europäischen Pressepreises für seinen Kampf gegen Zensur und den Schutz professioneller Werte in der Türkei erhalten. Zur Situation: Das Interview wurde nur mit Ton via Skype geführt. Die Qualität ist sehr gut und Baydar drückt sich größtenteils sehr klar und verständlich aus. Zur Transkription: Nur die mit „“ gezeichneten Stellen sind wörtliche Zitate. Alles andere sind Zusammenfassungen der Gesprächsinhalte in Ich-Form. Kerem Schamberger: Thank you for your time and for talking with me about the Turkish media system. I just told you what we are doing at the University of Munich. We are doing a comparative analysis of the media system structures around the world. A colleague of me and I are responsible for the Turkish media system and that’s why I have several questions. Just answer them and if you don’t want to answer them tell me that, so we are really open. To start, maybe you can comment on the developments on last Sunday, were they raided several newspaper houses including your house, when I’m correctly informed. Yavuz Baydar: “No not my house.” Schamberger: Didn’t they raid Zaman? Baydar: “Yes, but Zaman is not my house.” Schamberger: Haven’t you been at Today’s Zaman? Baydar: I’m writing as a columnist from outside. I’m not staff. I’m a outside contributor. Schamberger: But you have connections to Today’s Zaman, as I know. Baydar: Connections in the term of profession connections. Schamberger: Yes that’s what I mean. What is your opinion on the developments that occurred on this Sunday in Turkey? Baydar: “2014 will go to history as a black year for Turkish media and Turkish journalism.” 2014 began with horrible developments: Firings, some people in jail, massive self-censorship and frightened 1 people and it ended the same way. “The entire year can be described as a horrible year.” “Year of oppression.” The latest developments are only the continuation of what happened in the last past two, three years. “It ends with more than thousand journalists having lost their jobs, fired because simply they as professionals defended the values of journalism and profession.” That’s the only reason. Secondly there are still, according to ‘Committee to Protect Journalists’, several journalists in jail and according to ‘Reporters without Borders’ 19 journalists in jail. “Almost all of them are Kurdish colleagues.” “The situation is simply deterioration, diminishing of all the sectors role as public service, as a forth estate, weakening of editorial independence to almost zero in the main stream area and as a result media sector which is becoming more and more in the service of the power.” Schamberger: Since when did the situation change like this? Baydar: “It has never been in a good health.” It’s been very problematic for about 40 years, but particularly for about two decades since the beginning of 1990s. So there have always been periods of newspapers being bombed, journalist being arrested in 90s. With the entry of powerful greedy media moguls with interests in other businesses, it became even worst because they brought with themselves immense culture of self-censorship and submissions to governments and bureaucracies. “Turkish media has always been a wounded animal. Walking, limping and bleeding and that continued until today.” It has become relatively better between 2002 through perhaps 2009/2010. Relatively, because structures of ownerships and legislations restricting journalism have not changed particularly, but the EU membership accessions process of Turkey demanded that Turkey was approaching to accept the norms of Copenhagen criteria, which meant that Turkish media was given a more free reign in its operations as professionals. Lots of taboos were broken. Kurdish issues were much more freely being discussed, Armenian taboo was broken. The taboos concerning the military were broken. “People enjoyed more freedom in reading less censored news, less self censored news and also commentary became much more diverse and large in spectrum, lots of different voices came inside and also lots of pages of the dark history were opening.” “This was a period of relative freedom and independence.” But after the referendum of 2010 September 12 which was a about partial amendment reform in the constitution, things changed and no one who never was a friend of media as a independent forth estate misread the 58% support in the referendum as a go ahead, as a sort of card blanch, open credit for whatever he wants to do. “And from then on he started to increase his pressures, threats and direct interventions to the media sectors controlled by powerful business men.” “This continued until today.” But the first signs came before the referendum with the famous case of Denis Feneri related with Germany, which Dogan Media Group outlets wanted to cover, were supressed and Dogan Group was threatened. That was the first kind of sign. Also confiscation of media groups under Uzan-family 2004 was also important in a sense that Erdogan realised that confiscating the media outlets was giving a lot of possibilities for the government to exercise control over the media sector. But after 2010 is important. This was followed by 2011 elections, which AKP government won by 48,49%, which meant that Erdogan was even more emboldened by the world and thinking that he can do whatever he wants, “he started squeezing, tightening the screws over the media and this was happening first in a very critical meeting in Ankara in 2011 in October.” That was the meeting that brought all the powerful media owners to Ankara with their own employees with their editors in chief etc., where they discussed how to deal with the news on terror as they called it. “This was a meeting that resulted in the media owners accepting the terms of self-censorship as a systematic method in the newsrooms. This was a very critical meeting. In that meeting even media owners like Dogan and others themselves starting suggesting that they would establish some sort of censorship committees, joint censorship councils in the media, so that news that will be disturbing to the government would not be printed or published or broadcast.” Then we had this bombing of Kurdish villages two months after, at the end of 2 2011. 34 Kurdish civilians, smugglers were bombed to death by Turkish jets. This news coverage was completely blacked out by main media outlets like NTV, Haber Türk, CNN Türk, etc. This censorships continued 17 hours and this was very clearly a test for Erdogan government, to see whether or not media was acting as he wishes or not. After that, there are lots of journalists having a conscience, some people question these found themselves fired. Prominent columnists, some editors they were either fired or because they feared being fired loosing their jobs because they have families, they have kids at school, they accepted the new terms of systematic practise of self censorship. “Then one thing followed the other. More and more people where fired, more people raised their voices,” because Turkish journalism is not a flock - run by flock mentality. “Turkey is not central Asia.” The Turkish media sector has nothing to do with the media sector or conditions of Azerbaijan or the Middle East. Turkish media sector has always had a tough core of people who were always courageous. “These peoples started raising their voices and one after another they were getting fired.” “That continued until the famous case in Milliyet where another famous news story about PKK was published and Erdogan became very angry and said, if this is journalism - down with it.” This led to the firing of senior journalists [verschiedene Namen]. “This was a very clear case of intervention, pressure of the government.” Milliyet was already sold to Demirören, who has deep business relations, demands and needs to the government and they accepted that Milliyet and Vatan, they bought from Dogan Group, would be completely in the service of whatever the governement wants.” “After that we came to the Gezi Park protests, were people again saw immense self-censorship.” “When the Gezi protests happened all of these TV channels, big newspapers were acting like three monkeys and this led to people protesting in front of NTV buildings, CNN Turk sending penguins became a ridicule of the world, etc.” In those days I was criticising severely the Turkish media and warning that “this will lead to our death as professionals.” After two or three articles of me being censored I was fired in July 2013. I was just one of those who were fired and “as of now I think its approximately thousand people who lost their jobs.” Meanwhile the people in the jails were up to 104 in 2010. It was a very dramatic rise and turkey was labelled as the number one with jailed journalists. This number is now decreasing in the past three years. Schamberger: Why? Baydar: It depends on the Kurdish peace process. As I said, most of them who were jailed were Kurdish colleagues. “There were very, very few Turkish colleagues among them and those were in partisan media, socialist leftist media and all their cases had strong character of freedom of expression.” “This is cyclical.” We can end up Turkey having no journalists in jail next year, who knows. This is another chapter. “The most interesting aspect is that Erdogan and the AKP government realised that you don’t have to jail journalists to punish and restrict and block journalism.” As long as you have powerful relations, based on mutual needs with media business man, owners who have interests in other areas like telecommunication, construction, banking etc.. “As long as you can create umbilical cords with these media owners, you don’t have to jail any journalists in the Turkish mainstream media.” “The punishment method is changing in todays world in the emerging democracies. This is the new pattern that every media observer in academia and in journalism and in think tanks must pay attention to.” Those elected leaders who are becoming more and more authoritarian, like in turkey, Balkans, or elsewhere Philippines Korea etc. are punishing journalists and journalism by having them fired by way of they employers and that is a very shroud and cunning way of dealing with journalism and editorial independence by these authoritarian leaderships. In this case they don’t have to be accused of being a jailer and when being accused of interference or pressures, they can say: ‘I have nothing to do with this. Talk to the media owners. This is capitalism. They can hire and fire whomever they want, we have nothing to do with this.’ This is a very interesting new 3 phenomenon developing. But in the case of Turkey it was developing in the past decade. Now it has become a very visible, almost complete with the audio recordings that we heard during this year. When we heard Erdogan calling directly from Morocco to a top manager of a TV station, removing the content or calling the owner of Milliyet after the scoop about the Kurds and making him cry, saying ‘how come you can do it to me, don’t ever come to me again with your business demands’ etc.. “This system is utterly complicated, very difficult to deal with and it is killing the spirit of journalism.” When you have established that there is nothing in the term of investigative journalism any longer in Turkey this explains everything I think. Those media moguls controlling about 56,70% of the Turkish media sector do not want any investigative journalism, because it is dangerous not only for the powers, but also for themselves. As a conclusion: “We have case of strange phenomenon. We can ask the question now: How can journalism survive in environments where media employers media proprietors are being entangled with the political corruption, political powers. When media itself becomes drawn into corruption. Do we have any chance for proper journalism?” Schamberger: It was surprising to us that there is a new press law, introduced in 2004 and it is kind of liberal because it was made during the negotiations with EU and now you are telling something very interesting that the censorship is not working by law, but by a kind of a selfcensorship and by telling the media owners you have to fire him, otherwise you won’t get any new work in your other business branches from the government. Baydar: That’s right. That’s the main part of the system. “It is the head of the government, now the president, deciding, who will get what lucrative public contract.” Most of these contracts, like galata port or the third airport - billions of dollars - and also the other urban projects, most of these things that demand the approval of the government and