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18.02.2016 00:00 Uhr, Thüringen
Islam
WENN DER GLAUBE AUF SKEPSIS STÖSST
Angeblich muss ja das Abendland vor einer Islamisierung bewahrt werden, wie immer wieder
Pegida und Co. meinen.
Da gibt es sie nun, seit vergangenem Jahr ein paar tausend
Neu-Thüringer - doch über ihre Lebensweise und Kultur weiß
man hierzulande so gut wie nichts. Auf dem Tisch von
Franz-Josef Schlichting landete deshalb vor Kurzem eine
Anfrage des Landesverbandes der Gerichtsvollzieher: Könne
die Landeszentrale für politische Bildung, deren Chef
Schlichting ist, denn nicht mal eine Schulung veranstalten, was
es im Umgang mit Muslimen zu beachten gibt? Probleme hatte
man bisher zwar nicht, aber man weiß ja nie ... "Eine ähnliche
Anfrage gab es von den Schwimmmeistern", berichtete Schlichting am Mittwoch zu Beginn einer
Tagung in Erfurt, die sich mit dem Islam in Thüringen beschäftigte.
Religion ist vielen suspekt
Vorurteile, Unsicherheit, aber auch Hass und Ablehnung jedenfalls sind bei dem Thema Muslime
beherrschend. Eine junge muslimische Frau etwa, die an der Universität Erfurt arbeitet, berichtet
davon, wie ihre Kopftuch tragende Mutter bei Besuchen in Thüringen "auf der Straße angestarrt
wird wie vor 30 Jahren in Berlin". Und so gibt es gerade in Ostdeutschland eine doppelte, wenn
nicht sogar dreifache Fremdheit dem Islam gegenüber festzustellen.
Es liegt nicht nur daran, dass es im Osten früher kaum Berührungspunkte mit Muslimen und damit
kein gegenseitiges Gewöhnen an den Anderen gab - wie am Kopftuch-Starren auf der Straße
abzulesen. In der deutlich nicht-kirchlich geprägten Gesellschaft erscheint ohnehin alles Religiöse
eher suspekt, erläuterte Uta Karstein vom Institut für Soziologie der TU Dresden. Selbst alles, was
in unserem Leben mit dem Christentum zu tun hat - bis hin zu Festen wie Weihnachten, Ostern
oder Pfingsten wird da nicht mehr als Frage des Glaubens verstanden, sondern als eine rein
kulturelle Tradition. Die Bedeutung solcher Festtage ist kaum noch bekannt. Wer in der DDR die
Schule besucht hat, wird sich dafür um so mehr an den Spruch von Karl Marx erinnern: "Religion
ist Opium für das Volk."
Für die Soziologen fällt dabei besonders auf, wie nachhaltig hier die DDR-Bildung wirkt, denn
mehr als die Repressionen des Staates gegenüber den (christlichen) Kirchen habe
naturwissenschaftliche Aufklärung den Glauben an eine "höhere Macht" verdrängt. Was sich nach
den Untersuchungen Karsteins spätestens mit dem Weltraumflug Juri Gagarins verstärkte, der
nach eigenem Bekunden dort oben auch keinem Gott begegnet ist. Und vielleicht hat zu der
Abneigung des Religiösen auch beigetragen, dass nach der Wende viele Spitzenämter im Osten
sogar von studierten Theologen bekleidet wurden. Das sei als neue "Missionierung mit Schwert
und Feuer" empfunden worden, zitierte sie einen Studienteilnehmer.
Die Zahl verdreifacht
Vor solch einem Hintergrund muss die Verwurzelung der Muslime in ihrem Glauben als besonders
intensive Religiosität wirken. Wobei man das aus Sicht des Islam nun ganz und gar nicht
bestätigen könne, wie Imam Kadir Sanci von der Universität Potsdam einwarf. Die Zahl derjenigen
Muslime, die den Glauben nach allen Regeln genauestens praktizieren, dürfte viel geringer sein
als allgemein angenommen.
Ungeachtet dessen ist jedoch ein deutlicher Zulauf in den muslimischen Gemeinden durch die
Flüchtlinge zu registrieren. Hubertus Staudacher, der Islambeauftragte des Bistums Erfurt etwa
berichtete, dass sich die Zahl der Männer, die in Erfurt an dem für Muslime so wichtigen
Freitagsgebet teilnehmen, innerhalb des vergangenen Jahres von etwa 300 auf 900 verdreifacht
habe. Die muslimischen Gemeinden seien durch diese Entwicklung völlig überfordert - zumal, da
ihre Arbeit rein ehrenamtlich funktioniere.
