REPORTAGE Seit dem 1. Januar 2015 gilt bundesweit der gesetzliche Mindestlohn. Nach knapp einem Jahr sind sich Arbeitgeber, Politik und Wissenschaft uneins: Ist der Mindestlohn Fluch oder Segen für den Arbeitsmarkt? Mindestlohn: Zeit, Bilanz zu ziehen Der Arbeitsmarkt entwickelt sich positiv: Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verzeichnet anhaltend kräftigen Zuwachs. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind im Oktober saisonbereinigt gesunken. Derzeit liegt die Arbeitslosenquote bei 6,0 Prozent. Zahl der Minijobber nach Mindestlohn-Einführung zurückgegangen Welche Effekte die Einführung des Mindestlohns auf die wirtschaftliche Lage hat, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Eine erste Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zeigt jedoch, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse als Folge des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns deutlich zurückgegangen sind. Damit sei eingetreten, was viele Ökonomen prognostiziert hätten, erklärten die Forscher des IWH. Demnach ist die Zahl der gewerblichen Minijobs im Vergleich zum Vorjahr um rund 190.000 Beschäftigungsverhältnisse gesunken. Der Rückgang sei im Schnitt umso größer, je mehr Personen in einem Bundesland vor Einführung des Mindestlohns weniger als 8,50 Euro brutto je Stunde verdienten. Damit ergeben sich auch große regionale Unterschiede. Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik am IWH, erklärt dazu: „Es ist auffällig, dass Bundesländer mit einer hohen Mindestlohnbetroffenheit einen stärkeren Rückgang an Minijobs zu verzeichnen 24 Die Wirtschaft Dezember 2015/Januar 2016 haben als solche mit vergleichsweise niedriger Betroffenheit. Die Ergebnisse legen nahe, dass zwischen beiden Größen ein Zusammenhang existiert.“ Allerdings seien empirische Studien, die kausale Effekte des Mindestlohns auf die geringfügige Beschäftigung wissenschaftlich belegen, gegenwärtig noch nicht verfügbar. Auch sei nicht klar, ob die positiven Arbeitsmarktdaten die Interpretation zulassen, dass Minijobs möglicherweise in reguläre Beschäftigungsverhältnisse überführt worden seien. Mindestlohn – mit Übergängen Seit Januar 2015 steht grundsätzlich allen Arbeitnehmern ein Entgelt von mindestens 8,50 Euro brutto pro Stunde zu. Allerdings sind übergangsweise Ausnahmen für bestimmte Branchen wie Zeitungszusteller festgelegt. Einige Gruppen sind vollständig vom Mindestlohn ausgenommen. Dazu zählen beispielsweise Auszubildende sowie gegebenenfalls auch Praktikanten. Spezielle Regelungen gelten für Langzeitarbeitslose: Hier können Arbeitgeber die ersten sechs Monate nach Einstellung auch einen geringeren Stundenlohn als 8,50 Euro brutto zahlen. Saisonarbeiter wiederum können zwar den Mindestlohn beanspruchen, sind aber für bis zu 70 Tage von der Sozialversicherungspflicht befreit. Arbeitgeber stehen dem Mindestlohn bislang mit gemischten Gefühlen gegenüber. Studien etwa der IHK Südthüringen belegen, dass Unternehmer vor allem mit dem bürokratischen Aufwand und der Verschiebung REPORTAGE Mindestlohn 2.0 des Lohngefüges zu kämpfen haben. Denn bei vielen Betrieben sind nicht nur die unteren Lohngruppen betroffen, sondern das vollständige Lohnniveau, um den Lohnabstand zwischen Hilfs- und Fachkräften zu wahren. Kostenfreie Informationsveranstaltung Überblick und aktuelle Entwicklung seit Einführung des Mindestlohns Mittwoch, 13. Januar 2016 | 17:00 bis 18:30 Uhr in der IHK Bonn/Rhein-Sieg www.ihk-bonn.de | Webcode 6491917 Mindestlohn: Mehrarbeit für Arbeitsgerichte Auch die Gerichte mussten sich schon mit dem Thema Mindestlohn auseinandersetzen. Eine erste höchstrichterliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt erging zur Frage der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (10 AZR 191/14). Demnach berechnet sich die Höhe der Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall nach den für den Personenkreis erlassenen Mindestlohnvorschriften. Im zugrundeliegenden Fall handelte es sich um pädagogisches Personal in der Aus- und Weiterbildung. Arbeitsrechtsexperten gehen jedoch davon aus, dass die Entscheidung des BAG auf das Mindestlohngesetz insgesamt übertragbar sein dürfe. Denn dort finden sich keine Vorgaben für eine abweichende Vergütung an Feiertagen oder bei Arbeitsunfähigkeit. Bereits im November 2014 hatte das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit dem allgemeinverbindlichen Mindestlohn in der Pflegebranche entschieden, dass dieser Mindestlohn auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen ist. Das Gericht begründete dies damit, dass die Vergütung je Stunde festgelegt ist und damit unterschiedslos an die vergütungspflichtige Arbeitszeit anknüpft. Diese Argumentation gilt auch für alle Fälle im Zusam- menhang mit dem Mindestlohngesetz. Das Arbeitsgericht Berlin entschied in einem anderen Fall, dass der Arbeitgeber zusätzliches Urlaubsgeld und eine jährliche Sonderzahlung nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen darf (Az. 54 Ca 14420/14). Eine Änderungskündigung, mit der eine solche Anrechnung erreicht werden sollte, erklärte das Gericht für unwirksam. Das Arbeitsgericht Herford musste sich mit einem Entlohnungs-Modell befassen, in dem die Arbeitnehmerinnen nur mithilfe einer Akkordzulage ein Entgelt auf Mindestlohn-Niveau erhielten. Das Urteil fiel zugunsten der Montagehelferinnen aus. Demnach hätte der Grundstundenlohn in Höhe von 6,22 Euro seit Januar auf 8,50 Euro angehoben werden müssen. Auf diese Weise ergibt sich für die betroffenen Arbeitnehmerinnen eine Lohnerhöhung auf mehr als elf Euro. Auch bei verschiedenen Landesarbeitsgerichten sind in zweiter Instanz inzwischen Verfahren zum Mindestlohn anhängig. Constanze Elter, Steuern – leicht gemacht! Ihre IHK-Rechtsexpertin: Nadine Catherina Breuer Telefon 0228 2284 -183 E-Mail: [email protected] SOZIAL/KOMPETENT/LEISTUNGSSTARK – Wir sind eine anerkannte Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und Partner für Industrie, Handel und Handwerk an vier Standorten. UNSER BEREICH ELEKTRONIK Für die Auftragsabwicklung stehen über 1.100 Mitarbeiter/-innen mit unterschiedlichsten Qualifikationen zur Verfügung. Bei einer Auftragsvergabe können gemäß § 140 SGB IX, 50 % der anrechenbaren Auftragsleistung auf eine eventuell zu zahlende Ausgleichsabgabe angerechnet werden. Unsere Produktionsbereiche sind: • • • • • • Büro- und Versanddienste/EDV Druckerei Elektronik E-Recycling Garten- und Landschaftsbau Holzbe- und -verarbeitung • • • • • • Küche/Verpflegungsmanagement Lager/Logistik Metallverarbeitung Montage Näherei Verpackung Gemeinnützige GmbH Zentralverwaltung Allerstraße 43, 53332 Bornheim-Hersel Tel.: 02222 / 83 02-0 www.bonnerwerkstaetten.de IHR PARTNER FÜR INDUSTRIE UND HANDEL
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