bureaucracy that makes those media proprietors frightening dependent on the government and the main mechanism channel which make them dependent is the system of public procurement - Turkish public tenders. This system is completely in place. When the AKP was first seriously negotiating with the EU and the public procurement system years ago was okay and acceptable and it was heading to a correct direction, but after realising that these public procurement system, if reformed would make the government lose control, they started changing the [22:00 türkisches wort] public procurement law. It was changed more than 140 times in the past three years, just to fit the needs of the government. “The system of public procurement is the main artery between the media proprietors and the government.” This makes at least 56,70% of the media dependent on the power. Thus there is less and less - almost non-existent - editorial independence and submission now. The second dimension is that press law changes don’t mean anything any longer. It only means something to those who are members of unions. Out of about 15 or 16.000 journalists only 4% are members of unions. Only 4%. Schamberger: But the problem is that they will be kicked out, if the owner of the media gets to know that he’s a member of the union. Baydar: “Exactly. That’s the fear.” When these new media moguls came into this stage in the late 80s early 90s, they chased out all the union activity from the big outlets. It began with Milliyet and than it spread to the others. By the end of the 90s there was almost no memberships except in a couple of newspapers. But now its at only 4%. This explains why so many people are so easily fired without consequences. There is no collective right, in the terms that they understand in German, Greek or Italian context. The fear is spreading enough. “No security means no editorial independence.” “People in the newsrooms are completely frightened every day expecting to be fired just arbitrarily.” These two dimensions are very important: First public procurement system. Second: Social 4 employment policies. That’s why in the EU negotiations three chapters are blocked by turkish government itself. One has to do with the chapter on public procurement, second chapter is the social policy. “I think that explains everything.” Schamberger: I have three short questions left: What in your opinion is the developing role of independent media? Like your project or IMC TV. What will be the future of these independent projects? Baydar: The culture of following the media like TV watching, reading the paper, the social habits, are not changing rapidly. Still 85% of the Turkish public get their news from TV channels as their primarily source or only source, which means that almost all of those channels are now under complete government control. Except the Kurdish financed IMC TV, CHP affiliated Halk TV, Zaman Group controlled STV and Bugün TV. “Those four are out of governmental control and they continue to be critical.” But the TV from the vantage point of Erdogan is vital to control as part of the media sector. Schamberger: Because the Turkish don’t read newspaper that much. Baydar: Less and less. Schamberger: It’s deteriorating. Baydar: The print in the world in general is deteriorating. But in turkey newspaper readership is getting less and less that’s true. Internet penetration is 53%, but it is much higher the more you go to the cities and much lower when you go to the country side. “In order for journalism to make an impact, internet online journalism has low chances right now today.” Many independent journalist hubs are online. The highest for example is P24 and Dican is rising. “Online journalism seems to be a window, but still very weak.” One option would be, if things go bad, because these structures and the system will not be changed, because it’s a system that works in the favour of the governments and the owners. “No power will be able to change the system in favour of journalism and in favour of the public.” If this goes on we will see less and less powerful journalism in Turkey and maybe we will end up in a system were we need endorsement of international respected powerful outlets like huffington post, guardian, deutsche welle, bbc, wall street journal or financial times. These kind of important real journalist outlets would be maybe needed as partners in journalism. “Otherwise everything will be demolished and Turkey is rapidly moving away from the EU and democratic values towards east to central Asia. This will be a very dramatic development. I‘m very gloomy and pessimistic about the future of the Turkish media. That’s what I want to say.” Schamberger: In our research we hardly found any information about journalists and their images of society. How do Turkish journalists see themselves and what do they think is their purpose? Baydar: There is a very important research from Bosporus University in 2008. It tells a lot about how they see their profession. It’s very, very pessimistic. They don’t give any value to what they do as journalists. I have it somewhere. You should contact Mustafa… He will be a great guy for your research. He wrote a book. I have his mailadress somewhere. This is a good research that you can look at. 5 Schamberger: Do you know something about what is the image of journalists in society? How they see journalists? Baydar: There are many, many polls about this. It’s always been on the low. It comes at the bottom. Talking about research and good contacts and sources. Recommendation: freedom house report is very good! Schamberger: Thank you very much. Baydar: I hope it was hopeful. But get in touch with these girls (Tunc/Sözeri) and Mustafa. 6 Schriftliches Interview mit Sabine Küper-Büsch Datum: 12.01.15 Interviewer: Marius Schreiber Zur Person: Sabine Küper-Büsch ist freie Auslandskorrespondetin und Dokumentarfilmerin. Sie lebt in Istanbul. Sie hat Magazinbeträge und Dokumentarfilme für die ARD, 3Sat, arte und den ORF produziert. Außerdem arbeitet sie frei im Hörfunk für den NDR, WDR, DLF und Radio Bremen. Zur Situation: Die Fragen für das Interview wurden ihr Mitte Dezember 2014 zugeschickt. Am 12. Januar hat sie den Fragebogen ausgefüllt zurück gemailt. Marius Schreiber: Wie würden Sie den aktuellen Zustand des türkischen Mediensystems beschreiben? Küper-Büsch: Die türkischen Medien sind momentan bis auf wenige Ausnahmen in der Hand regierungsnaher Konzerne. Ehemals oppositionelle Zeitungen, wie etwa Milliyet, wurden aufgekauft. In einem Telefonmitschnitt konnte die türkische Öffentlichkeit 2014 ein Gespräch zwischen dem Besitzer der Demirören Holding und Ministerpräsident Erdoğan im Internet hören. Erdoğan kritisiert Demirören, wegen eines in Milliyet erschienen Kommentars. Demirören entgegnet: „Aber verehrter Ministerpräsident, ich verstehe doch nichts von Journalismus, sie wollten doch, dass ich die Zeitung kaufe.“ Es gab noch nie so viele Prozesse gegen Medienverlage und Journalisten. Vor allem prokurdische und ultralinke Verlage sind auch mit Inhaftierungen ihrer Mitarbeiter konfrontiert. Im Dezember wurden ebenfalls Mitarbeiter der islamisch-konservativen Gülen-Bewegung von einer Verhaftungswelle betroffen. Die wenigen oppositionellen Verlage vertreten meist ebenfalls ein bestimmtes Weltbild, sie sind kommunistisch orientiert, oder stehen der PKK nahe. Früher stand die Tageszeitung Hürriyet des Doğan-Verlages dem Militär nahe. In der Opposition hat die auflagenstarke Zeitung sich qualitativ stark verbessert, von objektiver Berichterstattung kann aber allgemein in der Türkei nicht die Rede sein. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolıu Ajans ist mittlerweile ebenfalls das Propagandaportal der türkischen Regierung. Viele Oppositionelle informieren sich über diverse Internetportale. Der Otto-Normalverbraucher ist der Propaganda voll ausgesetzt, die auch durch massenkonsumierten TV-Stationen verbreitet wird. Selbstzensur ist ebenfalls ein Problem. Um Strafverfolgungen zu entgehen berichten die Medien etwa über die Korruptionsskandale der Regierung nicht mehr. Schreiber: Im Zuge der Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU gab es einige Gesetzesänderungen, welche die Pressefreiheit formal gestärkt haben. So zum Beispiel im neuen Pressegesetz von 2004. Trotzdem ist die Türkei in verschiedenen Pressefreiheitsrankings seit 2007 stark abgestiegen und zahlreiche Journalisten sitzen im Gefängnis. Wie kommt es zu diesem Widerspruch zwischen einer rechtlichen Stärkung der Pressefreiheit einerseits und gleichzeitig einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen von Journalisten andererseits? Küper-Büsch: Die Judikative in der Türkei ist nicht unabhängig. Deswegen werden Journalisten häufig nicht nach dem Mediengesetz, sondern etwa dem Anti-Terror-Gesetzt angeklagt. In der Türkei gilt es nicht nur die Gesetze zu ändern, sondern die Rechtspraxis muß mitbeobachtet werden. 1 Schreiber: Inwiefern nimmt die Politik, insbesondere die AKP-Regierung, Einfluss auf das Mediensystem? Küper-Büsch: Die AKP benutzt die Judikative zur Kontrolle der Medien. Auch andere Teile der Staatbürokratie, wie etwas das Finanzamt werden eingesetzt, um Medien-Konzerne zu strafen. Die Doğan-Holding, der unter anderen die Tageszeitung Hürriyet gehört, musste 2009 fast eine Millionen Euro Strafe aufgrund von Steuerschulden zahlen. Regierungsnahe Holdings wie Demirören werden hingegen mit staatlichen Aufträgen belohnt und müssen im Gegenzug eine Zeitung oder eine TVStation kaufen. Schreiber: Gibt es auch wirtschaftliche Akteure, die das Mediensystem und die Pressefreiheit beschränken? Wenn ja, wie? Küper-Büsch: Ist wohl bereits beantwortet worden. Schreiber: In welcher Rolle sehen sich die türkischen Journalisten in der Gesellschaft und was sehen Sie als ihre Aufgabe an? Küper-Büsch: Das hängt von ihrer Aufstellung im türkischen Mediensystem ab. Regierungsnahe Journalisten sind überproportional oft korrumpiert. Sie leben gut davon regierungskonform zu berichten. Daneben gibt es eine Reihe unterbezahlter Überzeugungstäter, die für oppositionelle Medien arbeiten. Einige einflussreiche Kolumnisten, wie Cengiz Candar oder Ertuğrul Kürkçü, sind politische Akteure. Kürkçü ist momentan in die Politik abgewandert als Abgeordneter der prokurdischen Partei BDP. Beide versuchen aktiv an der Lösung der zentralen Kurdenfrage mitzuarbeiten. Schreiber: Wie ist das Bild von Journalisten in der Gesellschaft? o Haben sie eine hohe Anerkennung? o Gelten sie als unabhängig oder eher als Sprachrohr der Regierung? Küper-Büsch: Die Gesellschaft ist stark polarisiert in der Türkei. Da die AKP immer noch eine recht hohe Akzeptanz in der Bevölkerung hat, nehmen ihre Wähler das Mediensystem und seine Journalisten als weniger korrupt war, als es in Wirklichkeit ist. Journalisten genießen traditionell ein hohes Ansehen, was sich sogar von staatlicher Seite etwa in einem Erlass der Kosten im öffentlichen Nahverkehr ausdrückt. Journalisten dürfen es frei benutzen, um mobil zu sein. Die Korruptionsskandale, die auch das Mediensystem inkludierten, haben aber in der kritischen Öffentlichkeit die Polarisierung gefördert. Die Opposition solidarisiert sich stark mit den von staatlicher Verfolgung betroffenen Journalisten und misstraut den regierungsnahen. Die AKP verbreitet für ihre Wähler im Gegenzug die Meinung, strafverfolgte Journalisten seien Terroristen. Schreiber: Wo sehen Sie das türkische Mediensystem in 5 Jahren? Küper-Büsch: Vermutlich wird die AKP auch noch die nächsten Wahlen gewinnen und ihre Macht weiter ausweiten. Ich denke, dass sich die kritischen Medien sich immer mehr in das Internet zurückziehen, vielleicht werden auch neue im Ausland entstehen. 