Das ist auch die Erklärung für den Umstand, dass es ausgerechnet der katholische Theologe
Staudacher ist, der auf einer von der evangelischen Akademie mit veranstalteten Tagung die
Muslime erklärt. Er ist es, der über einen interreligösen Dialog, der inzwischen installiert wurde,
den engsten Kontakt zu muslimischen Vertretern hält. Schließlich ist unter den zahlreichen
islamischen Dachverbänden der Zentralrat der Muslime der einzige, der auch in Thüringen
existiert. Jemanden, der im Namen der Muslime in Thüringen sprechen könnte, gibt es dennoch
nicht.
24.02.2016 13:36
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Laut Staudacher belief sich die Zahl der Muslime in Thüringen im Jahr 2013 - also kurz vor dem
Ansteigen der Flüchtlingszahlen - auf etwa 7000. Gemeinden bestehen in Eisenach, Mühlhausen,
Nordhausen, Erfurt, Ilmenau, Weimar, Jena, Saalfeld und Gera, wobei etwa in Ilmenau die
Gemeinde fast rein studentisch geprägt sei - durch Studierende oder Doktoranden aus
islamischen Ländern.
Die Gemeinde-Strukturen, so hat Staudacher beobachtet, fußen rein auf eingetragenen Vereinen,
in denen Gläubige jedoch kein Mitglied sein müssen. Vielfach fänden auch nur Gebete in
irgendwelchen Wohnungen statt, bevor man zu der Auffassung kommt, man solle sich nun doch
einmal um Gemeinde-Räume bemühen. Interessant ist auch das Beispiel der größten Gemeinde
in Erfurt - auch sie hat keinen ausgebildeten Imam (Religionslehrer) als Vorsteher - den Job
erledigt ein muslimischer Fleischer ehrenamtlich.
Staatliche Religionslehrer
Immerhin gibt es in Deutschland seit fünf Jahren eine theologische Ausbildung für Imame. Die war
angesichts der Tatsache nötig geworden, dass bislang die Imame in Deutschland zumeist von der
Türkei entsandt sind, also als Angestellte des türkischen Staates in Deutschland predigen.
Ausgerechnet hier, wo die Trennung von Kirche und Staat ein wichtiger Baustein des
Grundgesetzes ist, wirkt solcherart staatlich gelenkte Religion schon merkwürdig.
Wenigstens eine Hecke?
Hinzu kommt die Aufspaltung des Islams auf viele verschiedene Glaubensrichtungen wie
Sunniten, Schiiten, Ismailiten, Ahmadia, Alewiten und andere. Ein Umstand, der in der islamischen
Welt immer wieder für Probleme sorgt, von denen dann auch Thüringen nicht verschont bleibt. So
berichtete Staudacher etwa von den Diskussionen über ein muslimisches Gräber-Feld auf dem
Erfurter Hauptfriedhof. Nach vielen Diskussionen auch über deutsche Vorschriften wie über den
Sarg-Zwang bei Bestattungen (Muslime bestatten ihre Toten in Leichentüchern) kam es
schließlich doch zur Einigung auf besagtes Gräberfeld - auf dem Vertreter beider HauptGlaubensrichtungen, also Sunniten und Schiiten, bestattet werden sollen. "Etwa vierzehn Tage
später bekam ich einen Anruf mit der Frage, ob man denn nicht wenigstens eine kleine Hecke
zwischen beiden Teilen pflanzen könnte", so Staudacher.
Der katholische Theologe hat denn auch beobachtet, dass es in solchen Situationen dazu kommt,
sich auf "den kleinsten gemeinsamen Nenner" in Religionsdingen zu einigen - und der könne
durchaus fundamentalistisch ausfallen. Nämlich dann, wenn Laien-Prediger den Glauben
sozusagen auf ihre Weise auslegen und damit die Vielfalt der Glaubensrichtungen verloren geht.
Am meisten allerdings wird die Skepsis hierzulande gegenüber dem Islam vom religiösen
Fundamentalismus gespeist. Und der, so die Beobachtung Staudachers, wird nicht so sehr von
den Flüchtlingen geprägt, dafür mehr von Jugendlichen, die zwischen beiden Welten schweben und hier wie dort erleben, dass sie nicht dazu gehören. Sie liefen Gefahr abzugleiten.
Vielleicht, so die Schlussfolgerung in Erfurt, gibt es gerade hier die beste Chance, für
Verständigung zu sorgen - nicht zuletzt mit den Erfahrungen der christlichen Kirchen in einer eher
atheistisch geprägten Umwelt.
Quelle: www.insuedthueringen.de
Autor: Von Jens Wenzel
Artikel: http://www.insuedthueringen.de/regional/thueringen/thuefwthuedeu/Wennder-Glaube-auf-Skepsis-stoesst;art83467,4666692
Wiederverwertung nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung
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