2 Schriftliches Interview mit Aya Söylemez Datum: 21.12.14 Interviewer: Kerem Schamberger Zur Person: Ayca Söylemez ist Journalisten beim unabhängigen Internetnachrichtenportal Bianet Zur Situation: Die Fragen für das Interview wurden ihr Mitte Dezember 2014 zugeschickt. Am 21. Dezember hat sie den Fragebogen ausgefüllt zurück gemailt. Da sie auf Türkisch geantwortet hat, habe ich ihre Antworten übersetzt. Das türkische Original findet sich jeweils direkt unter der Übersetzung. Kerem Schamberger: How would you describe the current situation of the turkish media system. Aya Söylemez: Der aktuelle Zustand der Medien ist der Düsterste, den dieses Land vermutlich je gesehen hat. Starke Zensur und damit einhegende Selbstzensur, hunderte entlassene Journalisten, verhaftete Journalisten... Einige Journalisten kommentieren dies sogar mit einem „Das ist das Ende der Berichterstattung“. Auch wenn die Zensur und die inhaftierten Journalisten von den internationalen Medien und Politikern wahrgenommen wird, so ist doch unser größtes Problem die Entlassung von Journalisten. Das lässt den Gedanken aufkommen, dass es dem Journalismus nicht mehr Bedarf. Wenn, vor allem im Fernsehen, nur noch Journalisten einen Platz haben, die wie ein Fähnchen im Wind sind, bedeutet dies, dass die Wichtigkeit von Alternativmedien immer mehr zunimmt. Auch wenn der persönliche Zustand derzeit so düster aussieht, gibt es viele Menschen die sich auflehnen und neue Wege suchen um Journalismus betreiben zu können. Wir befinden uns in einer Zeit, in dem verstanden wird, wie wichtig Journalismus ist, der gegen den großen Druck Widerstand leistet. Söylemez (Original): Medyanın şu anki durumu, belki de memleketin gördüğü en umutusuz durum. Ağır sansür, bu sansürün getirdiği otosansür, gazetecilerin yüzleri aşan rakamlarda işten çıkarılması, hapisteki gazeteciler… Bazı gazeteciler “habercilik bitti“ yorumunu bile yapıyor. Sansür ve hapisteki gazeteciler meseleleri uluslararası medya ve siyasetçilerce takip edilebilse de önümüzdeki en büyük sorun gazetecilerin işten çıkarılması. bu, gazeteciliğe artık ihtiyaç kalmadığını da düşündürüyor. Özellikle televizyonda sadece bayraktarlık yapan gazeteciler yer bulabilirken, alternatif medyanın önemi de giderek artıyor. Şahsen durumun bu denli umutsuz göründüğü bir dönemde, bunca baskıya karşı insanlar gazetecilik yapmak için yeni yollar arıyor, direniyorlar. Büyük baskıya karşı gazeteciliğin öneminin yeniden anlaşıldığı günlerdeyiz. Schamberger: Due to Turkey's application to accede to the European Union there where some legal changes that formally improved the freedom of the press. For example the new press law from 2004. Nevertheless, turkeys position in several rankings of press freedom decreased since 2007, a lot of journalists are in prison. How does it come to this contradiction between legal improvements on one side and the degradation of journalists working condition on the other side? Söylemez: Ehrlich gesagt, sehe ich kein einziges Beispiel dafür, wie die Anpassung der Gesetze an einen EU-Beitritt auf die Meinungsfreiheit einen positiven Effekt gehabt hat. Auch wenn die Gesetze auf dem Papier gut aussehen, hat das oft nichts mit ihrer Anwendung zu tun. Das wird deutlich, wenn man sich mit den besonders nach 2004 gesteigerten Verhaftungen, der Erhöhung des Drucks und der 1 Schließung von Presseerezugnissen beschäftigt. Eigentlich ist Ihre Frage ein generelles Problem in der Türkei: Wie positiv neu verabschiedete Gesetze auch klingen mögen, die Anwendung ist häufig sehr negativ (Außerdem existiert immer noch das Kampf gegen den Terrorismus-Gesetz und mit ihm zusammen eine Reihe weiterer einschränkender Gesetze, die eigentlich überhaupt nicht zulassen von positiven Gesetzesentwicklungen zu sprechen). Denn die Rechtsprechung erfolgt noch jahrelang nach eigenen Praktiken, unabhängig davon ob Gesetzesveränderungen stattgefunden haben oder nicht. Dies funktioniert nur, da die rechtsprechenden Organe bei der Inhaftierung von Journalisten die Unterstützung der Politiker haben. Söylemez (Original): AB’ye uyum kapsamında çıkarılan yasaların ifade özgürlüğüne olumlu etkisinin olduğunu söylemek için tek bir örnek bile göremiyorum açıkçası. kanunlar kağıt üzerinde iyi görünse de uygulamayla bir bağlantısı çoğu zaman olmuyor. Bunu özellikle de 2004’ten sonra yapılan tutuklamalar ve baskının artmasından, kapanan yayın organlarından da anlamak mümkün. bu sorduğunuz aslında Türkiye’de genel bir problem, ne kadar olumlu yasa çıkarsa çıksın (ki halen Terörle Mücadele Kanunu başta molmak üzere birçok kısıtlayıcı kanun yürürlükteyken bunu söylemek de pek mümkün değil), uygulama çoğu zaman olumsuz oluyor. Çünkü yargı kendi pratiklerini yasa değişikliklerinden bağımsız olarak uzun yıllardır aynı şekilde uyguluyor. Bunu yapabilmesinin nedeni de yargının gazetecileri hapsetmede siyasilerden aldığı destek. Schamberger: To what extend does the politicial field, especiallay the AKP-government, influence the media system? Söylemez: Die Prüfung der Medien durch die AKP nimmt einen besonderen Platz in der türkischen Pressegeschichte ein. Ja, die Presse stand zu jeder Zeit unter dem Druck der Politiker und der Medieneigentümer, das muss man betonen. Allerdings wird in dieser Zeit der Druck das erste Mal direkt, ohne Umwege ausgeübt. Der alte Ministerpräsident und neue Präsident Erdogan beschimpft die Journalisten namentlich direkt vom Rednerpult des Parlaments aus, er geht sogar noch weiter und wendet sich an die Medieneigentümer und verlangt von ihnen die Entlassung von Journalisten, die ihn kritisieren. Dies hat einen noch größeren Effekt auf Eigentümer, die mit der Regierung eine „Ausschreibungs-Verbindung“ haben. (Anmerkung Kerem: Damit ist die Abhängigkeit der Medieneigentümer, die auch in anderen Industriebereichen investieren, von öffentlichen Aufträgen gemeint). Selbst die kleinste Kritik kann sich der Zensur nicht mehr entziehen. Die Situation verschlimmerst sich seit 10 Jahren immer weiter und es sieht nicht sehr hoffnungsvoll aus. Söylemez (Original): AKP’nin medyayla imtihanı, Türkiye basın tarihinde özel bir yere sahip. Evet basın her dönem hem siyasilerce hem de patronlarca baskı altındaydı, bunun altınız çizmeli. ancak bu dönem ilk kez baskı doğrudan, aracısız yapılmaya başlandı. eski başbakan yeni cumhurbaşkanı Erdoğan, meclis kürsüsünden gazetecileri isim vererek azarladı, hatta patronlara seslenerek kendisini eleştiren gazetecilerin işten atılmasını istedi. Bunun, hükümetle arasında „ihale bağı“ olan patronlardan muhabirine yansıması ise daha sert oldu. En ufak bir eleştiri bile artık sansürden kaçamıyor. durum 10 yıldır giderek kötüleşiyor, ilerisi de pek umutvar görünmüyor. Schamberger: Are there economic players, who put up restrictions on the media system and press freedom? Söylemez: Wie ich oben schon erzählt habe, gab es seitens der Medieneigentümer und auch der Reklame inserierenden Besitzer immer Druck auf die Medien. In dieser Zeit ist die Situation noch schlimmer geworden und die politischen Führer haben ihre Bekannte ersten Grades nun direkt in den 2 Medien (wie z.B. Albayrak) und somit hat der direkte Druck noch mehr zu genommen. Da die Regierung nicht mal Witze aushält, verbunden mit der schwachen Kritikkultur in der Türkei, ist die Situation noch kritischer geworden. Söylemez (Original): Yukarıda da bahsettiğim gibi, hem medya patronları hem de reklamveren patronların medya üzerindeki baskısı hep vardı. Bu dönemde işler daha da griftleştiği ve siyasi liderlerin birinci derece yakınları da medya sahipliğine soyunduğu için, (bkz. Albayrak) doğrudan baskı daha da arttı. Bu iktidarın espriye bile tahammülünün olmaması, Türkiye’de eleştiri kültürü eksikliğiyle birleşince durum daha da vahimleşti. Schamberger: How do turkish journalists perceive their role in society and what do they think is their main aim in their profession? Söylemez: Dem Journalisten geht es momentan vor allem darum, seine Arbeit zu behalten. Außerdem haben die Medien, einhergehend mit den Gezi-Protesten, viel Kritik vom Volk für ihr Einknicken gegenüber dem Druck einstecken müssen und das hat dazu geführt, dass einige Journalisten angefangen haben sich selbst zu hinterfragen. In Folge dessen ist die wahrgenommene Wichtigkeit die Wahrheit zu schreiben, Dinge aufzudecken innerhalb der Medienangestellten gestiegen. Momentan ist das Wichtigste für die Journalisten die Dinge, die die politische Herrschaft/der Ministerpräsident versucht zu verstecken, aufzudecken und die Realität die durch Druck versucht wird zu verdecken auf eine Weise dem Volk nahezubringen. Söylemez (Original): Gazetecinin şu anki önceliği işine devam etmek. bunun yanında özellikle Gezi sürecinde, baskılarla sinen medyaya halktan büyük bir tepki gelmesi de gazetecilerin bir kısmının kendini sorgulamasına yol açtı. Bunun sonucunda da gazeteciliğe, gerçeğin söylenmesine-açığa çıkarılmasına verilen önem basın mensupları arasında arttı. şu anda gazetecilerin önceliği, siyasi iktidarın/cumhurbaşkanının gizlemek istediklerini açığa çıkarmak ve baskılarla üstü örtülmeye çalışılan gerçeği bir şekilde halka anlatmak. Schamberger: What is the reputation of journalists in the society? Are they considered to be independent or rather a mouthpiece of the government? Söylemez:: Die Reputation der Journalisten entwickelt sich parallel zur Situation der Medien. Ich kann sagen, dass zu keiner Zeit die Medienangestellten so wenig Reputation hatten wie heute. Das Volk sieht sie sogar schlechter als Polizisten an. Das hat einer Spaltung den Weg geöffnet. Während ein Teil sich noch unabhängigeren Einrichtungen zugewandt hat, hat ein wichtiger Teil sich dazu entschieden das Sprachrohr der Regierung zu werden. Diese Spaltung hat dazu geführt, dass einige Journalisten vom Volk als Helden gesehen werden und einige keinerlei Ansehen mehr haben. Söylemez (Original): Gazetecilerin itibarı, medyanın durumuyla paralel. Basın mensuplarının bu denli itibarsızlaştığı, halkın gözünd polisten bile kötü görüldüğü başka bir dönem yaşanmadı, diyebilirim. bu da bölünmeye yol açtı. gazetecilerin bir kısmı daha bağımsız kuruluşlara yönelirken, önemli bir kısmı da hükümetin sözcüsü olmaya soyundu. bu bölünme de halkın gözünde bazı gazetecilerin kahramanlaştırılmasına, bazılarının da itibarsızlaşmasına yol açtı. Schamberger: What will the turkish media system look like in 5 years in your opinion? Söylemez: Das ist sehr schwer zu beantworten. Man kann nicht mal vorhersagen, was im kommenden 3 Monat passieren wird, wie sich das Klima verändern wird. Aber wenn man die Vergangenheit betrachtet, können wir sagen, dass der Druck auf die Journalisen noch weiter zunehmen wird und die Ausübung des Journalismus noch schwieriger werden wird. Demgegenüber werden sich neue Wege eröffnen, mit denen die Journalisen besser ihre eigene Meinung ausdrücken werden können. Söylemez (Original): Bu soruya cevap vermek çok zor. Önümüzdeki ay ne olacağını, ortamın nasıl değişeceği bile öngörülür değil. ancak geçmişten geleceği değerlendireceksek, gazetecilerin üzerindeki baskıların daha da artacağını ve gazteciliğin yapılmasının daha da zorlaşacağını söyleyebiliriz. bunun karşısında da gazetecilerin kendilerini daha rahat ifade edebileceği yeni mecraların ortaya çıkacağını sanıyorum. 4 Schriftliches Interview mit Ceren Sözeri Datum: 06.01.15 Interviewer: Marius Schreiber Zur Person: Ceren Sözeri ist Kommunikationswissenschaftlerin an der Galatasaray Universität in Istanbul. Sie hat einige maßgebliche Publikationen für unsere Forschungsarbeit geschrieben (siehe Literaturverzeichnis). Zur Situation: Die Fragen für das Interview wurden ihr am 29. Dezember 2014 zugeschickt. Am 6. Januar hat sie auf die Fragen geantwortet. Marius Schreiber: Your research has been a great resource for us. However, since the Gezi protests a lot of things happened connected with the media system. From the self-censorship during the protests over the corruption scandal from December 2013 to the recent arrests of journalists and executives. Which changes in the media system did you notice since the Gezi protests? Ceren Sözeri: I think there is no big change in structural manner. However, the structural problems of the media in Turkey have been seen by the public. Some people noticed that the mainstream media couldn't cover the real stories. They protested the coverage of Gezi in front of the buildings of TV Broadcasters (media holdings). On the other hand, Gezi process raised the polarisation in the society and in the media at the same time due to Erdoğan's speech. Pro-govt media used all the propaganda techniques to convince the AKP's voters Gezi was a coup attempt in fact. When pro-govt editors (Mustafa Karaalioğlu chief of Star Media Group, Yusuf Ziya Cömert and Mehmet Ocaktan editor-inchief of Akşam daily) was dismissed their media groups in last November, the other proponent journalists protested by remembering their roles during Gezi protests. Then, shortly after, they hired as columnists for another pro-govt Yeni Şafak daily. Accordingly, Gezi protests show the importance of social media and independent alternative media. The small news sites got more visitors. During and after the Gezi protests the Facebook users approached 90% when the Twitter users increased 10 %. However, another (KONDA's) research shows that % 70 of population watched the protests from the mainstream TVs. On the other hand, the other investments and business connections of the media owners have also increased self-censorship in the media. The official corruption allegations were covered only in a limited extent by the mainstream media due to media owners' dependence on the government and as well as the mutual interests between them Schreiber: Would you call the developments of the last two years also a new wave of structural change in media like the economic crisis of 2001 or are these only logical consequences of the developments in the years before the protests and depending on your opinion, why? Sözeri: No, I don't think so. During the 2001 financial crisis, 10 of the 25 bankrupt banks' owners at the same time have media companies. Hence, AKP used these media outlets to create their own proponent media after 2007. The last developments can just be seen as a handover between pro-govt investors. After the consolidation of power at the hands of Erdoğan, he forced the proponent media to support the government ignoring even the basic journalistic standards. Hence, there are not credible 1 proponent news outlets anymore but the big advertisers have chosen them to show their loyalty to the government. Besides the advertising budgets of the public companies like public banks goes to the pro-govt media as well. The opponent media try to get money from the circulation that come from the people who hate the government Sometimes, the government fined also the opponent media like Taraf daily which has been fined for 5.5 million lira (US$2.6 million) due to its scrap paper sales to paper mills. Schreiber: Other experts told us about the so-called pool media. Can you give us some more detail about that? To what we know, businesses close to the government are expected to pool their resources to buy TV stations and newspapers in order to give support to the policies of the government. Do you have any examples for that? And who is part of this pool media? Is there a difference to the other mainstream media outlets? Sözeri: As I said before, The Savings Deposit Insurance Fund (TMSF) has been used to reconfigure the mainstream media in accordance with the ideology of ruling party. The second biggest media group, Turkuvaz Media was sold to Çalık Group which has close ties to the government: e.g. the chairman of the board is the son-in-law of the Prime Minister in 2007. Çalık Group used credits provided by two major public banks. Recently, the group resold another pro-government construction company which took a number of important public procurements for infrastructure project. We learned from the tapes, this acquisition had been realised indeed the funds gathered in a pool provided by some investors who took prominent public procurement from the government i.e. in remuneration for their takings. Then, a few months ago, TMSF seized once more the media outlets of another big media group, Çukurova Group due to public dept and eventually sold them. A businessman, Ethem Sancak who declared himself in being “lovesick for the prime minister,” acquired a TV channel and a newspaper in this transaction (Turkish Press Review Blog, 2014). Shortly afterwards, he won a public tender for BMC --which is one of the largest vehicle manufacturers in Turkey. That's why it is called pool media. As it is expected that these media outlets have functioned as PR bulletins of the government in every occasion. Schreiber: What is the reputation of journalists in the society? Are they considered to be independent or rather a mouthpiece of the government? Sözeri: In recent years, too many journalists and columnists lost their jobs due to their critical comments on government policies. Actually we know that the mainstream media receives regular phone calls from the before prime minister’s now president's office to change stories, to downplay coverage, or to fire reporters or columnists. A very high percentage of journalists fear being taken to court and feel intimidated by government and patronage pressure. On the other hand, the political polarisation affected very negatively the credibility of media outlets and the reputation of journalists. There is no reliable self-regulatory organization in the media. The proponent journalists feel responsible to protect government (that isn't journalism). One of them said that if we didn't protect Erdoğan, we could be also on trial with him. (http://www.medyaradar.com/nagehan-alci-medyaradara-konustu-erdogan-devrilseydi-biz-deyassiadadaydik-haberi-131807) The counterparts, some of the opponent journalists, have acted as an opposition political party member (that isn't also journalism). And so the good journalism caught between these two parts and lost its place day by day in the mainstream media. However, the alternative and independent media is still economically very weak to support good journalists nowadays. 2 Schreiber: What will the Turkish media system look like in 5 years in your opinion? Sözeri: I am not too optimistic regarding structural problems of the media or the mainstream media owners' attitudes towards the government. However, it is good to see the solidarity among journalists and journalists' organisations regarding the recent pressures on journalists or raids on opposition media outlets these days. Because, I think that only journalists and the solidarity or resistance against the government and media owners can change the system or combat the pressures on freedom of press in Turkey (with the supports of readers and audience of course). 3 Interview mit Latif Dogan Tilic Datum: 15.12.14, 15.00 Uhr Ort: Skype-Interview Dauer: 44 Minuten Interviewer: Kerem Schamberger Zur Person: Latif Dogan Tilic ist Journalist und Mitbegründer der linken Birgün-Tageszeitung. Außerdem ist er aktiv bei der Türkischen Journalisten Gewerkschaft TGS Zur Situation: Das Skype-Interview wird mit Video und Ton geführt. Die Qualität ist sehr gut. Latif Dogan Tilic ist ein offener Gesprächspartner, der auf alle Fragen recht lange antwortet. Nach einer dreiviertel Stunde muss er das Interview abbrechen, da er eine Deadline für einen Artikel einhalten muss. Zur Transkription: Nur die mit „“ gezeichneten Stellen sind wörtliche Zitate. Alles andere sind Zusammenfassungen der Gesprächsinhalte in Ich-Form. Kerem Schamberger: Thank you for talking with me. I think we have a perfect day to talk about it because yesterday there were a lot of things happening in Istanbul, Ankara and in other big cities. May I introduce myself once again to you: I’m Kerem Schamberger and I study communication science at the University of Munich LMU at a masters level. At the moment we are working on a project which deals with a comparative analysis of media systems’ structures around the world. In this context I would like to ask you some question about the current situation of the media system of turkey. We are having several interviews with experts from the Turkish media system. Latif Dogan Tilic: Who else did you contact for interviews? Schamberger: Murat Akser and Yavuz Baydar, I think you know him Tilic: Yes I know him, now they are heroes of democracy. They did all the shit together and now they are defending democracy. Schamberger: Yes, I think that’s ridiculous. But as a scientist I kind of have to be objective. Tilic: There is nothing called objectivity. Objectivity is a kind of structured bias. Schamberger: You are working as a journalist for Birgün and you also worked in a lot of conflict regions like Afghanistan. And you also have a position at TGS. Can you tell me how you achieved your positions, why you decided to become a journalist and what is your exact position at TGS? Tilic: I don´t have an official position at TGS right now. I am writing a column in Birgün. I am the Turkey representative of the Spanish news agency. I work in the Middle East Technical University, 1 teaching Master courses there. I am professor of sociology of Journalism. I was one of the student leaders before the 1980 military coup, then I was in jail for 3,5 years. When I came out of jail, I had not many options. I tried to do three things: truck driver, Petition writer in front of the courts and journalism. These were jobs which did not need any good security record from the state. At least I became journalist. There was an amnesty and I was able to return to university, finished my degrees and continuing my academical career until today. I had been to several war zones. I am engaged in TGS, I was the chairman of Cagdas Gazeteciler Dernegi (Association of modern Journalists), I am now Executive Board Member of the European Journalist Union. So I am active in national and international journalist organisations. Schamberger: Yesterday there were some big police raids all over turkey. The chairman of the Zaman newspaper was arrested and there were also raids at Samanyolu TV. How are these actions yesterday typical for the Turkish media system? Tilic: When you talk about the Turkish media system you have to talk about its relationship with the international media system. It is not easy to separate them. When you look at the media system internationally, you can see 1980 which was a corner stone in Turkeys political life also as a kind of turning point globally in the global media structure. Until 1980 there was a kind of traditional media ownership. These owner mainly owned media and hadn´t any other businesses. After 1980 we have the new media ownership. The new owners were engaged in all sectors of economy, from banking to chemistry, to finance, everywhere. And in addition they had the media. „Media was just a small part of their huge business“. The new media owners had very strong relationships with the state, with the governments, with the political power, not like the traditional media owners. „Because their business in all fields (…) needed very good and friendly relationship with the government“. This process of new media ownership completed in the beginning of the 90`. What we had yesterday should be understood in this frame of media ownership and structure. In the last 10 years during the AKP government we have a new dimension. „AKP, when it came to power, decided not to be satisfied with the owners who were linked to them economically, but also tried to create a new media which is also ideologically in the same line.“ So there was a very speedy shift in the media ownership structure. There was a support with state subsidies, state financing, state bank credits and a new media totally loyal to the government was created. „During the last ten years the political power in Turkey was mainly an alliance between Erdogans party AKP and the Fetthullah Gülen movement (cemaat). About two years ago we have seen a kind of crack within this alliance. And finally last year at this time there was a definite split when the corruption operation began against Erdogans close circle. The government blamed the Gülen movement as being the force behind these operations and defined it as a kind of parallel state within the state and also began an operation against it. So this operation we have seen yesterday is a part of that bigger fight between the government and the Fethullah Gülen movement. The government targets these structures at the moment. „Unfortunately those who are now shouting slogans such as 'Özgür basin susturulamaz' (A free press can not be silenced), were shouting just the opposite when others were targeted by the government. They were indeed a part of the lynch campaigns against the journalists, such as Ahmet Sik, Nedim Sener“. They were saying that the press is fantastic in Turkey and now those people are crying that there is no press freedom. „When you look from a democratic perspective, of course these attacks, no matter who is attacked, is an attack to press freedom as well“ 2 Schamberger: So what is the most special attribute of the media system in Turkey? Tilic: As I said I don´t see the Turkish media system as something special. „We have a global media system now, which is very much characterised with the character of the ownership“ Media owners now are huge media conglomerates acting in all sectors of economy. It is an interconnected system. If we talk about CNN Turk, it is a part of Time Warner. Ben Bagdikian is talking about the big five. Five big conglomerates around the world control the media news production and cultural production. The German one is Bertelsmann. When we talk about Turkish media we have of course the national local partners. But we have Fox TV which is Murdochs. We have CNN, all media somehow has links to the global five. In this sense I can not say that there is something very specific in Turkish media. But there is of course a difference. „One of the main differences, if we compare the Turkish media with the Western media, is that Turkish media does not have a strong culture or tradition of defending freedoms. It was born under the control of the state“. There is no strong organisational culture. There is no culture and no organisation which could defend a better journalism, an objective journalism. „Very much of the Turkish media is affiliated with the interests of the media owner and with the interests of the political power“ Schamberger: Due to Turkey's application to enter the European Union there where some legal changes that formally improved the freedom of the press. For example the new press law from 2004. Was there an actual positive change at that time or not? Tilic: Not at all! We as journalist unions in Turkey had a lot of meetings and discussions with EU officials and we were warning them that these changes are very much cosmetic and we were bringing some alternative proposals. Now again the Turkish government wants to change the laws from 2004. And even we were not happy with them when they were introduced, we are against the change of these laws. „Every touch that this government would make, would lead to a worse press law“. What happened in 2004 with the new press law. This government appeared as a reformist, pro European Union government in the early years and got huge support from the circles of the EU. So if we now face an authoritarian government, the circles of the EU should be blamed as well. They gave extraordinary credits to this government and with those credits it consolidated its power. Schamberger: What are the reasons for the decrease of more than 50 levels at the ranking of Reporters without Boarders since 2007? Tilic: In 2002 when this government came to power it did not have the support it had in the later years from the Turkish public. The institutions of the state, such as the army, such as the judicial, were sceptical about the AKP government. They even were targeting them. So the AKP didn´t feel safe enough. It was feeling weak despite of winning the elections. So it very much relied on external supports, particularly from the EU. And it got those supports because it behaved reformists. „But as it consolidated its power, as it became less dependent on external support, it became more and more oppressive.“ Since the beginning of 2007 the government felt itself strong enough and it became more and more aggressive, violent against the press, the journalists and the people. Especially with the Gezi protests the government was feeling that there was developing a opposition from the bottom and it became very aggressive against everyone saying something against the government. 3 Schamberger: Are you personally affected by any kind of censorship from government or something else? Tilic: I was one of the founders of Birgün. More than 4000 people contributed a small amount of money so that we could create this newspaper. Our motto was: „Birgün – patronsuz gazete“ (Birgün – a newspaper without a boss). „Definitely there is no pressure from any kind of ownership.“ „But there are many court cases opened against our stories, headlines, reports.“ The cases take some time, but if we are filed that would be a serious blow to the newspaper. Schamberger: It was astonishing to us that there is such a big difference between the official legislative press texts and reality. Formally the laws strengthens the rights of media and journalists, but in reality they are sentenced on the basis of other laws, like the Terrörle Mücadele Yasasi. And when Erdogan feels himself personally insulted, he is also trialling the journalist on the basis of other laws. Why is there such a big difference between the freedom in the press laws and the reality? Tilic: „It is not a matter of the press law. There are many articles of the Turkish Panel Code, under which you can persecute journalists or writers“. It is not a matter of law. „This country has a problem of democratic culture“ When that comes together with certain panel code articles it is very easy to punish and prosecuted people. „A government which is not looking at its critics with a tolerant and democratic approach can always find certain articles, not necessarily in the press law but in other places, to harm the people who are creating problems to its power“. Schamberger: How would you comment on President Erdogan. He is increasing his power within the last years. How is that affecting the media system? Tilic: That affects the whole system of the country. Turkey until recently had a state with several parties. They are a little bit different to each other, but when they came to power they were defending all the same goals such as the unity of the country, the sovereignty of the state, etc. But now we are moving from a system of a state with several parties to a party-state. Now we have a party which is transforming all the institutions of the state according to itself. „It is a one-party-state and a one-partystate is a one-man-state somehow.“ So „If Erdogan pronounces your name, the state prosecutors or the police may ring your door“. This is becoming a single a single-man rule, which is influencing every institution of the country and the press as well. „As long as you go in line with him, you are well, you are fine, there is no problem. But as soon as you begin to criticize him you will get problems.“ Schamberger: Are there also economic players which restrict press freedom? Tilic: Of course! Now we have media owners whose interest is in many different sectors of economy. Many Turkish media owners do have businesses in mining, if you are a journalist working in some of this papers, you will not be able to criticize the way of mining with to much acid. „Writing that would mean writing against the interests of your owner.“ „As a journalist you may think that privatization is against the interest of your people, of your country, but when your owner is for privatization you can not write something against privatization.“. „So very simple choices for a journalist become a choice between loosing or keeping his job“. „Every journalist feels the pressure between being a professional of a profession, which has its own truth and its own codes and on the other hand being an employee of an employer who is paying his 4 salary“. „This creates a kind of schizophrenic situation“ not just in Turkey but all around the world. That’s why we more and more have to think about alternative media. „Alternative in which sense? Alternative concerning the ownership, alternative concerning the language, alternative concerning its organisation“ Schamberger: So you mean media like Birgün, IMC TV or Bianet? Tilic: Yes. „They are the possible fields within which we can breath as journalists“. Schamberger: Are they getting more and more attention from the people? Tilic: It depends on many things. On advertising. It needs money. Journalism and news is very expensive. And the media such as Birgün and Evrensel and Bianet... (Telefon klingelt). You have distribution problems. These networks are really expensive, especially in such big countries as Turkey. You need printing houses. „Under these financial and economical conditions it is very difficult, almost impossible, for the independent media to compete with the mainstream media“. However there is an increasing interest, because people realize that the mainstream media is not telling the truth, especially during the Gezi protests. Birgün made its biggest jump in its sales and circulation. We sold 6000 copies and now we are selling 26.000 copies a day. We could sell much more, but it is a matter of printing. We can only print 30.000 newspapers. And we do not get advertisement. Just with the sales you can not effort bigger printing houses. We have to pay the mainstream media for the distribution because only they have the distribution networks. Schamberger: To what extent does the media literacy level of the Turkish people affect the media system? Tilic: In general literacy level affects the system very much, because our literacy level is very low compared to other countries. An when we talk about media literacy: It is not something about buying and reading newspapers. „Many people who are buying and reading newspapers are not media literate. Because reading a newspaper and decoding a news is very difficult. Being a reader is more difficult than being a writer. Without knowing the relationship between the media owner and the government, without knowing the relationship of a news piece you read in a paper and the media owners business, it is really impossible to understand what really is meant in the news“. „The audience turns into a kind of victim of this communication system“. „Many people reading the newspapers can not get the secrets behind what they read“. Schamberger: In your opinion what will be the Turkish media system in five years? Tilic: I don´t expect any radical change. „The very basic structure which is not linked with this government will stay as it is.“ „If this government changes somehow and is replaced by another government, we can see a very quick flow of media capital from one hand to another hand.“ But these are not structural changes. Schamberger: Can you tell me something about the work of TGS? How many members do you have, what is the level of organisation? And what are the problems of journalist unions in Turkey? Tilic: There are not very many members, it is quiet weak. It is not organized in any of the big media. 5 Only in small media such as Birgün. It was organized in the state owned Anatolian News Agency but was also kicked out there. „The media owners put a kind of precondition for every person that it would employ, that they shouldn´t join the union“. It is not a written condition, but it is felt by every journalist working in the mainstream media. Schamberger: How can someone become a journalist in Turkey? Are there any restrictions? Tilic: There are no restrictions. We have to many communication faculties, over 60 I think. Every year thousands of students are graduating from those faculties. Every year media dismisses hundreds of journalists . „On the one hand we have experienced journalists who are unemployed on the other hand we have newcomers, unexperienced journalists, hoping to get a job.“ But journalism as a sector is employing less and less people with the excuse of technological advance. You should have an father or uncle as a media owner, than you can do it easily. 6 Interview mit Prof. Dr. Ali Murat Vural Datum: 18.12.14, 13.00 Uhr Ort: Skype-Interview Dauer: 48 Minuten Interviewer: Kerem Schamberger Zur Person: Prof. Dr. Ali Murat Vural ist Kommunikationswissenschaftler an der Istanbul-Universität und arbeitet als stellv. Leiter des Journalismus-Departements. Zur Situation: Das Skype-Interview wird mit Video und Ton geführt. Die Qualität ist gut. Ali Murat Vural ist ein offener Gesprächspartner, der auf alle Fragen recht lange antwortet. Allerdings ist sein Englisch nur schwer verständlich und insgesamt nicht sehr gut, sodass wir häufig zwischen Englisch und Türkisch wechseln. Zur Transkription: Nur die mit „“ gezeichneten Stellen sind wörtliche Zitate. Alles andere sind Zusammenfassungen der Gesprächsinhalte in Ich-Form. Die Teile der Transkription die in deutscher Sprache sind, waren ursprünglich in türkischer Sprache. Insgesamt war der Zusammenhang der englischen Sätze recht schwer zu verstehen und nicht einfach herzustellen. Direkte Zitate gibt es deshalb auch nur sehr wenige. Kerem Schamberger: Thank you for talking with me. May I introduce myself once again to you: I’m Kerem Schamberger and i study communication science at the University of Munich LMU at a masters level. At the moment we are working on a project which deals with a comparative analysis of media systems’ structures around the world. In this context i would like to ask you some question about the current situation of the media system of turkey. First of all, can you describe how you came to your position? Ali Murat Vural: 1983 started his studies. 1988/89 two scholarships in the UK (London & York). Dissertation in Content Analysis of English and Turkish local newspapers. Did his Ph.D. in 1996, then became Associated Professor in 2002, in 2007 I became a Professor at Anadolu University. My main focus lies on journalism and media ethics and local media. Now I am at Istanbul University and I am teaching news gathering and writing, research methods of social sciences. I also wrote for Cumhuriyet newspaper. I have a big journalist network. I also worked for the Sakarya Newspaper which is published in Eskisehir, as a column writer and news coordinator. I am also doing some consultancy work for „Bersay Iletisim Danismanligi“. They are one of the biggest in Turkey with more than 60 clients. Schamberger: There are so many things to talk about the Turkish media system. Last Sunday there were raids in the Zaman newspaper. But I want to start from another point. You said that you are teaching ethics in journalism. How do Turkish journalists see themselves and what do they think is their purpose in society? Vural: „From my point of view it seems very horrible in Turkey“. Turkish media always had big problems, not just today. Turkish journalists had big mistake. Turkish journalists were always beside 1 politics. They are too much affiliated with politics. We now have a very strong, angry, sharp government. Media and journalists are very fast in changing their sides, depending on which one is the ruling party, the ruling government. They are like a flag in the wind. The media is reporting about all topics from a political point of view. It is too much political talking. Schamberger: So do they see themselves as mouthpiece of the rulers or teacher of the masses? How do they see themselves? Vural: Wonderful! Over years they were seeing themselves as teachers, they behaved as a teacher, but they were not, because people didn´t need any teacher. People got bored by that. Geographically and culturally seen in Turkey we are living on a bridge between Europe and Asia. There are so many people, so many cultures, so many political ideas, so many identities. And also Islam as a religion has a very strong impact. So as a journalist it is very hard to be nonpartisan. Schamberger: Wenn du magst, kannst du auch türkisch sprechen. Ich übersetze dass dann einfach. Vural: Es ist sehr schwer in der Türkei als Brücken-Staat zu leben. In dieser Gegend haben mehr als 30 Zivilisationen gelebt und ihre Rückstände, Gedanken, Kulturen sind immer noch in Fragmenten hier vorhanden. Hinzu kommt der Islam als starke Religion, der großen Druck ausübt. Aufgrund all dessen gibt es eine starke Verquickung von Politik, Wirtschaft und Kommunikation. „Der größte Fehler der Journalisten ist der, dass sie zu sehr politisiert sind, sie zu starke Verbindungen mit der Politik haben“ Schamberger: Das heißt die Journalisten versuchen mithilfe ihrer Medien etwas zu verändern? Vural: Ja. Es gibt hier ein Identitätsproblem. Die Medien hier sind sehr stark und gleichzeitig verbunden mit anderen Wirtschaftsbereichen, sodass die Regierung hierüber Druck auf sie ausüben kann. Aufgrund diesen Drucks ist die Berichterstattung der Medien in den letzten Jahren nicht voneinander zu unterscheiden, sie ist uniform geworden. Ich arbeite derzeit an einer Untersuchung, die zeigt, dass Zeitungen die konform zur Regierung stehen und Zeitungen die früher eher oppositionell zur Regierung standen nun auf gleiche Art und Weise über bestimmte Ereignisse schreiben, die gleichen Überschriften, die gleichen Bildunterschriften benutzen etc. Es gibt keine großen Unterschiede mehr. Schamberger: But isn´t the mainstream media supporting the AKP government without any thinking? Because the journalists fear to be kicked out of the newsrooms if they don´t support the government? Vural: Exactly, that is the point. Thats the main problem and the main reason. Everybody is afraid from the government so that no one is writing the truth anymore Schamberger: What do journalists consider as good journalism? Vural: They know that what they are doing is bad journalism. Im November 2002 hat die AKP das erste mal die Wahlen gewonnen. Damals sagten sie, dass sie die Politik des Ausschließens/Ausgrenzens (Ötekilestirme) beenden wollen, da sie als politischer Islam 2 selbst immer von der Macht ausgeschlossen waren. Aber einige Zeit später wurden die bisher Ausgeschlossenen selbst zur Macht und schlossen nun selber aus, nachdem sie auch genug an ökonomischer Macht gewonnen hatten. Trotzdem glaube ich, dass wir uns nun auf einem Weg der Normalisierung des Mediensystems befinden. Schamberger: Aber ist es momentan nicht eher genau anders herum? Vural: Ja, das stimmt. Aber jeder wird sich nun überhaupt erst bewusst, dass wir eine Normalisierung benötigen. Früher haben die Polizisten und Staatsanwälte, die der Gülen Bewegung nahestehen die Menschen inhaftiert und eingesperrt und jetzt passiert ihnen das selbe, so wie letzten Sonntag. Das was mir Hoffnung gibt ist jetzt, diejenigen die früher verhaftet worden sind, mitsamt ihren Medien nun sagen, dass auch die Verhaftungen diese Woche falsch sind. Das das was früher passiert ist falsch war und das was aktuell passiert falsch ist. Dieses Verständnis wird zu einer Normalisierung führen. Schamberger: Wird diese Normalisierung mit dieser Regierung oder mit einer anderen Regierung eintreten? Vural: Ich muss diese Frage aus einer wissenschaftlichen Perspektive heraus beantworten. Eigentlich muss diese Normalisierung von dieser Regierung getragen werden. Ich denke, wenn die kommenden Parlamentswahlen im Juni 2015 von der AKP gewonnen wird, dann wird es zu einem Prozess der Normalisierung kommen, denn momentan gibt es einfach zu viele Konflikte. Man darf auch nicht vergessen, dass es überall in dieser Region kocht, in Syrien, im Irak, in der Ukraine. Es gibt momentan so viel Migration in dieser Region. Unter diesen Bedingungen den Frieden aufrecht zu erhalten ist sehr schwierig. Eine andere Regierung könnte das momentan nicht. Schamberger: Wie sieht die türkische Bevölkerung die Journalisten? Vural: They don´t trust them. Ich habe eine Untersuchung gemacht im Jahr 2011. Darin fragte ich junge Menschen und nur 4% vertrauten den Medien und ihren Journalisten. Schamberger: Gilt dieses Misstrauen nur für die Mainstreammedien oder auch für unabhängige Medien wie Bianet, P24, IMC TV? Vural: Ich arbeite mit P24 derzeit an einem Projekt. Aber alle zusammen sind sehr marginal, sie haben keinen großen Einfluss. Aber von den Menschen, die sie lesen, haben sie Respekt. „All the journalists are not happy, they even don´t believe themselves“. Sie hinterfragen ihre eigene Arbeit. Sie wissen, dass sie keine gute Arbeit leisten. Sie sind sehr traurig und unsicher deswegen. Momentan durchläuft der türkische Journalismus eine sehr schlimme Zeit. Schamberger: Yavuz Baydar hat mir erzählt, dass in den letzten Jahren mehr als 1000 Journalisten entlassen wurden. Stimmt das? Vural: Ja, das stimmt. 3 Schamberger: Lass uns etwas über Zensur sprechen. Auf der einen Seite gibt es eine relativ liberale Mediengesetzgebung, auch im Zusammenhang mit den EU-Beitrittsverhandlungen, auf der anderen Seite waren bis vor kurzem mehr als 90 Journalisten inhaftiert und Hunderte wurden entlassen. Woher kommt dieser Widerspruch und wie funktioniert Zensur/Selbstzensur in diesem Land? Vural: Das größte Problem ist Selbstzensur. Es gibt aber auch eine schlechte Kultur unter Journalisten, Nachrichten und Kolumnen in einer sehr beleidigenden, herabwürdigenden Art und Weise zu schreiben, mit einer sehr heftigen Sprache. Eine offensichtliche Zensur gibt es derzeit nicht, da die Türkei versucht Mitglied der EU zu werden. Dieser Drang Mitglied in der EU zu werden ist aber aufgrund des Verhaltens der EU etwas abgekühlt. Trotzdem nimmt jeder wahr, dass sich die Journalisten selbst zensieren „Wenn sie sich nicht selbst zensieren würden, hätten sie keine Überlebenschance.“ Zum Beispiel die Sözcü-Zeitung ist eine starke Oppositionszeitung, die sehr hart schreibt und kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Regierung fasst sie nicht an, da das zu einem großen Aufschrei führen würde, allerdings bekommt die Zeitung keine Werbeaufträge mehr, nicht nur von der Regierung, sondern auch von Unternehmen, die ansonsten fürchten von der Regierung kritisiert zu werden. Ich glaube aber auch nicht, dass die Regierung an allem schuld ist. Auch die Journalisten tragen eine Mitschuld. Schamberger: Gibt es auch Probleme seitens der Medieneigentümer. Im Oktober 2011 gab es ein Treffen zwischen der Regierung und Medieneigentümern und danach ist es zu noch mehr Selbstzensur gekommen. Viele Medieneigentümer haben gleichzeitig Investitionen in anderen Wirtschaftsbereichen und deshalb haben sie Angst keine Aufträge seitens der Regierung mehr zu bekommen. Vural: Ich stimme vollkommen mit dir überein, darum geht es. Schamberger: Meine letzte Frage: Wie wird das Mediensystem in 5 Jahren aussehen? Vural: Es muss sich verändern. Die Journalisten müssen etwas für ihre Ehre und ihren Beruf machen. Die Berufsorganisationen sind sehr schwach und weg von der Realität. Sie haben keinerlei Reputation. Auch die Reputation der Universitäten und ihrer Kommunikationswissenschaft-Departments ist nicht sonderlich gut. Es sind wahnsinnig viele im Journalismus-Sektor, die eigentlich keine Journalisten sind. Es gibt kein Kriterium, dass einen Journalisten definiert, jeder kann Journalist werden, Beziehungen reichen aus. Das muss sich in den nächsten 5 Jahren ändern. Die Politik muss einen Status finden, in dem sie die Presse in Ruhe lässt, sie unterstützt. Ich glaube, dass wir eine Normalisierung erleben werden, insbesondere nach den Wahlen im Juni 2015. Auch wenn wir in den letzten Jahren eine Verschlechterung erlebt haben, ist dies manchmal der Startpunkt für eine Verbesserung der Situation. Manchmal tut das Gesellschaften wie unserer gut. Eine westliche Annäherung an die Situation wäre nicht richtig. Der wilde Kapitalismus hat Gesellschaften wie unsere sehr ausgezehrt. Jeden Tag passiert etwas anderes, etwas schlimmes. Die Leute haben es langsam satt und es wird zu einer Normalisierung kommen müssen. 4 Interview mit Luc Walpot Datum: 21.01.2015, 16.00 Uhr Ort: Skype Dauer: 35 Minuten Interviewer: Marius Schreiber Zur Person: Luc Walpot ist ein aus Belgien stammender Journalist, der seit Januar 2012 Leiter des ZDF Studios in Istanbul ist. Zur Situation: Das Interview wurde nur mit Ton via Skype geführt. Die Qualität ist sehr gut und Luc Walpot drückt sich sehr klar und verständlich aus. Zur Transkription: Das Interview wurde Wort für Wort transkribiert. Nur teilweise wurde die Satzstellung geändert oder Wiederholungen gestrichen. Wichtige wörtliche Aussagen wurden mit „“ markiert. Marius Schreiber: Was ist das erste, was Ihnen einfällt, wenn Sie an das Mediensystem in der Türkei denken? Luc Walpot: Das erste was mir einfällt ist, dass es wenig mit dem zu tun hat, was wir gemeinhin kennen. Bleiben wir mal in den drei klassischen Bereichen. Fangen wir bei Print an. Sieht nach außen ähnlich aus wie bei uns. Es gibt Verlage die hinter den Zeitungen und Zeitschriften stehen, aber klassische Presseverlage gibt es in der Türkei fast keine mehr - eigentlich genau genommen keine mehr. „Die Verlage sind immer gesellschaften, also Mischkonzernen, die immer in anderen industriellen oder kaufmännischen Bereichen tätig sind. Das ist kein Zufall, das ist gewollt so. Das wäre so, wie wenn Siemens oder die Firmengruppe von Frau Klatten quasi eine eigene Zeitung halten würden. Das ist insofern ganz anders als bei uns, da wir klassische Verlägerfamilien im besten Sinne, z.B. Springer oder sehr stark familiär geleitete Presseholdings wie Gruner und Jahr oder die Burdas oder die Bauers, haben.“ Das gibt es in der Türkei nicht mehr. Das hat zugleich den unangenehmen Nebeneffekt, dass in den letzten 10 Jahren die AKP Regierung, die Presse zunehmend, unter brutalsten möglichen Einfluss der Exekutive, also der Regierung, gekommen ist. Das läuft dann so, dass Verlage die ohne hin nicht mehr besonders finanzkräftig unterwegs sind aufgekauft werden von solchen Unternehmensgruppen, die in der Regel Erdogan und seiner Partei sehr nah stehen, weil Sie z.B. ein Bein im Baubusiness haben. Das ist ein lukrativer Markt in der Türkei. Dazu brauchst du A die Genehmigungen und B die öffentlichen Aufträge und beides kommt von der Regierungspartei. Also hast du ein Interesse daran in deinem Mediaoutlet, also in deinem Medienarm, nicht gegen die Regierung zu schreiben. Das hat ganz fatale Auswirkungen. Sie haben im Prinzip nur noch ganz wenige Presseorgane von denen man sagen könnte, sie sind nicht direkt unter der Fuchtel einer bestimmten Richtung. „Ungefähr 80% der Presse sind direkt unter der Kontrolle der Regierung bzw. Erdogans und seiner Unternehmensfreunde.“ Dann gibt es noch ein, zwei Blätter die sind entweder streng rechts unter der Kontrolle MHP naher Kreise, dass sind die nationalistischen Parteien, oder klassischer Weise die Zeitung Hürriyet die natürlich der CHP, den Sozialdemokraten der alten Atatürkpartei nahesteht. „Aber wirklich unabhängige Presse finden Sie heute in den klassischen Printmedien kaum noch bis gar nicht.“ Die letzte einigermaßen unabhängige Zeitung ist ins Internet abgewandert, weil sie das Geld nicht mehr hatten um zu drucken, das war Radikal. Das ist schon 1 bitter. Also wirklich unabhängige Presse finden wir heute nur noch allenfalls im Netz und da auch ständig bedroht von irgendwelchen Anklagen wegen Terror und einer Abschaltung, weil sie irgendwelche Dokumente oder Kritiken an Erdogan veröffentlichen. Die Presse ist hier ein ziemlich prekäres Gewerbe. Im Fernsehmarkt sieht es ähnlich aus, wobei die Konzentration dabei noch größer ist. Da gibt es noch weniger Angebote und die paar die wirklich informationstechnisch unterwegs sind - es gibt einen großen Fernsehmarkt, aber mehr als die Hälfte davon ist reine Unterhaltung wie RTL2 oder ähnliches - das sind einige wenige. Die sind auch sehr sehr streng von Unternehmensgruppen kontrolliert die dem Einfluss der Regierung direkt sehr nahe stehen. Das ist ein Stück weit bitter. Schreiber: Inwiefern wirkt sich das auf die Journalismuskultur aus? Walpot: Brutal. Ich gebe mal ein paar Beispiele: Um beim Fernsehen anzuknüpfen: Es gibt die Mediengruppe Dogan, an der auch Axel Springer beteiligt ist. Diese Gruppe gilt nicht als Erdogan nah - ganz im Gegenteil. Die Inhaber kommen ursprünglich aus einer alten republikanischen Familie und deshalb hat die Gruppe mit den islamisch-konservativen Kräften nix am Hut und gilt als erklärter Gegner Erdogans und seiner AKP. Diese Gruppe wurde vor 5-6 Jahren mit einer relativ simplen aber extrem effizienten Masche an die Kandare gelegt. Die Regierung hat den Dogan Konzern eine Steuerforderung von über einer Milliarde in Fonds geschickt. Angeblich Steuerhinterziehung. So eine Summe kann die Gruppe nicht zahlen, weil sie so finanzkräftig dann auch wieder nicht sind. Das heißt die haben sich dann überlegt - entweder wir machen dicht oder wir finden eine Einigung mit Erdogan und die haben sie dann auch gefunden. „In der Praxis sieht das so aus, dass bei den Gruppen, bei der Erdogan und seine Partei glaubt, dass Sie direkten Einfluss haben, weil die Gruppen zu Unternehmensgruppen gehören die wiederum der Partei sehr nahe stehen, greift Erdogan auch gerne selber zum Telefon und ruft an bei der Holding und sagt ihr müsst jetzt mal den und den Journalisten bei dem und dem Blatt rausschmeißen. Dann werden die am nächsten Tag gekündigt. Das ist so. Das passiert knallhart.“ Noch schlimmer ist, die Geschichte einer bekannten Fernsehmoderatorin. Im Zuge der Korruptionsvorwürfe gegen vier Minister im Dezember 2013, als Erdogan brutalst möglichst die Justiz an die Kandare gelegt hat, indem er Staatsanwälte nach Hause geschickt hat um diese Verfahren unter den Teppich zu kehren, hat diese Moderatorin gesagt: ‚Merkt euch den Namen des Staatsanwalts der gesagt hat, es gebe zu wenig Beweise, man könne die Minister nicht anklagen. Dieser Mann wird in die türkische Rechtsgeschichte eingehen.’ Das hat sie getwittert und für diesen Tweet soll sie jetzt 2-9 Jahre wegen Behinderung der Ermittlungen und wegen terroristischen Äußerungen in Haft (sie wird gerade angeklagt). „Das ist die Realität in diesem Land. Und das ist nur ein Fall. Jeden Tag haben sie solche Fälle. Es wird also sowohl einerseits direkt eingegriffen indem man sagt ich möchte den oder die Journalisten loswerden und die werden dann geschasst. Das ist so. Das passiert jeden Tag.“ Das ist für mich als türkischer Journalist wenn ich betroffen bin noch die bessere Variante. Denn es gibt noch eine drauf: Man wird angeklagt wegen irgendwelcher terroristischen Umtriebe, Nähe zu terroristischen Organisationen oder, dass ist ja jetzt die neue Mode seit über einem Jahr, zur Nähe zum Parallelstaat, der Gülenbewegung. Bewiesen wird das alles nicht. Das wird alles von sogenannten Sondergerichten durchgezogen, so ähnlich wie in der Pinochet Ära in Chile. Diese Gerichte sind letztes Jahr eingerichtet worden. Der Richter entscheidet dann ganz alleine, ist aber zugleich auch Strafverfolgungsbehörde, also Staatsanwalt und Richter in einem. Das ist unglaublich. In der Rechtspraxis gibt es das in Europa sonst nirgendwo, vielleicht bei Orban in Ungarn. Aber das ist schon hart was hier läuft. Und das führt dazu, dass jenseits der vielen vielen Kollegen die direkt betroffen sind, weil sie A rausgeschmissen sind oder B unter Anklage stehen, die die noch eine Beruf haben und in den Medien arbeiten, die Schere im Kopf jeden Tag größer werden lassen. Weil du dir einfach im 2 Moment hier als Journalist - wenn du überhaupt noch was schreibst - wenn du triftige Informationen hast überlegen musst, wo du sie bringst, wie du sie bringst, wann du sie bringst und ob das deine Existenz aufs Spiel setzt. Schreiber: Inwiefern sind Sie als Auslandskorrespondent betroffen? Also wie sind Ihre persönlichen Arbeitsbedingungen und gibt es irgendwelche Einschränkungen die Sie bei ihrer Arbeit haben die Sie merken oder zunehmend merken? Also wenn ich jetzt für mich persönliche spreche - keine Einschränkungen. Ich werde nicht bedroht. Ich war lange Jahre in Ägypten, da war das schon eine Spur anders unter Mubarak. Also das tun die hier nicht. Wir haben als ausländische Journalisten, insbesondere als deutsche Journalisten eine relativ sichere Situation insofern Sie uns nur ungern drohen. Das gilt aber nur für Leute wie z.B. mich als Vertreter eines öffentlich-rechtlichen Mediums oder die Kollegen von der ARD. Den Hasnain Kazim vom Spiegel zum Beispiel, bei dem sieht die Situation schon ganz anders aus. Er bekommt, nach jedem etwas kritischen Text den er über Erdogan schreibt, massiv Anfeindungen im Internet und dahintersteckt - das sagen auch türkische Kollegen - die AKP Kontrolle. Also die Regierungspartei hat nach den Gezidebakel vor zwei Jahren mehrere hundert junge Leute eingestellt, die nichts anderes tun als im Sinne der Partei das Internet zu durchforsten und Hassmails, Drohmails, Tiraden, Kampagnen im Netz organisieren. Die Partei hat das selber eingeräumt, nicht das sie Hassmails schreiben, aber das sie solche Profis haben. Die Partei sagt, das ist Teil ihrer PR Maschinerie. Bezüglich Herr Kazim - das liest sich ziemlich drastisch was da kommt. Der erhält auch ernsthafte Drohungen. Immer anonym natürlich und er kann nicht nachweisen, dass es aus der AKP Ecke kommt, aber man darf mit Fug und Recht annehmen, dass das aus der Ecke kommt. Das ist wie gesagt sehr unterschiedlich. Ich persönlich und die Kollegen der ARD können hier relativ frei arbeiten. Wobei der Hörfunkkollege von der ARD auch schon mal Demonstranten vor seiner Tür stehen hatte, von denen man auch nicht genau wusste, also mit Schlagstöcken in der Hand, was die genau wollen und wer sie geschickt hat. Also da muss man schon vorsichtig sein. Das ist uns hier noch nicht passiert, aber z.B. einer niederländischen Kollegin. [Hintergrund: Diplomatisch liegt die Türkei mit den Niederlanden extrem über Kreuz, das ist ein ganz anderer Ton der da herrscht als zwischen Frau Merkel und Herrn Erdogan. Da gibt es richtige Anfeindungen im Moment. Hintergrund ist, dass die Türkei sich ständig beschwert, weil sie in Holland die ganzen Schwulengesetze etc. nicht mag und da gab es einen konkreten Fall aber das führt jetzt zu weit. Aber sie liegen jedenfalls richtig über Kreuz in vielen Dingen.] Da greifen die türkischen Behörden schon ganz anders ein. Eine holländische Kollegin, die im Osten im Kurdengebiet seit über einen Jahr arbeitet ist vor zwei Wochen festgenommen worden, ihr Büro wurde durchsucht, ihre Festplatte beschlagnahmt, etc.. Anklagepunkt: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Die Kollegin hat in ihren Tweets ab und zu mal Aufrufe der Kurdenpartei veröffentlicht. Das war’s. Das muss man dann schon differenziert sehen. Es geht auch gegen ausländische Presse, aber sie suchen sich die Ziele genau aus. Softtargets, von denen sie ausgehen können, dass nicht viel diplomatischer Pull dahintersteckt, die versuchen sie schon anzugreifen. Uns lassen Sie im Moment in Ruhe. Schreiber: Was dann wahrscheinlich an der Größe und der Position der öffentlich-rechtlichen Anstalten im Verhältnis zu anderen Medienangeboten liegt? Walpot: Nein nicht direkt. Ich glaube es hat eher damit zu tun, wie die Administration in Ankara derzeit die Chance einschätzt, dass bei einem Durchgriff gegen einen Journalisten es möglicherweise internationale Wellen schlägt oder diplomatische Porzellan zerschellt. Da im Fall Holland das Porzellan eh schon zerschlagen ist fühlen sie sich da freier gegen Kollegen vorzugehen. Deutschland ist ganz wichtig für die Türkei. Da sind sie doch ne Spur vorsichtiger. Nur beim Spiegel sind sie eben 3 weniger vorsichtig, weil sie da so empört sind. Das ist aus ihrer Sicht ein solches Drecksblatt, dass sie sich dort erlauben durchzugreifen. Schreiber: Sind sie selber auf sozialen Netzwerken aktiv? Walpot: Nein ich mache da nichts. Ich schaue mir das an, aber ich bin da selber nicht aktiv unterwegs. Schreiber: Dann haben sie da natürlich auch weniger Angriffsfläche vielleicht. Walpot: Richtig. Lacht. Aus genau dem Grunde mache ich das auch nicht. Das ist sozusagen eine Schutzfunktion, ich bin weder bei Facebook noch bei Twitter, noch blogge ich. Das hat den Nachteil, dass wir da als Korrespondenten dort nicht unterwegs sind. Hat aber auch den Vorteil, dass ich da nicht angreifbar bin und auch nicht später in irgendwelche Erklärungsnöte komme. Schreiber: Aber das Interesse daran, dass türkische Behörden Beiträge von Ihnen irgendwie sehen und sich darüber beschweren, so was gibt es nicht? Walpot: Die Administration in Ankara weiß genau wie wir produzieren und was wir produzieren. Die Botschaft in Berlin macht jeden Tag eine Presseschau und da ist alles drin. Alles was deutsche Medien über die Türkei berichtet haben, ob Print, Internet oder Fernsehen. Schreiber: Aber Beschwerden darüber, wie sie berichten haben sie nicht regelmäßig? Walpot: Die werden indirekt angebracht. Wir haben ja ab und zu auch Backgrounder, also Hintergrundgespräche beim Außenministerium oder anderen Ministerien oder einer Regierungsbehörde und da kommen natürlich ab und an Seitenhiebe, aber ich würde sagen, dass ist im Rahmen dessen was möglichweise andere Länder auch machen. In Russland werden meine Kollegen wesentlich härter angefasst als hier oder zum Beispiel im Iran. Den Druck den die iranischen Behörden direkt machen ist wesentlich größer als im Moment noch der in der Türkei. Ich kann das ja direkt vergleichen. Da sind die Möglichkeiten für mich wesentlich mehr eingeschränkt zu arbeiten als in der Türkei. Schreiber: Inwiefern haben ausländische Medien Einfluss auf das Mediensystem in der Türkei? Einerseits wie sie als Player auf dem Markt Einfluss nehmen, andererseits wie ausländische Medien angesehen werden in der Türkei. Walpot: Zunächst zur ersten Frage: Welchen Einfluss haben ausländische Player auf den türkischen Markt? Wenig bis gar keinen. Der türkische Markt ist eine in sich geschlossene und auch viel zurückgeworfene Kultur und kein offener Medienmarkt. Zunächst einmal gibt es wenige bis gar keine ausländische Player die direkt irgendwie verbandelt sind mit türkischen Gruppen. Da ist Springer schon fast eine Ausnahme. Murdoch ist mit Fox im TV Bereich aktiv, zieht sich aber weitgehend aus dem Informationsgeschäft zurück und beschränkt sich auf Entertainment. Dann gibt es einige arabische Präsentanten die sich über ihre Outlets beteiligen, aber auch der Anteil ist sehr gering. Und dann ist der einzige richtige fremde große Player Dogan im Sinne von CNN Türk, die ein Kooperation mit CNN haben, das ist aber sehr stark turkisiert, da spielen die Amerikaner und Springer überhaupt nicht rein. Dann gibt es natürlich Al-Jazeera International. Die sind nicht verbandelt mit einem türkischen Unternehmen und sind unabhängig, aber die tun sich in der Türkei sehr schwer. Da ist sie Resonanz sehr gering, dass interessiert hier kaum jemand. Der türkische Markt ist insofern 4 selfcontained und wird von türkischen Playern dominiert. Etwas anders ist, wie ausländische Presse wahrgenommen wird. Da muss man unterscheiden zwischen den paar Prozent weltoffenen Intellektuellen in der Türkei, das sind aber nicht viele, und der große Masse. Letztere nimmt ausländische Presse durch den sehr stark gefärbten Filter der Administration wahr. Also das was Erdogan über die ausländische Presse sagt, so nehmen viele die ausländische Presse wahr. Sie glauben das. Wenn Erdogan sagt, die Deutschen lügen, die New York Times lügt, das ist die jüdische Lobby etc., das wird hier für bare Münze genommen. Bei vielen Leuten, nicht bei allen wohlbemerkt. Es gibt eine kleine Minderheit die natürlich weiß, dass das reine Regierungspropaganda ist und Ablenkung von den eigentlichen Problemen, aber das sind nicht viele. Insofern hat die ausländische Presse keinen guten Ruf bei der Masse der Leute. Die Masse der Leute geht der Erdogan Propaganda voll auf den Leim und glaubt, dass die große Türkei unter ständiger Anfeindung des Auslands ist, insbesondere der Juden, der Zinslobby, der Amerikaner, der Europäer, von Frau Merkel und das all diese Leute der großen Türkei ihren großen Erfolg neiden. Das ist die Baseline der Erdogan-Oratorium und das glauben die Leute. Das ist doch fast die Hälfte der Bevölkerung die diesen Bullshit glaubt. Das funktioniert sehr gut, hat aber auch historische Gründe. Ähnlich hat auch schon die Militärdiktatur argumentiert. Diese Baseline hat nicht Erdogan erfunden. Die Ehre braucht man ihm gar nicht zu geben. Und ähnliche faschistoide Begründungszusammenhänge sehen sie auch in anderen autoritären Systemen wie bei Orban in Ungarn oder Putin, wo das exzellent läuft und exakt dieselbe Schiene ist. Wie bei Putin die russisch-orthodoxe als faschistoides Element die Reihen zusammenhält so ist es hier der Islam. Schreiber: Wie ist das Bild von Journalisten in der Gesellschaft? Haben sie ein hohe Anerkennung? Walpot: Nein, das läuft auf derselben Schiene. Das ist lustig, ich meine Pegida hat jetzt den Göbbels Begriff der Lügenpresse reaktiviert, aber so was würde Erdogan auch durchaus unterschreiben. Allgemein ist das jetzt kein Job, der ein hohes Standing oder Ansehen hätte in der Gesellschaft. Schreiber: Woran liegt das? Gab es das nie? Walpot: Jedem Türken, der älter als 40 ist, ist klar, dass es früher auch nicht besser war und das muss man auch sachlich so sehen. Die Türkei hat keine demokratische Tradition. Die Tradition stammt von den Jungtürken, also den Offizieren, die am Ende des ersten Weltkriegs diese Türkei gegründet haben. Das was eine Zeit faschistischer Tendenzen in Europa, die Zeit Franco, Hitlers und Mussolinis. In dieser Zeit ist die Türkei unter diesen Tendenzen gegründet worden und ist jahrelang ohne Parteien ausgekommen und ist dann in den 50er Jahren ein bisschen geöffnet worden und dann kamen nach und nach vier Militärputsche. „Es gibt keine demokratische Tradition in dem Land, entsprechend war die Presse hier immer Büttel einer Richtung. Es gibt keine unabhängige, intellektuelle, redliche Presse. Die gab es nicht und die gibt es auch nicht.“ Schreiber: Gelten die Journalisten als Sprachrohr der Regierung? Walpot: Da hängt es davon ab wen sie fragen in der Türkei, es sind ja 80 Millionen Menschen. Jeder hat eine andere Färbung, andere Prägung und Bildungshintergrund. Die Masse derer die Erdogan nachlaufen gehören nicht dem oberen Bildungssegment an. Die Leute die aber Hochschulabschluss haben, differenzieren durchaus. Trotzdem gilt generell dass man der Presse misstraut, einfach schon aus Erfahrung heraus, weil es eben keine unabhängige Presse wie in Deutschland gibt. Was es gibt und auch immer gab, was jetzt im Moment gerade verschwindet, weil Erdogan die Presse 5 gleichschaltet, war eine Vielzahl an sehr dezidierten, sehr extremen Meinungen in der Presse. Die gab es immer schon - die extrem Rechte, extrem Linke, extrem Nationalistische, extrem Islamischen. Das gab es alles auch unter den Militärs, aber das ist sozusagen Kampfpresse gewesen. Und auch deswegen, hat man, wenn man irgendwo in der politischen Mitte stand als türkischer Bürger das ungute Gefühl, dass man denen eigentlich besser nicht glauben sollte, weil jeder nur ein eigenes Evangelium predigt. Und da hat sich an diesem Grundmisstrauen eigentlich nicht viel geändert und erst recht nicht, wo die neue Regierung die Presse jetzt massiv gleichschaltet. Schreiber: Was meinen Sie, wo sehen sie das türkischen Mediensystem in 5 Jahren? Walpot: Das ist so eine apokalyptische Frage und schwierig. Das Pressesystem wird den allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen folgen. Deshalb ist die Frage eigentlich, wo wird sich die Türkei politisch und wirtschaftlich hin entwickeln in den kommenden 10 Jahren? Und das ist relativ schwer zu beantworten. Im Moment ist es das Putinmodell das sich hier abzeichnet. Eine brutalst mögliche autoritäre Regierung, die keinen Widerspruch mehr duldet, keine Kritik und keine Vielfalt in der Gesellschaft. Das wird alles erstickt im Moment. Die Gewaltenteilung wird aufgehoben, die Exekutive bringt massiv die Justiz unter ihre Kontrolle und füllt den Polizeiapparat aus, heißt macht ihn komplett abhängig und dem folgt im Moment auch die Presse. Ein Großteil der Menschen in der Türkei hat das so noch nicht begriffen oder verinnerlicht. Man spürt, dass da etwas im Argen liegt, aber es ist noch nicht so klar herausgekommen. Bei den Gezi-Protesten war klar, das was nur ein Teil der Gesellschaft, nämlich die kritische Intelligenzija, die Jugendlichen, die aus relativ republikanischen Elternhaus kommen, dort demonstriert haben. Aber das ist nicht die Mehrheit der Türken. Die Mehrheit steht irgendwo da draußen im Lande und ist im Prinzip sehr stark konservativ und oft auch islamischkonservativ und fand das bislang auch ganz okay wie es gelaufen ist und das muss man jetzt mal sehen. Ich glaube die Frage ist, wie weit die Regierungspartei und Erdogan das so durchdrücken können. Im Moment sieht das noch so aus als ob er sehr weit gehen könnte. Er ist gerade dabei die Republik auszuhüllen, so wie sie in der Verfassung steht. Praktisch läuft es auf ein Ein-Mann-Regime zu. Er hat klar gesagt, er will ein Präsidialsystem. Dazu müsste der die Verfassung ändern, die kann er im Moment nicht ändern. Dazu müsste er erst mal die Wahlen abwarten. Also macht er es einfach so auf dem kalten Wege. Das ist schon für sich genommen ungeheuerlich was hier läuft. Aber offensichtlich stört das die Leute nicht. Und deswegen ist vielleicht die interessantere Frage die wirtschaftliche. Politisch stehen die Dinge relativ klar da. Es läuft auf eine verschärfte Putinversion zu. Das wird das System Putin/Erdogan sein, mit sehr wenig bürgerlichen Freiheiten. Also die werden nach und nach eingeschränkt und sehr autoritär zugespitzt. Die Frage ist, ob die Wirtschaft mitzieht. Das ist die interessantere Frage, weil ein Großteil der türkischen Bürger folgt diesem autoritären Kurs auch deshalb, weil sie bislang in den letzten 10 Jahren den Eindruck hatte, dass sie immer im Dezember mehr Geld im Portemonnaie hatten als im Januar. Sprich die Leute haben einen gewissen Wohlstand erreicht. Und das hat zur Konsolidierung beigetragen - jedenfalls ist da nicht sehr viel kritische Masse. Die Leute schlucken diesen autoritären Kurs, weil sie mehr Geld im Portemonnaie haben. Es scheint sich aber im Moment abzuzeichnen, dass das ein Ende hat. Also das ökonomische Strohfeuer der letzten 10 Jahre scheint vorbei. Die Auslandsschulden sind sehr hoch und sie haben wie andere Schwellenländer ein Problem, wenn die USA jetzt den Geldhahn zudreht. Denn dann kommt kein Geld mehr in die Türkei. Da scheint sich eine Verlangsamung anzudeuten. Also die Wachstumsprognosen werden zurückgefahren die Inflation und Arbeitslosigkeit steigt. Das sind die eigentlich wesentlich bedrohlicheren Nachrichten für Erdogan und die Seinigen. Wenn nämlich die Leute den Eindruck haben, das Geld kommt nicht mehr, dann werden sie sich auch wieder um die Politik kümmern. Dann könnte es für ihn 6 wieder enger werden. Das ist im Moment nicht so. Aber wenn sie mich nach einem Zeitraum von 10 Jahren fragen, dann ist absehbar, dass die goldenen Jahren erst mal vorbei sind und die bechernden Jahre anfangen. Schreiber: Das durch die Wirtschaft das System von Erdogan geschwächt wird? Walpot: Er hält die Leute dadurch ruhig, dass er ihnen Wohlstandversprechen macht. Es hat aber auch zu einer große Kreditblase geführt, also viele Privathaushalte sind verschuldet, etwas was in einem muslimischen Land eigentlich gar nicht geht. Aber es ist so. Sie haben eine hohe Haushaltsverschuldung in vielen Privathaushalten. Das Instrument der Privatinsolvenz wie bei uns gibt es in der Türkei nicht, also müssen die Leute sich, was typisch ist in muslimischen Gesellschaft, bei Bruder, Tante, Onkel, Vater, Mutter Geld leihen. Das ist eine Art Schneeballeffekt und das ist tödlich. Wenn sich das weiterdurchfrisst, dann hat die Regierung ein Problem, weil dann sagen die Leute was soll der scheiß. Das sagen sie noch nicht, aber das könnte kommen. Also von der Warte aus könnte das System wesentlich mehr Druck erwarten als von politischer Seite, weil die Opposition schafft es einfach nicht diese autoritären Kurs zurückzudrängen und sie wird auch nach und nach kaputt gemacht. 7 Schriftliches Interview mit Eylem Yanardagoglu Datum: 25.12.14 Interviewer: Kerem Schamberger Zur Person: Eylem Yanardagoglu ist Kommunikationswissenschaftlerin an der Kadir Has Universität in Istanbul. Sie hat einige maßgebliche Publikationen für unsere Forschungsarbeit geschrieben, so zum Beispiel das sehr aktuelle erste Turkey Media Barometer 2014. Zur Situation: Die Fragen für das Interview wurden ihr Mitte Dezember 2014 zugeschickt. Am 25. Dezember hat sie auf die Fragen, in eher kurzer Form, geantwortet. Kerem Schamberger: How would you describe the current situation of the turkish media system. Eylem Yanardagoglu: There is an increasing pressure from authorities on media organisations that do not support the policies of the government . It is a media that is under immense pressure, it can not offer stable working conditions, wages are low, social security is not fully offerred and journalists fear legal action and imprisonment. The freedom of press and freedom of expression are at its lowest degree. Schamberger: Due to Turkey's application to accede to the European Union there where some legal changes that formally improved the freedom of the press. For example the new press law from 2004. Nevertheless, turkeys position in several rankings of press freedom decreased since 2007, a lot of journalists are in prison. How does it come to this contradiction between legal improvements on one side and the degradation of journalists working condition on the other side? Yanardagoglu: If you look at our Mediabarometer report you will be able to find details for this question. But simply, the discrepency is due to the differences between written documents and practice . The constituion and laws protect the press freedom in Turkey, but the application on the ground is different. In terms of Internet for example, the regulations limit access even though the grand rule are in favour of freedoms. In the press or TV; The editors or journalists apply selfcensorship in fear of losing their positions. Schamberger: To what extend does the politicial field, especiallay the AKP-government, influence the media system? Yanardagoglu: There is no shoryt answers to this question. The first issue is the so called pool system ( creating pro-governmnet media), the second issue is a systematic degradation of mainstream or international media ,will to exercise a tight controll of Internet access are some of the infleunces that the government has Schamberger: Are there economic players, who put up restrictions on the media system and press freedom? Yanardagoglu: The recent problem in terms of media concentration in Turkish media is the so-called 1 pool media, where businesses close to the government was expected to pool their resources to but TV stations and newspapers in order to give support to the policies of the government. This is one of the obstacles in front of freedom of the media in Turkey. Schamberger: How do turkish journalists perceive their role in society and what do they think is their main aim in their profession? Yanardagoglu: It is hard for me to answer this question, I can only give you my impresisons that I gained during the barometer workshop and my personal observations. I have the impression that journalists somehow learn at an early stage that this is a profession which does not offer stability in terms of its working conditions. They know that they will be somehow facing limitations either in the form of pressures from authorities or from their own editors, but impression is that they strive to stick to the ideals of the profesisons such as a duty to inform the public of the wrongdoings in the society or politics. Schamberger: What is the reputation of journalists in the society? Are they considered to be independent or rather a mouthpiece of the government? Yanardagoglu: It would very much depend on which newspapers/ TV stations they would be working for. Schamberger: What will the turkish media system look like in 5 years in your opinion? Yanardagoglu: I believe both the pool media and the mainstream media will go under some changes in terms of ownership. The digitalisation process will change the TV sector, newsrooms in newspapers wil also have to adapt to greater digitalisation. 2
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